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Nur Tyrannen sind argwöhnisch; nur geheime Bösewichter furchtsam. Ein offener Mensch, der Recht tut und auf seinen Grundsätzen fest ist, läßt alles über sich sagen. So auch eine Regierung, auf Gesetze, Wohl und Freiheit der Menschen gegründet.
Herder.
Nummer 27-1. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Deutsche Miliz im Aufbau
Was Henderson im Braunen Hause in München berät/ Deutsch lands militärische Angebote an Frankreich / Die Zukunft der SA. Höchste außenpolitische Aktivität in Paris und Rom
Berlin , 20. Juli. ( Eig. Drahtb.) Wahrscheinlich heute schon, spätestens aber morgen, wird der Präsident der Abrüstungskommission Henderson von Prag aus in München eintreffen, um mit dem Reichskanzler Hitler zu verhandeln. Reichsaußenminister von Neurath ift zur Teilnahme an dieser Besprechung nach München abge: reift. Henderson hat sich über seine Fühlungnahme in Berlin zwar nicht sehr zuversichtlich, aber auch nicht hoffnungslos ges äußert. Er hat den Eindruck, daß die Reichsregierung sich in der Abrüstungsfrage entgegenkommender verhält, als sie bies bisher in Genf getan hat. Henderson hat die Reichsregies rung allerdings auch nicht darüber im Zweifel gelassen, daß die Regierungen von Rom , Paris und London in der Ents waffnungsfrage weitgehend geeinigt sind und Berlin start nachgeben muß.
Die Reichsregierung nähert sich unter ausländischem Druck allmählich dem französischen Plan eines obligatoris Ichen Milizheeres. Der Reichskanzler wird in München Henderson das Angebot machen, die SA. abzubauen nnd Teile der SS. als erste Formationen des nenen deutschen Heeres aufzustellen. Diese Seeres: reform tönne Anfang 1934 beginnen. Der Reichskanzler hofft auf diese Weise die unzuverlässigen Teile der SA. los=
eine pflegliche Behandlung der Banken zuges sichert.
Große Schwierigkeiten bereitet die Frage, in welcher Höhe die Reichswehr neben der Miliz aufrechterhalten bleiben soll. Der französische Botschafter de Jouvenel und der fran zösische Botschafter in Berlin Francois Poncet , die in erster Linie die Wandlungen der Hitlerregierung in der Militärfrage hervorgerufen haben, halten die jeßige Reichsregierung außenpolitisch bis auf weiteres nicht mehr für ges fährlich und erwarten eine an Kapitulation grenzende Nach= giebigkeit Hitlers in der Militärfrage. Nebenher arbeitet Bizekanzler von Papen mit Hochdruck, um Deutschland aus der wirtschaftlichen und politischen Zange zu lösen.
Die teilweise heftigen Kommentare der Pariser Presse haben wohl den Zweck, Hitler zu noch größerer Nachgiebigfeit zu veranlassen. Die Hauptschwierigkeit einer Einigung über die Höhe der Truppenzahl liegt zweifellos nicht bei dem im Grunde weichen Reichskanzler, sondern bei den Reichs= wehrgenerälen, die mit Festigkeit der allgemeinen Wehrpflicht zustreben, nicht zuletzt, um die gesamte waf= fenfähige Jugend aus der Politit heraus und auf den Kaser: nenhof zu bringen.
zuwerden und in der SS. eine militärisch disziplinierte durch Zehn Jahre Frieden!
aus zuverlässige Miliztruppe zu erlangen.
