England gegen Nazi- Deutschland

Von Dr. G. Kiel

Der Engländer als Gefühlspolitiker/ Typus Papen  / Die Greuel/ Hanswurst Rosenberg  / Bewährungsfrist für Hitler?/ Schwerer Rückschlag durch Münchener   Terror und deutsch  - österreichischen Konflikt/ Drohungen der Times

England und Nazi- Deutschland

London  , Mitte Juni 1933.

Der Deutsche   sieht im allgemeinen im Engländer ben klarblickenden, kühl überlegenden Politiker, der in Erd teilen und großen Zeiträumen zu denken pflegt und Ge­fühlsgründen und Stimmungen nicht unterworfen ist. Es ist sehr fraglich, ob dieses Bild nicht schon für den eng lischen Politiker falsch ist, ganz sicher ist es für den Durch­schnittsengländer, den Mann auf der Straße" unzu­treffend. Mit Erstaunen wird der deutsche Beobachter immer wieder feststellen, wie sehr der Durchschnitts engländer reinen Gefühlsmomenten und Stimmungen zu gänglich ist. Auch die englische Presse ist nahezu völlig dar­auf eingestellt, selbst die gründlichsten und zuverlässigsten Blätter, wie Manchester Guardian"," Times" und Observer" müssen dieser Volkspsychose Konzessionen machen, die eigentlichen Massenzeitungen find völlig auf Gefühlspolitik eingeschworen.

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Ohne Kenntnis dieser Tatsachen kann man die Ein. stellung- und die Schwankungen der öffentlichen Meinung in England gegenüber Nazi- Deutschland aar nicht verstehen.

Die Einstellung Englands und der Engländer zu Deutschland   wurde in den letzten Jahren immer freund: licher. Die letzten Reste der Kriegspsychose ver. schwanden. Die Verständigungspolitik ber republika­nifchen Regierungen begann ihre Früchte zu zeigen. Stresemann   wurde in England ein wahrhaft popu lärer Politiker( und ist es heute noch). Auch Brüning  verstand es noch, sich dieses Vertrauen zu erhalten. Der den Engländern so widerwärtig hochfahrend- untolerante Geist des preußischen Ostelbiertums( Prussianis") schien endgültig überwunden. Der Durchschnittsengländer und die Mehrzahl der englischen Politiker begannen das Ver­sailler System für überlebt zu halten und Deutschlands  Abänderungswünsche zu unterstützen.

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Da brachte im vorigen Sommer Papens Ernennung zum Reichskanzler den ersten Schock. Der Typ us Papen ist den Engländern( nicht nur der Kriegserinne rungen wegen) herzlich zuwider und schließlich geht es ja nicht nur den Engländern so. Es keimte ein leises Miß­trauen gegen Deutschland   auf, und England begann sich politisch wieder mehr an Frankreich   anzulehnen. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, trat noch keine tiefgreifende Aenderung der Stimmung in England ein. Man wartete ab, mißtrauisch, mit einem Gefühl wachsenden Unbehagens, aber noch nicht eigentlich feind lich bis die Nazipartei der Welt ihr wahres Gesicht zu zeigen begann. Der Reichstagsbrand in England zweifelt kein Mensch und keine Zeitung daran, daß er ein Werk der Nazis selbst ist löste den Naziterror aus. Eine Schreckensmeldung aus Deutschland   jagte die andere. Kein Tag verging, ohne daß neue Greueltaten der Braunhemden gemeldet wurden. Berichte von den Ueberfällen auf Linkspolitiker, von den unsagbar scheuß­lichen Folterungen füllten die englische Presse. Eine lügnerische Greuelpropaganda war gar nicht nötig, die wahren Tatsachen genügten. Die Schreckensszenen in den Folterkammern der braunen Häuser erregten die öffent­liche Meinung Englands auf höchste. Der Fall der Frau Jankowska, einer sozialdemokratischen Wohlfahrts­beamtin in Berlin  , die von den entmenschten Bestien nackt auszogen und solange gepeitscht wurde, bis sie bewußtlos wurde und ihr Rücken eine einzige Wunde war, hat dem deutschen   Ansehen in England mehr geschadet als vier Jahre Weltkrieg. Jn das Gefühl der Abscheu mischte sich aber doch die leise Hoffnung, es handle sich um vorüber­gehende Ausbrüche dunkler Elemente, die rasch unter­drückt würden. Freilich die Flut von Telegrammen und Briefen aus Deutschland  , die über englische Firmen und Zeitungen herniederbrauste und in denen von deutschen  Geschäftsfreuden alle Greuelmeldungen als Lügen be­zeichnet wurden, haben die Stimmung in England eher verschlechtert. Diese Briefe, die oft wörtlich miteinander übereinstimmten, tragen zu sehr den Stempel der amt­lichen Beeinflussung und bewirkten so das Gegenteil dessen, was sie bezweckten. Man lachte über sie. Es war wieder einmal ein Stück deutscher Politik", das sich durch völlige Unkenntnis der Psychologie andrer Völker aus­zeichnete.

