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Freiheit

Nummer 24-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, 18. Juli 1933

Chefredakteur: M. Braun

Dennoch!

O glaubt nicht, sie weile fortan bei den Toten,

O glaubt nicht, sie meide fortan dies Geschlecht,

Weil mutigen Sprechern das Wort man verboten

Und Nichtdelatoren verweigert das Recht; Nein, wenn ins Exil auch die Eidfesten schritten,

Wenn müde der Willkür, die endlos sie litten,

Sich andre im Kerker die Adern auf­schnitten

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Doch lebt noch die Freiheit und mit ihr das Recht,

Die Freiheit, das Recht!

Freiligrath

Die Reichswehr protestiert

General Blomberg gegen Reichskanzler und Reichsinnenminister- Aufhebung ciner Hitlerverordnung erzwungen- Unruhen und Verhaftungen

Berlin , den 17. Juli 1933.( Eig. Drahtb.)

Noch immer grenzt sich die Reichswehr gegen die Diktatur der NSDAP . ab. Das Heer und die Marine übernehmen weder das Hakenkreuz noch den Hitler- Gruß, noch lassen sie sich mit SA. und SS. durchsetzen. Das Verhältnis zwischen dem Reichswehrminister und dem Reichskanzler ist höflich aber kühl, wenn sich auch die Reichswehr die Militarisierung des Volkes natürlich gern gefallen läßt. Eine fest geschlossene Gruppe von Reichswehr­generälen, zu denen auch General von Schleicher gehört, hält genügende Distanz von den Nationalsozialisten, um für deren Politik nicht verantwortlich sein zu müssen. Von der laten­ten Spannung zeugt folgender Vorfall:

Vor einigen Tagen hatte der Reichskanzler gemeinsam mit dem Reichsinnenminister Frid eine Berordnung erlass fen, daß die Hälfte der Stellen, die nach den bestehenden Gesetzen den ausgedienten Soldaten und Unteroffizieren der Armee zur Verfügung stehen( sogenannte Militärs Anwärter- Stellen), bis auf weiteres durch die Soldaten ber nationalen Revolution" zu besetzen find. Gegen diese Verordnung, die bereits veröffentlicht worden ist, hat der Neichswehrminister Protest beim Neichskanzler und beim Reichspräsidenten eingelegt mit der Begründung, daß hiers durch die Interessen der Angehörigen der Armee in einer antragbaren Weise geschädigt würden. Der Reichspräfis bent hat den Protest des Reichswehrminifters übernommen und hat die Zurückziehung der Hitler'schen Verordnung ers zwungen.

Im Bande zeigen sich mancherlei kritische Erscheinungen. Am Sonnabend, dem 15. Juli, wollte die Polizei auf dem Bentral- Wochenmarkt in Breslau einige Händler wegen Ungehorsams gegen die Preis- Verordnungen verhaften; die Gesamtheit der Markthändler verhinderte jedoch mit Gewalt die Verhaftung. Hierauf erklärte der Polizeipräsident Heis nes den Markt für geschlossen und die Waren für beschlag= nahmt. Gegen diese Maßnahme segten sich die Händler zur Wehr; es tam zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Händlern. Unmittelbar darauf formierte fich tung Zuftrom erhielt und in dem gefchloffene Formationen der SA. mitmarschierten; der Zug bewegte sich in Richtung auf das Gebände des Polizeipräsidiums, das von starken Detachements der Polizei gesichert war. Als die Demon: stranten sich der Sperrlinie näherten und eine angeblich drohende Haltung einnahmen, machten die Beamten auf persönliche Anordnung des Polizeipräsidenten von der Schußwaffe Gebrauch. Sieben Demonstranten wurden er: schossen, etwa fünfzig mehr oder minder schwer verletzt. Den Beitungen ist untersagt, einen Bericht zu veröffentlichen. In Schleswig- Holstein sind in den letzten Tagen

eine ganze Reihe von Bauernführern verhaftet worden;

man spricht von über einhundert Personen. Die Bauerns führer werden vom Geheimen Staatspolizeiamt beschuldigt, eine gegenrevolutionäre Bewegung organisiert zu haben. Wie uns hierzu von bäuerlicher Seite mitgeteilt wird, bes steht das ganze Verbrechen der Verhafteten darin, daß sie bereitet haben, die die Sozialisierung des Groß grundbesiges zum Ziel hat. Die verhafteten Bauerns führer gehören sämtliche der Hitlerpartei an.

