Beilage zum Demokratischen Wochenblatt Nr. 33.

Direkte Gesetzgebung durch das Volk.

( Schluß.)

Ueberläßt das Volk die Vertheidigung seiner Rechte und seines Vaterlandes einer Anzahl ausschließlich hierzu Ab­gerichteter und Abgesonderter, so schafft es ein stehendes Heer, das furchtbarste Werkzeug in der Hand der Staatslenker, das jedesmal gegen sein Recht und seine Freiheit gebraucht wird, wenn die bürgerlichen Schafe etwa einmal unter der monar= chischen Scheere widerspänstig werden. Ueberläßt das Volk Ueberläßt das Volk das Recht und die Pflicht Recht zu sprechen" ständigen Be­amten, statt Geschwornengerichten, so läuft es Gefahr, daß sich ein Büreaukratismus und eine Juristerei einnistet und entwickelt, die es weiß der Teufel nach welch' fremdländischem, römischem ,, Recht" richtet, nur nicht nach dem in den Rechtsanschauungen des Volkes begründeten.

Die kleine Schweiz , eingepfercht inmitten mächtiger Mo­narchien, deren Bevölkerung hundertmal größer ist, hat sich trotz der so verderblichen monarchischen Einflüsse, trotz der Miasmen des Von- Gottes- Guadenthums dennoch durch Jahr hunderte lang die urgermanische Gesundheit, die ewig wahren Grundsätze jener Germanen, vor denen das völkerknechtende Rom erzitterte, zum Theil wenigstens bewahrt, vor allen den­jenigen der Voltsbewaffnung. Weil der Schweizer Wehrmann immer Wehr und Waffe zu Hause d. h. das bewaffnete Stimm­recht hatte, weil die Schweizer nie von einem stehenden Heere etwas wissen wollten, darum hat sich ihre Republik erhalten, darum konnte der erwachende Volksgeist sich leicht Bahn brechen.

Mit aller Wucht, welche die historische Erinnerung aus dem germanischen Alterthum und aus der Heldenzeit der alten Eidgenossenschaft( wo das Volk auch in den großen Kantonen über wichtige Fragen, wie: Krieg und Frieden, Reformation, Steuern c. befragt und seine Genehmigung oder Verwerfung eingeholt wurde) einer modernen Jdee verleihen kann, bricht fich jetzt im Schweizervolte die direkte Gesetzgebung durch das Bolt Bahn. Bereits besteht dieselbe in den größeren Kantonen der deutschen Schweitz , Bern , Thurgau , Graubündten, vor allem aber in Zürich zu Recht, in welch' letzterem Kanton sie am aus­geprägtesten und reinsten in der Verfassung festgestellt ist. Bereits beginnt die Bewegung, welche die direkte Gesetzgebung durch das Volk auch auf die Bundesgesetzgebung ausdehnen will und zwar in derartiger Form, wie dieselbe in den größten Staaten ausgeübt werden könnte. Schon die französische Constitution von 1793, welche an ihrer Spitze die weltgeschichtliche Erklä­rung der Menschenrechte enthält, stellte die direkte Gesetzgebung durch das Volk auf, wenn auch in unentwickelterer Gestalt als wie sie heutzutage hervortritt und zwar in der Form des sog. Beto, wo eine gewisse Anzahl von Stimmberechtigten Ein­sprache erheben muß, ehe die Abstimmung über das betreffende Gesetz erfolgt.

Art. 53. der französischen Verfassung von 1793 sagt: ,, der gesetzgebende Körper schlägt Gesetze vor( propose des lois) Art. 58: ,, der Gesetzes- Entwurf wird gedruckt und allen Gemeinden der Republik zugeschickt unter dem Titel: Gesetzes­Vorschlag( loi proposée)"

Art. 59: ,, Wenn 40 Tage nach Versendung des Gesetzes= borschlages, in der Hälfte der Departements, mehr eines, der zehnte Theil der regelmäßig einberufenen Urversammlungen nicht reklamirt hat, ist der Entwurf angenommen und wird Gesetz."

Art. 60: Erfolgt diese Reklamation, so hat der gesetz­gebende Körper die Versammlungen einzuberufen"( zum Zwecke der Gesetzesabstimmung.)

