Daß Herr Schulze ein System" geschaffen hat, ist uns etwas ganz Neues. Daß er seinen Gegner ,, Unwissenheit" vor­wirft, wird Jedem, der den ,, Bastia t- Schulze" gelesen hat, gelinde ausgedrückt, kühn vorkommen. Und daß er seine An­hänger in Wien   so grausam verleugnet, ist ein psychologisches Räthsel, mit dessen Lösung wir uns nicht den Kopf zerbrechen wollen.

In Berlin   haben die Gigarrenmacher sich genöthigt gesehen, die Arbeit einzustellen, weil ihnen von den Fabrikan­ten eine despotische und die Würde der Arbeiter aufs Tiefste verletzende Fabrikordnung aufgezwungen werden sollte. Den deutschen   Arbeitern liegt die heilige Pflicht ob, ihre Brüder in Berlin   zu unterstüßen; und sind wir gern bereit, Geldbeiträge für dieselben in Empfang zu nehmen.

Herr Frische, der Gründer und Vorsißende des trefflich organisirten Eigarrenmachervereins, wurde vor einigen Tagen von der Berliner   Polzei, die den Fabrikanten gefällig sein will, mit Ausweisung bedroht, wenn er nicht binnen 24 Stun den den Nachweis liefere, daß er in Arbeit stehe. Diese pracht­volle Illustration der Norddeutschen Freizügigkeit" machte in­deß einen so üblen Eindruck, daß die Polizei, wahrscheinlich auf höheren Befehl, einlenkte, und der Sache ein beschönigen­des Mäntelchen umzuhängen sucht.

Die Hungersnoth in Ostpreußen  .

( Aus dem Londoner   ,, Ebronicle" für das ,, dem. Woch." übersetzt). Die glänzenden Erfolge Preußens in dem Kriege von 1866 beginnen mehr und mehr ihre Schattenseiten hervor zu

Statt daß die Einheit Deutschlands   erreicht worden wäre, ist Deutschland   vielmehr auseinander gerissen worden, und während Preußen sich vergrößert hat, befindet sich das nicht preußische Deutschland   in einer bedenklicheren Lage als zuvor. Zu gleicher Zeit sind in Preußen und in dem ganzen Norddeutschen Bunde   die Lasten gewachsen und der allgemeine Wohlstand hat sich vermindert. Handel und Gewerbe stehen still, theils weil so viel Kapital durch den Krieg zerstört wor­den ist und so viele Arbeitskräfte durch das Heer in Beschlag genommen werden, theile und mehr noch wegen der allge­meinen Furcht vor einem großen Kriege. Selbst in Berlin  , welches aus dem Kriege von 1866 den größten Vortheil ges zogen hat, hat der Wohlstand des Volkes abgenommen. Ee erhellt dies aus der officiell bestätigten Thatsache, daß die Mahl­und Schlachtsteuer seit dem Kriege geringere Erträgnisse ge­liefert, als in den Vorjahren, obgleich die Bevölkerung um 40,000 Seelen gewachsen ist. Die Bevölkerung Berlins  consumirt gegenwärtig weniger Brod und Fleisch als vor dem Kriege. Und wenn es sich so in der Hauptstadt verhält, so muß die Lage minder begünstigter Städte und Bezirke un­fehlbar schlechter sein. Am meisten leidet die Provinz Ost­ preußen  , wo seit dem Anfang dieses Winters eine vollständige Hungersnoth ausgebrochen ist. Die unmittelbare Ursache dieser Calamitär war die schlechte Ernte des letzten Jahres, welche die Provinz um so härter betraf, als die Ernten von 1864 und 1865 bereits sehr spärlich ausgefallen waren, und die Be­völkerung sich daher schon in bedrängter Lage befand. Es versteht sich von selbst, daß die schlechte Ernte die Folge na­türlicher Ursachen war, welche feine Regierung controliren fann; aber daß diese natürlichen Ursachen schließlich eine solche ungeheure Noth erzeugen konnten, muß überwiegend politi schen Verhältnissen zugeschrieben werden.

