Filmbilder aus dem Reich

Was man sieht und was man nicht sieht

Die Berliner Schutzpolizei hat sich einen neuen Spiel­mannszug zugelegt. Er besteht aus zwölf Trommlern und zwölf Pfeifern und dem neuen Schellenbaum. Dieser Schellen­baum hat Roßschweifen, die in den preußischen Farben, schwarz- weiß, gehalten sind. Er trägt eine Standarde, deren Vorderseite den Polizeistern, dessen das Hakenkreuz und dessen weiße Rückseite den Preußenadler zeigt.

So meldet das Berliner Tageblatt" am 15. Juni und fügt hinzu, daß am Tage vor Fronleichnam Tausende von Schaulustigen diesen neuen Spielmannszug bewunderten. Sehen die Berliner Schaulustigen" noch etwas anderes als neue Schellenbäume? Hören sie noch etwas anderes als das Klingklang der Brandenburger Torwache? Hören sie die Schreie der Gemarterten in den Gefängnissen, den Kasernen? Sehen sie die Wunden der Geschlagenen?

Ein Berliner Arzt stellt fest:

In letzter Zeit nimmt die Zahl der Patienten, die wegen schwerer Nervenstörungen und Nervenzusammenbrüche meine Ordination aufsuchen, furchtbar zu. Meist sind es Menschen, die einige Zeit in" Schuzhaft" waren. Ein paar Tage oder auch nur ein paar Stunden in einer SA.- Kaserne haben starke, gesunde Menschen oft für ihr ganzes Leben er= ledigt.

Was der Patient dem Arzt unter vier Augen im Ordina­tionszimmer verrät, erzählt er nicht auf der Straße. Furcht vor weiteren Mißhandlungen, Furcht für die Angehörigen hält die meisten davor zurück, über das, was ihnen in der Schußhaft" widerfuhr, zu sprechen. Und Berlin ist eine Millionenstadt. Da weiß einer vom anderen nichts. Da ist es leichter, die Greuel geheimzuhalten als anderswo. Das Begräbnis

In den kleinen Städten, in denen die Leute einander kennen, in denen sich rasch etwas herumspricht, in denen sich auch mehr persönlicher Groll zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien angesammelt hat, hebt der Terror nicht nur vielfach hemmungsloser sein Haupt, sondern man kann ihn hier auch weniger verhüllen.

Völlig nackt, gefährlich unverhüllt, zeigt der Greuel sein scheußliches Gesicht auf dem Land, in den kleinen Nestern, wo längst der Arbeiter, der eine kommunistische Zeitung las, wie ein roter Hund bekannt war, wo jedes Kind weiß,

daß der X. ein Sozi" war, wo es ebensowenig ein Ver­fommnissen. Hier wird alles offenbar. Hier reden die Toten. bergen der eigenen Person gibt wie ein Verbergen von Vor­Die folgende Schilderung stammt aus einem solchen Ort: Der Arbeiter L., Vater von vier kleinen Kindern, als Kommunist und Führer der Antifa im Ort bekannt, wird verhaftet und in das Arbeitslager transportiert. Etwa acht Tage danach erhält Fran L. die Nachricht, daß ihr Mann gestorben ist. Als Todesursache wird Herzschlag infolge Magen- und Darmblutung angegeben. L. hat Zeit seines Lebens nie an derartigen Beschwerden gelitten. Die Frau fährt sofort ins Lager. Die Leiche ist bis zum Kinn mit einem Tuch bedeckt. Sie hebt die Decke und sicht: der Tote ist auf der linken Hälfte des Körpers ganz blauunterlaufen. Der überwachende SA.- Mann erklärt, das komme vom Herz­schlag. Es gelingt der Frau, die Ueberführung ihres Mannes in ihren Wohnort durchzusehen. Dort wird der Tote in der Leichenhalle des Friedhofes aufgebahrt.

Die Kunde davon verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Ort. Es segt eine wahre Völkerwanderung nach dem Friedhof ein. Und mit Grauen stellt jeder einzelne feft:

Dem Toten fehlt das halbe Gesäß. An seiner Stelle find alte Lappen in das Fleisch gepreßt. Der Rücken ist blut= unterlaufen. Der Leib weist Spuren von Stiefelabfäßen auf. Einige Rippen sind eingeschlagen. Die Handgelenke zeigen Abdrücke von Fesseln.

Die Frau erhebt die Anklage auf Mord. Die Stimmung am Ort ist für sie. Man ist gezwungen, dieser Stimmung Rechnung zu tragen. Wenigstens zum Schein.

Man entsendet eine Mordkommission: zur Untersuchung". Die Leiche wird seziert. Man findet nichts Verdächtiges.