Freilich widerlegte obendrein die deutsche Regierung selbst alles, was in den Antigreuelbriefen und-tele grammen" stand, durch ihre amtlichen Maßnahmen in der Judenfrage. Damit spürten die Engländer: die Greuelpolitik wird amtlich von der deutschen   Regierung gedeckt, ja zu den pri­vaten Greueln wurden jetzt noch offizielle Regierungs greuel hinzugefügt. Die antisemitische Politik der Nazi­regierung hat in England geradezu verheerende Wir kungen gehabt. Ueberall fanden große öffentliche Versammlungen statt, in denen die höchsten kirch lichen Würdenträger und Abgeordnete aller Parteien gegen die deutschen   Judenverfolgungen protestierten. Eng. land, in dem ein Jude Vizekönig von Indien   werden konnte, ohne daß ein Protest laut geworden wäre, erblickt im politischen Antisemitismus einen Angriff auf die menschliche 3ivilisation. Daß sogar große, weltbekannte Gelehrte vertrieben wurden, daß Bücher von Männern wie Feuchtwangen   und Emil Ludwig  ( die in England viel populärer waren als in Deutschland  ) auf den Scheiterhaufen kamen, daß ein großer Musiker wie Bruno Walter   nicht mehr dirigieren durfte, waren Tatsachen, die die öffentliche Meinung Englands auf­wühlten. Deutschland   wurde aus der Liste der Kultur­nationen gestrichen, Worte wie Hunnen und Barbaren  ", die längst vergessen waren, tauchten wieder auf. Es gab die denkwürdige Parlamentsgebatte am 13. April, in der unter Führung von Chamberlain alle Redner ohne Ausnahme den Bannfluch gegen Hitler- Deutschland aus. Sprachen. Chamberlain bezeichnete den Geist des neuen"

Deutschland   unter dem Beifall des ganzen Hauses als schlimmsten allpreußischen Imperialis mus, verstärkt durch Wildheit und Rassenhoch mut". Diesem Deutschland   keine Kon­3effionen das war der Sinn der Parlamentsdebatte.