Die 700 geographische Meilen umfassende Provinz Ost­ preußen   ist keineswegs unproduktiv. Es ist im Allgemeinen

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ein fruchtbares Land, welches, obgleich ziemlich rauhen Klimas, fich sehr gut zum Getreide und Futterkräuterbau eignet. Ein hügeliger Bezirk( Masuren  ), der weit von dem Meer entfernt liegt und von Wäldern und Seen bedeckt ist, hat zwar einen dürftigen Boden; aber selbst hier ernährt das Land völlig die nur spärliche Bevölkerung. Zwei schiffbare Flüsse, Pregel   und Niemen, und das Frische und Kurische Haff gewähren günstige Bedingungen für Handel und Echifffahrt. Ostpreußen   ist der natürliche Stapelplatz für ganz Litthauen, wie Westpreußen  für Polen  . Aber die von der Natur geschaffenen Adern sind künstlich unterbunden und durch die russische Grenzsperre ver trocknet. Und dies ist der Hauptgrund des Mangels, der seit Langem in diesen beiden Provinzen herrscht. Was vermag die Seeküste, wenn sie von dem Innern abgeschnitten ist? Wäre dies nicht der Fall, so würden Ost und Westpreußen  zu den blühendsten Provinzen des Königreichs gehören, und thatsächlich erfreuten sie sich zur Zeit des deutschen Ordens eines großen Wohlstandes. Manche prächtige Baudenkmäler jener Zeit und besonders die großen Weichseldämme zeugen von früherem Wohlstande, und die zahlreichen Städte und Dörfer, welche damals entweder schon vorhanden waren, oder gegründet wurden, berechtigen uns zu dem Schlusse, daß die Provinzen sehr dicht bevölkert gewesen sein müssen. Zur Zeit des deutschen Ordens war das Land so gut cultivirt als ir gend eins im eigentlichen Deutschland   und besser verwaltet alé alle. Dieser Wohlstand war jedoch vorübergehend. Nach dem Fall des deutschen Ordens( durch Polen  ) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann er zu finken und seitdem sind die Verhältnisse des Landes stets ungünstig gewesen. Voll­fommen gelähmt aber sind die Provinzen, seitdem Rußland  zur Oberherrschaft über fast ganz Polen   gelangt ist. Es ist unmöglich, Kapital in dem Lande anzusammeln; und die Ab­wesenheit des Kapitals läßt feine Manufakturen zu, so daß die Bevölkerung genöthigt ist, sich fast ausschließlich auf den Acker bau zu beschränken, welcher aus denselben Gründen nur un vollkommen betrieben werden kann. Aber die Ausfuhr von Bodenerzeugnissen ist sehr beträchtlich; und sie ist das einzige Mittel der Bevölkerung, um ihren Bedarf von Colonial und Manufacturwaaren zu bestreiten und die Steuern zu bezahlen. Die Ausfuhr ist viel zu groß für die Agriculturverhältnisse des Landes; aber dem ist nicht abzuhelfen. Getreide wird das her gebaut, wo es besser wäre, Futterfräuter zu bauen, und auf diese Weise wird der Boden erschöpft, da der Mangel an Kapital seine künstliche Verbesserung verhindert. Darin be ruht das Geheimniß der zahlreichen Mißernten in einem Lande, das von Natur fruchtbar und unter günstigen Handels bedingungen eines großen Wohlstandes fähig ist.

Die gegenwärtige Hungersnoth ist somit auf das enge mit der russischen Grenzsperre verbunden. Das Prohibitiv system fann nicht verfehlen, den Wohlstand Polens   und Lit thauens ebenfalls zu beeinträchtigen. Aber das ist gleichgültig für die russische   Regierung, welche nur die Ausdehnung ihrer Macht im Auge hat. Rußland   wünscht die preußi schen Ostseeprovinzen auszuhungern, so daß fie bei günstiger Gelegenheit leichter erobert werden können, oder dahin gebracht werden, daß sie sich aus Verzweiflung freiwillig an Rußland   an schließen, wie seiner Zeit Kurland. Ein Blick auf die Karte zeigt, von wie großer Wichtigkeit es für Rußlan ist, die Mündungen des Niemen und der Weichsel   sich sichern. Nur so ist Rußland   der Besiß von Polen   und thauen gewiß und seine Herrschaft über die Ostsee   unbestreit bar. In früheren Zeiten versuchte Rußland   wiederholt, fi Danzig's zu bemächtigen und während des siebenjährigen