Der preußische Ministerpräsident Göring hat, nachdem der Reichskanzler seinem Ersuchen um Amts= enthebung des schlesischen Oberpräsidenten Brüd ner nicht stattgegeben hat, gegen Brückner ein Disziplinars Verfahren wegen Ungehorsams eingeleitet. Herr Brückner

Kritik am schlesischen Großgrundbefiz geübt und seine Ents eignung gefordert. Als der Ministerpräsident ihm diese Propaganda untersagte, erklärte Brückner, als Oberpräsis dent werde er schweigen, aber als nationalsozia listischer Gauleiter werde er reden. Die Aufs tens jeder öffentlichen Aeußerung zu enthalten, hat Brüd ner abgelehnt.

Auch das noch!

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Hitlerinsel

Helgoland London , 14. Juli.

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Der Spezial- Korrespondent des

" Daily Herald" meldet, daß auf Helgoland ein deutscher Freiheitsturm von großer Höhe erbaut werden soll und daß bie Insel den Namen Hitler- Insel erhalten werde.

Philipp Scheidemann in Karlsbad unter polizeilicher Bewachung

Prag , 15. Juli. Wie aus Karlsbad gemeldet wird, steht der ehemalige deutsche Ministerpräsident Philipp cheidemann, der in die Tschechoslowakei geflüchtet ist, unter polizeilicher Bewachung, da man befürchtet, er könnte überfallen und über die Grenze verschleppt werden.

Um Thälmanns Kopf

Thälmann und Torgler ohne

Wann kommt der Reichstagsbrand- Prozeß Verteidiger Verteidiger- Die Reichsregierung schweigt- Wo bleibt ihr Material?

Viereinhalb Monate sind nun seit der Brandstiftung im Reichstage vergangen. In der Nacht des Brandes schien dem Herrn Minister Göring alles unaussprechlich klar: van der Bubbe hat den Reichstag angesteckt auf Betreiben der Kom­munisten und die Sozialdemokraten haben Schmiere ge­standen." Man darf nie vergessen, daß diese freche Behaup tung des Göring als Vorwand zum Verbot der gesamten sozialdemokratischen Presse genommen worden ist. Inzwi­schen ist durch die Untersuchung des Reichsanwalts immer­hin soviel erwiesen, daß Göring hinsichtlich der angeblichen Mitschuld der Sozialdemokraten die Welt angelogen hat. Die Behauptung, daß Torgler und Thälmann an der Brandstiftung beteiligt gewesen seien, wenigstens intellek­tuell, wird wahrheitswidrig aufrecht erhalten. Mit Material rückt man aber nicht heraus. Seit Wochen hat das Reichs­gericht seine Untersuchung abgeschlossen. Angeblich find hun­derte Zeugen vernommen. Bis spätestens Anfang Juli sollte man über die Ergebnisse etwas hören. Die Zeit verrinnt, und man hört nichts. Das heißt: man hört über die Untersuchung nichts. Dafür wird in der ausländischen und in der deutschen kommunistischen Presse unwidersprochen gemeldet, daß Torgler , der geistig sehr be­wegliche und klar denkende Führer der kommunistischen Reichstagsfraktion von einst, in Retten liege und mit allen Mitteln mürbe gemacht werde, um ein Geständnis von ihm zu erpressen.

Wir stehen hier vor dem unerhörten Rechtsskandal, daß

ländischer Verteidiger in Straffachen vor dem Reichsgericht nicht möglich und zwar auf Grund der völkerrechtlichen Stellung des Saargebietes, das bekanntlich ja nicht vom Reich abgetrennt, sondern nur zeitweilig unter eine neutrale Verwaltung bis zur endgültigen Entscheidung über die staatsrechtliche Zugehörigkeit des Saargebietes gestellt worden ist.

