DAS BUNTE BLATT
Mit rotlackierten Lippen
Das Elend vor der Wohnungstür
Wie bieten Ihnen erstklassige Jazzmusik! Vier Mann start. Zu jeder Tages- und Nachtzeit! Eine Mark die halbe Stunde. Kein Interesse? Dann vielleicht Songs, das Allerneueste! Solo, Duo, Trio mit Zupfbegleitung! Ganz nach Wunsch. Wie, die Zeit ist nicht danach?- Sie haben Sie haben recht. Aber dann vielleicht klassige Musik? Mozart , Gluck , Beethoven? Sie lächeln? Sie zweifeln? Mein Herr, wir geben Ihnen eine Probe, fünf Minuten, nicht einen Groschen brauchen Sie dafür zu bezahlen!"
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Der Mann sprudelt das hervor, als stünde hinter ihm einer mit einem besseren Angebot. Und dann will er mit Kopf und Ehre dafür bürgen, daß nicht ein Stückchen aus der Wohnung fehlen werde, wenn sie abgezogen sind. Und jeder wird sich die Schuhe gründlich am Abstreifer reingen, so daß von ihnen nichts als ein guter Eindruck zurückbleiben werde. Ob er seine Kollegen gleich herausholen oder eine Bestellung für später entgegennehmen dürfe? Nicht? Schade. Sie hätten gern ihr bestes hergegeben.
Nun klingelt es an der Nachbartür. Und später an der andern. Indes warten seine drei Kollegen auf der Straße. Junge Burschen, gleich ihrem Wortführer Kinder der Not. Wie sie so zu den Fenstern hinaufschauen, denkt man unwillkürlich an in die Nacht hinausgesperrte Kinder. Der eine trägt eine Ziehharmonika, der andere ein Saxophon, der dritte eine Violine. Mozart? Beethoven ? Warum nicht! In
TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE
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Keine große Sache, es handelt sich nur um – fa, um Spiken Die Sterne
die ste billig unter der Hand verschaffen kann. Sollte dafür keine Verwendung bestehen, was bei den heutigen Zeiten ja kein Wunder wäre, so kann sie leicht nüßlichere Dinge, zum Beispiel- ja, Türvorleger, Hemden und dergleichen verschaffen. Sie hat nämlich mit einem Kaufhaus, das in Konkurs gegangen ist, sehr gute Verbindung. Uebrigens könne sie sich vielleicht selbst nüglich machen? Man kann ja nie wissen! Sie taugt zu allem und scheut keine Anstrengung. Teppichklopfen zum Beispiel?
„ Sie haben keinen Teppich? Das braucht Sie nicht zu fränten. Aber was ich sagen will, ja, sehen Sie, ich komme, wann Sie wollen! Sie brauchen mir nur die Stunde zu sagen, die Ihnen recht ist, und ich bin da! Auch in der Nacht! Herr, Sie brauchen mir nur etwas zu essen zu geben und ein paar Groschen!"
War das nicht ein Schrei? Aber viel zu leiſe, als daß ihn die gehört hätten, denen er Tag und Nacht, zehnfach, hundertfach verstärkt, in den Ohren dröhnen müßte.
Die erste Geschichte habe ich selbst erlebt, die zweite hat mir ein pensionierter Bahnbeamter erzählt. Sie ist so wahr wie meine.
h. pav.
Beim Abschied hab ich nicht dran gedacht und wir hätten auch beide darüber gelacht. Wir beschlossen zu telefonieren. Jezt ist es mir unversehens geschehen: ich habe den Abendstern gesehen und nun bitt ich dich: wirst du es spüren? wenn du den Stern am Himmel siehst, begegnen sich unsre Grüße.
Wenn du für mich wie der Abendstern glühft, dann les ichs vom Himmel, du Süße.
Und wenn ich dir nie das Geständnis gemacht: ich such dich, Geliebte, im Stern überm Dach. Die Sterne sind kalt, die Sterne sind weit, fie find gemacht für die Ewigkeit
und nicht für zwei Herzen, die weinen. Doch fie ftrahlen still und sie donnern nicht und ich lese täglich den Wetterbericht: ob sie bei dir auch scheinen?
Denn wenn du den Stern am Himmel fiehst, begegnen sich unsre Grüße!
