England gegen Nazi- Deutschland
Von Dr. G. Kiel
Der Engländer als Gefühlspolitiker/ Typus Papen / Die Greuel/ Hanswurst Rosenberg / Bewährungsfrist für Hitler?/ Schwerer Rückschlag durch Münchener Terror und deutsch - österreichischen Konflikt/ Drohungen der Times
England und Nazi- Deutschland
Der Deutsche sieht im allgemeinen im Engländer ben klarblickenden, kühl überlegenden Politiker, der in Erd teilen und großen Zeiträumen zu denken pflegt und Gefühlsgründen und Stimmungen nicht unterworfen ist. Es ist sehr fraglich, ob dieses Bild nicht schon für den eng lischen Politiker falsch ist, ganz sicher ist es für den Durchschnittsengländer, den„ Mann auf der Straße" unzutreffend. Mit Erstaunen wird der deutsche Beobachter immer wieder feststellen, wie sehr der Durchschnitts engländer reinen Gefühlsmomenten und Stimmungen zu gänglich ist. Auch die englische Presse ist nahezu völlig darauf eingestellt, selbst die gründlichsten und zuverlässigsten Blätter, wie Manchester Guardian"," Times" und „ Observer" müssen dieser Volkspsychose Konzessionen machen, die eigentlichen Massenzeitungen find völlig auf Gefühlspolitik eingeschworen.
-
Ohne Kenntnis dieser Tatsachen kann man die Ein. stellung- und die Schwankungen der öffentlichen Meinung in England gegenüber Nazi- Deutschland aar nicht verstehen.
Die Einstellung Englands und der Engländer zu Deutschland wurde in den letzten Jahren immer freund: licher. Die letzten Reste der Kriegspsychose ver. schwanden. Die Verständigungspolitik ber republikanifchen Regierungen begann ihre Früchte zu zeigen. Stresemann wurde in England ein wahrhaft popu lärer Politiker( und ist es heute noch). Auch Brüning verstand es noch, sich dieses Vertrauen zu erhalten. Der den Engländern so widerwärtig hochfahrend- untolerante Geist des preußischen Ostelbiertums( Prussianis") schien endgültig überwunden. Der Durchschnittsengländer und die Mehrzahl der englischen Politiker begannen das Versailler System für überlebt zu halten und Deutschlands Abänderungswünsche zu unterstützen.
-
-
Da brachte im vorigen Sommer Papens Ernennung zum Reichskanzler den ersten Schock. Der Typ us Papen ist den Engländern( nicht nur der Kriegserinne rungen wegen) herzlich zuwider und schließlich geht es ja nicht nur den Engländern so. Es keimte ein leises Mißtrauen gegen Deutschland auf, und England begann sich politisch wieder mehr an Frankreich anzulehnen. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, trat noch keine tiefgreifende Aenderung der Stimmung in England ein. Man wartete ab, mißtrauisch, mit einem Gefühl wachsenden Unbehagens, aber noch nicht eigentlich feind lich bis die Nazipartei der Welt ihr wahres Gesicht zu zeigen begann. Der Reichstagsbrand in England zweifelt kein Mensch und keine Zeitung daran, daß er ein Werk der Nazis selbst ist löste den Naziterror aus. Eine Schreckensmeldung aus Deutschland jagte die andere. Kein Tag verging, ohne daß neue Greueltaten der Braunhemden gemeldet wurden. Berichte von den Ueberfällen auf Linkspolitiker, von den unsagbar scheußlichen Folterungen füllten die englische Presse. Eine lügnerische Greuelpropaganda war gar nicht nötig, die wahren Tatsachen genügten. Die Schreckensszenen in den Folterkammern der braunen Häuser erregten die öffentliche Meinung Englands auf höchste. Der Fall der Frau Jankowska, einer sozialdemokratischen Wohlfahrtsbeamtin in Berlin , die von den entmenschten Bestien nackt auszogen und solange gepeitscht wurde, bis sie bewußtlos wurde und ihr Rücken eine einzige Wunde war, hat dem deutschen Ansehen in England mehr geschadet als vier Jahre Weltkrieg. Jn das Gefühl der Abscheu mischte sich aber doch die leise Hoffnung, es handle sich um vorübergehende Ausbrüche dunkler Elemente, die rasch unterdrückt würden. Freilich die Flut von Telegrammen und Briefen aus Deutschland , die über englische Firmen und Zeitungen herniederbrauste und in denen von deutschen Geschäftsfreuden alle Greuelmeldungen als Lügen bezeichnet wurden, haben die Stimmung in England eher verschlechtert. Diese Briefe, die oft wörtlich miteinander übereinstimmten, tragen zu sehr den Stempel der amtlichen Beeinflussung und bewirkten so das Gegenteil dessen, was sie bezweckten. Man lachte über sie. Es war wieder einmal ein Stück deutscher„ Politik", das sich durch völlige Unkenntnis der Psychologie andrer Völker auszeichnete.
