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Der zweite Tag
bringt Sammlungsversuche und Vorgefechte- Die Tagesordnung Bracke wird angenommen Ein kritischer Augenblick in der Nachtsitzung
,, Ami du peuple", ein berüchtigtes Coty - Blatt, das seinen Starken Absatz weniger dem Inhalt als der Preiswürdigkeit"
während die anderen Pariser Boulevardblätter 25, 30 und mehr kosten, beträgt der Preis des„ Ami du peuble" nur 15 Centimes erscheint heute mit einer Karikatur, die zwar wenig Geschmack zeigt, dafür aber politisch e Wunsch gedanken ausspricht:
Auf dem Boden eines Zimmers liegen einzelne Körperteile Renaudels und Leon Blums , der Führer zweier Rongreßgruppen. Eine Reinemachefrau ist im Begriff, die Körperteile zusammenzukehren. Da tritt van der Velde in die Tür: Achtung, die Stücke nicht fortwerfen, man kann sie noch brauchen!" lauten die Worte, die das Bild dem Präsidenten der Internationale in den Mund legt.
Wie gesagt, geschmackvoll ist dieses Bild nicht, dafür aber spricht es Wunschgedanken der Leute um Coty aus: wie gerne möchte man, daß der 30. Kongreß der französischen sozialdemotratischen Partet mit einer oder womöglich gleich mehreren Spaltungen endete. Wie nett ließe sich auf diese Weise auch in Frankreich der Boden für eine faschistische Be= wegung weiter vorbereiten.
Nun, der zweite Kongreßtag hat solchen Wunschgedanken der französischen Faschisten bestimmt nicht entsprochen, im Gegenteil. Man hat den zweiten Kongreßtag benutzt, um eine Art Brandmaner zu errichten, die, wenn es im weiteren Verlaufe des Kongresses wirklich zu schärferen Auseinanders segungen kommen sollte, die Wirkungen dieser Entwicklung auf den Ursprungsherd beschränken und eine allgemeine Spaltung der Partei verhindern soll.
Es war dabei gar nicht so leicht, diese Brandmauer- sie besteht in einer angenommenen Tagesordnung Brackes aufzuführen. Die Gruppe um RenaudeI leistete heftigen Widerstand. Von ihrem Standpunkte aus ist es auch verständlich. Die angenommene Tagesordnung Brackes verpflichtet nämlich sämtliche Confederationen der sozialdemofratischen Parteien Frankreichs , aus den weiteren Beschlüssen des 30. Kongresses, wie immer sie auch lauten, keinen An= laß zur Trennung von der Parteiherzuleiten. Es ist ohne weiteres klar, daß damit die weiteren Bewegungsmöglichkeiten der Gruppe Renaudel empfindlich verringert werden, und es ist vollkommen begreiflich, daß sie mit allen Mitteln die Annahme dieser Tagesordnung zu verhindern suchte.
Aber das gelang nicht. Mit einer außerordentlichen Ueberlegenheit der Stimmen fand die Motion Braces Annahme. Borausgesetzt, daß alle Unterorganisationen der französischen Partei diese Beschlußfassung anerkennen daran sollte man eigentlich nicht zu zweifeln brauchen wäre damit die Gefahr einer weitgehenden Spaltung der Partei aus Anlaß des diesjährigen Kongresses im Grunde genommen beschworen.
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Aber es wäre natürlich irrig, in diesem Er. gebnis des zweiten Rongreßtages, so wichtig es ist, mehr als ein taktisches Ergebnis zu
sehen. Aus dem Verlauf der Debatten wurde
es immer mehr klar, daß die Gegensäbe an sich wesentlich tiefer liegen. Was Renaudel und feine engeren Freunde wollen, ist das, was manin Deutschland , Tolerierung" nannte.
Die Argumente für eine derartige Politik sind zwar allgemeiner, als die in Deutschland seinerzeit für die Tolerierung ins Feld geführten, aber das Ziel ist ziemlich gleich.
Die Bataille socialist e, unter der Führung Paul
Faures dagegen, will nichts von Tolerierung wiffen. Gleit
für Opposition, vielleicht nicht um jeden Preis und unter allen Umständen, jedenfalls aber für den gegenwärtigen Beit punkt und unter den heutigen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen.
Es hat gar keinen Sinn, diesen einfachen Ausgangspunkt der Gegensäße zu verwischen oder zu komplizieren. Es sind in Wirklichkeit ähnliche Gegensäße, wie sie vor zehn Jahren in Deutschland im Rahmen der sozialdemokratischen Partei auftraten und zum offenen Ausbruch gelangten.
