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licher" Bundesminister. Die Laster und Consorten tummelten nach Herzenslust ihr Steckenpferdchen, und Graf Bismarck vollendete die Komödie durch eine stundenlange, Rede", in der er den Süddeutschen Mangel an nationaler und liberaler Ge­finnung vorwarf, in Einem Athem die Dezentralisation und den Absolutismus verherrlichte, die Unmöglichkeit eines deutschen  Einheitsstaates entwickelte, und den verblüfften Antragstellern noch tausend haarsträubende Dinge sagte. Kritisiren läßt sich diese ,, Rede" nicht, dazu ist sie zu genial" und widerspruchsvoll. Der einzige Gedanke, der klar hervortritt, ist das Bestreben, Frankreich   zu versöhnen. Nachdem Graf Bismarck am Schluß der Debatte noch erklärt hatte, gegen den bloßen Titel ver­antwortliche Minister" habe er nichts einzuwenden, wurde der Antrag mit 110 gegen 100 Stimmen angenommen. Somit hätte es der ,, Reichstag  " glücklich fertig gebracht, eine ,, Titel­frage" zu lösen.

Jetzt beschäftigt er sich mit einem aus der nämlichen Fabrik stammenden Antrag, die Competenz( Machtbefugniß) des deutschen Sonderbundes auf die Gesetzgebung über das ge= sammte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren, einschließlich der Gerichtsorganisation" auszudehnen. Durch derartige Hinterthürchen hoffen die Nationalliberalen sich in den geliebten ,, Einheitsstaat" einzuschleichen. In ihrer realpolitischen Naivetät vergessen sie, daß der Einheitsstaat, den sie erstreben, nur das Ergebniß eines zweiten sieg= reichen Feldzuges sein kann. Verweilen wir daher nicht bei diesen kindischen Schülerversuchen, deren einzige praktische Frucht ist, daß die in den ,, Bundeskäfig" eingesperrten Mittel­und Kleinstaaten sich ernstlich auf die Hinterbeine zu stellen beginnen.

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Aus Süddeutschland   wird der Zukunft" geschrieben: ,, Das lange zurückgebliebene Baden   regt sich und rührt die Flügel. Vorgestern hat zu Achern  , ungefähr in der Mitte des Landes, eine wahre Landesversammlung getagt, Män­ner von Schrot und Korn, aus dem eigentlichen Volke, dele­girt von Vereinen, Ortschaften und Bezirken, sauber auser= lesen, 50 an der Zahl. Dort hätten die Herren Jolly- Beyer hören können, was das Volk über sie und ihre Verpreußung" des so gesegneten Ländchens denkt; da war auch nicht Eine Stimme für den bureaukratischen ,, Gutdünkel", für die stramme Kasernirung, für die bestehende Kammer, oder gar für den Anschluß". Da hörte man die lange in Zeitungsblättern isolirten Worte frisch aus der Mannesbrust hervorquellen: ,, Unsere Bevölkerung will Freiheit und Nationalität mit einander gewahrt wissen; sie will im Verein mit allen Bruderstämmen die große Aufgabe der Zukunft lösen, aber als freies Glied eines Bundes, nicht als unterwürfiges An­hängsel eines herrschenden Führers. Sie will durch die Vereinigung stärker, gesünder an Leib und Seele, wohl­habender werden; sie will nicht das unfreie Werkzeug einer Einzelregierung sein, zu der sie kein Vertrauen haben kann". Deshalb vor Allem eine wirkliche und echte Volksvertretung, Berufung eines außerordentlichen Land­tags, dem eine einzige Vorlage zu machen ist: das allgemeine direkte Wahlrecht. Sofort wurde ein Landesausschuß be­stellt, der eine Adresse an den Großherzog absenden solle, mit der Bitte, die landesherrliche Initiative zu ergreifen und die jetzige Kammer aufzulösen. Die Wahlreform wurde ausdrüd­lich als erstes Erforderniß der freiheitlichen Arbeit" bezeichnet. Man ist die gehobene Stimmung" in unserem viel redenden und bankettirenden Deutschland   allzu gewohnt, als daß wir

eine derartige Trivialität hier wiederholen möchten; aber es war doch etwas Bedeutungsvolles, zu sehen, wie der badische Starrkrampf zu Achern   fröhlich abgeschüttelt wurde und wie die

