DAS BUNTE BLATT
Einem Tagelöhner
Lange Jahre sah ich dich Führen deinen Spaten, Und ein jeder Schaufelstich Ist dir wohlgeraten
Nie hat dir des Lebens Flucht Bang gemacht, ich glaube- Sorgtest für die fremde Frucht, Für die fremde Traube.
Nie gelodert hat die Glut Dir in eignem Herde, Doch du fußtest fest und gut Auf der Mutter Erde.
Nun hast du das Land erreicht, Das du fleißig grubest, Laste dir die Scholle leicht, Die du täglich hubest!
C. F. Meyer,
Die Leistungsfähigkeit des Herzens
Jeder Herzschlag fördert eine Blutmenge von fiebzig Rubikzentimeter. Daraus ergibt sich, wie Sie leicht nachrechnen können, eine Fördermenge von fünf Liter in der Minute oder etwa fünf Tonnen an jedem Tag. Diese Angaben gelten aber für den Zustand der Ruhe; bei mittlerer Arbeitsleistung schon steigern sie sich auf das Vier- bis Fünffache der genannten Werte. Die mittlere Geschwindigkeit dieser Blutmenge beträgt rund fünfzehn Zentimeter je Sekunde oder 054 Kilometer in der Stunde. Auch diese Werte steigern sich bei mittleren Arbeitsleistungen auf ein Vielfaches.
Lachen nicht verlernen
Aus der„ Frankfurter Illustrierten":
" Du kannst mirs glauben, ich bin auch mal im eigenen Wagen gefahren."
Freilich, und deine Mutter hat ihn geschoben!"
„ Herr Notar, ich möchte meinen lezten Willen zu Papter geben."
Nanu, ich denke, Sie heiraten morgen?" Eben drum."
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Haben Sie einen Verteidiger, Herr Graupner?" Brauch' ich nicht, ich werde die Wahrheit sagen."
Ich melde die Geburt meines sechsten Kindes an." st Berlin der Geburtsort Ihrer Frau?" Nee, nicht immer."
TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE
Hausgehilfinnen in Salästina
Zwei Zeitalter Tür an Sür
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Die orientaliscie Jagd und die Jungpionierin
Das palästinensische Leben ist heute ein buntes und sonderbares Durcheinander von uralten orientalischen Sitten und modernen radikalsozialen Einrichtungen. Es gibt Landarbeiter, die für den arabischen Grundbesitzer unter der Peitsche des Aufsehers Frondienst machen, und gleich daneben in der benachbarten Orangenpflanzung andere Landarbeiter, die in einer sozialistischen Kommune zusammenleben und den Ertrag der Siedlung gleichmäßig unter sich aufteilen. Märdienstadt Jerusalem
In der Märchenstadt Jerusalem mit ihren brennend weißen Türmen und Kuppeln gibt es Frauen, die tief verschleiert hinter vergitterten Fenstern Hocken, während man durch das gegenüberliegende Fenster andere Frauen sehen kann, die gerade eine politische Versammlung abhalten. Es gibt Hausgehilfinnen, die noch gestern nichts anderes als orientalische Sklavinnen waren, heute von der Organisation erfaßt werden und schon morgen eine ganz neuartige Stellung in ihrem Diensthaus einnehmen, eine so radikal fortgeschrittene Stellung, wie es sie in Europa vielleicht noch überhaupt nicht gibt. Die orientalische Magd"( Magd" bedeutet im Arabischen und Althebrätschen genau soviel wie Sklavin) fommt schon meistens mit zehn bis zwölf Jahren in das Diensthaus. Arme arabische oder jemenitische Eltern bringen ihre Kinder selbst zu den reichen Familien und bieten sie als Dienstmädchen an. Der armselige Lohn wird direkt an die Alten ausgezahlt, während das Mädchen sein Geld nicht einmal zu sehen bekommt. Manchmal fertigen die Dienstherren die Eltern auch mit einer einmaligen Summe ab. Wenn auch der Verkauf von Menschen gesetzlich abgeschafft ist, praktisch nimmt man es nicht so genau, und die kleine arabische oder jemenitische( arabisch- jüdische) Hausgehilfin fühlt sich, solange sie noch nicht organisatorisch erfaßt und aufgeklärt ist, tatsächlich als das willenlose Eigentum ihrer Herrschaft. Oft kann man sehen, wie so ein kleines, braunes Wesen eine ganze Achtzimmerwohnung instand hält, was fie natürlich nur durch einen sechszehnstündigen Arbeitstag, durch Verzicht auf jedes Privatleben, jede persönliche Freiheit, fertigbringen kann. Völlig neu und unvorstellbar ist es für sie, daß man höheren Lohn verlangen, eigenmächtig sein Diensthaus verlassen und auf die Schelte und Schläge der Herrin nicht nur mit einer ehrfürchtigen Verbeugung, sondern auch ganz anders antworten kann.