Freilich widerlegte obendrein die deutsche Regierung selbst alles, was in den„ Antigreuelbriefen und-tele grammen" stand, durch ihre amtlichen Maßnahmen in der Judenfrage. Damit spürten die Engländer: die Greuelpolitik wird amtlich von der deutschen Regierung gedeckt, ja zu den privaten Greueln wurden jetzt noch offizielle Regierungs greuel hinzugefügt. Die antisemitische Politik der Naziregierung hat in England geradezu verheerende Wir kungen gehabt. Ueberall fanden große öffentliche Versammlungen statt, in denen die höchsten kirch lichen Würdenträger und Abgeordnete aller Parteien gegen die deutschen Judenverfolgungen protestierten. Eng. land, in dem ein Jude Vizekönig von Indien werden konnte, ohne daß ein Protest laut geworden wäre, erblickt im politischen Antisemitismus einen Angriff auf die menschliche 3ivilisation. Daß sogar große, weltbekannte Gelehrte vertrieben wurden, daß Bücher von Männern wie Feuchtwangen und Emil Ludwig ( die in England viel populärer waren als in Deutschland ) auf den Scheiterhaufen kamen, daß ein großer Musiker wie Bruno Walter nicht mehr dirigieren durfte, waren Tatsachen, die die öffentliche Meinung Englands aufwühlten. Deutschland wurde aus der Liste der Kulturnationen gestrichen, Worte wie Hunnen und Barbaren ", die längst vergessen waren, tauchten wieder auf. Es gab die denkwürdige Parlamentsgebatte am 13. April, in der unter Führung von Chamberlain alle Redner ohne Ausnahme den Bannfluch gegen Hitler- Deutschland aus. Sprachen. Chamberlain bezeichnete den Geist des„ neuen"
Deutschland unter dem Beifall des ganzen Hauses als schlimmsten allpreußischen Imperialis mus, verstärkt durch Wildheit und Rassenhoch mut". Diesem Deutschland keine Kon3effionen das war der Sinn der Parlamentsdebatte.
