DEUTSCHE   ZUKUNFT

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Sozialismus und Freiheitsidee

Gedanken zur Klärung

Manche denken gering über das Werk der Jdeen in Kriegs­oder Revolutionszeiten. Sie haben die Sprengkraft des Bewußtseins noch immer nicht begriffen, obwohl der Sieg der Fanatiker des falschen Bewußtseins über die Apparate fie hätte belehren können. Gewiß beseelt uns alle das eine antifaschistische Ziel, das Staatszuchthaus der gleichge­schalteten Bestialität zu sprengen. Gewiß verblassen ideo­logische Erörterungen vor dem Ende der Gemordeten, dem Schrei der Gemarterten, dem Sklavendasein der Gefangenen, der Hoffnungslosigkeit der Flüchtlinge. Aber nicht das stete Anstarren eines graufigen Seins, nur seine Umsetzung in ein neues Bewußtsein wird es schließlich verändern und meistern

fönnen.

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Daß der Faschismus ökonomisch gesehen eine der Grund­formen des untergehenden Kapitalismus ist das hat der deutsche Ueberfaschismus jedem Sehenden bestätigt. Es ist hierbei fast gleich, ob er als verschärfte fapitalistische Aus­beutung oder als pseudosozialistisches Experiment in Er­scheinung tritt. Diktatur des Monopolkapitals und Bolsche= wismus" der absinkenden Kleinbürgermassen sind zwei Aus­drucksformen der unheilbar gewordenen Krise, des kapis talistischen Verfalls. Wie aber steht es um das ideologische Prunkgewand des Faschismus, um seinen Antiliberalismus? Durch diesen will er ja eine neue Weltepoche heraufführen. Nun, auch dieser Antiliberalismus ist nur ein elender Fezzen zur Verdeckung der Verfallserscheinungen. Er ist eine Mischung reaktionär- feudalistisch- militaristischer Jdeologie mit der pseudosozialistischen Mystit, die als Symptom der Aleinbürger- Psychose auftritt. Mit dem klassischen, ge­funden Kapitalismus   verfällt auch der bürgerliche Liberalis­mus. Er löst sich in neufeudalistische und pseudosozialistische Saltung auf. Dieselbe Krankheit kann in zwei verschiedenen Symptomen sich äußern: darauf läuft die ganze berühmte Synthese des Nationalismus und des Sozialismus im Faschismus heraus.

Für den Neubau unserer revolutionären Jdeologie aber ergibt sich als Reaktion auf die antiliberalistische Ideologie des Faschismus eine Haltung, die eine gewisse Spannung, eine Art Paradoxie in sich trägt. Gegen den entarteten " Sozialismus" heißt es das Erbe des ehemals bürgerlichen Freiheitsdenkens aufrecht erhalten. Gegenüber der neu­feudalistischen Diftatur aber heißt es die Fahne der sozia­ listischen   Diftatur aufpflanzen. Nur durch diese fann jene überwunden werden. Eine nur noch in revolutionärer Ge­stalt mögliche deutsche Sozialdemokratie wird schärfer libe: ralistisch" und zugleich schärfer antidemokratisch" sein müssen. Es entspricht dies der Situation, in der die Diktatur der Stlavenhalter nur durch die Diktatur der revolutionären Freiheitskämpfer überwunden werden kann.

Die Untrennbarkeit des Sozialismus und der Freiheits­idee ist uns zu neuem tragischen Erlebnis geworden. Nur fehr unvollkommen drückt das abgenützte Wort Liberalis­mus diese Freiheitsidee aus. Aber der Liberalismus der Menschenrechte lebt, wenn der des Manchestertums längst ge­storben ist. Der hysterische Intelligenzler der Nazis Dr. Göbbels   hat die Auslöschung des Jahres 1789 aus der Welt­geschichte als Ziel seiner Revolution verkündet. Wir nehmen diese Formel für einen Glaubenskrieg im Weltmaßstab auf. Der antifreiheitliche, autoritäre, preußische Sozialismus war von jeher die Lieblingserfindung des verlogenen und aivilisationsfeindlichen deutschen   Akademikertums. Er ist Schwindel und hat sich im Nazierperiment endgültig als der ideologische Ueberbau eines Kollektiv- Sadismus entlarvt. Jeder, der Sozialismus und Menschenrechte, Sozialismus und Freiheit des Individuums trennen will, bereitet geistig den Faschismus vor. Es gibt feinen Sozialismus, der die Idee der Wohlfahrt und Würde des einzelnen einem follet­tivistischen Moloch opfern, der seine geistige Selbständigkeit burch einen universalistischen Mythos auslöschen will. Und der marristische Sozialismus wurde geboren, als westeuro­päisches Denten sich mit der deutschen   Philosophie vermählte. Der Sozialismus bleibt nach dem Westen nach dessen Ideen der Freiheit und des Fortschritts hin orientiert und nach dem Busammenbruch der deutschen   Mitte" mehr denn je. Der bürgerliche Liberalismus, der noch in den westlichen Demo­kratien lebt und die Ehre seiner Tradition mehr, als man erwarten konnte, aufrecht erhalten hat, wird seine Ver­bundenheit mit dem Sozialismus auf Gedeih und Verderb erkennen müssen. Der Sozialismus ohne Freiheitsgedanken ist richtungslos, die Freiheitsidee ohne Sozialismus iſt wirkungslos so fönnte man ein befanntes Wort Mar Adlers abwandeln.

