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Dentfore

Frethel

Nummer 36-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, den 1. August 1933 Chefredakteur: M. Braun

00000 150 M

Ich begreife nicht, wie ein ehr­liebender Mann, wie ein gerechtes Herz in einem Lande wohnen kann, das von Affen bewohnt wird, die sich in Tiger   verwandelt haben... Glauben Sie mir, es ist notwendig, daß die vernünftigen Männer der Menschheit gegen diese wahnsinnige Barbarei zu­

sammenhalten.

Voltaire   i. J. 1766

Hindenburg  , wo ist Löbe  ?

Neue Leichenfunde

Das Schicksal des Reichstagsabgeordneten Faust- Die Quäle

reien in den Konzentrationslagern

Seit faft zwei Monaten befindet sich der langjährige sozials demokratische Reichstagspräfident Paul Löbe   in Haft. E3 ist nicht gelungen, mit ihm in Verbindung zu treten. Bon einer Haftentlassung ist nichts bekannt geworden. Daß er ein firafwidriges Verbrechen begangen oder daß man auch nur ein Verfahren gegen ihn eingeleitet hätte, hat niemand be hauptet. Vor Monaten allerdings hat man Paul Löbe   dadurch au diffamieren versucht, daß man von Regierungsseite den Schwindel in die Welt fegte, Löbe habe in München   ein Bank­fonto von 3 Millionen Mark gehabt. Auch davon hat man nichts mehr gehört. Die Lügenterle Ley, Göbbels   und Kons jorten nehmen aber die von ihnen erfundene Verleumdung Löbes auch nicht zurück. Niemand wird etwas anderes von ihnen erwartet haben.

Woist nun Löbe? Im Gefängnis? Im Konzen trationslager? Wo sonst?

Das Schidial aller inhaftierten Gesinnungsfreunde geht uns so nahe wie das von Löbe  , aber er ist der bekannteste von

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Besorgnis um den Reichstagspräsidenten Löbe  

allen, und darum ist die Frage nach seinem Schicksal alar:

mierend.

Die meisten führenden Politiker in allen Ländern der Erde kennen Paul Löbe   persönlich. Daß dieser Mann in Deutsch  land nicht in Freiheit leben darf, wird für die politischen Köpfe des Auslandes die Lage in Deutschland   deutlicher zeichnen, als tausend Greuelmeldungen".

Die Einterferung Löbes charakterisiert aber auch die po: litische und menschliche Art- Hitler und die Seinen nehmen wir ohnehin von jedem Humanitätsbegriff aus der in Deutschland   Prominenten. Dieser Meißner, dieser Papen, dieser Neurath  , dieser Blomberg  , dieser Schacht, und wie sie alle heißen: alle kennen sie Paul Löbe  , alle haben sie be= teuert, wie sie den Mann und den Politiker über alle Gegen­fäße hinweg schätzen, und nun erhebt sich keiner, um für die Freiheit des bald Sechzigjährigen ein Wort zu sagen.

Und da ist auch der Herr Reichspräsident, Generalfeldmars schall Paul von Hindenburg  , ein preußischer Edelmann. In

die Hand des Reichstagspräsidenten Paul Löbe   hat er den Eid auf die Verfassung der Republik   geleistet. Hundertemal hat der Reichspräsident den Reichstagspräsidenten in seinem Hause und an seinem Tische gesehen und nun? Auch Hinden= burg schweigt! Er schweigt zu allem, was an Verbrechen in Deutschland   geschieht. Nur wenn die Sippe des Großgrunds befizes, zu der er selbst gehört, ein paar Hektar Land für Bauernsöhne herausrücken soll, wird der Alte lebendig. Da erinnert sich sein sterbendes Bewußtsein, daß auch er einen großen Grundbefig an seine Sippe zu vererben hat.

Uns ist die Freiheit der Menschen, die Freiheit und das Recht unserer Kameraden mehr als wirtschaftliches Denken. Der Reichspräsident hat geschworen, ein Hüter des Rechts zu sein. Wir erinnern ihn an seinen Eid.

Die Ermordeten flagen an! Die Gefolterten protestieren! Die schutzlos und rechtlos Eingekerkerten rufen nach Freiheit.) Für ihrer aller Recht auf Freiheit fragen wir den deutschen  Reichspräsidenten   Hindenburg  : Wo ist Löbe  ?

Der gefolterte Parlamentarier

Im Konzentrationslager zu Tode gemartert?