Juristisch besteht für die Reichsregierung teine Möglichkeit, faarländische Verteidis ger nicht zuzulassen! Ist so rein rechtlich der Fragenkompler vollkommen flar, so ergeben sich Schwierigs feiten in fachlicher Hinsicht und zwar deshalb, weil man sich flar darüber ist, daß jeder Verteidiger in diesem Prozeß, der sein Amt nicht nur als Farce auffaßt, dauernd in höchster Lebensgefahr schwebt. Die Erwägungen erstrecken sich zur Zeit darauf, auch in dieser Hinsicht klare Bahn zu schaffen. Obwohl faarländische Verteidiger als protégés de la France"( Schußbefohlener Frankreichs) für amtliche deutsche Stellen in Ausübung ihres Berufes uns antastbar sind, ist man sich darüber klar, daß Mord= anschläge sowohl während des notwendigen vorherigen mehrmonatlichen Artenstudiums als auch während der Verhandlung nur unter ganz besonderen Garans tien nicht zu erwarten find.

Die nicht ganz einfachen Bestrebungen, einwandfreie Garantien für die persönliche Sicherheit der Berteidiger zu erlangen, werden vermutlich schon in nächster Zeit zu vers schiedenen Schritten Anlaß geben.

zwei bekannte deutsche Parlamentarier, von denen Torger Geiseln

sich im Reichstage allgemeinen Ansehens erfreute, seit über vier Monaten in zermürbender Untersuchungshaft sind, ohne einen Rechtsbeistand zu haben. Für die moralische Qualität des Abgeordneten Torgler spricht dabei noch die Tatsache, daß er sich sofort nach den Beschuldigungen gegen seine Par tei freiwillig gestellt hat. Er hätte fich damals ohne Schwierigkeiten im Ausland in Sicherheit bringen können, wenn er sich irgendwie belastet gefühlt hätte. Aber er kannte damals die abgrundtiefe Gemeinheit des deutschen Faschis­mus und seiner regierenden Führer nicht.

Was in diesem Deutschland vom Rechtsstaat" noch übrig ist, geht daraus hervor, daß sich im ganzen deutschen Reiche nicht ein einziger Rechtsanwalt findet, der es wagt, die Ver­teidigung der beiden deutschen Abgeordneten Torgler und Thälmann zu übernehmen. Ausländische Verteidiger aber lehnt die Reichsregierung ab. Es ist richtig, daß sie das auf Grund der Strafprozeßordnung kann. Wenn es ihr aber

um die Ermittlung der Wahrheit zu tun wäre, könnte sie

ohne jede Schwierigkeit hier eine Ausnahme machen. Sie hat ja auch eigens für diesen Fall ein Hängegefeß gemacht. Aber der Galgen ist ihr lieber als ein scharfsinniger Ver teidiger.

Wie wir foeben erfahren, find Bestrebungen im Gange, ben Angeklagten des Reichstagsbrand- Prozesses, der dems nächst in Leipzig stattfinden soll, faarländische Bers teidiger zu stellen!

Bekanntlich hat die Reichsregierung bisher alle Angebote ausländischer Verteidiger, die in Leipzig für die Ans getlagten auftreten wollten, abgelehnt. Nach vorliegenden Reichsgerichtsentscheidungen ist eine solche Ablehnung jaar

Frau und Kinder festgesetzt

Die Bestrafung unschuldiger Menschen für die Taten anderer ist stets als etwas Abscheuliches von allen Menschen verurteilt worden. In steigendem Maße aber bedient sich das Hitler - Regime dieser Methode. Vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands , Sizz Prag, werden uns dazu folgende absolut verbürgte Fälle mite geteilt:

In Dresden wurde am 29. Juni die Frau des Parteis sekretärs Runze von der Polizei verhaftet und in das Polizeipräsidium eingeliefert, obwohl Frau R. erft türzlich nach einer schweren lebensgefährlichen Operation aus dem Krankenhause entlassen worden ist. Selbst der Polizeiarzt mußte Fran K. Schonung verordnen. Alle Proteste gegen die Verhaftung haben bisher nichts genügt. Frau A. wurde gefagt, sie werde erst freigelassen, wenn sich ihr Mann der SA. gestellt habe.

In einem weiteren Falle wurde die Frau eines Parteis fefretärs mit ihrem noch nicht vierjährigen Jungen ebens falls von der SA. verhaftet, nachdem sie vorher wochenlang mit nächtlichen Hanssuchungen gequält worden war. Man fuchte den Mann und bemächtigte sich der Fran und des Kindes, weil man den Mann nicht fand. In diesem Falle aber erfolgte nach einigen Stunden die Freilaffung, allerdings mit der Androhung, daß man die Frau in acht Tagen wieder hole, wenn sie nicht inzwischen eingestehe, wo ihr Mann sich aufhalte.