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Fretheil

Nummer 18-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, den 11. Juli 1933 Chefredakteur: M. Braun

Die Rednergabe ist etwas sehr Gefährliches. Es muß in jedem

Redner, der auf Zuhörer wirken soll, etwas von einem Dichter stecken. Ist aber der Dichter oder Improvisator gerade derjenige, dem das Steuerruder des Staates, welches volle kühle Ueberlegung erfordert, anzuvertrauen wäre?

Bismarck  

Frauen und Kinder als Geiseln

Wir rufen die Kulturwelt zum Protest auf

Die Nationalsozialisten haben schon seit Monaten in Einzelfällen sich bemüht, durch das Festhalten von Frauen und Kindern flüchtige Sozialdemokraten zu zwingen, zurüd­zukehren. Manchmal hat man versucht, durch Bedrohen der Frauen von diesen den Aufenthaltsort der Männer zu erfahren.

Die Frau und das Kind des Reichsbannerführers Söltermann wurden wochenlang gehindert, die Wohnung zu verlassen, bis es ihnen gelang, dennoch abzureisen.

Die Frau und die beiden Kinder eines sächsischen sozials bemokratischen Abgeordneten wurden verhaftet. Man erklärte, fie würden sofort freigelassen, wenn der Abgeordnete zurüc fehren werde. Er hat das flugerweise nicht getan, sondern hat damit gedroht, die Weltöffentlichkeit zu alarmieren, wenn seine Frau und seine Kinder nicht freigegeben würden. Es wurden dann die Frau und ihre Tochter aus der Haft ent laffen, der Junge aber wurde weiter festgehalten. Nun schrieb der sozialdemokratische Abgeordnete an führende National­fozialisten, daß er sich an den Völkerbund wenden werde. Erst dann wurde nun auch der Junge entlassen.

Es ist gefährlich, solche Fälle sofort und unter Namens­nennung zu veröffentlichen, da die Nationalsozialisten dann Rache an den in Deutschland   befindlichen Verwandten und Freunden der Betroffenen nehmen.

einmal

Der von uns schon kurz erwähnte neue Fall der Verhaftung einer Frau als Geisel in Pirmasens   ist aber derartig, daß er unter genauen Angaben, die jede Nachprüfung ers möglichen, der Oeffentlichkeit übergeben werden kann. Der bayerische   Landtagsabgeordnete Ludwig, der seit Wochen von der SA.   mit Mordabsichten verfolgt wird und der schon ist, die nachts sein Haus umstellt hatten, hat sich im Saar­gebiet in Sicherheit gebracht. Darauf wurde seiner Frau angedroht, sie werde verhaftet, wenn sie nicht ihren Mann zur Rückkehr veranlasse. Mit Rücksicht darauf, daß die Frau ihr sechsjähriges Söhnchen und den 68jährigen Bater zu betreuen hat, ist die Verhaftung aber unterblieben. Da man befürchtete, sie werde mit ihrem Kind zu ihrem Manne reifen, mußte sie sich täglich bei der Kriminalpolizei melden; fie durfte das Stadtgebiet nicht verlassen und von 9 Uhr abends bis früh 6 Uhr nicht aus ihrem Hause gehen. Das genügte der A. noch nicht. Sie segte durch, daß die Fran, die übrigens an einer schweren rheumatischen Krankheit leidet, in sogenannte Schußhaft" genommen wurde. Zwischen einem gelben SA.- Mann und einem blauen Schußmann wurde die Frau auf dem größtmöglichen Umweg durch die ganze Stadt ins Gefängnis geführt. Der sechsjährige Junge, ber feiner Mutter weinend nachlief, wurde davongejagt und von Verwandten aufgenommen.

nur mit knapper Not den braunen Banden entronnen

Die Nationalsozialisten rühmen sich dieses Vorfalls in der Presse. Es wird wenige Länder geben, in denen solche Schandtaten möglich find. Nach Deutschland   um die Befreiung der Frau zu rufen, ist zwecklos. In Deutschland   werden folche Barbareien selbst von den Kirchen beider Konfeffionen gedeckt, deren Diener in elender Menschenfurcht das Wort vergessen haben, daß man Gott mehr gehorchen muß als den

Menschen.

Wir richten unseren Ruf an die Kulturwelt. Wir ersuchen

alle, die in zivilisierten Ländern Einfluß auf die öffentliche Meinung haben, weithin bekannt zu machen, daß in Deutsch­ land   Frauen und Kinder als Geiseln festgelegt werden. Wir erwarten, daß sich moralische und politische Kräfte in der Stulturwelt regen, die fich gegen solche schändlichen Methoden in Deutschland   auflehnen.

