Beilage zum Demokratischen Wochenblatt Nr. 27.
Aus England.
London , den 20. Juni. Die verhängnißvolle Woche, die das Schicksal der liberalen Bourgeois Regierung entscheiden sollte, ist vorüber: das Gewitter, welches die reaktionären Herenmeister herauf beschworen, ist harmlos vorübergezogen. Der vorige Montag war beſtimmt als der Tag, an welchem die irische Kirchenbill zum zweiten Male im Oberhaus verlesen werden sollte. Bei der zweiten Berlesung konnte die Bill in Bausch und Bogen verworfen, nach der zweiten Verlesung nur noch in ihren Details geändert werden. Einige Tage vorher hielten die Reaktionäre eine Partei- Versammlung und beschlossen, die Bill in Bausch und Bogen zu verwerfen; aber merkwürdiger Weise ward der Auftrag, dieses im Hause vorzuschlagen, nicht dem Führer der tonservativen Opposition ertheilt, sondern einem alten Großschwätzer, der das Aschenbrödel der reaktionären Klique ist, ftets bereit ihre schmutzige Arbeit zu thun. Sofort stieg die politische Temperatur trotz der ungemüthlichen Juni- Kälte auf beiden Seiten auf Fieberhitze. Ueberall wurden die politischen Lanzknechte der Reaktion zusammen getrommelt, um große Demonstrationen zu machen und gegen die Bill zu petitioniren. Die konservative Presse ging so weit dem Publikum vorzureden, daß es die Partei bis zu einer Auflösung des Parlaments treiben werde, und daß eine Auflösung eine fonservative Majorität zur Folge haben würde. Die liberale Presse dagegen drohte mit Ueberschwemmung des Oberhauses durch neue Mitglieder, und der radikalere Theil machte selbst Anspielungen, daß ein hartnäckiger Widerstand von Seiten des Oberhauses in einer Abschaffung des Oberhauses enden könnte. Der Recht Ehren werthe" John Bright vergaß sich so weit, einen Brief an feine Wähler in Birmingham zu schreiben, der in einer öffent lichen Versammlung vorgelesen wurde und in welchem er sagte, daß die Mitglieder des Oberhauses nicht überweise seien, obschon einige Klugköpfe unter ihnen wären; daß ihre Aktion als gesetzgebender Körper nur eine Art gesezemacherischer Kessel flickerei sei; daß als allgemeine Regel das Oberhaus stets gegen den Willen des Volkes sei; daß die Verwerfung der Bill möglicher Weise zum Umsturz des Oberhauses führen könne, und daß sie einen Volkstumult erregen würde. So sehr man auch an eine solche Sprache von John Bright als extremem Oppositionsmann gewöhnt war, so durfte sie doch nicht ungerügt von einem Minister der Krone hingenommen werden. Man interpellirte in beiden Häusern. John Bright ließ durch seine Kollegen erklären, daß er es nicht so übel gemeint habe und sehr bedauere, die hohen Herrn unvorsichtiger Weise gekränkt zu haben. Indessen hatten die Lords auch kein Blatt vor den Mund genommen, sie hatten die Bill als eine Plünderungs- Maßregel gebrandmarkt, die nur von Räubern ausgehen könne, und Graf Granville, der Bright im Oberhause zu vertheidigen hatte, nahm
sich
daß er sich viel lieber als Dummkopf oder politischen Kesselsich selbstverständlich viele Dummköpfe befinden müßten und flicker charakterisiren lassen wolle denn als einen Räuber und
Plünderer.