Doch noch war die Stimmung nicht auf dem Höhe punkt. Er wurde erreicht durch die Taktik Deutschlands  auf der Abrüstungskonferenz. Herr Nadolny be nahm sich so, daß allgemein der Eindruck entstand, Deutschland   will die Konferenz sprengen, um dann rasch aufrüsten zu können. Neue Kriegsgefahr drohte. Täglich kamen alarmierende Meldungen aus Genf  . Deutschland   gegen die ganze Welt. Jetzt begann sich England, das wahrhaftig im Augenblick keine Störung des Friedens vertragen kann, zu erhitzen. Es entwickelte sich gerade Haß gegen Deutschland  . Und in diesem Augenblick kam nun noch als Abgesandter Hitlers Herr Rosenberg nach London  , ein Mann der von England keine Ahnung hat und kaum ein Wort Eng­ lisch   spricht. Er wurde von den sonst so höflichen Eng ländern wie ein Hund behandelt. Freilich hat er sich auch denkbar dumm benommen. Er gab einen Presseempfang und sprach zu den Engländern, die in der Regel kein Deutsch verstehen, auf Deutsch  , ja wollte sogar zunächst eine Uebersetzung verhindern.( Wenn Herr Alfred Rosen berg bie Gnade hat, London   zu besuchen, müssen eben die Engländer rasch Deutsch   lernen.) Dann gab er den Journalisten widerwillig Gelegenheit zu Fragen. Den ersten Fragen wich er durch Redensarten aus. Als ihm ein Journalist das Bild der Frau Jankowska vor­legte, entwich er aus der Tür ohne Antwort und ohne Wort des Abschieds. Am nächsten Tage konnte er in der Presse die Wirkung sehen. Er wurde als Hanswurst hin­gestellt. Doch er hatte nicht genug, er mußte noch am eng­lischen Kriegsdenkmal einen Kranz mit Hakenkreuzschleife niederlegen. Wenige Stunden später war der Kranz ent fernt und schwamm in der Themse  . Ein sozialistischer Parlamentskandidat, kriegsbeschädigter Offizier, hatte es getan und fand den Beifall der Oeffentlichkeit( die Haken­kreuzschleife am Soldatengrab wurde von großen, an­gesehenen Zeitungen als Leichenschändung bezeichnet) und des Richters, der ihn zu ganzen 40 Schilling Strafe ver­

urteilte.

So war die Stimmung zu Ha ß und Verachtung angewachsen als Hitler   seine Reichstagsrede hielt. Mit ungeheurer Spannung war sie erwartet worden. Die wüste, kriegsverherrlichende Rede des Herrn v. Papen  wenige Tage vorher ließ die höchsten Befürchtungen ge­rechtfertigt erscheinen. Und nun fiel Hitlers   Rede gemäßigt aus. Ein Alpdruck war von den Engländern genommen. Am nächsten Tag zog Nadolny feine Anträge gegen den Macdonald- Plan zurück. England empfand dieses Nach geben und wenn es auch nur äußerlich sein mag- als seinen Sieg. Und so schlug die Stimmung wieder um. Der Haß gegen Deutschland   verrauschte. Hitlers   Rede wurde gelobt. 3war blieb die Empörung über die Greueltaten und die Judenverfolgungen, aber um des lieben Friedens willen, sprach man nicht mehr so viel davon. Man war bereit, Nazi- Deutschland eine Bewäh rungsfrist zu geben. Wenn Hitler freilich glaubt, rungsfrist zu geben. Wenn Hitler freilich glaubt, er habe mit seiner einen geschickten Rede alle Scheuß­lichkeiten seiner Bewegung in den Augen der Welt aus­löschen können, so irrt er sehr. Die öffentliche Meinung

Englands war zwar bereit, die Bewährungsfrist zu be­willigen, aber das englische Mißtrauen blieb wach. Jm Parlament und in der Presse wurde immer. wieder betont, daß Frankreich   Recht habe, wenn es Kon trolle und Sicherungen verlange. Nach wie vor ist Eng­land nicht bereit, Nazi- Deutschland das Recht zur Auf­rüstung zu geben. Und Hitlers Hoffnung, durch scheinbares Nachgeben, Frankreich   zum Sündenbock zu stempeln, der die Abrüstung verhindert, ist wenigstens in England nicht in Erfüllung gegangen. Man hört gelegentlich freund­schaftliche Mahnungen an Frankreich  , nicht zu starr zu bleiben, aber nicht mehr. Das Mißtrauen gegen das ,, Dritte Reich  " ist eben mach, und selbst Ereignisse zweiten Grades vermögen die Empörung wieder hoch lodern zu laffen. Spaltenlang berichteten die englischen Zeitungen über die Münchener   Nazi- Ueberfälle auf die katholischen Gesellen. Eindeutig wird alle Schuld den Braunhemden und der Regierung zugeschoben, das offizielle Regierungsbedauern wird als Heuchelei ge­brandmarkt. Größer noch ist die Erregung über das deutsche   Vorgehen gegen Desterreich. Doll­ fuß  , Desterreichs Bundeskanzler, wurde mit betonter Herz­lichkeit in London   empfangen. Die englischen Blätter sind voll von Aufforderungen, in das schöne Desterreich zu reisen. Und im Anschluß an die Verhaftung und Aus weisung des österreichischen   Gesandtschafts- Pressechefs in Berlin   schreibt die für ihre Mäßigung bekannte Times"

