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eines Blanes thätig ist, so lange ist der Mensch viel mehr dem Jurthum ausgefeßt, als wenn er nur dem kalten Verstande nachgeht, und es ist wahrlich keine Herabsetzung, wenn man dann sieht, daß dieser oder jener große Mann sich auch geirrt haben kann. Es wird in nächster Zeit z. B. überall der 100jährige Geburtstag Alexander's v. Humboldt gefeiert. M. H.! Humboldt steht als ein Geistesriese, als der Stolz unserer Nation da; es wird dies Niemand so leicht bestreiten. Und doch, m. H., heut ist die Wissenschaft allgemein darüber einig, daß nach dem heutigen Standpunkt derselben die Ansichten Humboldt's vielfach irrthümlich gewesen sind, indem sie durch neuere Erforschungen als irrig erwiesen sind. Das Feld aber, auf dem Humboldt besonders seine Thätigkeit entwickelt hatte, ist ein solches, daß es vornehmlich nur den Verstand und nicht das Gemüth beschäftigt. Der Verstand kann dadurch, daß das, was er gesagt hat, berichtigt wird, viel weniger beleidigt werden, als das Gemüth. So wird auch Niemand eine geringere Meinung von Humboldt bekommen, wenn er sich durch die Leftüre seiner Schriften überzeugt, daß ein großer Theil der Verdienste Humboldt's darin besteht, daß er die Ergebnisse der Forschungen Anderer zusammengestellt hat. Man findet sehr wenig Originales in seinen Werken, bei weitem der größte Theil derselben ist eine Zusammenstellung der Ergebnisse seiner Vorgänger und seiner Zeitgenossen, aus denen er dann allgemeine Folgerungen zieht.*)
Es ist eben gewöhnlich, m. H., daß Denter und Forscher zuerst die Ergebnisse der Forschungen Anderer zusammenstellen, und dann erst einen Schritt weiter gehen können. So entwickeln sich die Ansichten weiter.( Man glaubt vielfach, daß eine Ansicht neu auftrete, und überzeugt sich dann oft, daß es irrthümlich war. Ich will hier blos ein Beispiel anführen. Man hat in neuerer Zeit vielfach die Forderung gestellt, daß die Achtstundenarbeit eingeführt werde, und man denkt, es sei dies eine Forderung erst der letzten Jahre. Jm Großen, in der Oeffentlichkeit allerdings ist sie erst in den letzten Jahren zum Vorschein gekommen, und doch, m. H, ist sie schon vor ziemlich langer Zeit besprochen worden und zwar von einem Manne, dem man einiges Urtheil zumuthen kann, von keinem Anderen, als dem Königl. preußischen Hofrath Hufeland. Im Jahre 1824 hat dieser in einer Schrift über Gesundheitsver hältnisse gesagt, daß die Lebensweise der Menschen in der Weise geregelt werden müßte, daß sie in 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Erholung und 8 Stunden Schlaf zerfällt, indem dies das Naturgemäße für das menschliche Leben sei. Er hat leider da nicht speciell die Handarbeiter genannt, sondern, scheint mir, nach dem Zusammenhange, in welchem er dies gesagt hat, mehr an die höheren Beamten gedacht zu haben; aber am Ende, was für die Einen nothwendig ist, das mag es wohl auch für die Anderen fein).
Ich werde von dieser Abschweifung zu unserm ursprünglichen Thema zurückkehren.
Meine Herren! Als Chriftus noch lebte, hat man seine Aussprüche sorgfältig gesammelt, und seine Jünger haben sie denn meist in Schriften niedergelegt, in ihren Episteln und Evangelien; aber man hat in allen diesen Schriften nicht ge= funden, daß Christus irgend ein Dogma aufgestellt hätte, wie das Dogma der heil. Dreieinigkeit, noch wie die übrigen Dogmen der christlichen Kirche lauten. Man hat vielmehr diese Dogmen auf einzelne Aeußerungen, die oft sehr gesucht find, begründen wollen, während Christus nur verlangte, daß
*) Ich will hier noch eine frühere Aeußerung des Hrn. v. Schweitzer mir gegenüber erwähnen. Hr. v. Schweitzer, Tölcke und ich hatten nach der Berliner Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen ArbeiterBereins Bracke, Real und noch einige Delegirte zum Bahnhof begleitet und fuhren zusammen in einer Droschte in die Stadı zurück. Unterwegs fragte mich Herr v. Schweitzer im Gespräch:" Was halten Sie von Humboldt?" Ich erwiederte: ,, Nicht sehr viel", worauf Hr. v. Schweitzer antwortete: Ich auch nicht."
So damals; heute läßt er, so entwickeln sich die Ansichten, in seinem Blatt schreiben, daß ich durch obige Ausführung Humboldt in unver verschämter Weise gelästert habe. H. B.