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Unterschieden aber, von den unveränderlich zu bewahren­den Zielsetzungen der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ist die Wahl der Mittel, die zur Verwirklichung des Sozialis­mus anzusetzen find. Die deutsche Gegenrevolution von 1988 hat gegen die politische Technit entschieden, die sich dem fozialistischen Teil mit den Mitteln der Demokratie annähern wollte, Gewiß ist das demokratische Prinzip nicht für seine schwächliche Handhabung, für den mangelnden Mut, seine

Von Marius Alter

Regel durch den diktatorischen Ausnahmefall kraftvoll zu seinen Gunsten zu bestätigen, verantwortlich zu machen. Hat aber die Geschichte einmal gegen die Demokratie entschieden, so kann der staatliche Zustand, der die gegenrevolutionäre Diktatur ablöst, natürlich nur mit revolutionären Mitteln geschaffen und mit diktatorischen Mitteln behauptet werden. Klar ist es dabei, daß sich eine sozialistische Dittatur in ganz anderen Diktaturformen abspielen müßte wie der Faschis­mus. Sie ist auch keineswegs an die Formen gebunden, in denen der russische   Kommunismus sich verwirklicht hat. Dieser hat gerade, indem er die Mittel dogmatisch zu Zielen verfestigte, an der Schaffung eines antifreiheitlichen kollek­tivistischen Mythos in der Arbeiterschaft mitgewirkt. Er hat den Boden verlassen, auf dem sozialistische Diktatur und

proletarische Demokratie ihre innere Zusammengehörigkeit entfalten können.

Gerade die scharfe Scheidung zwischen freiheitlicher Ziel setzung und diktatorischen Mitteln kann hier klärend wirken. Denn kein politisches System ist weltgeschichtlich nach den für Sieg und Behauptung angewandten Mitteln allein zu bes urteilen. Auch indem wir augenblicklich unter die Räder der Weltgeschichte gefommen sind, müssen wir diesen Gesichts­punkt dem Hitlerterrorismus gegenüber festhalten. Ziel­sehungen und ihre Verwirklichung entscheiden über den welt­geschichtlichen Wert politischer Systeme. Und da glauben wir, daß allerdings zwischen der totalen Ziellosigkeit des deutschen  Faschismus und der teuflichen Feigheit seiner Folterungs­methoden der engste innere Zusammenhang obwaltet.

Zu neuen Ufern!

Also: ,, Aussprechen, was ist!"

Die Jugend, die durch die Schule der sozialistischen   Ora ganisationen Deutschlands   gegangen ist, ist begreiflicher weise von vielen Fragen um Bergangenes und Künfs tiges bewegt. Eine solche Stimme stellt dieser Aufsatz dar: Er ist voller Anklage und Rebellion, bemüht sich aber um den Blick nach einer neuen Front.

Die Redaktion der Deutschen Zukunft".

Um die Gründe, wieso die Vergewaltigung der deutschen  Arbeiterbewegung möglich war, bis in ihre letzten Wurzeln zu untersuchen, ist jetzt nicht die Zeit. Das mag den Histo­rifern des Sozialismus in politisch ruhigeren Zeiten vor­behalten bleiben. Um die zu einer Neuorientierung der sozialistischen   Front notwendigen Energien auszulösen, ge­nügt die Feststellung der Tatsache.

Aussprechen was tst" oder wie es geworden ist, soweit es zur Gewinnung neuer Erkenntnisse notwendig Insoweit sie antiquierte politische Auffassungen in ihrer Un­ist, gehört aber dazu, wenn man etwas Neues schaffen will. brauchbarkeit für die Zukunft nachweist, wirkt auch Kritik positiv.