Wenn du für mich wie der Abendstern glühft, dann les ichs vom Himmel, du Süße. Und fein Poftbeamter rechnets mir nach: ich rede mit dir im Stern überm Dach. Helmuth Harms.
Sharao gab den Befeff...
einer Zeit, in der alles Stopf ſteht, Ungeiſt ſich breit macht Judenverfolgung um 1250 vor Christi Geburt
und das Barbarentum triumphiert, kommt es nicht so sehr darauf an, ob Beethoven so oder so gespielt wird. Und am Tisch der Armut schon gar nicht.
Bettelmusik ins Haus, prompt und billig. Die Idee ist gut. Man kann sich vorstellen, daß ein Selbstmörder, der noch eine Mark übrig hat, das Quartett zu sich ladet, bevor er den Gashahnen aufdreht. Auf diese Weise könnte er der Welt, nach deren Ordnung er einsam und in Düsterheit zu trepieren hätte, noch ein Schnippchen schlagen.
Vor der Tür steht eine junge Frau. Sie verneigt sich leicht und lächelt freundlich. Dabei versucht sie ihre weißen Zähne zur Geltung zu bringen. Die Lippen sind mit rotem Lack überzogen, so start, daß man an eine Emailglasur denkt und meint, es müsse unbedingt zu hören sein, wenn die Lippen aufeinanderschlügen. Unter den Augen, die wahrscheinlich mur deshalb so glänzen, weil sie sie, bevor sie an die Tür Elopfte, einige Zeit fest geschlossen hielt, liegen dunkle Schatten. Mit Schatten bedeckt sind die Wangen. Gekleidet ist sie schickt, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß das, was sie an hat, beträchtliches Alter hat. Ihre Haltung ist gut, drückt etwas Stolz und Sicherheit aus. Aber alles in allem: geschminktes Elend.
Die Frau Gemahlin ist nicht zu Hause? Das macht nichts, durchaus nichts. Sie kann auch mit einem Mann verhandeln.
Der letzte Kino- Erkfärer
In einer kleinen Moabiter Nebenstraße habe ich ihn aufgetrieben, den letzten aus der aussterbenden Gilde der KinoErklärer. Früher war er die wichtigste Persönlichkeit der Flimmerfiste, kinos mit den lustigsten Erklärern hatten den stärksten Zuspruch. Auch hier ist die Bude jeden Abend gerammelt voll. Das fabelhafte Mundwerk des spaßigen Erflärers sorgt ständig für starken Zulauf. Selbst den traurigsten Film, in dem zum Schluß die Leichen gebündelt herumliegen, begießt er mit seinem manchmal auf hochdeutsch, manchmal auf berlinerisch vorgebrachten Humor. Er klebt an der Längswand des schmalen Saales in einem erhöhten Stuhl, wie ein Tennisrichter etwa, und von diesem Schwal bennest aus gehts nun los.
Neulich erst habe ich ihn besucht, natürlich war die Zigar renkifte wieder knackvoll. Man spielte einen Schmachtfezzen von Film. Die reichlich blöde Handlung ließ ein junges Mädchen ahnungslos in die Ecke treten mit einem Mann, der durch eine Verwundung seine Männlichkeit verloren hatte. Zuerst schien der Erklärer zum Reimen aufgelegt, dann als im Film ein Besuch gezeigt wird, drückte sich das bei ihm so aus:
Der Onkel kommt, die Tante Base, kurz die ganze Verwandtenblase."
Die Reimerei ließ dann nach, doch die poetische Stimmung hielt an. Auf der Leinewand wurde jeßt eine unsagbar rührselige Liebesszene gezeigt, und aus dem Schwalbennest kamen dazu die erklärenden" Worte:
,, Da wallte es heiß in ihr auf, sie war schwebende Seligteit vom Scheitel bis zum Zwickel!"
Lachen und Kichern im Saal.
Und da wiegte sie nun dahin in seinem starken Arm. Ihr wurde schwül, wenn sie an ihr mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattetes Heim dachte, wo sie ein reicher und gütiger- aber doch nur ein halber Mann erwartete. Sie sah hinüber in die lauschige Ecke des Tanzsaals, wo Dolly mit ihrem Liebsten schäferte. Eben hatte er sie geküßt- direkt vor det Zifferblatt!"