Es gibt gewiß kein störrischeres und verstockteres Geschöpf sprachen alle Lords, die an der Debatte Theil nahmen, gegen auf der Erde als den Menschen. Wit sehr wenigen Ausnahmen die Bill. Viele riethen, um des lieben Friedens willen die zweite Berlesung passiren zu lassen und die Bill im Komité hätte sonst nichts für die Abschaffung der irischen Staatskirche gesprochen, so hätten die Gegengründe der Feinde der Bill den
Entschluß
nur befräftigen können. Der größte Redner, der
zum ersten Mal seine Stimme im Hause der Unverbesserlichen ( Incurables) hat ertönen laffen, ein irischer Bischof, der kürzlich nach England versetzt worden ist, unterstand sich beweisen zu
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zu wollen, daß die römisch- katholischen Irländer nie ein Eigenthumsrecht auf das heutige Kirchen- Vermögen gehabt hätten. Zur Zeit der ersten Eroberung Irlands seien die Irländer feine Christen gewesen; zur Zeit der Reformation hätten sie es mit der unterliegenden Partei gehalten, und die Sieger hätten nach damaligem Brauch das Land unter sich vertheilt und einen Zehnten für die Kirche ausgesetzt. Die heutige Konfiskation unterscheide sich indessen dadurch von den früheren, daß man damals das Land der Feinde Englands genommen habe aber heute die getreuesten Anhänger zu Gunsten der Feinde plündere. Die Idee, daß die Klerisei*) von den freiwilligen Gaben ihrer Gemeinden und in Armuth leben solle, fand er lächerlich.„ Die englischen Prediger und Herrn", sagte er, , die dem irischen Klerus anrathen die bittere Pille ohne Murren zu verschlucken, hüten sich wohl uns ein Beispiel zu geben. Man schwatzt von apostolischen Zeiten, aber man erinnert sich nicht, daß die Gemeinden der apostolischen Zeiten so arm waren als die Apostel selbst. Aber die Christenheit der apoftolischen Zeiten eroberte eine Welt, und sollen wir den Früchten jener Siege entsagen und wieder von vorn anfangen?" Der gute Mann hat ganz Recht. Das Christenthum ist zur Religion derer geworden, die eine Welt erobert haben und sich in die Güter der Erde theilen. Das Geschäft der heutigen Klerisei besteht hauptsächlich darin den Besitz heilig zu sprechen, das Eigenthum als eine von Gott verordnete Institutionen darzustellen und die Hunger leidenden Massen auf den Himmel zu vertrösten. Nur so lange die Klerisei selbst reich ist, kann sie dieses Geschäft verrichten. Einem hungernden Prediger würde es jedenfalls schwer fallen, den Besitz eines faullenzenden Millionärs heilig zu sprechen. Aber die industrielle Bourgeoisie, die in den Pfaffen nur eine besondere Art von Lohnarbeitern erkennt, begreift das nicht.
Der letzte Vicefönig von Irland bewies, daß, ausgenommen in Einer Provinz, die irischen Protestanten so klein an Bahl seien, daß sie unmöglich ihre Priester erhalten könnten, da die reichen Grundeigenthümer nicht auf ihren Gütern wohnten und nichts für die Prediger hergeben würden. Also weil Niemand einen protestantischen Pfaffen braucht, sollen die katho lischen Bauern gegen ihren Willen die protestantischen Pfaffen erhalten! Die Hauptbesorgniß ist, daß, wenn einmal die irische Kirche abgeschafft ist, die Reihe auch an die englische komme, und daß die Konfiskation des Kircheneigenthums die Bande des Privateigenthums von Grund und Boden lockern werde. Die Bill ward schließlich mit 179 gegen 146 Stimmen zum zweiten Male verlesen; der Führer der Opposition**) wagte nicht dagegen zu stimmen.
Als Gladstone die Details seiner irischen Kirchenbill
nach einander aufgezählt hatte, zeigte er an, daß ihm ein
Ueberschuß an Geld bliebe, und er fragte: Was sollen wir mit diesem Ueberschuß thun? Wie bekannt schlug er vor, ihn zu Gunsten der Blinden, Taubstummen, Geistestkranken u. s. w. zu verwenden. Der erbliche Zweig der brittischen Gesetzgebung+) stellt sich heute dieselbe Frage: Was sollen wir mit dem Ueberschuß thun? Graf Russell und Konsorten verlangen, daß bie Geistlichen der nicht- staatskirchlichen Protestanten der Pres byterianer sowohl, als die römisch- katholische Geistlichkeit auf Verlangen einen Antheil an der Beute haben sollen. In
deſſen ſind ſie unter ſich ſelbſt nicht einig. Der Eine will,
daß jeder Predigerstelle eine Fläche Land, die nicht über dreißig Acker betragen darf, einverleibt werden soll; der Andere be
*) Geistlichkeit, Pfaffenschaft.