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Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der ,, Deutschen Freiheit"

Heinrich Manns Flucht

Sein Bekenntnis zum Uebernationalen

" Nicht bloß die Vernunft, auch die Erfahrung lehrt es feden Tag, daß die Kneblung der Gedankenfreiheit nur ein Geschöpf der Schwäche dem Fanatismus gegenüber ist. Denn ist man mit dem Mantel einer finsteren Autorität befleidet, so kann man den wahren Glauben des zum Aufruhr stets geneigten Pöbels leicht in offene Raserei gegen jeden ver­wandeln, dessen freie Gesinnung unbequem zu werden droht." Diese Worte könnten von Heinrich Mann sein, wenn fie nicht von Spinoza wären, aus dessen Theologisch­Politischem Traktat" sie stammen. Erschienen Früjahr 1670. Haben also die Menschen sich gewandelt? Nein, denn sonst wäre das Schicksal Heinrich Manns und so mancher seiner Mitglaubenden, Mitstreitenden im Jahre 1933 einfach nicht möglich.

Es ist immer beglückend, wenn man in unserer Zeit des Ueberläufer und des Konjunkturrittertums auf Persön= lichkeiten vom geistigen Formate eines Heinrich Mann stößt, wenn man noch Schriftsteller findet, die den Mut aufbringen, offen zu erklären, daß Geist und Seele die Waffen des Dich­ters seien und es nicht angehe, sich dieser beiden zu ent­äußern um eines geringen materiellen Vorteiles willen.

Man kennt das Schicksal, das Heinrich Mann seit der Re­gierungsübernahme Hitlers erleiden mußte; die beständigen Gehässigkeiten und Drohungen, denen er schon Monate vor­her ausgesetzt war; seinen Bruch mit der Akademie und seine abenteuerliche Flucht nach Paris . Wir wollen heute nicht schon längst Bekanntes wieder holen, aber daß die Machthaber des jeßigen Deutschlands es fertig bringen, Leute wie Ludwig Thoma und Marthe Renate Fischer die schließlich doch nichts weiter als Unter­haltungsschriftsteller waren dichterischen Größen vom Range der beiden Manns nicht allein gleich- sondern sogar überzusetzen, treibt denn doch allen Intellektuellen die Schamröte ins Gesicht.

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Heinrich Mann hat mit Recht seine Streitschrift nicht Be­fenntnis zum Internationalen", sondern zum Ueber nationalen" betitelt. Wir müssen ihm hierfür dankbar sein, dankbar, weil er den großen Strich zog zwischen sich, seinen Anschauungen, seinen Aeußerungen und der großen Zahl jener Auch- Pazifisten, welche Verständigung predigen, so­lange es ungefährlich war, dann aber mit schneidigem Elan auf die andere Seite wechselten, soba.d sie das heraufziehende

Gewitter merkten.

Der Dichter der Armen" aber läßt sich den Mund nicht verbieten; zu groß ist sein Gefühl der Verantwortung, sein Gefühl, Zeugnis ablegen zu müssen vor Deutschland und Europa ; denn ja seit langem ist er nicht mehr der Aesteht, der die Göttinnen" schuf, sondern der politische Schrift­steller, will sagen der Mann, dessen Wort Handlungen und nicht nur Sentiments erzeugt.

So beginnt sein Essai: Racine fühlte, lebte und schrieb in völliger Einigkeit mit dem Reich Ludwigs des Vierzehnten, seinen Handlungen, seinen geistigen Grundlagen. Er hing von der Gunst des Königs ab, aber empfangen wurde sie mit dem besten Gewissen, und erst nachdem sie ihn verlassen hatte, verlor er auch sich selbst. An dieser Zerreißung der inneren Uebereinstimmung, mehr als an enttäuschtem Ehr­geiz, starb er..."

lichkeit und dem Gedanken war immer schwerer zu schließen. Und weiter... Der flassische Frieden zwischen der Wirk­Das Reich jedenfalls, das 1871 anfing, hat ihn nie erlebt, feinen Augenblick, weder als es Kaiserreich noch als es Republik war. Hauptsächlich darum verfiel es auch endlich der Diktatur."