Klar, daß es auch im Rahmen der französischen Partei nicht leicht sein wird, die Brücke zu schlagen. Möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich immer noch, daß vor dem Ende des Kongresses so oder so Gruppen„ militanter Sozialisten" aus der französischen Partei ausscheiden. Der Gewinn des zweiten Tages aber ist, daß diese Entwicklung begrenzt bleibt- we nigstens für den Augenblick.
An kritischen Momenten war dieser zweite Sigungstag nicht arm. Einen Krisenhöhe punkterreichten die Verhandlungen in einer Nachtsizung. Da hatte Renaudel den großen schwarzen Hut schon auf dem Kopfe, um die Sigung, und damit zugleich wohl auch die Partei zu verlassen. Die Bentristen", die dritte Gruppe dieses Parteitages, stellte sich dieser überspizten Entwicklung der Dinge beherzt in den Weg. Man konnte Renaudel und seine Freunde zum Bleiben bewegen.
Als ob der kritische Moment die vorhandenen Spannungen zu einem Teile entladen hätte! Es war nicht zu verkennen, daß alle Kongreßteilnehmer ohne Unterschied der Richtung mit großer Ruhe und man möchte fast sagen, fast mit der Innerlichkeit des ersten Tages, zuhörten, als Auriol und Grumbach, die Verhandlungen dieses Tages mit Hinweisen auf die Gefahren des Augenblickes schloffen.
Die Notwendigkeit eines großen Kreuzzuges gegen den Faschismus bejahten alle im Saale. Vielleicht, daß diese Notwendigkeit des Augenblides am dritten und vierten Kongreßtage doch noch die Brücke baut und die Brandmauer überflüssig macht!
300 Millionen Mark neue Steuern
Der leere Bettelsack
Es muß schlecht um Hitlers Kasse und um die Kasse des Reiches stehen. Man schwingt schon den Bettelsad, um Geld zu beschaffen. Das neueste ist eine freiwillige" Arbeitsspende. Einstweilen ist das Ergebnis dieses Appells sehr dürftig. Aus einem Aufruf des Staatssekretärs im Reichsfinanzministerium, Reinhardt, ersieht man, daß der Druck mit der Hungerpeitsche und die Gefahr der Internierung im Konzentrationslager zwar ausgereicht hat, um einige Beamte, Angestellte und Arbeiter ou zwingen, einen Teil ihres Lohnes als Spende zu entrichten. Aber von Unternehmern wird etwas derartiges noch nicht einmal mitgeteilt. Als Ergebnis der Spende sind bisher 10 Millionen Mart genannt worden.
Die„ Spende" ist natürlich nichts anderes, als ein gewöhnlicher Abzug an Lohn oder Gehalt. Im Dritten Reich müssen nur Arbeiter, Angestellte und Beamte zahlen. Das hat die „ Ehest and shilfe" bewiesen, die von der Hitler - Regierung eingeführt worden ist. Sie ersetzt die alte Ledigensteuer, die nur 1 Prozent betrug, während die Ehestandshilfe mindestens 2 Prozent ausmacht. Außerdem wird diese Steuer in erster Linie von den kleinen Leuten erhoben. Sie muß
Auch ein..Ehrenmann"
Teilweise Rebellion gegen einen Reichsstatthalter
Bom Reichsstatthalter in Hamburg , Herrn Raufmann, weiß man, daß er ein Betrüger ist. Im Jahre 1930 hat dieser junge Mann z. B. eine Urkundenfälschung begangen und sein Lebensalter einfach erhöht, um in den Reichstag gewählt zu werden. Er war nämlich damals erst 24 Jahre. Er machte fich da einfach ein Jahr älter. Auch sonst wirft man dem Herrn Reichsstatthalter allerhand Bergehen vor. Vieles ist den SA. - Leuten in Hamburg bekannt, wenn auch vielleicht nicht alles.
Der SA.- Führer Böckenhauer, Hamburg , weiß wahrschein lich recht viel. Er weigerte sich nämlich, bei der„ feierlichen Einführung" des Herrn Kaufmann als Reichsstatthalter seine SA.- Leute aufmarschieren zu lassen, mit der Begründung, daß man Kaufmann feine Ehren erweisen könne; denn er sei alles andere als ein Ehrenmann.
Böckenhauer wurde dafür eingesperrt. Er sitzt noch heute im Gefängnis. Wieviel mögen noch fizzen, weil sie zuviel wiffen?
Sorgen
Der Gesellschaftsanzug der SA.
