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Beilage zum Demokratischen Wochenblatt Nr. 35.

Ueber die Entstehung neuer Ideen.

Vortrag des Herrn Heinrich Vogel gehalten im Berliner Buchdrucker- und Schriftgießer- Verein am 21. Juni 1869. ( Stenographirt von H. Roller.)

Geehrte Herren!

Als ein französischer Naturforscher infolge seiner Versuche zu dem Resultat gekommen war, daß alle organischen Wesen, auch die kleinsten., nur mittelst schon vorhandner Zellen ent­ständen, da erhob sich vielfach Widerspruch gegen diese Ansicht. Man konnte sich nicht erklären wie es möglich sei, daß z. B. in Gährungsflüssigkeiten, die anfangs ganz klar sind, die Or­ganismen nur mittelst schon vorhandner Zellen entständen. Man fand eben vorher keine Zellen und man widersprach dieser Ansicht vielfach. Judessen fortgesetzten Untersuchungen zufolge ist die Ansicht, die Pasteur ausgesprochen hat, außer Zweifel gestellt worden; es ist heute nachgewiesen, daß es wirklich so ist, daß immer nur, wenn Keimzellen, Sporen, vorhanden sind, weitere Zellen sich bilden können.

Meine Herren, was bei den greifbaren Gegenständen, bei den Gebilden der materiellen Welt der Fall ist, das ist eben auch bei den Gebilden des Geisteslebens der Fall: bei den neuen Gedanken, bei den neuen Ideen! Es hat auch hier oft den Anschein, als ob eine Idee plötzlich aufträte, neu, ohne Vorboten, ohne Heranreifung. Aber in Wirklichkeit, wenn man die Sache näher untersucht, ist sie doch ebenfalls nur das Produkt einer vorhergehenden Zeugung und eines Heranreifens. Sie ist scheinbar das Produkt des Kopfes eines Einzelnen, in Wahrheit aber das Produkt der Geistesthätigkeit der gesammten Gesellschaft, und je größer eine Idee ist, desto allgemeiner ist das Mitwirken der Gesammtheit. Die großen Ideen, die be­stimmt sind, von weittragendem Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft zu sein, sind eben nur entstanden durch das Busammenwirken aller geheimen Kräfte der Gesellschaft.

In der Philosophie ist man darüber schon seit geraumer Zeit im Klaren. Es hat z. B. ein Mann, dessen Autorität Sie wohl auch nicht in Frage stellen werden, Lassalle, in einer Festrede, die er bei Gelegenheit des 100jährigen Geburtstages von Fichte hielt, sich darüber ziemlich bestimmt ausgesprochen; und wenn auch Manche die Autorität Lassalle's in anderer Hinsicht nicht gelten lassen wollen, als Philosoph wird man sie ihm jedenfalls nicht streitig machen.

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Lassalle sagt da u. A. in seiner Rede( Seite 12):

nur darin, daß jeder Nachfolger nur die Summe der Existenz In der Reihe der Philosophen besteht aller Fortgang feines Vorgängers zieht, nur ausspricht, was jener an sich be­reits geleistet hat. So ausgesprochen ist es ein vollkommen neuer Gedanke und ein neuer Standpunkt des Geistes ge= worden."

Es besteht also eine fortwährende Reihe, eine Kette; an den Gedanken des Einen schließt sich die Gedankenthätigkeit des Nachfolgers an. An einer andern Stelle( Seite 21), sagt

Lassalle : Dieser in der gesammten Reihe dieser Geisteshelden identische, sich durch sie alle hindurchziehende und über jeden derselben noch hinausgehende Geist ist das National- oder Volksgeistige in ihnen. Er bildet das wahrhaft gemeinschaft­liche Subjekt dieser Philosophenreihe, und diese Individuen Kant , Fichte, Schelling und Hegel sind nur die Gestalten, in denen der deutsche Geist zu seinem Selbstverständniß kommt und immer höhere Stufen seines Daseins und seiner Selbst­entwicklung erlangt."