( oft das Sprachrohr der englischen   Regierung) einen Leit­artikel. Nachdem sie Deutschland   als den, bösen Nachbarn" bezeichnet, die Ernennung des Reichstagsabgeordneten Habicht zum Staatsinspektor für Desterreich" eine Un­verfrorenheit und unverschämtheit genannt, und Habicht mit den Titeln Eindringling" und Störenfried" belegt hat, schreibt sie wörtlich:

England ist im Augenblick(! D. Ber.) nicht offiziell (! Ber.) von dem indirekten und finsteren Versuch des gegenwärtigen Regimes in Deutschland  , die Unabhängig feit Defterreichs zu untergraben, betroffen. Aber es kann tein Zweifel sein, wo die öffentliche Sympathie liegt. Die brutale Unterdrückung harmloser Katholiken auf dem Münchener   Kongreß durch Nazi- Rowdys hat den Wider willen der öffentlichen Meinung in England gegenüber dem heutigen deutschen   Regime verstärkt, daß aber auch jede Brutalität zu verzeihen scheint, wenn sie nur im Namen des Regimes begangen wird. Was innerhalb der deutschen  Grenzpfähle geschieht, geht ohne Zweifel offiziell(! Ber.) nur die Deutschen   selbst an. Aber wenn die gleichen Taten jenseits der Grenze begangen werden, dann hören sie auf, eine deutsche Angelegenheit zu sein. Der Friede ganz Euro­ pas   kann durch solche Zwischenfälle gestört werden... Für den Fall, daß die Frage einer internationalen Aktion aufs tauchen sollte, würde die öffentliche Meinung Deutschlands  , die heutzutage von der feindlichen Einstellung im Aus land nichts erfährt, überrascht sein, wie bereitwillig die öffentliche Meinung in anderen Ländern sich an die Seite einer fleinen Nation stellen würde, die sich entschieden hat, sich gegen Tyrannei zu verteidigen."

Das ist deutlich. Und das gibt die öffentliche Meinung in England wider. Das Wohlwollen und Ver ständnis, das die deutsche Republik in 14 Jahren mühsam erworben hat, ist durch das Drifte Reich" in 4 Monaten wieder zerstört worden.

N.S.D.A.P  

Die Beseßung des Braunen Hauses  " in Innsbrud.

Die Maßnahmen der österreichischen   Regierung gegen die nationale Opposition wurden mit größter Schärfe durchge­führt. Fast sämtliche Führer der Nationalsozialistenwurden verhaftet und die Parteiheime geschlossen.

Dr. Bolz in Schutzhaft

Der Staatspräsident aui Feste Asperg  wtb. Stuttgart  , 19. Juni. Der frühere württem bergische Staatspräsident Dr. Bolz wurde heute auf dem Polizeipräsidium wegen der Rede, die er anläßlich des chriftlich- sozialen Parteitages in Salzburg   als Vertreter des Zentrums gehalten hat, einer Vernehmung unterzogen. Nach seiner Vernehmung wurde er von SA. and SS.   in seiner Wohnung in Schußhaft" genommen. Inzwischen ist er auf Feste Asperg   gebracht worden,

Schwerer Nazi- Anschlag vereitelt!

Wien  , 19. Juni. Wie die Wiener Allgemeine Zeitung" aus Salzburg   berichtet, sind Nazis, in die Maschinenräume am Stausee des Salzburger Elektrizitätswertes eins gedrungen und haben versucht, die Schleusen zu öffnen. Sie haben zahlreiche Apparate zerstört. Nur ihrer fachmännischen Unfenntnis ist es zu danken, daß der Anschlag mißglückt ist. Bei Gelingen des Anschlages wären drei Millionen Kubiks meter Wasser auf zwei Ortschaften in der Nähe von Salz= burg niedergebrochen. Salzburg   und alle an das Elektrizis tätswerk angeschalteten Industriebetriebe wären ohne St v gewesen. Von den Tätern fehlt bisher jede Spur.

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