Das Publikum lachte wieder schallend los. Doch weiter: „ Und er flüsterte ihr heiße Worte ins Ohr: leidenschaftlich, betörend klang seine Stimme so der richtige Steinkohlentenor!"
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Hahaha im ganzen Saal! Und die schwierigste Stelle im ganzen Film, als nun die Frau erfährt, daß sie mit ihrem Mann nie ein Kind haben wird, wird die beste.
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,, Steh mein liebes Weib, du denkst vielleicht neinneines ist zu schwer! Verstört sant er im Seffel nieder. Sie dachte zuerst- Nanu- was ist denn mit ihm? Er hat woll een Stich in die Kiepe? Aber dann durchfuhr es sie wie ein Bliz."
Und den ganzen Kientopp auch. So was von Lachen hört man selten. Das rührselige Ende des Films vermag danach niemand mehr zu erschüttern.
,, Mensch hat die Olle aber een' uchten Karton jehabt!" sagt beim Verlassen des Kinos ein waschechter, Mojabiter" au
Als Pharao von seinem Siegeszug, der ihn über den Euphrat und Tigris bis an das Seidenland geführt hatte, über die rote Erde Syriens nach Aegypten zurückkehrte, empfing er vom Oberpriester die Botschaft, daß das Wasser des Nils finke und Hungersnot vor der Tür stehe. Pharao gab kund:„ Da werde ich ausroden alle unnüßen Münder, die den Landeskindern das Brot fortnehmen. Ich will die Hebräer vernichten!"
Willst du sie des Landes verweisen, vertreiben lassen, Herr Pharao , weisester der Herrscher, Mann und Weib, Greis und Kind?" fragte der Oberpriester, die Einzelheiten der im Interesse von Volk und Staat zu erlassenden Notverordnung zu erfahren.
Ich bin fein Barbar," entgegnete Pharao finster. „ Aber wenigstens sie aus ihren Plätzen und Erwerbsgelegenheiten entfernen, aus ihren Aemtern, Würden und Pfründen? Hast du beschlossen, den hebräischen Gelehrten, Aerzten, Rechtskundigen, Arbeitern und Gehilfen zu verbieten, sich je wieder in ihren Kanzleien und Buden und Arbeitsstätten blicken zu lassen? So gewinnen wir," sagte der Oberpriester, Lebensraum auch für den ungelerntesten Aegypter."
„ Auch dies kann ich nicht tun," erklärte Pharao sinnend. " Die Hebräer leben seit Jahrhunderten im Lande. Es wäre Aegyptens unwürdig, erworbene Rechte für nichts zu achten, sich eines Besißstandes, der im Vertrauen auf die Rechts
ordnung durch Fleiß und Kenntnisse erworben wurde, mit Gewalt zu bemächtigen. Beginne ich mit dem Raub gegen die Hebräer, so ist der Umwälzungen kein Ende. Was du rätst ist turzsichtig und gegen das Herkommen."
„ Also willst du sie hinausekeln? Das Volk gegen fie er grimmen : sie bedrohen, quälen, demütigen lassen? Willst du, daß der Aegypter den Hebräer auf Straßen und Pläßen angrinse und bespuce? Daß der Hebräer, ohne getrieben wor den zu sein, von selbst sich das Leben nehme oder in die Wüste flüchte?"
"
" Das will ich noch weniger!" fuhr der Herrscher auf. Pharao ist unbarmherzig, wenn er muß, niemals gehässig! Ich will die Hebräer nicht dem Pöbel überantworten, son dern dem Henter!"
Also du willst die Hebräer schlachten laffen," resümierte der Oberpriester den Willen seines Herrn.
" Nein!" ordnete Pharao an:„ Ich will die Hebammen rufen, und alle Knäblein, die von einem hebräischen Weib geboren werden, alle Neugeborenen, umbringen lassen."
Pharao gab den Befehl, die neugeborenen männlichen Kinder Israels umzubringen. Dem ägyptischen König um das Jahr 1250 vor unserer Zeitrechnung fam es mensch licher vor, Säuglinge zu erwürgen als Familienväter, Greise und Mädchen durch seine Knechte bedrängen zu lassen, sie ihrer Lebensmöglichkeit zu berauben, sie dem Hungertod und der Verzweiflung preiszugeben.
feinem Mädchen. Dieser Satz wird aus dem gleichen Refor. Ganz kleine Geschichten
voir gespeist, aus dem auch der letzte Kino- Erklärer seine Wirkung herausholt: aus dem nicht umzuschmeißenden Ber liner Humor. B. R.