Doch noch war die Stimmung nicht auf dem Höhe punkt. Er wurde erreicht durch die Taktik Deutschlands auf der Abrüstungskonferenz. Herr Nadolny be nahm sich so, daß allgemein der Eindruck entstand, Deutschland will die Konferenz sprengen, um dann rasch aufrüsten zu können. Neue Kriegsgefahr drohte. Täglich kamen alarmierende Meldungen aus Genf . Deutschland gegen die ganze Welt. Jetzt begann sich England, das wahrhaftig im Augenblick keine Störung des Friedens vertragen kann, zu erhitzen. Es entwickelte sich gerade Haß gegen Deutschland . Und in diesem Augenblick kam nun noch als Abgesandter Hitlers Herr Rosenberg nach London , ein Mann der von England keine Ahnung hat und kaum ein Wort Eng lisch spricht. Er wurde von den sonst so höflichen Eng ländern wie ein Hund behandelt. Freilich hat er sich auch denkbar dumm benommen. Er gab einen Presseempfang und sprach zu den Engländern, die in der Regel kein Deutsch verstehen, auf Deutsch , ja wollte sogar zunächst eine Uebersetzung verhindern.( Wenn Herr Alfred Rosen berg bie Gnade hat, London zu besuchen, müssen eben die Engländer rasch Deutsch lernen.) Dann gab er den Journalisten widerwillig Gelegenheit zu Fragen. Den ersten Fragen wich er durch Redensarten aus. Als ihm ein Journalist das Bild der Frau Jankowska vorlegte, entwich er aus der Tür ohne Antwort und ohne Wort des Abschieds. Am nächsten Tage konnte er in der Presse die Wirkung sehen. Er wurde als Hanswurst hingestellt. Doch er hatte nicht genug, er mußte noch am englischen Kriegsdenkmal einen Kranz mit Hakenkreuzschleife niederlegen. Wenige Stunden später war der Kranz ent fernt und schwamm in der Themse . Ein sozialistischer Parlamentskandidat, kriegsbeschädigter Offizier, hatte es getan und fand den Beifall der Oeffentlichkeit( die Hakenkreuzschleife am Soldatengrab wurde von großen, angesehenen Zeitungen als Leichenschändung bezeichnet) und des Richters, der ihn zu ganzen 40 Schilling Strafe ver
urteilte.
So war die Stimmung zu Ha ß und Verachtung angewachsen als Hitler seine Reichstagsrede hielt. Mit ungeheurer Spannung war sie erwartet worden. Die wüste, kriegsverherrlichende Rede des Herrn v. Papen wenige Tage vorher ließ die höchsten Befürchtungen gerechtfertigt erscheinen. Und nun fiel Hitlers Rede gemäßigt aus. Ein Alpdruck war von den Engländern genommen. Am nächsten Tag zog Nadolny feine Anträge gegen den Macdonald- Plan zurück. England empfand dieses Nach geben und wenn es auch nur äußerlich sein mag- als seinen Sieg. Und so schlug die Stimmung wieder um. Der Haß gegen Deutschland verrauschte. Hitlers Rede wurde gelobt. 3war blieb die Empörung über die Greueltaten und die Judenverfolgungen, aber um des lieben Friedens willen, sprach man nicht mehr so viel davon. Man war bereit, Nazi- Deutschland eine Bewäh rungsfrist zu geben. Wenn Hitler freilich glaubt, rungsfrist zu geben. Wenn Hitler freilich glaubt, er habe mit seiner einen geschickten Rede alle Scheußlichkeiten seiner Bewegung in den Augen der Welt auslöschen können, so irrt er sehr. Die öffentliche Meinung
Englands war zwar bereit, die Bewährungsfrist zu bewilligen, aber das englische Mißtrauen blieb wach. Jm Parlament und in der Presse wurde immer. wieder betont, daß Frankreich Recht habe, wenn es Kon trolle und Sicherungen verlange. Nach wie vor ist England nicht bereit, Nazi- Deutschland das Recht zur Aufrüstung zu geben. Und Hitlers Hoffnung, durch scheinbares Nachgeben, Frankreich zum Sündenbock zu stempeln, der die Abrüstung verhindert, ist wenigstens in England nicht in Erfüllung gegangen. Man hört gelegentlich freundschaftliche Mahnungen an Frankreich , nicht zu starr zu bleiben, aber nicht mehr. Das Mißtrauen gegen das ,, Dritte Reich " ist eben mach, und selbst Ereignisse zweiten Grades vermögen die Empörung wieder hoch lodern zu laffen. Spaltenlang berichteten die englischen Zeitungen