Mehr isoliert als 1914 Hitlers außenpolitisches Fiasko
von ve. Rudolf Vreitscheid
Der von dem„Führer" zum einzig berufenen Aus- leger des nationalsozialistischen Parteiprogramms be- stellte Gottfried Feder kommentzerte zum Teil den außenpolitischen Teil jenes unklaren und wider- spruchsvollen Dokuments folgendermaßen: „Nicht„sich einfühlen" in fremde Art— sonder« Be, wahrnng der deutschen Eigenart, der dentschen höhere« Art, muß Ausgabe der Deutsche » im Ausland und unserer amtlichen Vertretungen werde«. Auch hier muß ei« eiserner Besen in das verstaubte A. A. l„A«s- wärtige Amt") hineinfahren. Erzbergerische«nd Stresemannsche Liebedienerei gegen» über dem Ausland hat et« Ende» und man wird bann auf einmal sehen, daß das Ausland von einer kraftvolle« Vertretung der deutsche« Interesse« ganz anderen Respekt haben wird,«nd statt Fußtritte« und Ohrfeige« wird Achtung«nd Rücksichtnahme aus deutsch « Wünsch« die Folge sein." Diese Sätze verdienen jetzt, wo man viereinhalb Monate nach der Hitlerschen Machtergreifung eine vor» läufige außenpolitische Bilanz seines Regimes zu ziehen berechtigt ist, der Vergessenheit entrissen zu werden. Was ist von den Verheißungen Fevers Wahrheit geworden? Um es Kurz zu sagen: Von dem eisernen Besen, der ins Auswärtige Amt fahren sollte, haben wir nichts gemerkt. Ebensowenig aber von einer Rücksichtnahme auf deutsche Wünsche, und was die kraftvolle Vertretung deutscher Interessen anbelangt, so müssen wir offen gestehen, daß wir von so starken Männern, wie sie sich um Hitler scharen, besonders nach den stolzen und drohenden Worten, die sie jahrelang in ihrer Agitation gebrauchten, etwas ganz anderes erwartet hätten. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Geschehnisse. Als die braune Herrschaft begann, waren die Machthaber überzeugt, daß sie nun im Bunde mit dem system- verwandten Italien und dem rassenverwandten Eng- land den französischen und den polnischen Erbfeind auf die Knie zwingen würden, und in der nationalistisch auf- gepeitschten Anhängerschaft war dieser Glaube noch stärker als bei den leitenden Persönlichkeiten. Die erste Enttäuschung bereitete Mussolini . Er ließ deutlich erkennen, daß seine Sympathie für dikta- torische Regierungsmethoden in Deutschland ihre Grenze an den italienischen Interessen habe. Die hul- digende Wallfahrt, die deutsche Minister zu Ostern nach Rom unternahmen, vermochten den Sinn des vergötterten „Duce" nicht zu ändern. Die Emissäre mußten im Gegen- teil den Bescheid nach Hause bringen, daß Mussolini nicht nur die Judenverfolgungen mißbillige, sondern darüber hinaus aufs Dringendste vor jedem außenpolitischen Abenteuer warne, und— was am schmerzlichsten war— daß er von dem österreichischen Anschluß ganz und aar nichts wissen wollte. Dann kam Großbritannien . Dort war die Neigung, zu einem Entgegenkommen an Deutschland , zu einer Revision der Friedensverträge, zu dem Zugeständ-
nis der Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Rüstungen am stärksten gewesen. Jetzt wurden im Parlament von den Vertretern aller Parteien Reden siegen Deutschland ge- halten, wie man sie seit dem Kriege nicht vernommen hatte, und die Mission des Herrn Rosenberg, durch die die Dinge wieder ins Gleichgewicht gebracht werden sollten, wurde eine Tragikomödie, in der der Abgesandte des deutschen Reichskanzlers eine geradezu bejammern»- werte Rolle spielte. » Herrn Hitler begann jetzt ein Verständnis für die tat« sächliche Lage Deutschlands aufzugehen, oder besser gesagt, sie wurde ihm vom Auswärtigen Amt beigebracht. Er empfing den polnischen Gesandten, um ihm zu versichern, daß er die Verträge, durch die die Ostsirenzen festgelegt sind, nicht zu brechen beabsichtige. Er hielt im Reichstag eine friedfertige Rede, die. von einigen wenigen Stellen abgesehen, zur Not auch von einem der verfluchten Marxisten hätte gehalten wer- den können, und er wies den Führer der deutschen Dele« gation auf der Abrüstungskonferenz an, auf alle zu dem britischen Entwurf gestellten Abänderungsanträge, deren Inhalt an sich schon weit hinter ursprünglichen Naziforde- rungen zurückgeblieben war, schleunigst zu verzichten. Den Gefolgsleuten des„Führers" wird dieser Rück- a als besonders geschicktes taktisches Manöver schwach- i gemacht, und auch wir glauben nicht an den plötzlich erwachten ehrlichen Friedenswillen des Mannes, der Jahre hindurch die kriegerische Trompete geblasen hat, und zu dessen Worten Taten, die unter seinen Augen und mit seinem Willen geschehen, in schreiendem Widerspruch stehen. Er macht aus der Not eine Tugend. Er will, da er Deutsch- land isoliert sieht, seine gegen die Arbeiterbewegung und gegen die Freiheit ganz allgemein gerichteten Maß- nahmen im Innern nicht durch außenpolitische Berwick- lungen stören lassen. Er weiß, daß er aus tausend Grün- den zur Zeit einen Krieg unter allen Umständen ver- meiden muß. Er braucht zum mindesten eine Atempause. Aber alle Taktik kann nichts daran ändern, daß er sich einstweilen den pazifistischen Mantel um seine Schultern gelegt hat, und daß sich seine Politik, von außen gesehen, in nichts von der„Erzbergerischen und Stresemannschen Liebedienerei" gegenüber dem Ausland unterscheidet. » Indessen sind auch die friedfertigen Reden und Gesten ohne Erfolg geblieben. Der Nationalsozialismus sieht nicht nur die Anschlußfelle wegschwimmen, er hat es sogar da- hin gebracht, daß Deutschland heute zu keinem anderen Lande in einem schärferen Gegensatz steht als zu O e st e r r e i ch. Dank der braunen Wühlarbeit und dank gehässiger, noch dazu von Worten des Hohns begleiteter Handlungen der Berliner Regierung ist in Wien eine Stimmung entstanden, die offener Feindschaft gegen Nazideutschland sehr nahe kommt.