Und dann macht Mann auf eine bewundernswerte Weise den Dichtern und den Politikern um 1900 den Prozeß:

Weil sie alle das Denken verlernt hatten; sie verlegten sich auf das Irrationale. Gefährlich wurde eine Kombination, bestehend aus Aesthetizismus und der Bezweiflung der Ver­nunft." Was daraus erfolgt, war eine Ueberbetonung von Traum, Krieg und Liebe, Dinge, welche später Deutschland zum Verderben gereichen sollten.

Aber auch die Zeit von 1918 an findet im Kapitel Unfall einer Republik" einen heftigen Kritiker an ihm: Weil der nationalistische Auftrieb nicht gegen die Republik , sondern mit ihr geschah.

Ereignisse und Geschichten

Deutsche Apotheke

Die Juden find Eins zu Hundert, und dies eine Prozent ist so still Kein Wunder, daß man fich wundert über das deutsche Gebrüll.

Die fragen nicht; wer? und fragen nicht: wem? Die machen fiche verdammt bequem: Immer feste auf die Juden! Immer feste auf die Juden! Immer feste!

Und kann der Herr Kanzler nicht hinten noch vorn, und die Arbeitslosen steigen

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Dann wirft er- Siegheil!- seiner Spießbürger Zorn auf die Juden. Denn die müssen schweigen.

Und wenn in Deutschland der Knüppel regiert und Morphinisten und Luden,

und wenn man die Morde registriert: Schuld find die Juden!

Denn der Jud ist die große Patentmedizin, die sie statt Brot verschreiben. Und bis zum Herbst die Aftern blühn, wird kaum einer übrig bleiben.

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Aber dann, meine Herrn? Aber dann kommt der Kern! Dann bitte die Arbeit! Dann bitte das Brot! Dann Kohlen und Kleidung gegen die Not!

Dann fragt Ihr: wie? Dann fragt: von wem? Dann ist die Sache nicht mehr so bequem Immer feste auf die Juden! Immer fefte auf die Juden! Weils die nicht mehr gibt...

Elias Rem p.

Bei Lektüre dieser Seiten fühlt man: Hier spricht einer, dem das Herz blutet, wenn er diese noch so nahen Ereignisse erwähnt. Und, verschweigen wir es uns nicht: Heinrich Mann hat mit seinen Vorwürfen, die er gegen die Repu­ blikaner , wir meinen: gegen die Führer der Republik richtet, recht. Was er hier sagt, haben wir ja alle schon gedacht, aber diesem ward es gegeben, das Erlebte auf Formeln von einer Geschliffenheit und Härte zu bringen, wie nur er fie finden

dem das Herz blutet, wenn er diese noch so naben Ereignisse Kulturarbeit ohne gleichen

fonnte.

Kleine Geschichten

Wie man in Hitlerdeutschland Christen macht

" Ich rate Ihnen dringend," so sprach nach einer gelun genen Lektion der wohlwollend freundliche nationalsoziali­stische Schulrat zu der ausgezeichneten dissidentischen Lehrerin, evangelisch zu werden, sonst kann ich Sie, so leid es mir tut, nicht halten."" Paris ist eine Messe wert. Meine Lebensarbeit ist schon diese Geste wert," sagt sich die Lehrerin. Sie ist eine fatholische Dissidentin und hat mehr als acht Jahre an einer weltlichen Schule in einer evangelischen Stadt unterrichtet.

Sie geht, also zu dem evangelischen Pfarrer. Er empfängt fie freundlich und ist gern bereit, eine Seele zu retten. Aber die Bestimmungen verlangen sechs Monate unterrichtliche Vorbereitungen, und außerdem gibt es noch eine besondere Schwierigkeit: der Pfarrer geht acht Wochen auf Urlaub. Aber er ist wohlwollend, also wird vereinbart, daß die Lehre­rin gleich diefe Unterredung als den Beginn des Unter­richtes ansieht. So werden zwei Monate gespart.

