hin, allein seinen Worten wurde dadurch die Spize abgebrochen, daß die Fortschrittspartei sich auf den Boden der Annexionspolitik gestellt hat und folglich, da sie A gesagt, auch B sagen muß. Die Herren Fortschrittler gleichen jenem Mann, der zufällig in den Besitz gestohlenen Eigenthums gekommen war, und dasselbe behalten, aber doch auch ein ehrlicher Mann blei ben wollte. Er behielt es und wanderte schließlich an den Galgen. Wer die Annexionen behalten will, muß auch das stehende Heer behalten, denn nur durch dieses können sie behauptet und vertheidigt werden. Also: Entweder Bruch, vollständiger Bruch mit der Annexionspolitik.
Oder: Mitgegangen, mitgehangen.
Aus diesem Dilemma wird die preußische Fortschrittspartei sich durch keinen Trugschluß herauswinden.
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Das wurde ihr recht unangenehm klar gemacht bei Disfussion des ,, Hagen 'schen Antrags", der darauf hinausging, die berüchtigte preußische Militärverordnung, welche die Be= freiung der Militärpersonen von den Gemeinde abgaben für alle Nordbundstaaten dekretirt, außer Kraft zu setzen. An sich war der Antrag eine lächerliche Inkonsequenz. Das Militärbudget mit seinen 76 Millionen wagt man nicht anzutasten, über ein paar Tausende von Thalern, die den Gemeinden aufgewälzt werden, ereifert man sich! Die Annexionen, diesen brutalften Eingriff in das Recht ganzer Stämme hat man gutgeheißen, und über einen winzigen Eingriff in das Recht der Gemeindeverwaltung geräth men in sittliche Entrüftung! Schöner konnte die Fortschrittspartei das biblische Wort vom Elephantenverschlucken und Mückenseihen nicht illustriren. Hr. Hagen, der Antragsteller, hatte sogar die Kindlichkeit, an den Satz zu erinnern: justitia fundamentum regnorum die Gerechtigkeit ist die Grundlage der Reiche. Darauf gab ihm der Kriegsminister Roon die realpolitische und niederschmetternde Antwort: Die Siege der Armee haben diesen Bund und diesen Reichstag erst möglich gemacht." Und Moltke , der ,, geniale" Feldherr, der die Siege von 1866,, organisiri" hat, erklärte, die bürgerliche Canaille habe in die soldatischen Angelegenheiten nicht hinein zureden, der Soldat habe mit dem Bürger nichts gemein, und der Bürger, statt dem Soldaten seine Privilegien zu be= neiden, muß ihm im Gegentheil zu Dank verpflichtet sein.
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Natürlich fiel der Hagen 'sche Antrag durch, und wurde eine Resolution angenommen, die nicht Fisch, nicht Fleisch ist, einen frommen Wunsch ausspricht und-hübsch Alles beim Alten läßt. Die Armee hat ja den ,, Bund und den Reichstag erst möglich gemacht". Wie konnte der Reichstag sich gegen die Armee, seine Mutter, empören? Erwähnt sei hier noch des Auftretens des hessischen Bundesrathsbevollmächtigten, der die Unzufriedenheit seiner Regierung mit der betreffenden Militärverordnung energisch ausdrückte. Bereits im Zollparlament trat der hessische Bevollmächtigte furchtlos gegen Hrn. von Bismarck auf. Die kleinen Bundesregierungen haben aufgehört, Preußen zu fürchten. Und das läßt auf Manches schließen.
Um seine Jämmerlichkeit zu verhüllen, hat der„ Reichstag" einige der neuen Steuern verworfen. Ob er alle endgültig verwerfen wird, ist jedoch sehr die Frage.
Das Zollparlament tritt am 3. Juni( nicht am 2., wie ein Druckfehler in unsrer letzten Nummer besagte) zusammen, und der Reichstag wird sich fortlangweilen. Auch das preußische Abgeordnetenhaus soll nächstens berufen werden, und föstlich wäre es, hätten diese drei Körperschaften gleichzeitig zu tagen. Da die Mehrheit des Abgeordnetenhauses, des Reichs tags und des Zollparlaments aus den nämlichen Bersonen besteht, würde dann der Norddeutsche Parlamentarismus in flafsischer Weise ad absurdum*) geführt werden.
