Beilage zum Demokratischen Wochenblatt nr. 4.

Tod des Präsidenten der Nationalen Arbei= ter- Union der Vereinigten Staaten .

London , den 16. Auguft.

=

Der Generalrath der Juternationalen Arbeiter= Asso­ziation erhielt vor einigen Tagen von New York die Trauerbotschaft, daß W. H. Sylvis, der Präsident der Nationalen Arbeiter- Union der Vereinigten Staaten , am 27. Juli Morgens um 6 Uhr gestorben ist. Wie unver­hofft dieser schwere Schlag die amerikanische Arbeiter klasse getroffen, geht daraus hervor, daß Sylvis noch wenige Tage vor seinem Ende für den ,, Chicago Workingmen's Advocate", dessen Mitredakteur er war, Artikel schrieb, die kaum gedruckt sein konnten, als er starb, und daß die Zeitung von derselben Woche, in welcher sie erschienen, seiner Strankheit mit keiner Silbe erwähnte. Sein schein bar höchst unbedeutendes Unwohlsein war nur seiner näch­sten Umgebung in Philadelphia bekannt. Erst spät am Montag Abend, dem 26. Juli, stellten sich Besorgniß er= regende Symptome ein Dienstag Morgen um 6 Uhr hatte der beharrlichste und unermüdlichste aller beharrlichen und unermüdlichen Streiter für die gute und gerechte Sache der Arbeiterklasse im 41sten Jahre seines Alters aufgehört zu leben!

-

Sylvis war einer von den Wenigen, denen es durch unermüdliches Streben gelingt, sich über das geistige Alltagsmaaß ihrer Klasse zu erheben und sich das Zu­trauen Derer, für die sie kämpfen, zu erwerben. Er war der Sohn eines eingewanderten Franzosen und das älteste Kind einer zahlreichen Familie. Schon in früher Kind­heit verließ er das väterliche Haus, um bei einem benach­barten Farmer zu arbeiten und sein Scherflein zur Er­haltung der jüngeren Familienglieder beizutragen, welches er getreulich vollbrachte. Später lernte er die Eisen­gießerei, womit er sich zwanzig Jahre ernährte, bis ihn feine Fachgenossen aus der Werkstelle holten und als ihren Anführer hinausschickten auf den Tummelplatz der Ge­schichte, um als General die proletarische Armee gegen das Unwesen der Bourgeois Herrschaft in den Kampf zu führen. Neben seiner anstrengenden förperlichen Arbeit hatte Sylvis Muße gefunden, sich einen hohen Grad von Bildung zu erwerben; vor Allem aber w gte er die be­stehenden Verhältnisse nach ihrem wahren Werthe zu schätzen und in ihrem rechten Lichte zu erkennen. Tau­sende, denen die Natur mehr als das Durchschnittsquan­tum von Gehirn verliehen hat, haben weder den Muth, noch den guten Willen, das eigene Klassen- Interesse und dadurch das eigene persönliche Interesse zu verfechten; sie begnügen sich damit, ihre höheren Geistesgaben im Dienst der Unterdrücker zu prostituiren, im alten herkömmlichen Schlendrian fortzutrampeln und im entscheidenden Augen­blicke ihre Fähigkeiten selbst gegen ihre Klasse zu kehren.

Lincoln's Wahl zum Präsidenten versette einerseits der politischen Oberherrschaft der südlichen Sklavenhalter den To­desstoß, anderseits lockerte sie die politischen Liebesbande, welche bis dahin das Proletoriat an die radikale Bourgeoisie ge­fesselt hatten und legte den Grundstein zur Organisation der Arbeiterklasse: der Bürgerkrieg schuf den Kampfplay, auf wechem die Arbeiterklasse als selbstbestim mende politisch- soziale Macht auftreten konnte.

=

Die Organisation der amerikanischen Gewerfs­genossenschaften fällt mit dem Siege der radikalen Bourgeoisie zusammen. Sylvis war einer der thätigsten Beförderer des Gewerksgenossenschafts Wesens und be­schränkte seine Thätigkeit nicht auf die Organisation seines eigenen Gewerkes, sondern war auch andern behülflich. Als wichtigste Maßregel zur Hebung der arbeitenden Klasse galt ihm die Beschränkung der Arbeitszeit.