Inzwischen aber erfährt der eifervolle Superintendent von dem Fall. Er ist frommer Christ, strammer Natio­nalsozialist und ein tüchtiger Vertreter der Religion der Liebe. Er sucht also die Lehrerin auf, und nachdem er sich in einem Gespräch von wenigen Minuten von den ernsten" Absichten der katholischen Dissidentin überzeugt hat, telefoniert er mit seinem nachgeordneten Kollegen und

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Stolz weht die Flagge...

Der Dichter ein Jude

stellt der Lehrerin im Einvernehmen mit dem zuständigen Pfarrer die Bescheinigung aus.

Jetzt ist sie eine treudeutsche, evangelische Christin". Dem Lehrer X. erging es etwas weniger gut. Er ist seit fünf Jahren Diffident. Der Pfarrer ist ein geschäfts­tüchtiger Mann, er verlangt, daß die Kirchensteuer für fünf Jahre nachgezahlt wird. Doch dazu ist Herr X. nicht in der Lage. Man handelt. 20 Rm. Kirchensteuer." " Zu viel, das verträgt mein gekürztes Gehalt nicht."" Behn Reichsmart."" Noch zu viel." Schließlich bleibt es bei fünf Mark mit dem Versprechen, daß der Lehrer X . bei der fom­menden Volkszählung sich schon als evangelisch" einträgt. Herr X. wird das tun, denn Geschäfte soll man auf Tren

und Glauben abschließen.

Und wenn das Geld im Kasten klingt,

die Seele vom Marxismus " in den wahren Glauben springt.

Tezel war ein Waisenknabe gegen die neudeutschen evan­gelischen Apostel des Dritten Reiches . Wir aber sagen mit Hoffmann von Fallersleben :

O, Knüppel aus dem Sack!

Aufs Hundepad, aufs Lumpenpad!

" Beaune Armee- natürliche Auslese

Die Vosfische Zeitung" schreibt: Was uns an dem Flaggen­lied jetzt besonders interessiert, ist, daß es vor gerade fünfzig Jahren entstand. Sein Verfasser ist Robert Linderer , der als Zweiundsechzigjähriger in Berlin starb. Er hat das Lied als Einlage für das von ihm verfaßte Singspiel: " Unsere Marine" die Musik schrieb sein Freund, der Or­ganist an der Berliner Parochialkirche, Richard Thiele ge= dichtet. Das Singspiel hatte großen Erfolg, und es ist in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts über viele deutsche Bühnen gegangen. Die Melodie des Flaggenliedes erwies sich als ein Treffer ersten Ranges, der sich die Herzen unserer Seeleute wie aller nationalen Deutschen rasch er­oberte.

Seine Ruhestätte fand der Dichter des Liedes auf dem Friedhofe zu Weißensee . Neben ihm ruht seine nach ihm entschlafene Lebensgefährtin. Zu Häupten der zwei Grab­

Der preußische Kultusminister Rust hielt in Lauenburg in Pommern eine Programmrede über die künftige Lehrer­bildung, wobei er unter anderem nach den offiziellen Be­richten sagte: Auf dem Gebiet weltanschauliche Erziehung fann der Staat Ausnahmen nicht gestatten. Die Stunden sind nicht mehr fern, wo das Reich uns ein neues Gesetz geben wird, das eine neue Scheidung in Deutschland voll­zieht, nicht in Reich und Arm oder in Intellektuelle und Handarbeiter, sondern eine Scheidung, die heute in der Reihe der Kampfjahre sich bereits vollzogen hat. Die braune Armee ist bereits iene natürliche Auslese, die den Beweis erbracht hat, daß sie berechtigt ist, sich als Träger des neuen Staates zu fühlen."

hügel erhebt sich ein Gedenkstein in weißem Marmor, der Strebsame werden gesucht

folgende Inschrift trägt:

Robert Linderer ,

geb. 25, November 1824

geft. 16. Dezember 1886

Dier ruht der Dichter des Flaggenliedes, mit dem die deutschen Matrosen für den Sieg und Ruhm des Vater­landes kämpfen und sterben.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin . Sieran schließt sich die der Gattin des Dichters gewidmete Inschrift.

Der Völkische Beobachter" veröffentlicht nachstehende An­zeige:

NSDAP . Wer ist führendes Mitglied und hat aus­gedehnte Beziehungen? Angesehene Firma sucht streb same Herren usw. Angebote an..."