Die Beteiligung am Begräbnis ist unerwartet groß. Fast der halbe Ort folgt dem Sarg. Hundert SA., mit Karabi­der halbe Ort folgt dem Sarg. Hundert SA., mit Karabi nern und Pistolen bewaffnet, halten die Ordnung" aufrecht. Als der Zug zum Friedhofstor kommt, wird abgesperrt. Nur die allernächsten Angehörigen dürfen zum Grab. Ein Chor, der sich zum Singen gestellt hat, wird abgewiesen. Als einer der Sänger darüber eine abfällige Bemerkung macht, wird er gepackt, in eir Rokal geschleppt, über ine Bank gelegt und verprügelt. Totenblaß wankt er hinaus.

Gericht unter Terror

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Wir fühlen uns nicht mehr frei in unseren Entschlüssen Courage hat

Vor dem zur Zeit tagenden Schwurgericht in Bonn spielte fich eine Szene ab, die schlagartig die Situation in Deutsch land beleuchtet. Angeklagt waren 16 Sozialdemokraten, denen vorgeworfen wird, in Siegburg einen Fenerüberfall" auf Razis unternommen zu haben, bei dem ein SS.- Mann ge: tötet wurde. Jedes Kind in der Bonn - Siegburger Gegend weiß, daß es sich in der Tat um einen organisierten Angriff der SA. und SS. auf das Gewerkschaftshaus handelte, gegen den dessen Gäste sich zur Wehr setzten.

In der jezigen Verhandlung erklärte der Vorsitzende am vierten Verhandlungstage, nachdem sehr viel Material gegen die SA.- und SS.-, Zeugen" zum Vorschein gekommen war, daß die den Gerichtskorridor beherrschenden Hitlertruppen Zuhörer am Betreten des Gerichtssaales behindert hätten, wodurch die gesetzlich vorgeschriebene Oeffentlichkeit der Ver= handlung nicht gewahrt sei. Obwohl der vor die Gerichts= schranke gerufene SS. - Führer das verneinte, trat das Ge= richt zur Beratung ab und verkündete dann den Beschluß,

Bauknecht und Zörglebel

Köln, 30. Juni. ( Eig. Ber.) Der frühere sozialdemokratische Kölner Polizeipräsident Otto Bauknecht, der nach seiner Ausweisung aus Köln sich in Stuttgart aufhielt, wurde von dort im Zusammenhang mit der faschistischen Aktion gegen die SPD. durch drei Kriminal­beamte nach Köln zurückgeholt und in das Gefängnis Klin­gelpüß eingeliefert. In demselben Gefängnis befindet sich auch der ehemalige Polizeipräsident von Berlin und Dort­ mund 3örgiebel, der schon vor längerer Zeit auf der Straße verhaftet wurde, mit der Begründung daß seine An­wesenheit auf der Straße aufreizend wirke." Zörgiebel sah fich nämlich die Auslagen des Kaufhauses Tieß auf der Höhe­straße an, während seine Frau drinnen einen Einkauf be­sorgte.

Räuberbanden

Ein Gerichtshof, der noch

daß ein Teil der Gerichtsmitglieder sich infolge der Lage im Gerichtssaal nicht frei in seinen Entschlüssen glaube und daß das Gericht sich infolgedessen als tatsächlich in der Recht sprechung behindert ansehe. Außerdem sei die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet.

Vor der Verkündung dieses Beschlusses hatte das Gericht zur eigenen Sicherung zwischen dem von der SA. beherrschten Zuhörerraum und dem Gerichtstisch eine Kette von eiligst hinzugerufenen Polizeibeamten bilden lassen. Die Berhand: lung wurde unter lantem Wiurren der SA. auf unbestimmte Zeit vertagt.

Deutlicher kann der Hitlerterror in Deutschland wahrhaftig der Welt nicht demonstriert werden, als daß ein deutsches Ge= richt zum Schutz vor SA.- Leute, die eigentlich selbst auf die Anklagebank gehörten, die Polizei rufen lassen mußte und dann erklärt, in seiner Sicherheit bei objektiver Erforschung der Wahrheit gehindert zu sein.

Wohlfahrtsunterstüßung bezieht. Es sind alte Leute über 70 Jahre. Schon einmal war in der Nacht eine Horte Nazis in deren Wohnung eingedrungen. Auch diesmal besuchte man die Alten. Dabei haben die SA.- Banden alles demoliert. Selbst vor Beschimpfungen und Drohungen schreckte man nicht zurück. Das Gemeinste aber: Man zerschlug den Leu­ten die Fenster, warf alles durcheinander und entwendete den Rest der Wohlfahrtsunterstüßung. Das Wohlfahrtsamt mußte die Rückerstattung des Geldes, wie auch die Repara­tur in der Wohnung übernehmen. Der Anführer dieser Räu­berbande war von den Nazis als ehrenamtlicher Pfleger an­gestellt gewesen und mußte wegen ähnlicher Heldentaten" aus diesem Amt wieder entfernt werden. Neue deutsche Moral!