Er sagt also mit andern Worten hier geradezu, daß die Werke eines Kant, Fichte, Schelling, Hegel u. f. w. nicht diesen Männern allein, sondern der Geistesthätigkeit der gesammten Nation zuzuschreiben sind. M. H.! Von anderer Seite wird es noch nicht so vollständig anerkannt, daß die Ideen nicht die Produkte Einzelner sind. Es wird Ihnen auch bekannt sein,

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daß z. B. in Betreff des Patentwesens verschiedene Ansichten verfochten werden. Wenn sich auch in neuerer Zeit die Ansicht immer mehr Bahn bricht, daß das Patentwesen aufzuheben, daß sein Nußen nur ein scheinbarer ist und der Allgemeinheit nicht zu gute fommt, so giebt es auch da noch viele Gegner. Aber es wird Ihnen doch auch nicht verborgen geblieben sein, daß sich immer mehr Leute zu der Ansicht bekennen, daß die Patente nicht zweckentsprechend sind. Man sieht immer mehr ein, daß wenn auch scheinbar es die Thätigkeit des einen Ein­zelnen ist, der eine neue Entdeckung macht, in Wirklichkeit an dieser Entdeckung doch eben auch die ganze Gesellschaft mehr oder minder direkt mit arbeitet. Das zeigt sich z. B. recht deutlich darin, daß in gewissen Perioden ein und dieselbe Ent­deckung an ganz verschiedenen Orten von ganz verschiedenen Personen gemacht wire, ganz unabhängig von einander, daß zu gewissen Zeiten in verschiedenen Ländern der Geiſt in ganz be= stimmten parallelen Richtungen fortschreitet. Es ist ist dies ein deutlicher Beweis dafür, daß nicht das einzelne Individuum dabei ausschließlich das Verdienst hat, sondern daß eben die ganze Geistesatmosphäre gewissermaßen, die ganze derzeitige Bildung die Ursache gewesen ist, daß diese Entdeckung gemacht

wurde.

Wir sehen ferner auch, daß in bestimmten Zeiträumen beschäftigten sich die Geister überall mit Scholastit, und beinahe Synchronismen überall auftauchen. Im 13. Jahrhundert z. B. mit derselben Scholastik in Indien , in Spanien , in Kleinasien , in Griechenland , ganz unabhängig von einander; es lag eben in der allgemeinen Entwickelungsstufe der Menschheit, daß man ese Geistesrichtung verfolgte. In dem folgenden Jahrhunderte, ( dem 14.), zeigte sich wieder im öffentlichen Geiste mehr ein Hang zur mystischen Allegorie. Im 15. und 16. Jahrhundert besonders richtete sich derselbe mehr auf die kirchlichen Verhält­nisse. So zeigten sich in allen Ländern, nicht allein in Deutsch­ land , wie eine Epidemie die Reformationsbestrebungen auf re= ligiösem Gebiete, ebenso in der Kunst sowohl des Griffels wie der Leier, die Kunstbestrebungen wachten neu auf. M. H., es ist dies ein Zeichen, daß die neuen Ideen nicht allein von den Einzelnen herstammen, die sie zuerst ausgesprochen, sondern daß sie aus dem Zusammenwirken der Gesellschaft überhaupt resultiren. Wenn das auch nun im Allgemeinen feinen Widerspruch erfährt, so wird es sich doch noch deutlicher zeigen, wenn wir bestimmte Fälle nehmen, wenn wir bei bestimmten Ideen untersuchen, in welcher Weise sie entstanden sind und wickelung der Menschheit gewesen ist, ist wohl unstreitig die sich entwickelt haben. Idee des Christenthums, und wenn wir diese untersuchen, so werden die Resultate, zu denen wir kommen, uns vielfach für andere Fälle maßgebend sein können.

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M. H.! Die Jdee, die wohl die folgenreichste für die Ent­

Die Strenggläubigen, die sogenannten Orthodoxen der christlichen Religion wie jeder andern, behaupten allerdings: das Christenthum ist mit der Geburt Christi entstanden und ist von selbst ohne andere Mitwirkung der Welt geworden und hat sich von diesem Zeitpunkte aus verbreitet. Die Anhänger des Mohamedanismus behaupten ganz stricte dasselbe von dem Auftreten Mohamed's für die Ausbreitung ihrer Geistesrichtung, und so die verschiedenen anderen Religionen. Sehen wir aber die Resultate nach, zu denen die Forschungen der Fachmänner geführt haben, so kommen wir zu ganz anderen Ergebnissen. Es ist außer Zweifel gestellt, daß ein großer Theil, man kann wohl sagen alle Ideen, alle sogenannten Lehren Jesu schon vor­her bekannt waren. Auch selbst in dem jüdischen Volke gab es schon vor Jesus eine Sekte, die sogenannten Essäer, die vollständig, fast bis in die Details, die Lehren und die Ansichten befolgten und verbreiteten, die Jesus lehrte und verbreitete. Die Ursachen, daß erst nach dem Auftreten Jesu sich diese Lehren allgemeiner verbreiteten, sie haben zum größten Theile in der Persönlichkeit Jesu ihre Veranlassung und in dem Mit­