Henderson hat dem Reichskanzler eröffnet, daß sowohl Engs land wie Frankreich und Italien Schluß mit der pris vaten Hitlerarmee verlangen und Deutschlands Pris vatrüstungen, die ja teineswegs geheim find, aufhören müß: ten. In dieser Forderung findet Frankreich mancherlei Unterstügung bei den Führern der Reichswehr , die Klarheit in der Rüstungsfrage wünschen, die ferner den militärischen Wert der SA. und der SS. sehr gering einschätzen und seit langem den Milizgedanken propagieren. Reichskanzler und Reichsregierung hoffen in einer größeren Armee ein Aufs fangbeden für hunderttausende Arbeitslose und eine Möglichkeit für die Wirtschaftsbelebung zu erlangen. Der Reichss tanzler hat den fremden Regierungen zur Entspannung der Atmosphäre eine Milderung des Antisemitismus und die Absage an alle sozialistischen Experimente, vor allem auch
De Jouvenel über den Viererpakt Die französisch- italienische Annäherung Alle Italiener zwanzig Jahre alt"
Paris , 20. Juli. Die Rückkehr des französischen Botschafters in Rom Henry de Jouvenel nach Paris hat das Thema Viererpakt wieder in den Vordergrund gerückt. De Jouvenel erklärt, es habe sich einmal darum gehandelt zu ersuchen, ob Frankreich und Italien nicht zu einer gemeinsamen Auffassung bezüglich des allgemeinen Interesses Europas fommen fönnten, und andererseits darum, eine Formel der Zusammenarbeit der vier Großmächte zu finden, die bis dahin in zwei verschiedene Lager gespalten waren und daher auch die kleinen Mächte in zwei verschiedene Lager geteilt hätten,
was jede dem Völkerbund nüßliche Arbeit unmöglich machte. Der Locarnopakt bildete sozusagen den Beginn dieser Politik, aber er habe vor allem einen defensiven, sozusagen negativen Charakter, denn er finde nur Anwendung in dem Falle, daß die Grenzen eines der Signatarstaaten schon verletzt seien.
Der Viererpakt dagegen führe die Zusammenarbeit dieser Staaten ein, bevor ein solcher Fall eintrete und suche ihn überhaupt zu verhindern und biete weite Möglichkeiten zu gemeinsamer Arbeit. Außerdem sichere er den Ländern zehn Jahre Frieden. Das sei übrigens der große Ehrgeiz Mussolinis.
Holte Jouvenel die bekannten Entspannungsbeteuerungen, Bezüglich der französisch- italienischen Beziehungen wiederund hinsichtlicher einer deutsch - französischen Entspannung bemerkte er in dem Havas- Interview, er halte sie für möglich, wenn vorher der Viererpaft die Unterzeichnung. eines gemeinsamen Abrüstungsablommens zur Folge habe. Schließlich äußert er sich in begeisterten Worten über das heutige Italien . Italien sei ein prachtvolles. Land, alles in Italien sei positiv eingestellt. Mussolini habe das in glücklicher Weise zusammengefaßt in dem Saß, alle Italiener seien zwanzig Jahre alt. Er selbst freue sich, in der letzten Rede Daladiers ebenfalls einen ähnlichen Gedanken gefunden zu haben, als nämlich Daladier erklärte, Frankreich müsse eine junge Politik treiben.
Macdonald habe einmal erwähnt, das anfängliche Ziel des Viererpaftes sei die Revision der Verträge gewesen,
aber der schließliche Tert habe die Revisionsaussichten bes trächtlich einschränken müssen.
Gewiß sei in der Auffassung gewisser Regierungen der Gedanke an eine Revision nicht aufgegeben worden. Das nationale Leben, begründet auf der Achtung der Gesetze, lasse ja auch den Fall zu, daß diese Gesetze den Bedürfnissen der Bürger besser angepaßt und abgeändert würden. Man könne also auf internationalem Gebiete ein ähnliches Verfahren zu= lassen, das die friedliche und gerechte Reglung gewisser Probleme erlaube, die bisher nur durch Krieg gelöst worden wären.
Wer sind die verhafteten Geisein? Geiseln? Eine Barbarel - Eine Barbarei ohne jeden Anlaß
Philipp Scheidemann bittet um die Veröffent lichung folgender Erklärung:
" Das geheime Staatspolizei- Amt in Berlin teilt mit, daß es fünf meiner Verwandten in ein Konzentrationslager überführt hat, weil ich einen Artikel in den„ New York Times " veröffentlicht haben soll, in dem ich die maßgebenden Männer des neuen Deutschland schwer beschimpft und außer dem versucht haben soll, eine neue Grenelheze gegen Deutsch land zu entfesseln. Wörtlich heißt es:„ Die Festnahme der Verwandten Scheidemanns sei als ein Aft der Staatsnots wehr zu betrachten!!!"