Dr. Göbbels hat der Modezeitung„ Herren- Journal" verboten, Bilder von ihm zu bringen, weil diese Zeitschrift Göbbels in einer Uniform abgebildet hatte, wie er im Flughafen von Rom auf die Ankunft des Zeppelin wartet. Die Zeitschrift hatte, wahrscheinlich ohne jede Sinterabficht, einen Artikel Der Gesellschaftsanzug der SA ." gebracht. Zugegeben, daß Herr Göbbels auf diesem Bilde schauder= baft aussieht aber hat er teine anderen Sorgen, als die Untaten einer Modezeitschrift?
bereits bei dem Einkommen von 75 Mart mit 2 Prozent entrichtet werden. Bei einem Einkommen von 150 Mark beträgt sie 3 Prozent, bei 300 Mart 4 Prozent, bet 500 Mart 5 Prozent. Eine weitere Steigerung findet nicht statt. Dort also, wo die Steuer erst beginnen sollte, hört die Erhöhung bereits auf. Die Steuer ist also wesentlich unsozialer gestaltet als die Einkommensteuer. Sie ist eine brutale Belastung der fleinen Leute, dagegen ist eine sehr wesentliche Entlastung der hohen Einkommen. Selbst in rein fapitalistischen Staaten werden die kleinen Einkommen viel besser behandelt. So hat vor kurzem der Kanton Base I eine Sozialsteuer eingeführt, bei der alle Einkommen unter 2000 Franken steuerfrei sind, während Einkommen von 50 000 Franken einen Zuschlag von 15 Prozent zu zahlen haben.
Allein durch Ehestandsbeihilfe und Fettsteuer, die beiden einzigen Steuererhöhungen, die das Hitler Regime gemacht hat, werden den unteren Schichten des Volkes dreihundert Millionen Mart gestohlen. Jede Familie verdankt also Hitler auf diesem Weg eine Einfommensminderung von 30 Mart. Sie wird zu Geschenken an die Reichen benutzt!
Oeffentlichkeit ausgeschlossen! Der Besuch von Arbeitslagern nicht mehr
gestattet
Die Reichsleitung des Arbeitsdienstes hat eine allgemeine Einschränkung der Besucher der Arbeitslager angeordnet. Besonders scharf sollen Gesuche von Ausländern nachgeprüft werden, da bei Besuchen in Arbeitsdienstlagern ausländische Journalisten Unterhaltungen mit Arbeitsdienstfreiwilligen führten, die sie dann völlig objektiv in der englischen, französischen und österreichischen Presse veröffentlichten. Solche Gespräche, die völlig objektiv wiedergegeben wurden, haben immer wieder die große Unzufriedenheit der Freiwilligen mit den Einrichtungen und Arbeitsbedingungen des Lagers bewiesen.
Es ist anzunehmen, daß die Arbeitsdienstlager jetzt ziemlich hermetisch gegen Besuche abgeschlossen werden.
„ Es geht aufwärts!"
Sterben der mitteldeutschen Industrie
Die deutschen Nilos- Werke in Chemnitz haben alle ihre Angestellten entlassen, es ist fraglich, ob der Betrieb aufrecht erhalten bleiben kann.
Die Chemnitzer Maschinenfabrik Reinecker muß 400 Mann entlassen, nachdem die Belegschaft bereits wesentlich reduziert worden ist. David Richter in Chemniz arbeitet nur noch stark verkürzt.
Paris , 17. Juli. Havas meldet aus Madrid folgenden Vor fall: In dem Versammlungslokal der Vereinigung Die Freunde Rußlands " in Madrid erschien eine Anzahl junger Leute und fesselte den Vorsigenden der Vereinigung, der fich gerade dort befand, sowie einen Sefretär. Daraufhin nahmen sie eine Reihe von Schriftstücken mit und ver schwanden, nachdem sie an die Mauer einen Bettel geklebt hatten, auf dem zu lesen war: Wir gehören zur J. D. N. S. Man nimmt an, daß diese vier Buchstaben die Benennung einer faschistischen Jugendorganisation bedeuten.
Wie bei uns
Konzentrationslager auch in Bulgarien
Die bulgarische Regierung hat nach deutschem Muster zwei Konzentrationslager für zwei verschiedene Gruppen der mazedonischen Bewegung eingerichtet. Erschießungen auf der Flucht sind auch schon gemeldet
worden.
Die Flüchtlinge
Ein guter Vorschlag
In der holländischen Presse erschien ein grundlegender Artikel des Vorsitzenden der holländischen Parlamentsfraktion Alberda über das Asylrecht politischer Flüchtlinge. Es wird der Regierung empfohlen, mit den Regierungen anderer Länder in der Tschechoslowakei , Schweiz , Frankreich , England, Belgien usw. in Verbindung zu treten, um eine grundlegende Vereinbarung zu treffen. Die Flüchtlinge dürfen nicht Freiwild der Willkür reaktionärer Beamter sein.