Das große Neue
Aber das große Neue, Unvorstellbare ist bereits im Lande, Die Juden und Jüdinnen, die aus Rußland , Polen und Mitteleuropa einwandern( in Palästina gibt es keine Arbeitslosigkeit), bringen eine moderne soziale Gesinnung mit. Die eingewanderten Jungproletarier( man nennt sie PioKaffe zusammen. Sind solche Arbeitskommunen nicht in der niere) schließen sich zu Arbeitskommunen mit gemeinsamer
glücklichen Lage, ein eigenes Stückchen Land oder einen eigenen Betrieb zu besißen, so gehen ihre Mitglieder als Taglöbner auf verschiedene Arbeitspläße: auf die Pflan zungen, in die Fabriken, in den Haushalt. Gewerkschaftlich und politisch organisiert, durch ein streng solidarisches Leben gefestigt, gelang es diesen eingewanderten Arbeiterburschen und-mädchen, in furzer Zeit in die alten unumschränkten Unternehmerrechte eine Bresche nach der anderen zu schlagen, die Löhne energisch in die Höhe zu treiben und das An sehen ihrer Klasse energisch zur Geltung zu bringen. Was die Arbeiter konnten, das konnte das„ Dienstmädchen" natürlich auch.
Junge Pionierinnen
Die jungen Pionierinnen, die ihren Arbeitsplatz im Haushalt fanden, stellten einen für Palästina ganz neuen Typus der Hausgehilfin dar: ernst und selbstsicher, politisch geschult, mit dem stolzen Bewußtsein, Kultur und Forts schritt in diese orientalischen und halborientalischen Häuser hineinzubringen. Troßdem sie ihren Gnädigen" heimlich nicht wenig imponierten( einige unter den Mädchen waren sogar ehemalige Studentinnen), hatten sie es doch nicht leicht, gegen die alten Traditionen des Herrinnentums, der Unfreiheit und der Ausbeutung, aufzukommen. Trotzdem find sie heute schon so weit, daß sie den Monatslohn von 3 Pfund 50 Piaster( ungefähr 100 Schilling), einen streng eingehaltenen Achtstundentag und eine verständnisvolle, ihre Gleichwertigkeit anerkennende Behandlung erreicht haben.
Nie aber hätten sie diesen Erfolg, der nicht nur für palästi nensische Verhältnisse ein ungeheurer war, erzielt, wenn sie sich nicht von allem Anfang an um ihre versklavten orienta lischen Kolleginnen gekümmert hätten. Heute ist bereits ein großer Teil der jemenitischen Hausgehilfinnen gewerkschaft lich organisiert. Von Mädchen zu Mädchen geht die Agitation, auf den Straßen, auf den Märkten, beim Einkauf und beim Botengang.
Es scheint, als ob diese armen, gedrückten und geplagten Geschöpfe schon lange darauf gewartet hätten, daß endlich jemand kommt, um ihnen den Weg ins Freie zu zeigen. Mit dem ganzen Schwung ihres orientalischen Temperaments stürzen sich die Mädchen in die neue Welt des klassenbe wußten Freiheitskampfes.
Von heute an arbeite ich bis sechs Uhr abends und keine Minute länger," erklärt die Leila, die schokoladebraune Je menitin, reißt sich entschlossen das bunte Tuch vom Kopfe und fletscht die weißen Negerzähne. Und dann komme ich u euch in den Kurs. Meine Herrin wird Krach schlagen, aber ich fürchte mich nicht vor ihr. Wenn man sich nichts gefallen läßt, dann kann einem auch nichts geschehen."
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Klara Blu m.