Im nahen Umkreis der schilfbewachsenen Stelle, die wochenlang den Leichnam des ermordeten Reichstagss abgeordneten Stelling verbarg, find inzwischen noch acht Leichen ermordeter Marristen gefunden worden. Kein Blatt in Deutschland   darf darüber berichten. Auch die Abschlachtung Stellings ist bisher in Deutschland  nur durch Berichte von Mund zu Mund bekannt geworden. Welche Tragödien fich täglich in Deutschland   abspielen, dafür folgende zwei turze Meldungen:

Berlin  , 31. Juli. In seiner Wohnung verstarb an den Folgen einer Veronalvergiftung der frühere Ober­bürgermeister von Bochum  , Otto Ruer  ."

Ruer ist von den Nationalsozialisten seines Amtes ents segt worden und wurde seit Monaten von ihrem Haß verfolgt. Marxist war er nie.

" Redlinghausen, 31. Juli. Der 31 Jahre alte tommunistische Funktionär Heinrich Foerding aus Coesfeld   hat sich durch einen Sprung aus dem zweiten Stock des Präsidiumgebäudes das Leben genommen."

Ueber das Schicksal des sozialdemokratischen Reichstagss abgeordneten Fan st, eines Mannes, der alles andere als aggressiv war, geht uns nachstehender Bericht zu. Wir haben die Darstellung nachprüfen können bis auf den Tag, der Fausts Erlösung durch den Tod gebracht haben soll. Wir halten seinen Martertod für sehr wahrscheinlich. Unser Berichterstatter behauptet den Tod. Wir konnten feinen vollen Beweis erlangen. Mag die Regierung ant worten, wenn Faust noch irgendwo sein qualvolles Leben weiterführen sollte.

Aus Bremen   wir uns geschrieben:

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Die Zeitungen der freien und Hanifeftadt Bremen"- vor allem die gleichgeschalteten"- brachten eines Tages die Mitteilung, daß der Chefredakteur und Reichstagsabgeord­nete Alfred Faust   zu seinem eigenen Schuh" in Haft ge­nommen sei. Wir Gefangenen, die wir nun schon eine ganze Beit die uns wie eine Ewigkeit vorfam im Stonzen trationslager waren, hatten erfahren, was dies Wort " Schutzhaft" für uns und alle anderen, die noch kommen, bedeutet. Um so mehr aber wußten wir, was der Genosse Alfred Faust   im Lager zu erwarten habe. Aber selbst die Schrecken, die Mißhandlungen, die wir nun schon hinter uns batten, waren nur ein Bruchteil von dem, was Faust durch­zumachen hatte. Wir hatten es immerhin bereits 12 Wochen ertragen, ohne vollends auf dem Friedhof zu landen. Faust mußte dieselbe Tortur in 6 Wochen durchmachen, bevor er erlöst" und verscharrt war... Gleich den ersten Tag im Konzentrationslager- nahm man ihn vor". Man wandte zunächst die Methode an, aus einem Kopfarbeiter einen Handarbeiter zu machen.

er war noch keine halbe Stunde

Abgeordneter Faust, ein Mann in den fünfziger Jahren, wurde sofort in den Kohlenfeller und Heizraum abkomman­diert". Die Posten konnten es nicht abwarten, um diesem verhaßten Faust einmal zu zeigen, wer heute Herr im Hause" set. Und wie man Herr im Hause sei.

Ein lächerlich junger SA.- Mann ging mit dem Gen. Faust in den Keller.

Los, du Schwein, bu Tintenfuli, pace aus, schneller, schneller, nicht so langsam! Und dann hier von den Heis

zungsrohren überall den Staub abgewischt! Lo3, Bewegung!"

Der Gummifnüppel trat in Aktion. Es ging nichts da­haben, weiß wohl nur er und die Posten allein. Faust kann neben... Und was sie im Keller alles mit Faust angestellt heute nichts mehr sagen, und der Posten wird nichts mehr sagen... Es wurde zwar vom Kommandanten" Göbel- ein ganz junges Unkraut immer wieder von humaner Be­handlung der Gefangenen gesprochen, aber was der und seine Vorgesetzten schon human" nennen! An Faust haben sie ihre ganze Humanität" ausgelassen. Morgens, schon gleich um halb 6 Uhr gings mit der Humanität los!

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Füüüüüt! Aufstehen, los, Beeilung!" Der Posten, der das Kommando gegeben hat, saust gleich zu Faust:

Los, los, aufstehen, du Tintenfopp!" Raum ist Fauft im schnellsten Tempo angezogen, wird er schon zu den ersten Arbeiten geholt. Bettenmachen im Mannschaftsraum. Dies bedeutet soviel wie: jeder, der dazu aufgelegt ist von den Posten, darf Faust in den Arsch treten. Und sie sind fast alle dazu aufgelegt... Ist die Arbeit beendet, dann sind noch so viele andere Dinge für Faust zu tun. Wafferholen! Bedeutet ebensoviel wie: jeder der dazu Lust hat, kann Faust das Galopprennen beibringen.