Ich habe für die N. Y. T. einen Artikel#bers haupt nicht geschrieben. Wahrscheinlich handelt es sich um den Nachdruck des einzigen Artikels, den ich im Laufe der letzten 5 Monate für ein in deutscher Sprache erscheinendes schweizerisches Blatt geschrie= ben habe. Daß sich das geheime Staatspolizeiamt nicht auf das schweizerische Original, sondern auf eine für mich ganz unkontrollierbare Ueberseßung einer amerikanischen Beitung beruft, ist deshalb interessant, weil der einzige Sat aus dem N. Y. T. , der bisher in Deutschland zitiert worden ift, eine glatte Fälschung war. In dem N. Y. T. foll der Schlußsaß meines Artikels heißen:„ Es sei selbstverständs lich, daß das einen blutigen Krieg nicht aus= Ichließe." Was soll einen blutigen Krieg nicht ausschlies Ben? Wenn die Kulturwelt mit mir der Meinung sein sollte, daß die jetzigen Zustände in Deutschland unerträglich seien. In Wirklichkeit lautet der von mir verfaßte und in der Schweiz auch richtig gebrudte sa in Uebereinstimmung mit der sozialdemo fratischen Parole„ Nie wieder Krieg!" wörts lich so:„ Daß dabei nicht an blutigen Krieg gedacht wird, ist selbstverständlich!" Daß man gegen die Politik der Herren Hitler , Frid, Göring usw. tein Wort des Widerspruchs sagen soll, das geht gegen
die menschliche Natur. Von Menschenrechten will ich im Zusammenhang mit dem neuen Deutschland garnicht reden. Ich habe mit meinem Artikel Einspruch erhoben, das ist wahr. Dafür sollen fünf absolut unschuldige and unpolitische Menschen als Geiseln in Konzentrationslager gesperrt werden? Muß eine solche Maßnahme nicht jedes einzelne Wort der Kritik, die ich veröffentlicht habe, zehnfach, ja hundertfach unterstrichen und die Kulturwelt erst recht auf peitschen? Wer sind die fünf Verwandten, die man als Geiseln verhaftet hat? Ich weiß es nicht. Wo find fie? Ich weiß es nicht. Ich habe zwei Töchter. Die eine ist aus Bes sorgnis und hingebender Kindesliebe zu mir geeilt, als man ihr geschrieben hatte, daß ich schwer erkrankt sei. Die andere Tochter lebte in Berlin , ganz der Sorge um ihre beiden Kinder hingegeben: einem Jungen, der, wie ich gehört habe, in einem Arbeitslager des„ Stahlhelm " tätig ist, und eine 20jährige Tochter, die sich vor wenigen Wochen verheiratet hat. Ihren Mann tenne ich fanm, man hat mir zu meiner Freude gesagt, daß er ein tüchtiger Mensch sei, der den Krieg mit Auszeichnung mitgemacht habe; zu meinem Bedauern hat man mir allerdings auch berichtet, daß er politisch un interessiert ist und meinen politischen Standpunkt keinesfalls teilt. Das sind die Verwandten, die für mein Tun und Laffen ebenso wenig haftbar gemacht werden können, wie irgend ein Verwandter der Herren Hitler oder Frid.
Was ist der Zweck der Geifel verhaftung? Sollen fie büßen,
was ich angeblich gesündigt habe? Wird man fie in Freiheit fegen, wenn ich mich in Deutschland stelle?
Infolge infamster politischer Hege gegen mich erlag meine Frau im Herbst 1926 vor Aufregung einem Schlaganfall. Vor zwei Monaten wählten meine älteste Tochter und ihr Mann, die 20 Jahre lang in glüdlicher he gelebt hatten, den Freito
Beide waren häuslich gesinnte Menschen, die ganz und gar unpolitischen Liebhabereien lebten. Sie erlagen der Heze und den Anpöbelungen auf der Straße. In ihren herzergreifenden Abschiedsbriefen baten sie um Verzeihung, aber so schries ben fie,„ wir können die neuen Verhältnisse und die Hezerei nicht ertragen". Am unerträglichsten waren ihnen die fortge= setten Verleumdungen des Vaters durch die gleichgeschaltete Presse und den Rundfunk. Das alles sollten sie lesen und mitanhören, ohne daß ihrem Vater die Möglichkeit gegeben war, alle Berleumdungen glatt zu Boden schlagen zu können? Das ertrugen sie nicht.
Die Fran, eine Tochter und der Schwiegersohn direkt in den Tod gehezt, alle übrigen Verwandten in Konzentrationslager gesperrt! Mir hat man
zuerst die Pension gestrichen, dann durch Aberkennung des Reichstagsmandats die Diäten genommen; so blieb mir noch als legte Hoffnung auf eine bescheidene Rente vom Buch druckerverband, an den ich volle 50 Jahre lang Bei träge gezahlt habe. Auch das ist mir genommen. Nach Annahme der maßgebenden Herren in Berlin hatte ich nun immerhin die reichhaltige Auswahl zwischen Köpfenlassen oder Freitod.
Zunächst eilt es mir nicht, weder mit dem einen, noch mit dem anderen, weil ich dabei sein will, wenn