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Wien - Hauptstadt der Arbeiterbildung. Eben erscheint der 120 Seiten umfassende Bericht der Wie­ ner sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er enthält auch eine Uebersicht über das Wiener Arbeiter= Die Wiener Arbeiterbil bildungswesen dungszentrale ist derzeit das größte Bildungs­institut der europäischen Arbeiterbewegung. Von dieser Stelle aus wurden für Wien allein im Jahre 1932 zehntau= send Vorträge vermittelt, awei Drittel davon Einzelvorträge, ein Drittel in Form politischer und gewerkschaftlicher Schulen. An der Spizze dieser Tätigkeit die Wiener Par­teischule und die Wiener Gewerkschaftsschule. Die Zahl der Lichtbild-, Film- und Schmalfilmentlehnungen steht vor dem fünften Tausend. Mehr als dreitausend Schmalfilm­entlehnungen erweisen die Bedeutung dieses neuen Arbeiter­bildungsbehelfes. Außerordentlichen Aufschwung nimmt das Wiener Arbetterbüchereiwesen. Es steht an der Spitze des öffentlichen Büchereiwesens Wiens, vielleicht der ganzen Erde. Die Zahl der Entlehnungen betrug in den 68 Ausgabestellen 2.800 000 Bände, um 300 000 Bände mehr als im Vorjahre. Es lesen 52 000 Arbeiterfamilien. Auf je 100 Parteimitglieder entfallen zwölf Leser. Eigenartig ist die Verbindung von Lehrwanderungen und Betriebsbesichti­gungen mit der übrigen Arbeiterbildung in Wien . Mehr als 2000 Exkursionen zählt der Bericht auf, darunter besonders Besichtigungen der Gemeindeeinrichtungen, der Wohnhäuser, edr städtischen Wohlfahrtseinrichtungen. Die Bildungszen trale der Wiener Arbeiterschaft hat im Jahre 1932 an jedem Tag 3 Lichtbildserien, 6 Führungen, 16 Filme, 27 Vorträge vermittelt. Mehr als 7000 Bände werden täglich von der Wiener Arbeiterschaft gelesen.

Was man sich zuflüstert

Ein Fremder geht mit einem Berliner über den Kur­ fürstendamm spazieren. Eine Frage brennt ihm die ganze

Beit auf den Lippen und plößlich plast er damit heraus: begnet, die Zahl 2 im Knopfloch tragen?" " Nun sagen Sie mir doch, warum alle Juden, denen man

,, Hitler hat erklärt, daß auf jeden zweiten Juden einer ausgerottet werden soll und sieht sich natürlich jeder vor..."

Derselbe Ausländer kommt dann an einem Gymnasium vorbei. Kinder gehen gerade in die Schule hinein. Unter ihnen ein kleiner jüdischer Junge, den sein Vater an der Hand führt. Nachdem die Kinder im Schulhaus sind, geht der Ausländer zu dem jüdischen Vater hin und fragt ihn: Berzeihung, mein Herr, gestatten Sie mir eine Frage: Können denn jüdische Kinder noch aufs Gymnasium gehen?" " O, ja, mein Herr", flüstert ängstlich der arme Mann. ,, Aber wieso denn? Es sind doch, weiß Gott , alle Berufe für Juden verboten. Was soll er denn werden?" " Rabbiner".

Wie-? Ja, dürfen denn in Deutschland die Rab­biner noch Juden sein....?"

Ein Landbürgermeister telegraphiert an die Reichs­regierung:

" Erbitte umgehend Zusendung iüdischen Raufmannes. Da hier keiner vorhanden, Boykott sonst leider unmöglich..." Die Krenzzeitung" berichtet, daß das Amtsgericht Karls= ruhe einen Bahnangestellten, der bei der Absingung des Horft- Wessel- Liedes fich weigerte, den Arm zu ers heben, wegen groben Unfugs verurteilt hat, mit der Ein Mann, der den mythischen Sinn des neuen Regimes Begründung, daß der Sitler- Gruß zu einem Symbol des gut verstanden hat ganzen deutschen Boltes geworden ist