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Organe des gesammten Landes sich zur fräftigen That ver banden. Ein Hauptverdienst bei dieser gefunden und viel versprechenden Agitation hat die feit Neujahr neu begründete Mannheimer Abendzeitung", die, wie Dido, alte Zeiten und alte Schmerzen wach ruft; sie ist durchaus tüchtig und besonders in ihren Leitartikeln voller Energie: sie predigt, für den Fall, daß ,, Empfindlichkeit und Ehrgeiz" den Krieg den= noch provoziren sollte ,,, Neutralität" des gesammten Südens, und stellt damit vielleicht das einzig stichhaltige Friedenspro­gramm auf. Die Stifter des Werkes" müssen absolut dazu gezwungen werden, in sich zu gehen und ihre beängstigende Energie nach Jnnen zu verwenden."

Die letzte Landesversammlung der deutschen Volkspartei in Würtemberg war ungewöhnlich zahlreich besucht. Man beschäftigte sich fast ausschließlich mit inneren, d. h. würtem­bergischen Fragen, und nahm fast einstimmig folgende, von dem Landeskomité beantragte ,, Erklärung" an:

Auf der Freiheit der Einzelstaaten beruht die einzige Hoffnung und Möglichkeit der Wiederherstellung des mehr als je zerrissenen Vater­

landes.

In der Freiheit der Einzelstaaten liegt die stärkste Gewähr gegen äußere Vergewaltigung. Durch sie verstärkt sich der Widerstand gegen die falsche Einheit, die im Namen der Größe und Ehre Deutschlands  verlangt, zn Gunsten der Macht und Gewalt eines Herrschergeschlechts

ausgebeutet wird.

Heute noch ohne gemeinsame Macht und Mittel von den Regie­rungen die schöpferische That gesammtdeutscher Einigung oder auch nur die Herstellung eines Südbundes zu erzwingen, welcher, gestützt auf Deutschlands   bilden soll, fordern wir die Genossen der deutschen Volks­Parlament und Volksheer, den Anfang und Grundstein eines neuen partei zu raftloser Freiheitsarbeit in den Einzelnstaaten auf; gemein sam im Glauben, gemeinsam im Wollen, daß nur aus der Freiheit die Einheit entsteht.

In diesem Sinne erstrebt die deutsche Volkspartei in Württemberg  die rasche Durchführung folgender Reformen:

1. Reform der Verfassung: Aufhebung der Kammer der Standes­herren. Entfernung der Privilegirten aus der zweiten Kammer. Einführung des Einkammersystems.

2. Reform der Verwaltung: Herstellung der natürlichen Selbst­bestimmung und Selbstverwaltung des Volks.

In der Gemeindeverwaltung vor Allem: Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher.

3. Reform des Steuerwesens: Uebergang vom bisherigen gemisch­ten System direkter und indirekter Steuern zu der einfachen und einheitlichen Steuer auf Vermögen und Einkommen. Nach monatelangem Suchen hat man in Oesterreich   ei nen Ministerpräsidenten gefunden und zwar in der Person des Grafen Taaffe. Der Mann- darin stimmen alle Nach­richten überein- wurde bloß deßhalb gewählt, weil er po­litisch völlig farb- und bedeutungslos ist.

Die französisch  - belgische Frage hat ein zähes Leben: hundertmal todt gefagt, erfreut sie sich trotzdem der besten Ge­sundheit und eine Notiz der halbamtlichen Pariser ,, Batrie" läßt schließen, daß wir von einer Lösung weiter als je ent fernt sind. Es ist wahr, diese Frage ist nur ein kleines Bünftchen am Horizont der Tagespolitik, nur ein winzig flei= nes Geschwürchen, allein wenn ein kleines Geschwürchen wäh rend Wochen und Monaten der Kunst der Aerzte spottet, dann weiß jeder vernünftige Mensch, daß die Säfte gründlich ver dorben sind, und es einer Radikalfur bedarf, falls überhaupt noch eine Heilung möglich. Und was von dem menschlichen Körper, das gilt auch von dem politischen Or ganismus.

Ueber die infamen Arbeiterschlächtere en im ,, Muster­staat" Belgien   bringen wir einen besondern Artikel.

In Frankreich   kommt die Wahlbewegung immer mehr in Fluß. Die Zahl der Candidaten wird schon auf 1500 veranschlagt. Bonaparte gibt sich alle Mühe, die Napo leonischen Erinnerungen aufzufrischen. So hat er zum Erem­pel dieser Tage an seinen Staatsminister einen Brief gerichtet,