Festzustellen haben wir, daß die politische Strategie der Sozialdemokratie von der falschen theoretischen Grundlage des Reformismus ausging. Es soll hier nicht der Versuch gemacht werden, den alten Richtungsstreit in der Arbeiter­bewegung wieder aufzuwärmen; die Epoche der Vor­bereitung revolutionärer Aktionen läßt

wenig Ranm zu theorethischen Diskussionen.

Noch dazu die Geschichte bereits entschieden hat: der Re­formismus hat sich vor dem Urteil der Geschichte nicht be= währt. Eine Feststellung, die unangenehm, aber deshalb nicht überflüssig ist. Um die Jahrhundertwende mochte der Re­formismus einen scheinbar hohen Grad der Wahrscheinlich­feit haben, heute wird sich wohl niemand mehr zu dem Satz des Heidelberger   Parteiprogramms und so werden die Formen des proletarischen Klassenkampfes immer milder" bekennen. Um neue Wege zu finden, werden wir unsere bisherige Theorie des Reformismus einer Revision unter­ziehen müssen.

Das wird eine für die sozialistische Gesamtentwicklung überaus wichtige Aufgabe der aus den innerdeutschen Kämpfen zwangsweise ausgeschalteten Emigration sein. Diese Revision darf nicht nur Schönheitsreparatur, nur Modernisierung sein. Auch in der Politik gilt. daß Laden­hüter, auch renoviert, Ladenhüter bleiben. Reformismus  bleibt auch mit aktivistischem Vorzeichen Reformismus  . Der Erneuerung der theoretischen Grundlage muß eine Erneuerung der Führerschaft parallel laufen. Die These, daß der Führertyp in einem funktionalen 3u­sammenhang zur Theorie steht, darf sicher nicht generalisiert werden. Aber eine Bewegung, von deren theoretischer Warte sich der Weg zum Sozialismus als eine breite Straße an= ficht, auf der es wohl noch Hindernisse zu beseitigen, aber feine Barrikaden mehr zu erstürmen gibt, die ihr Augen­merk vorwiegend auf die Konservierung des Erreichten, zu wenig auf das noch zu Erreichende gerichtet hat, eine der= artige Bewegung wird in ihrem Führerstab eine über­wiegende Anzahl Menschen von der Mentalität bürokra­tischer Verwaltungsbeamter haben, die im Schacher poli­tischer Kompromisse häufig genug große Zielsetzungen aus dem Auge verloren, weniger Politiker, mehr politische Ge­schäftsleute waren. Diese Führerschaft mußte im Augen­blick, in dem das Schwergewicht des Klassenfampfes von dem Parkett des Parlaments auf den Asphalt der Straße ver­lagert wurde, versagen.

Dasselbe gilt auch für die Führergarnitur der KPD.  , deren bürokratische Formelträmer sich damit begnügten, für jedes politische Ereignis die entsprechende" Resolution zu finden, jedes Ereignis in dem Karthotelfasten ihrer auf Vorrat angefertigten Refolutionen zu rubrizieren.

Diese neue Führerschaft wird sich in Deutschland   selbst heranahilden müffen. So wie die Sibirienerfahrung erst den Führertyp der russischen   Oktober- Revolution ent scheidend geformt hat, wird die Konzentrationslager= erfahrung Wesensmerkmal des sozialistischen   Führers der Zukunft sein.

Also Theorie und Führerschaft bedürfen der Erneuerung. Diese Erkenntnis muß zum Allgemeingut der Partei mer­den, vor allem aber muß diese Erkenntnis möglichst schnell in die Tat umgewertet werden. Sicher ist die primäre Frage die Unterminierung des Faschismus. Aber das darf nicht da­zu führen, daß wir uns in der Negation der faschistischen Zustände erschöpfen und die Klärung des Post­tiven, das wir an ihre Stelle feßen wollen, bis auf den Tag der Machtergreifung verschieben. Der Tag der Macht­

übernahme wird Taten, aber feine Diskussionen verlangen. Restlose Klarheit muß vor allem über die

Frage der fünftigen Staatsform herrschen. Demokratie oder proletarische Diftatur? Gang davon abgesehen, daß der Gedanke der Demokratie derart diskreditiert ist, daß selbst im Augenblick der Enttäuschung über den Faschismus die Massen dafür mobilisiert werden können, würde die Demokratie einer proletarischen Staats­macht Hindernis sein. Wenn der Faschismus nach seinem revolutionären Sturz von einem demokratischen Staats­gebilde abgelöst würde, würde damit dem Bürgertum die Möglichkeit gegeben, sich in neuen Parteien zu formieren und damit die Keimzellen einer Gegenrevolution zu schaffen.