Grabinschriften
Staub
Als der große Rechtsgelehrte Staub, Verfasser sehr vieler Kommentare au ſehr vielen Gesezen, gestorben war, erörterten seine Freunde die Frage, welche Grabinschrift ihm passenderweise zu setzen sei. Ein alter Justizrat, der mit philosophischem Wis gesegnet war, fand die mit herzlichem Beifall aufgenommene Lösung:
Hier liegt Staub. Kommentar überflüffig." Paftor Melcher
Hier liegt begraben der Melcher, Pastor gewesen ist welcher. Er hat gelebt in Ehren und Zucht Und ist gestorben an der Wassersucht. Nun sage mir, lieber Leser, fret: Ist das nicht schade? Ei, et!
Der Advokat
Die Gattin
Hier ruht der Advokat Herr Striegel. Gönnt ihr dem teuren Ueberrest Des lieben Mannes noch ein Fest, So rauft euch über seinem Hügel.
Hier ruht mein Weib: wie wohl ist ihr! Sie ruhet sanft: wie wohl ist mir!
Künstler- Grabschrift
Hier ruht jemand, dem das Leben beim beschwerdenreichen Wandern
Alles schuldig stets geblieben wie er andern. Grabinschrift eines Vielschreibers
Er rief, als schon der Tod ihn packt: ein Weilchen laß mich noch bleiben; ich mache nur mit dem Verleger Kontrakt, ein Buch übers Jenseits zu schreiben.
Einem Beamten
Wie gerne ließ er sich vertreten, der nun in kühler Erde ruht; vielleicht, indes wir für ihn beten, liegt drunten nur sein Substitut.
Kirchhofsgespräch
Grabinschrift
Von Heimlichkeiten ganz geschwiegen! Denkt, daß gleich unten Weiber liegen,
Lies, Wanderer, eines Ehemannes Schmerzen! Schön war mein Weib und jung! O blicke her! Jetzt liegt ein Stein auf ihrem Herzen auf meinem teiner mehr.
Herr Franz Müller in Berlin W. hat ein Konfitürengeschäft und schwarzes Haar.
Das Konfitürengeschäft ist unbedenklich, aber das schwarze Haar ist bedenklich.
Was nupt die beste Ueberzeugung, wenn der rassische Schein gegen einen spricht?
Und so konnte man denn eines Tages an Müllers Ladentür einen Informationszettel diesen Inhalts lesen: ,, Nicht jeder ist Jude, der schwarzes Haar hat! Dies Unternehmen ist rein chriftlich!"
Rechtsanwalt W. in Berlin , ein sehr bekannter Anwalt, int zwar der Typ eines schneidigen. Korpsstudenten, aber der semitische Schuß im Blut ist nicht wegzudisputieren.
W. steht politisch rechts und war seit jeher ein Arrivierter unter den reaktionär orientierten Anwälten.
Bis ihn die„ Sturmtage" des März 1983 stark aus den Gleisen warfen.
Wie gehts Ihnen, Herr Dr.?" wurde er eines Tages von einem Bekannten gefragt.
„ Körperlich ausgezeichnet- erwiderte W.„ Ich habe gar nicht gewußt, aus was für einer gefunden Familie ich stamme, Herr Kollege! Selbst meine schon lange tote Großmutter ist wieder lebendig geworden-!"
Eine christliche Buchhandlung in Deutschland , die zahlreiche füdische Kunden hat, war durch die Entwicklung der Dinge in ein arges Dilemma geraten.
Da kam der Reklamechef auf einen salomonischen Ausweg. Der Ausweg lautete folgendermaßen: „ Arisches Geschäft! Man spricht hebräisch!"
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Die Trommel gewirbelt! Fanfaren ins Feld! Geschmettert den Sturm in die schläfrige Welt! Gewitter in eure Lieder!
Sonft donnert die Zukunft euch nieder!
Mu.
Karl Hendell.