Es wäre möglich, daß gute Lente unsere vorstehenden Mitteilungen bezweifeln. Darum fügen wir noch hinzu. Vor

uns liegt die Nr. 183 der Pfälzischen Rundschau" vom 8. Juli, die mit zynischer Frechheit mitteilt, daß man die Fran Ludwig in Schughaft genommen hat, um auf diese Weise indirekt einen Drud auf Ludwig auszuüben", damit er schleunigst nach Pirmasens  zurückkehrt.

Der totale Bonzenstaat

Alle Volksrechte sind abgeschafft Nur noch nationalsozialistische Parteibonzen haben zu regieren Außerdem Vertrauensleute der Schwer industrie und des Großgrundbesitzes

Reichskanzler Hitler   hat vor den Reichsstatthaltern ver­kündet, daß die Revolution zu Ende ist. Abgestimmt und gewählt werde in Zukunft nicht mehr. ER allein habe zu bestimmen, und feine Unterführer hätten ihn zu beraten. Auf denselben Ton ist man die neueste Kundgebung des preußischen Ministerpräsidenten Göring   abgestellt. Er setzt einen neuen preußischen Staatsrat ein, der jedoch nur be ratende Stimme haben soll. Göring   fragt, wer in diesen Staatsrat zu berufen set, und antwortet: zuerst und zumeist die Gauleiter der NSDAP.  , also ausgesprochene Partei­bonzen, um die frühere Sprache der Nationalsozialisten an­

zuwenden. Dementsprechend besteht denn der neue Staatsrat

ganz überwiegend aus den Gauleitern der National­sozialisten, die zu ihren sonstigen hochbezahlten Präsidenten­posten und Abgeordnetenmandaten mit hohen Diäten nun auch noch durch preußische Staatsratsehren mit entsprechen­ben Bezügen gesegnet werden.

Die folgende Liste zeigt, wie schamlos das ganze preußische Volk unter die Vormundschaft der nationalsozialistischen Gauleiter gestellt wird. Allerdings find noch einige andere Beute hinzugezogen, so der Schwerindustrielle Frit Thyssen, der für seine langjährige Finanzierung der Nationalsozialisten nun durch einen Staatsratsposten abge­funden, und außerdem sind noch einige Vertrauensleute der ostelbischen Junker zugelassen.

Für diejenigen Gauleiter der NSDAP.   in Preußen, die gleichzeitig Statthalter eines anderen Gebietes sind, allp den Gauleiter Roeper, der Statthalter von Anhalt und Braunschweig   ist, den Gauleiter Meyer  , der Statthalter von Waldeck- Lippe ist, ben Gauleiter Saudek, der Statt halter von Thüringen   ist und den Gauleiter Sprenger, der Statthalter von Hessen   ist, werden die Stellvertre tenden Gauleiter in den Staatsrat berufen.

Ferner sind folgende Obergruppenführer der SA.   berufen worden: Polizeipräsident Heines- Breslau, Lizmann- Königs­berg, v. Jagow- Kassel  , Luyken- Niederrhein   und Oberpräsi dent Luze- Hannover, ferner die SS.  - Gruppenführer Mini­sterialdirektor Daluege- Berlin, v. Woyrsch   und Polizei­präsident Weißel- Düsseldorf  .

Als Vertreter der Wirtschaft ist der Industrielle Thyssen, als Vertreter des Stahlhelm Rittmeister a. D. Morozowicz, ferner als Vertreter der Personen, die besondere Verdienste um den Staat haben, der frühere Oberpräsident von Ost­preußen Kutscher und der bisherige Oberpräsident von Pommern v. Halfern in den Staatsrat berufen.

Der neue preußische Staatsrat wird außerordentlich feier­lich mit einem großen Staatsakt veröffentlicht werden und in einem Saale des Berliner   Schlosses tagen.

Der neue Breußische Staatsrat sieht also so aus: Ministers Einige Paragraphen präsident Göring   hat als Führer des neuen Staatsrats in

den Staatsrat berufen: Alle preußischen Minister, die Staatssekretäre Graunert vom Innenministerium und Koerner vom Staatsministerium, den Stabschef der SA. Hauptmann a. D. Röhm, den Reichsführer der SS. Himmler  , den Stabschef der politischen Organisation der NSDAP  . und Führer der Deutschen   Arbeitsfront Dr. Ley, den Oberpräsidenten und Gauleiter Koch, Königsberg  , den Gauleiter Karpenstein, Stettin  , den Oberpräsidenten und Gauleiter von Brandenburg  - Grenzmark Kube, den Oberpräsidenten von Nieder- und Oberschlesien   und Gau­Leiter Brüdner, den Gauleiter von Hallet Merseburg Jordan, den Stellvertretenden Gauleiter Görlizer, Berlin  , ferner die Gauleiter Wagner- Bochum, Terboven­Essen, Florian- Düsseldorf, Simon- Koblenz, Grohe- Köln, Weinrich- Kassel, Telschow- Hannover  - Oft, Oberpräsident und Gauleiter Wohse- Kiel.