Rebellion im Arbeitsdienstlager

Auch 70jährige Wohlfahrtsempfänger werden Die anderen Arbeitsdienstler solidarisierten sich aber mit den nicht geschont

Im Zusammenhang mit der Aktion gegen den Kampfring wurden auch Haussuchungen bei politisch Verdächtigen" ge­macht. In Berlin wurde dabei ein Ehepaar heimgesucht, das

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In Wickstadt bei Friedberg sollten in dem Arbeitsdienst lager, das unter der Leitung des Stahlhelms steht, zwei Mann wegen kommunistischer Umtriebe" entlassen werden. zweien, marschierten geschlossen zu den Vorgesetzten, ent sandten eine gewählte Delegation, die unter Androhung des Streifs die Forderung auf sofortige Rückgängigmachung der Entlassenen vorbrachte. Unter dem Druck des geschlossenen Aufmarsches mußten die Entlassenen zurückgenommen werden.

Am Tage des Begräbnisses erscheint im Lokalblatt der nächsten Stadt eine Notiz: Wer das unwahre Gerücht ver­breitet, daß der Arbeiter L. ermordet wurde, setzt sich schwerer Strafe aus...."

Als das Gerücht aufkommt, daß die Leiche photographiert wurde, werden bei Arbeiterphotographen Hausdurch suchungen gemacht, photographische Apparate und Platten beschlagnahmt.

Der Herr Graf hat persönliche Beziehungen.

Ueber die Hintergründe der guten Beziehungen zwischen Nazibonzen und Großkapital aber gibt folgende Begebenheit Aufschluß:

Zu den Spizzen der SA., zur besten nationalsozialistischen Gesellschaft, gehört der Graf Helldorf . Er war bis un­mittelbar nach der Reichstagswahl der oberste Führer der Berliner SA. Wider Erwachen aber wurde er beim großen Bonzenschub nicht Polizeipräsident von Berlin , sondern nur von Charlottenburg . Was war die Ursache?

Durch Gleichschaltungsmaßnahmen" war herausgekom­men, daß der Herr Graf von dem damals noch völlig jüdi­schen Verband der Waren- und Kaufhäuser" für seine per­sönlichen Zwecke ein Darlehen" von einigen tausend Mart erhalten hatte.

Es gibt noch viele solcher Geheimnisse. Sie töten den Geist nicht!

Ein Augenzeuge berichtet aus Magdeburg :

Gestern find 900 Wohlfahrtserwerbslose vom Arbeitsdienst nach Pommern geschickt worden. Es waren alles junge Leute zwischen achtzehn bis vierundzwanzig Jahren. Hätten sie sich geweigert, so hätte man ihnen die Unterstüßung entzogen. Sie marschierten aus den Vororten geschlossen zum Bahnhof und erregten großes Aufsehen. Mit Rot- Fronts und Freiheitrufen und unter dem Gesang der Internationale" und Brüder, zur Sonne, zur Freiheit", zogen sie durch die Straßen. Als sie vor das Nazigebäude tamen, riefen fie: Nieder mit dem Faschismus!" Die ganze Stadt war in heller Aufregung. Die SA. versuchte einigemal einzugreifen, aber ohne Erfolg. Unterwegs wurde der Eisenbahnzug von in angehalten und die Notbremse gezogen.

Sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!

London

Kommt es zur Vertagung?

Die Londoner Weltwirtschaftskonferenz befindet sich in sehr kritischer Lage. Roosevelt hat seine Unterschrift unter der gemeinsamen Erklärung der Goldländer und Englands, welche nur den Willen zur prinzipiellen Rück­fehr zum Goldstandard, die Abwehr der Devisenspekulation und die Notwendigkeit der Verteidigung der Goldwährungen enthielt, verweigert. Die amerikanische Dele gation teilte der Leitung der Weltwirtschaftskonferenz die Absage mit: Der Präsident habe die Erklärung in ihrer jetzigen Form zurückgewiesen. Damit ist die kritische Situa­tion, in der sich die Konferenz seit Tagen befindet, noch erheblich verschärft worden.

Die Goldstandardländer warten die Rede des Staatssekre tärs ab, ehe sie weitere Entscheidungen treffen. Die Ameri faner suchen die ernsten Befürchtungen zu beschwichtigen. indem sie betonen, daß die Erklärung nur in der jezigen Form abgelehnt wurde.

Welche Bedeutung kann aber eine noch weiter verwässerte Erklärung haben, da ia schon der jetzige Text, der nach langen schwierigen Beratungen und vielen Abstrichen geboren wur­de, höchst vage war! Die letzte Hoffnung der Weltwirtschafts­konferenz bleibt, daß sich hinter der offiziellen Ablehnung vielleicht doch noch der geheime Wille und ein geheimes Versprechen verbirgt, die Entwertung des Dollars nur bis zu einem bestimmten Punkte zu treiben, und dies innerhalb einer gewissen Frist. Andernfalls wäre wohl

eine Vertagung der Weltwirtschaftskonferenz

kaum mehr zu vermeiden. Was England anbetrifft, so hat es durch die Konferenz wenigstens die Beendigung seines Wirt­schaftsfrieges mit Rußland erreicht, worüber sich hier einige Befriedigung zeigt.

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