Wenn wir die Bedeutung des bayrischen Wahlergebnisses würdigen wollen, müssen wir die Zusammensetzung des neuen Landtags mit der des vorigen vergleichen. Im letzten Landtag zählte, außer dem Demokraten Kolb und 7,, wilden", feiner Partei bestimmt angehörenden Mitgliedern, die ,, Mittel
*) in seiner Widerfinnigkeit gezeigt werden.
partei", welche die zu Preußen hinneigende Politik Hohenlohe's unterstützt und auf dem Boden der Militärverträge steht, 76, die Fortschrittspartei", welche für den Anschluß an Preußen ist, 45 und die preußenfeindliche Klerikale Partei 25 Mitglieder. In der neuen Kammer zählt die Mittelpartei 20, die Fortschrittspartei 57 und die klerikale Partei 76 Stimmen. Die Mittelpartei hat also 56 Size verloren, während die Fortschrittspartei 12 und die klerikale Partei 51 gewonnen hat. Das in der Mittelpartei und Fortschrittspartei vertretene preußenfreundliche Element hat demnach im Ganzen 44 Site verLoren, das preußenfeindliche 51 gewonnen. Der Eine großdeutsche Demokrat, Kolb, der auch in die neue Kammer gewählt ist, wird bei allen entscheidenden Abstimmungen den Ausschlag im deutschen Sinn geben können, um so gewisser, als sich unter den der ,, Fortschrittspartei" zugerechneten Mitgliedern mehrere befinden, die von ihren preußischen Tendenzen geheilt worden sind. Bedenkt man, daß die Fortschrittspartei in ihrem Wahlprogramme die annexionistischen Bestrebungen verläugnet hat, bedenkt man ferner, daß das bayrische Wahlgesetz die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung, welche das Großpreußenthum haßt, des Wahlrechts beraubt hat, so erhellt, daß das bayrische Bürgerthum, welches bisher in seiner Majorität preußenfreundlich gesinnt war, zum größeren Theil von seinem Wahn zurückgekommen ist.
Seit Graf Bismard seine ,, nationale" ,,, deutsche" Politik durch Bildung einer ungarischen Legion bethätigte, ist Ungarn unausgefeßt der Gegenstand preußischer Aufmerksamkeiten gewesen, wie weiland in der Note des Hrn. Werther, des preu ßischen Gesandten am österreichischen Hofe, enwickelt ward. Nach einem Wiener Wochenblatt, dem Osten", würde neuer dings zwischen dem Stoß- ins- Herz- Grafen und Hrn. Kossuth über folgende Punkte verhandelt:
,, Von Seite Kossuth's verpflichtet man sich im Namen der Partei: 1) im Falle eines preußisch- französischen Konfliktes die österreichische Neutralität unter allen Umständen wenn nicht anders, auch durch offene Revolution- zu erzwingen; 2) auf vollständige Selbstständigkeit der Honved- Armee, Beeidigung der selben auf die Verfassung und ausschließliche Verwendung felben innerhalb der Landesgrenzen zu bestehen.
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Von Seite Preußens verpflichtet man sich: 1) zu Geldsubsidien in bedeutender Höhe für den Fall einer Aktion; 2) allen direkten und indirekten Einfluß des preußischen Kabinets, besonders im Orient, in Rumänien , Serbien u. s. w. dahin geltend zu machen. um bei einem etwaigen Zerfall Desterreichs Ungarn als ein selbstständiges Reich in die europäische Staaten familie einzuführen.
Das sind die Hauptpunkte der von beiden Seiten gleich ernstlich angestrebten Abmachung; einige mehr persönliche Dinge will ich aus dem Spiele lassen. Zu definitiven Abmachungen ist es bis zur Stunde noch nicht gekommen, da Kossuth noch mit seinem letzten Worte zurückhält. Kommt es aber zu solchen, so dürfte Herr von Bismarck wieder die Rechnung ohne den Wirth gemacht und sich über die faktische Stärke einer ungari schen ,, Aktionspartei", wie er sie zu einem Stoße gegen Defter reich bereit haben will, entschieden Illusionen hingegeben haben."
Wir wissen nicht, ob die Mittheilungen des„ Osten" richtig sind; was wir aber wissen, ist, daß Herr Kossuth, dessen Gesinnungslosigkeit und Feilheit wir seiner Zeit im„ Demokra tischen Wochenblatt" an den Pranger stellten, wohl fähig ist, sich an Bismarck zu verkaufen.
Das Resultat der französischen Wahlen erscheint un so bedeutungsvoller, je genauer man es betrachtet. Die Oppo sition hat gleich bei der ersten Abstimmung 29 Size errungen
4 mehr als sie in der vorigen Kammer hatte; unde unterliegt feinem Zweifel, daß sie in den meisten der bevor stehenden 59 Stichwahlen den Sieg davon tragen wird. Die Opposition wird voraussichtlich fast den vierten Theil des ge sezgebenden Körpers bilden, was bei dem, Seitens der Regie rung ausgeübten Druck auf eine, unfre tühnsten Hoffnungen