über die Münchener Nazi- Ueberfälle auf die katholischen Gesellen. Eindeutig wird alle Schuld den Braunhemden und der Regierung zugeschoben, das offizielle Regierungsbedauern wird als Heuchelei gebrandmarkt. Größer noch ist die Erregung über das deutsche Vorgehen gegen Desterreich. Doll fuß , Desterreichs Bundeskanzler, wurde mit betonter Herzlichkeit in London empfangen. Die englischen Blätter sind voll von Aufforderungen, in das schöne Desterreich zu reisen. Und im Anschluß an die Verhaftung und Aus weisung des österreichischen Gesandtschafts- Pressechefs in Berlin schreibt die für ihre Mäßigung bekannte„ Times"
( oft das Sprachrohr der englischen Regierung) einen Leitartikel. Nachdem sie Deutschland als den, bösen Nachbarn" bezeichnet, die Ernennung des Reichstagsabgeordneten Habicht zum„ Staatsinspektor für Desterreich" eine Unverfrorenheit und unverschämtheit genannt, und Habicht mit den Titeln„ Eindringling" und„ Störenfried" belegt hat, schreibt sie wörtlich:
„ England ist im Augenblick(! D. Ber.) nicht offiziell (! Ber.) von dem indirekten und finsteren Versuch des gegenwärtigen Regimes in Deutschland , die Unabhängig feit Defterreichs zu untergraben, betroffen. Aber es kann tein Zweifel sein, wo die öffentliche Sympathie liegt. Die brutale Unterdrückung harmloser Katholiken auf dem Münchener Kongreß durch Nazi- Rowdys hat den Wider willen der öffentlichen Meinung in England gegenüber dem heutigen deutschen Regime verstärkt, daß aber auch jede Brutalität zu verzeihen scheint, wenn sie nur im Namen des Regimes begangen wird. Was innerhalb der deutschen Grenzpfähle geschieht, geht ohne Zweifel offiziell(! Ber.) nur die Deutschen selbst an. Aber wenn die gleichen Taten jenseits der Grenze begangen werden, dann hören sie auf, eine deutsche Angelegenheit zu sein. Der Friede ganz Euro pas kann durch solche Zwischenfälle gestört werden... Für den Fall, daß die Frage einer internationalen Aktion aufs tauchen sollte, würde die öffentliche Meinung Deutschlands , die heutzutage von der feindlichen Einstellung im Aus land nichts erfährt, überrascht sein, wie bereitwillig die öffentliche Meinung in anderen Ländern sich an die Seite einer fleinen Nation stellen würde, die sich entschieden hat, sich gegen Tyrannei zu verteidigen."
Das ist deutlich. Und das gibt die öffentliche Meinung in England wider. Das Wohlwollen und Ver ständnis, das die deutsche Republik in 14 Jahren mühsam erworben hat, ist durch das„ Drifte Reich" in 4 Monaten wieder zerstört worden.
Die Maßnahmen der österreichischen Regierung gegen die nationale Opposition wurden mit größter Schärfe durchgeführt. Fast sämtliche Führer der Nationalsozialistenwurden verhaftet und die Parteiheime geschlossen.
Dr. Bolz in Schutzhaft
Der Staatspräsident aui Feste Asperg wtb. Stuttgart , 19. Juni. Der frühere württem bergische Staatspräsident Dr. Bolz wurde heute auf dem Polizeipräsidium wegen der Rede, die er anläßlich des chriftlich- sozialen Parteitages in Salzburg als Vertreter des Zentrums gehalten hat, einer Vernehmung unterzogen. Nach seiner Vernehmung wurde er von SA. and SS. in seiner Wohnung in„ Schußhaft" genommen. Inzwischen ist er auf Feste Asperg gebracht worden,
Schwerer Nazi- Anschlag vereitelt!
Wien , 19. Juni. Wie die Wiener Allgemeine Zeitung" aus Salzburg berichtet, sind Nazis, in die Maschinenräume am Stausee des Salzburger Elektrizitätswertes eins gedrungen und haben versucht, die Schleusen zu öffnen. Sie haben zahlreiche Apparate zerstört. Nur ihrer fachmännischen Unfenntnis ist es zu danken, daß der Anschlag mißglückt ist. Bei Gelingen des Anschlages wären drei Millionen Kubiks meter Wasser auf zwei Ortschaften in der Nähe von Salz= burg niedergebrochen. Salzburg und alle an das Elektrizis tätswerk angeschalteten Industriebetriebe wären ohne St v gewesen. Von den Tätern fehlt bisher jede Spur.
765