" Demokratischen Sozialismus

im Sinne einer autoritären Demokratie in der Frage der Staatsform als Demokratie nur für Demokraten  " ge= wissermaßen als Diftatur der Demokraten zu werten, ist zumindest sehr gefährlich. Wenn man die Zubilligung demo­fratischer Rechte von dem Bekenntnis zur Demokratie ab­hängig macht, werden auch die konterrevolutionären Elemente, wie wir es bereits einmal erlebten, sich vorüber­gehend auf den Boden der Tatsachen" stellen und die De­mofratie zum Schein anerkennen. Bekanntlich proklamierte der Stahlhelm" bei seiner Gründung: politisch steht der Bund auf demokratischer Grundlage", um später seine wahre Zielsetzung zu zeigen: die demokratisch- republikanische Staatsform zu beseitigen und an ihre Stelle die natio= nale Diftatur zu setzen".

Die Zusicherung demokratischer Rechte darf nicht an die politische Gesinnung- eine moralische Kategorie, die un fontrollierbar ist sondern darf nur an die soziale Existenz gebunden sein. Also Dittatur des Proletariats. Damit verleugnen wir nicht unsere endgültige Zielsetung des demokratischen Sozialismus, die aber erst nach Liquis dierung der Klaffengegensätze möglich ist.

Der Gedanke einer antifaschistischen Einheitsfront unter Einbeziehung der liberalen bürgerlichen Sträfte, nach dem Borbild der antifaschistischen Konzentration Italiens   mag in der Agitation gegen den Faschismus zweckmäßig sein, er darf nicht zur politischen Basis des zu gestaltenden sozia­ listischen   Staates werden. Dagegen ist die

Einheit des Proletariats

unbedingte Vorausseßung einer proletarischen Diktatur. Wenn schon eine Diktatur des Proletariats in einem Lande wie Deutschland   auf wesentlich größere Schwierigkeiten stoßen wird wie in Rußland  , so ist sie völlig unmöglich, an­gesichts einer in sich zerrissenen proletarischen Front. Ganz abgesehen von der geringen Neigung der sozialdemokra tischen Parteiführung mußte die Einheitsfront illusorisch bleiben, folange die KPD. ihre Politik aus der Perspektive ruffischer Notwendigkeiten betrieb und durch die schematische Uebertragung sowjetrussischer Parolen der deutschen   Wirf­lichkeit nicht gerecht wurde. Heute hat das Problem der pro­Letarischen Einheit ganz andere Perspektiven als vor dem 5. März. Die historisch gewordenen Gegensäge zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten können nicht verwischt, sondern müssen ausgekämpft werden.

Eine Verschmelzung beider Parteien hätte die Problematik nur in das Innere des neuen Parteigebildes verlagert. Von einer der beiden Parteien Unterwerfung zu erwarten, war Utopie, also blieb nur die Möglichkeit politischen Burgfriedens und einheitlicher Aktionen in der Abwehr des Faschismus nach dem Grundsatz: getrennt marschieren, ver­eint schlagen.

Heute sieht das Problem der proletarischen Einheit so aus: die entmachtete Arbeiterschaft, deren Organisationen - gleich ob sozialdemokratische oder kommunistische­zerstört find, muß sich eine neue Organisation aufbauen, die Heimat des Gesamtproletariats wird. Dieses Wert wird derjenigen sozialistischen   Richtung gelingen, die mit dem Klarsten Programm anfmarschiert. Hinzu kommt, daß man nicht mit mathematischer Gewiß­heit vorhersagen kann, wie lange die Volfsstimmung für den Faschismus vorhält, wie lange noch die SA., Salvation Army  ", Heilsarmee eines franken Volkes ist. Diese Se­gierung hat es fertig gebracht, Deutschland   in wenigen Wochen in der Welt zu isolieren. Wie lange wird es noch dauern, bis sie sich selbst in Deutschland   isoliert hat? Sicher fann der Faschismus, gestüßt auf seine Exekutivorgane, auch eine unter Umständen lange Zeit gegen die Volks­stimmung regieren. Aber das Rad der Geschichte läuft schneller als in früheren Jahrzehnten. Vielleicht wird uns das Volk schon bald nach dem Positiven fragen, nach dem Bauplan unseres Staates. He..