Sozialismus siegt in Finnland  

Dieses Wahlergebnis bestätigt, daß die Vormachtstellung der Sozialdemokratie in den skandinavischen Staaten( im weiteren Sinne) sich dauernd verstärkt. Dänemark   wird seit Jahren von der Sozialdemokratie regiert, dito Schweden   und Finnland   wird wohl nach diesem außerordentlichen Wahl­fieg der Sozialdemokratie ebenfalls eine sozialistische Regie­

Der Faschismus in Finnland  , repräsentiert durch die nenen Reichstages ist folgende: Sozialdemokraten 88 Lappo- Bewegung, hat ausgespielt. Das finnische Bolt hatte Size( bisher 66), Faschisten 82 Size( bisher 42), Konservative die Möglichkeit, hinreichend den Gegenſaz, zwischen Ver: Agrarpartei 54( bisher 59), Schweden   21( bisher 21). Fort­sprechen und Halten zu erkennen und hat jekt den Lappo schrittler 11( bisher 11), Kleinbauern 3( bisher 3), Neue Leuten eine Niederlage bereitet, von der sie sich nicht mehr Kleinbauern 1( bisher 0) Sige. erholen werden. Gleichzeitig erfocht die Sozialdemo tratie bei den gestrigen Wahlen einen ge= 66 Sigen 22 neue und nimmt nunmehr mit 88 Sigen 42 Pro sent aller Sige des finnischen   Reichstags ein. Der Faichis: nis mit Lappo" rund 25 Prozent seiner Mandate und mins büßte als nationale Sammlungspartei   im Wahlbünd­Stimmen ein. Auch verlor die Konservative Agrarpartei faft 10 Prozent ihrer Stimmen und Mandate, während die Fort: schrittler unverändert blieben und außer den Sozialisten nur noch gebnis ist ein tataſtrophaler zusamemnbruch der Faschisten und übrigen Rechten. Die Berteilung der 210 Mandate des

rung erhalten.

Begleitet ist dieser Vormarsch des Sozialismus zugleich von einem starken Absturz und einer immer weiteren Zurück drängung der nordischen Spielarten des Faschismus, der in Dänemark   und Schweden   zur absoluten Bedeutungslosigkeit auch zahlenmäßig verurteilt ist, und der nunmehr auch in Finnland  , wo er zeitweise das ganze Staatsgefüge bedrohte,

Aus dem Staatsratsgesetz

Die Sizungen des Staatsrats sind nicht öffentlich. Der Reichsfangler fann jederzeit die Einberufung des Staatsrats verlangen; er fann im Staatsrat jederzeit erscheinen und das Wort nehmen.

Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staats, der preußis schen Gemeinden und Gemeindeverbände und der sonstigen preußischen Körperschaften des öffentlichen Rechts bedürfen zur Ausübung des Amtes als Staatsräte feines Urlaubs; Gehälter und Löhne sind weiterzuzahlen.

Das Amt der Staatsräte ist ein Ehrenamt. Die Staats­räte erhalten freie Eisenbahnfahrt und Auf­wandsentschädigung nach Maßgabe von Vorschriften, die das Staatsministerium erläßt. Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist nicht statthaft,

ben entscheidenden Schlag aufs Haupt erhalten hat. Beer ausgegangen sind auch die Kommunisten, deren Werbekraft anscheinend erst mit der Entfernung von Sowjetrußland zu nimmt und die daher in der allernächsten Nachbarschaft wie in Finnland   nichts ernten können.

Demnach muß man annehmen, daß da, wo der wahre nordische Geist" zu Hause ist, der Marxismus   in seiner so­

zialistischen Ausprägung seine besten Triumphe feiert. Das ist gewiß ein großer Schmerz für jenen pseudo- nordischen Geist, auf den sich der undeutsche Nationalsozialismus, der gar nicht nordisch, sondern eine sflavische Kopie Mussolini­Italiens ist, weshalb man die Nazis mit Recht die Affen Mussolinis nennt, so viel zugute tut, daß jetzt die bisherige Zeitung des Jungdeutschen Ordens" in Berehrung vor dem nordischen Geist als Nordische Zeitung" herausgegeben wird.

Nun find die Finnen, abgesehen von den eingewanderten Schweden  , allerdings fein germanisches Bolt, wohl aber mit den Ungarn   des Hitlerfreundes Gömbös   stammverwandt! Das ist nun ein doppelter Schmerz für die deutschen  Hitleriden: Der nordische Geist verrät fie ebenso, wie der der

Stammesverwandten des einzigen ihnen noch verbliebenen Freundes" auf dem europäischen   Kontinent! Unser Beileid

an Adolf!

M. B.