Aus dem katholischen Studentenverband ausgeschlossen
Berlin , 18. Jult. Der nationalsozialistische Landtagsabgeordnete Forchbach wurde zum Führer des Kartellverbandes der katholisch- deutschen Studentenverbindung( C. V.) ,, bestellt". Der neue Führer des C. V. hat den österreichischen Bundeskanzler Dollfuß und die übrigen Mitglieder der österreichischen Bundesregierung aus dem E. V. ausgeschlossen.
Professoren entlassen!
Die neuen verschärften Bestimmungen des Berufs- Beamten- Gesezes gegen Nichtarier werden jeßt auch rücksichtslosgegen die Professoren der preußischen Hochschulen ausge übt. Der Rektor der Handelshochschule in Berlin hat auch an die Honorarprofessoren jüdischer Abstammung die Mitteilung ergehen lassen, daß sie vom preußischen Kultusminister ihres Amtes enthoben seien, obwohl die Honorarprofes= soren gar keine Berufsbeamten und auch gar nicht so, wie. die Beamten absetzbar sind. Zu den auf diese Weise widerrechtlich entlassenen Lehrern der Berliner Handelshochschule gehören unter andern die Honorarprofessoren der Volkswirtschaftslehre Melchior, Palyi, Landauer und Georg Bernhard . Wie verlautet, ist auch der Professor der Privatwirtschaftslehre Staatssekretär a. D. Julius Hirsch der widerrechtlichen Anwendung der neuen Bestimmungen zum Opfer gefallen.
..Kommilitonen"
Die Tätigkeit der Studenten ist Spitzel- und Gendarmendienst
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Der Führer unter dem geht es nicht der„ deutschen Studentenschaft" hat die Einzelanweisungen für die künftige studentische Arbeit an den deutschen Hochschulen" erlassen. Aus diesen Anweisungen, so weit sie nicht einfach organisatorische Maßnahmen der Einteilung in Fachschaften und Fachgruppen" bedenten, ist eine einzige wichtig, aber auch bes zeichnend:„ Die Mitwirkung der Fachschaften an der Säuberung der Hochschulen von Dozenten, die nicht Lehrer sein können und von Studierenden, die nicht Studenten sein
tönnen."
Der deutsche Student soll also vor allem Spigel und Gens darm sein. Erfüllt er diesen Beruf nicht und ererziert er nicht fleißig, tommt er nicht, wie es ba heißt, zum Dienst", so fällt er unter den folgenden Passus: Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen des Fachschaftsleiters werden nach
soldatischen Gesichtspunkten geahnbet."
Darré ,, korht mit Wasser" All das hatten sie vorher versprochen!
Auf dem Nassauischen Bauerntag in Wetzlar erklärte der neue Nazi- Reichsernährungsminister Darre:
„ Es dürfe feiner glauben, daß er nun, nachdem er Minister geworden sei, bie Dinge über Nacht zum Besten wenden könne. Harte Arbeit sei vielmehr nötig."
Daß sie hart arbeiten müssen, haben die Bauern auch schon vor Herrn Darre gewußt. Das Eingeständnis aber, daß auch er ihre Lage nicht bessern tann, nachdem sie ihm zur Macht verholfen haben, wird die Bauern nicht weniger verwirrt haben, als die restlose Absage des Herrn Hitler an jeden Sozialismus" im nationalsozialistischen Staat die SA. wie ein Donnerschlag getroffen hat.
Herr Nazi- Darre hat dann im weiteren Verlauf seiner Rede die Bauern damit getröstet, fie müßten wieder von dem Bewußtsein erfüllt werden, ein töniglicher Bauer zu sein". Wir fürchten nur, daß dieses Bewußtsein weder dem ersten handfesten Hunger noch irgendwelchen sonstigen realen Bedürfnissen der Wirklichkeit standhalten wird.
Wie lange werden noch die Bauern mit solchen Phrasen von den Nazis an der Nase herumgeführt werden fönnen?
In Giebelstadt dürfen keine Juden telefonieren In der kleinen süddeutschen Stadt Giebelstadt sind sämt liche Telefone jüdischer Teilnehmer abgesperrt worden. In dieser Stadt wird man demnächst die Erlaubnis, ein Maschinenfabrik Hilscher in Chemnitz steht vor dem Telefonanschluß zu benußen, von der Vorzeigung der Bankrott. Mitgliedskarte der SA. abhängig machen.