Die

=

11

Eisengießer- Union( Gewerksgenossenschaft) war die erste Gesellschaft, welche die gesetzliche Beschränkung des Arbeitstags auf acht Stunden verlangte. Dieses geschah auf ihrer zweiten Jahresversammlung im Januar 1861. Als Präsident dieser Union , die 1866 über 130 Zweig Unionen zählte, welche sich über die Vereinigten Staaten und Kanada erstrecken, durchreiste Sylvis fast das ganze Land, theils um Streitigkeiten zu schlichten, theils um neue Zweige zu organisiren. Da er ein eben so eifriger Politiker als Gewerks- Unionist war, so hatten jene Reisen einen doppelten Werth für ihn. Während er die speziellen Geschäfte seiner Union abmachte, sammelte er Erfahrungen und machte Bekanntschaften, die das all­gemeine Interesse der Arbeiterklasse förderten. Er war zu der Ueberzeugung gefommen, daß die Lohnfrage nur eine zeitweilige sei, und daß das Endziel der Ge­werks- Organisationen unvermeidlich die Abschaf= fung der Lohnarbeit überhaupt sein müsse. Eine andere Ueberzeugung, die er hegte, war die, daß die Ge­werksgenossenschaften nichts Ersprießliches für die Arbeiter­klasse im Ganzen bewirken könnten, wenn sie nicht einen direkten Einfluß auf die Gesetzgebung ausüben.

Zur allseitigen Behandlung der Arbeiterfrage fand er die regelmäßig veröffentlichten Monatsberichte seiner Union zu beschränkt. Auf der siebenten Jahresversammlung( Ja­nuar 1866) wurde beschlossen, eine Monatsschrift heraus­zugeben unter dem Titel: International Journal"( 32 große Quartſeiten) ,,, gewidmet der Diskussion der Arbeiter­frage in allen ihren Verzweigungen, Redakteur Wm. H. Sylvis."

In Folge einer Adresse der Eisengießer- Union, welche nachdrücklichere Betreibung der Achtstunden= Agitation forderte, kam im Herbst 1866 ein allgemeiner Arbeiter­kongreß zu Stande, dessen Resultat die heutige Labour­Union( Arbeiter- Union) ist. Im Jahre 1866 begnügte man sich damit, die Forderungen der Arbeiterklasse festzu­stellen und zu erklären, daß die Arbeiter fortan keine Ge­meinschaft mehr mit den alten bürgerlichen Parteien als solchen haben können, sondern daß sie für Diejenigen stim­men werden, die sich bereit erklären, die Forderungen der Arbeiter im Congreß zu befürworten. Der kurze Zeit­raum von zwei Jahren reichte hin, diese Bescheidenheit in den Entschluß zu verwandeln, daß die Arbeiter selbst den Staat regieren müssen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Auf dem letzten Congreß im September 1868 ward beschlossen, eine selbstständige politische Arbeiter= partei zu organisiren. Sylvis ward einstimmig zum Präsidenten gewählt( mit einem Gehalt von 1500 Dol­lars), lars), um den Beschluß auszuführen. In seinem ersten Rundschreiben( November 1868) fündigte er an: Das Werf, welches wir vor uns haben, ist nichts weniger als eine soziale Revolution. Wenn Alle Hand ans Werk legen, so können wir den Präsidenten für 1872 wählen und in der Zwischenzeit den Congreß controliren." Spä­ter machte Sylvis eine Rundreise durch die Vereinigten Staaten von Osten nach Westen und von Norden nach Süden, und hielt einige Hundert Reden über die bestehen= den Zustände. Er war gerade damit beschäftigt, seinen Jahresbericht und die Vorlagen für den Congreß, welcher sich heute zu Philadelphia versammelt, auszuarbeiten, als ihn der Tod hinwegraffte.

Daß die amerikanische Arbeiterbewegung nicht von dem Leben eines Einzelnen abhängt, versteht sich von selbst; aber ebenso sicher ist, daß Sylvis ein fast unerfeßlicher Verlust für den gegenwärtigen Arbeiter- Congreß ist. Aller Augen warteten auf Sylvis, der als General der prole­tarischen Armee neben seinen Fähigkeiten eine zehnjährige Erfahrung besaß, und- Sylvis ist todi!