Nun— und der Abschluß de» Viermächte» p a k t»? Er würde in der Tat so etwas wie einen Triumph für Hitler bedeuten, wenn das unterzeichnete Dokument noch das Gesicht des ersten von Mussolini an« gefertigten Entwurfs trüge. Da war sehr deutlich von der Notwendigkeit einer Revision der Verträge, von prak» tischen Schritten zur deutschen Gleichberechtigung die Rede, und bei alledem sollte der von Hitlers Anhängern so stark geschmähte Völkerbund auf eine Nebenrolle abgedrängt werden. Doch die ursprünglichen Ideen haben sich verflüchtigt. Frankreich ist mit seinen Forderungen durchgedrungen. Uebrig geblieben ist nur ein Rahmen, innerhalb dessen deutsche Wünsche diskutiert werden können und neben dem Revisionsparagraphen des Völkerbundsstatuts wer« den ausdrücklich auch die auf die Anerkennung bestehender Grenzen und da» Recht auf Sanktionen bezüglichen Ar« tikel ausdrücklich erwähnt..Der Pakt bezeichnet darüber hinaus nicht nur den Völkerbund, sondern auch den ver- lästerten Locarno « und den geschmähten Kriegsächtungs« vertrag als Ausgangspunkte und Voraussetzungen weiterer Verhandlungen, und wenn er schließlich noch einen unmittelbaren positiven Wert besitzt, so besteht er darin, daß eine Brücke zur Annäherungzwischen Frankreich und Italien schlägt, was doch sicher nicht in der Absicht der deutschen Regierung gelegen war. Wenn Stresemann oder gar ein Sozialdemokrat einen solchen Bertrag nach Hause gebracht hätte, würde er des Landesverrats bezichtigt worden sein, aber Hitler gibt ihm seine Unterschrift, und der treue Knecht Rosen- oerg nennt das Schriftstück das größte historische Ereig« nis seit dem Jahre 1314. Von der Verkündung des T r a n s f e r m o>r a t o» r i u m s. die als letzte politische Großtat von der Nazi« presse hingestellt wird, braucht nicht viel gesagt zu werden. Selbst die gleichgeschalteten deutschen Zeitungen können die durch diesen Schritt■ hervorgerufene tiefe Mißstimmung des Auslandes dem deutschen Volke nicht verHeim« lichen und wenn ein Rest von Reputation gerettet werden soll, wird Herr Schacht sich zu„liebedienerischen" Kom- promissen geneigt zeigen müssen. Da also steht Deutschland nach ein paar Monaten Hitlerschen Regiments. Es ist noch mehr isoliert als 1314. Von irgendwelchen Erfolgen einer Politik der starken Hand wissen nur die ebenso blinden wie treuen Trabanten des Hakenkreuzes zu berichten. In Wirklichkeit ist ein ?fiasko dem anderen gefolgt, und im übrigen hat es nur ehr schwache und im Keim erstickte Ansätze zu dem kraftvollen Auftreten gegeben, für das man sich seit 1328 Vorschußlorbeeren erteilen ließ. Wir könnten das mit Schadenfreude feststellen, wenn diese Regierung?« Kunst es nicht fertig gebracht hätte, daß auch die Erfüllung berechtigter deutscher Ansprüche, die wir Sozialdemokraten jederzeit vertreten h a b e n, auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt worden find. Die Erkenntnis dieses furchtbaren Versagens wird eines Tages auch denen kommen, die heute noch an die glorreiche Führung glauben und am Grabe aller außen« politischen Hoffnungen ihr„Heil Hitler !" in die Welt schreien.
Roam*
Reserviert
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