Leider kam diese Verfassung nie zur Anwendung, da die Wucht der äußeren und inneren Bedrängnisse der jungen Re­publit eine friedliche Entwicklung nicht gestattete. Wie aber

überhaupt im Völkerleben eine gute Idee nie verloren geht und fein Schritt zum Besseren umsonst gethan ist, schlummer­ten auch diese Jdeen von 1793 tief im Herzen des französi­ schen Volkes fort. Als nun die zweite Republik aus der Fe­bruar- Revolution von 1848 hervorging und der Sozialdemo­frat Rittinghausen von Cöln die Idee der direkten Gesetzgebung durch das Volk, deren Weiterentwicklung und Verbreitung er sich als Lebensaufgabe gestellt, in den Jahren 1850 und 1851 in's französische Volk hinein warf, zündeten diese Gedanken so­fort und es brach eine mächtige Bewegung in den Geistern gegen den Repräsentativstaat hervor, die unfehlbar bald ihre guten Früchte getragen hätte, wenn nicht die schöne Blüthe durch den verheerenden Staatsstreich des durch den verheerenden Staatsstreich des Gesellschaftsretters" Bonaparte geknickt worden wäre. Es ist eben ein Verhäng­niß des Cäsarismus, daß das Gras verdorrt, wo er seinen Fuß aufsetzt.- Aus dieser Wüste der Reaktion flüchtete sich der Saamen auf die einzige noch übrig gebliebene republikanische Dase, auf Schweizerboden, wo er im gesunden Volksleben nach und nach tiefe Wuzel faßte. Jetzt, da der Cäsarismus im Absterben ist und ein neues Frühlingswehen durch die Völker zieht, schießt auch der ausgestreute Saame überall als reale Saat lebenkräftig aus dem Boden hervor, und die seit langem keimende Idee der direkten Gesetzgebung durch das Volk nimmt als Staatsform kräftige Gestaltung an.

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Es versteht sich von selbst, daß die direkte Gesetzgebung in größeren Staaten nicht auf dieselbe Weise ausgeübt werden kann, wie sie vormals auf öffentlichem Plazze zu Athen , in den Eichenhainen Germaniens und noch heute in den Land­gemeinde- Kantonen der Schweiz gehandhabt wird. Das Wesen d. h. die Theilnahme an der Gesetzgebung muß fortbestehen, nur die Form, in welcher diese Theilnahme vollzogen wird, muß schwinden, muß eine ganz andere werden, weil auch die Verhältnisse andere, größere geworden sind, welche nicht mehr gestatten, daß das ganze Volk sich auf Einem Punkt zur Be­rathung versammelt. Unser Jahrhundert jedoch hat mit seinen großartigen Erfindungen die reine Demokratie auch im Gro­ßen vorbereitet und ermöglicht, dadurch daß sie weite Entfer­nungen beinahe aufgehoben, so daß selbst ein großer Volks­förper durch Dampf und Telegraphie so zusammenhängt, daß die Aeußerungen und Zuckungen der einzelnen Glieder sofort überall verspürt werden und zum Bewußtsein gelangen. Immerhin muß die alte ehrwürdige Form, weil zu eng, verlassen werden. Das Handmehr der Landesgemeinde d. h. die offene Abstimmung muß, da ja Jedermann(?) jetzt schreiben kann, ersetzt werden durch die geheime Abstimmung in den Gemeinden vermittelst der Wahlurne, welche mehrere Stunden am Stimmsonntage bereit steht, so daß jeder Bürger seinen beschriebenen Stimmzettel zu der ihm gelegenen Zeit hineinwerfen kann. Es wird dadurch dem Einfluß des Kapitals, den ungebührlichen Zumuthungen der Arbeitgeber, wodurch die offene Stimmgebung nur zu oft getrübt wird, der Lebensfaden abgeschnitten. Der Arbeiter wird bei der geheimen Stimmgabe seinen Willen freier äußern können, als wenn er befürchten muß, wie dies bei der offenen Abstimmung nur zu oft der Fall ist, daß er die freie Aeußerung seiner politischen Ueberzeugung durch soziale Nachtheile( Entzug der Arbeit u. s. w.) zu büßen hätte.

Die Berathung an der Landsgemeinde wird ersetzt, jetzt da ja Jeder(?) lesen kann, durch die gedruckten Erläuterungen zu den Gesetzesvorschlägen, durch die Diskussion in den Zeitungen und durch freie Versammlungen, wenn die Wichtigkeit der Ge­setzesvorlagen solche Besprechungen hervorrufen.

Die Antragstellung in den Landesgemeinde- Kantonen findet in größern Staatsverbänden durch eine andere organisirte Volksinitiative( Vorschlagsrecht des Volkes) ihren Ausdruck; diese besteht darin, daß ein durch die Verfassung bestimmter Bruchtheil( etwa 10 bis 20) des Volkes einen Vorschlag macht, dieses sein Begehren durch ein hiezu gewähltes Comité