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seine Zeitgenossen, seiner Person anhängen sollten und nach demselben Ziele streben mit ihm. So hat man später ein ganz bestimmtes System aufgestellt, man hat von Seiten der Kirche an einzelne Aussprüche angeknüpft und darauf be stimmte Dogmen begründet, und so ist es gekommen, daß die Aussprüche der Kirche im Geiste vielfach in directem Wider spruche mit dem Geiste Christi stehen, daß, während Christus z. B. den Geist der Liebe und Duldung predigt, die Kirche vielfach den Geist der Unduldsamkeit und Verfolgungssucht im weitesten Maaße predigt und befolgt, und daß das Gute, welches Christus beabsichtigt und wirklich geleistet hat, daß das vielfach verdunkelt und zerstört wurde durch den unlauteren, unreinen Fanatismus seiner sogenannten Nachfolger.- M. H., dasselbe finden wir denn auch in anderer Beziehung. Wir finden, daß die Nachfolger Luthers auch vielfach nicht auf dem protestantischen Standpunkte stehen, den Luther innege habt hat, daß sie dem Geiste Luther's vielfach widersprechen, und noch heute widersprechen in ihren Anschauungen und Behauptungen. M. H.! Dies ist auch bei anderen Bewegungen, auch bei denen der neueren Zeit der Fall! Anch hier hat man wenn ich wieder an Lassalle anknüpfen darf- auch hier hat man einzelne Außerungen herausgegriffen, und hat darauf Behauptungen und förmliche Systeme begründet, die eben so wenig in der Absicht Lassalles gelegen, wie die Brinzipien der Unduldsamkeit in dem Geiste Chrifti, ganz abgesehen davon, daß mit dem Wechsel der Zeit Ansichten, die zu einer bestimmten Zeit Geltung haben, zu einer andern Zeit diese Geltung verlieren, weil sich die Verhälnisse geändert haben; ganz abgesehen hiervon hat man auch den Worten Lassalle's eine Deutung untergeschoben, die wohl nicht in der Absicht des Mannes selbst gelegen hat, eben so wenig, wie dies vielfach mit den Aussprüchen Christi der Fall gewesen ist. Man sagt z. B., Lassalle habe uns, den Arbeitern in seinem Testamente die Worte hinterlassen: Haltet an der Organisation fest!" und auf diesen Ausspruch gründet man eine Menge von Behauptungen, hat man ein förmliches System aufgebaut. M. H.! wenn wir zunächst erwägen, in welcher Lage Lassalle diese Außerung gethan hat: ,, dem Allgemeinen deutschen Arbei terverein empfehle ich u. s. w.", so verlieren diese Worte schon sehr an dem Werthe, den man ihnen beigemessen hat. Lassalle hat diese Worte in sein Testament geschrieben in der Nacht vor dem Morgen, an dem er im Duell unterlag. Lassalle hat sie geschrieben in einem Geisteszustande im höchsten Affekte der Liebe, so daß er( am Ende- es macht ja den großen Mann nicht fleiner!) daß er verrückt war vor Liebe, daß er förmlich in einem nicht zurechnungsfähigen Zustande war, infolge des heftigen Affektes!*) M. H.! Wer ist nicht einmal in einem Zustande gewesen, in einem Affekte, daß man hätte sagen können, er ist blind, er weiß nicht was er thut?
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Meine Herren! Je stärker ein Charakter ist, selbst je dämonischer er in seinen Handlungen ist, desto heftiger erfaßt ihn auch ein derartiger Affekt! und wenn wir hören, daß Lassalle in diesem Affekte geweint hat, wie ein Kind, bitter: lich, so sind wir wohl zu dem Schlusse berechtigt, daß man dem, was Lassalle in diesem Zustande gesagt hat, nicht dieselbe Bedeutung beimessen darf, als dem, was er im Zustande ruhigen Nachdenkens gesagt hat. Und doch, meine Herren, ebenso wie die Nachfolger Christ auf gewisse Worte, gewisse Aussprüche pochten, gleichviel wie es um den Werth derselben stand, so haben auch die sogenannten Nachfolger Lassalle' s die, sogenannten Erben Lassalle's eben sich an solche einzelne Aeußerungen gehangen, z. B. an diese: Haltet fest an der Organisation u. s. w., und behaupten nun, in diesem seinem Sinne
*) Bei Gelegenheit der 67er Berliner General- Versammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeiter- Vereins äußerte Herr v. Schweitzer bei einem Zusammensein in der Theatertaverne in Gegenwart von Bracke, Ehlers, Töicke, Frid, Hofstetten und mir im Gespräch: Lassalle könne nicht ernstlich geglaubt haben, daß er in dem Duell getödtet werden würde; denn sonst hätte er gewiß nicht ein so confuses Testament ge macht. H. Vogel.