Klosettdeckel polieren. Das bedeutet, daß jeder, der dazu Luft hat, den Kopf von Faust ins Becken drüden kann. Das sind Dinge, die den Körper zermürben. Ohnmächtig alles über sich ergehen lassen müssen; ohnmächtig, wehrs Ios...

Dabei ist Faust schwer Herzkrant. Morgens bei den Turn­übungen fann er nicht mehr mit. Sie nehmen ihn deshalb gerade vor. Bei der Flaggenparade, wenn morgens um 7 Uhr das Hungerkreuz gehißt wird, achten so einige be­stimmte Leute darauf, daß Faust auch vorschriftsmäßige Haltung" hat und der Flagge genau nachsieht. Beim Namens­aufruf muß er wie ein geölter Bliz" über den Hof sausen. Schneller als alle anderen.

Sie haben alle eine grausame Ausdauer, ihn zu quälen. Eines Nachts nahmen sie ihn sich besonders vor. Wir hörten alle sein Schreien. Es war um ein vielfaches schrecklicher als all das, was wir bisher gehört oder selbst geschrien hatten.

Erst hatten diese Bestien den Faust durch die spanischen Reiter, die auf dem Flur nachts stehen, hindurchgeprügelt. Was dann später mit Fauft aufgestellt wurde, wissen wir nur von einem Posten, deffen Namen ich heute leider noch nicht nennen darf, sie würden ihn sonst auf denselben Weg schicken, den Faust gehen mußte...

Wir wissen, daß sie ihn zertrampelt haben. Daß fie ihn in aller Haft frühmorgens fortgefahren haben. Sang- und flanglos.

Faust wußte, als er eingeliefert wurde, daß er diefe " Besserungsanstalt" nicht lebend verlassen würde. Er sollte recht behalten. Er hat diese Besserungsanstalt" verlassen. Aber gebessert"?

Gebessert" verläßt sie niemand!

20 Tote in Braunschweig  

Der Todessprung aus dem Parteihaus

Braunschweig  , 31. Juli( Eig. Ber.) In den letzten Wochen wurden hier auf viehische Weise von den braunen Horden 20 blühende Menschen leben vernichtet. Zwei von ihnen wurden buchstäblich zu

Tode geprügelt, und zwar der frühere Reichsbannermann Otto Rose, ein junger Mensch von 22 Jahren, über den dann die Lügenmeldung verbreitet wurde, er habe Selbst­mord begangen, und der 19jährige Benno Ehlers. Ehlers gehörte einem jüdischen Jugendbund an und beging das Verbrechen, mit 14 anderen jüdischen Jünglingen einen Gepäckmarsch zu veranstalten; die anderen 14 sind noch in Haft. Otto Rose mußte daran glauben, weil er vor 1 Jahren in der Notwehr einen Nazi erschossen hatte.

Sechs andere von den zwanzig wurden aus dem dritten Stock des ehemaligen Volksfreundehauses" geschmissen. nachdem sie vorher fürchterlich verprügelt worden waren. Zwei andere sind freiwillig gesprungen, und zwar einer aus dem Volksfreundhaus", in dem die SS.. haust, und einer aus dem Gebäude der Ortskrankenkasse, der Kaserne der SA. Von diesen acht Menschen sind bis heute erst die Namen von dreien bekannt, und zwar die beiden Kommunisten Kar! Wolf und Erich Schelpmann und der Sozialdemokrat Hermann Baise, Sekretär des Eisenbahnerverbandes. Behn weitere Menschen wurden in der Nacht vom 4. zum

P. Brand.

5. Juli im früheren ADGB.  - Heim in Rieseberg erschossen Die Namen dieser zehn Genossen sind leider noch nicht fest zustellen gewesen. Die eine Lesart besagt, daß es alle An gehörige der KPD. sein sollen. während die zweite lautet, daß frühere führende Genossen der SPD  . dabei sein sollen. Außerdem wurde in der Nacht vom 1. zum 2. Juli ein SS.- Mann mit Namen Landmann erschossen, angeblich von Kommunisten. Es ist aber mit Bestimmtheit anzunehmen, daß er von seinen eigenen Leuten ermordet wurde. Die Kugel, die ihn traf, stammt aus einem Karabiner. Insgesamt sind hier in unserer Stadt seit Ende Juni 180 Genossen der SPD.   und KPD.   in Schuzhaft ge= nommen worden.

Rechnung für Kerker

Stuttgart  , 31. Juli 1988( Eig. Ber..) Die Schußhäftlinge des senberges bekommen nach ihrer Entlassung für den Aufenthalt Rechnungen in Höhe von 600 bis 3000 Mart, je nach ihrer Vermögenslage, zugeftellt. Hansbesitzern wurden zur Begleichung der Aufenthaltss kosten" ihre Gäuser beschlagnahmt.