Einer, der nicht sterben konnte
Ein Mann, dem es trop 7 facher Anstrengungen nicht möglich war, sich aus der Welt zu schaffen, ist von der Polizei des bosnischen Ortes Banjaluka verhaftet worden. Dieser Unglückliche wurde wegen verschiedener Betrügereien gesucht und wollte sich dem Arm der irdischen Gerechtigkeit entziehen. Er fletterte daher auf das Dach des Zuges, in dem er sich auf seiner Flucht befand. Als er einen Tunnel erreichte, da zeigte sich, daß sein Kopf unter der Tunneldecke gerade hindurchging und er unversehrt blieb. Er kletterte also wieder in sein Coupe zurück, setzte sich einen Revolver an den Kopf und drückte ab. Aber in seiner Aufregung hatte er vergessen, den Revolver zu laden. Nun wollte er es mit dem Hängen versuchen. Er befestigte einen Strid um seinen Hals, knüpfte ihn fest an
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das Gepäcknetz und sprang von seinem Siz herunter. Daß Gepäcknez brach ab. Nun trant er eine Flasche aus, die mit einem Opiat gefüllt war, schnitt sich mit seinem Taschenmesser die Pulsadern auf und sprang dann aus dem Fenster des fahrenden Zuges. Doch der Sturz wurde durch Dickicht gedämmt, in das er hineinfiel; die Schnitt wunden waren nicht tief genug, um ein Verbluten zur Folge zu haben, und das Opiat erwies sich als nicht giftig. Er wurde lebend aufgefunden, nach dem Krankenhaus gebracht und dort wieder ganz hergestellt. Als die Polizei erschien, um ihn zu verhaften, entfloh er aus seinem Haus und stürzte sich in den nahe gelegenen Fluß. Aber die Beamten zogen ihn heraus und brachten ihn in Sicherheit: ins Ge fängnis.
Ole steht auf der Brücke der„ Tromsö ". Sein Blick geht über die Fläche. An Steuerbord, an Backbord, vorn, achtern überall steht das Eis.„ Nehmt den Tran mit!" brüllt er auf das Deck hinunter.„ Schneidet das Großsegel vom Mast! Schmeißt alles auf das Eis!"
Am Horizont raucht Licht, hebt sich noch und spannt einen Bogen in die halbe Höhe des Himmels. Im Dunst des Polarlichtes steht ein Gesicht, sieht Ole das Gesicht Lisawetas, das ihn um die Erde gejagt hat. Hoi- ho- hoi- ho!"
Auf dem Deck werden Fässer gerollt, Riften geschleppt. Tran, Rum, Proviant wird an Tauen hinutergelassen auf die gefrorene Fläche des Meeres. Die Fäuste der Männer find Schaufeln geworden. Sie schippen, schleppen, packen alles, was nicht festgeschmiedet ist, zusammen und werfen es hinunter. Acht arbeiten. Ole ist der neunte. Er steht mitten auf der Brücke. Seine Beine wurzeln in den Eingeweiden des todwunden Schiffes. Jede Bewegung registriert er wie ein Apparat. Knall! Schrei brechenden Stahls- einmal, zweimal! Nieten brechen! Neun Paar Ohren sind ein einziger Trichter! Sekunden bleibt alles still. Dann dröhnt Schlag auf Schlag. Nieten reißen wie Knöpfe an einer riesenhaften Jacke. Eine eiserne Wand rollt sich auf, Deckplanken beben. Aus der Tiefe schlottert es heraus bis in die Knie der Männer. Das Schott ist geborchen! Gestern nacht ist der Fischdampfer SS .„ Tromsö " gegen einen Eisberg ge= rannt. Mit aufgerissenem Steven hat er seinen Weg gesucht durch treibende Eisfelder. Das Schott, daß wie ein eisernes.
Zwerchfell das Schiffsinnere in Abteilungen trennt, hatte gehalten, eine Nacht und einen Tag... Es ist gebrochen. Wasser stürzt in den Raum. Die Mannschaft stiebt auseinander nach allen Richtungen. Westerwieken, der Steuermann, wälzt sich wie ein schwerer Sack über die Bordwand. Die andern folgen. Sie stehen auf dem Eis herum um das sinkende Schiff. Der Steuermann war der erste, der mit Trinken angefangen hatte; jetzt poltert seine Stimme in die Nacht:" I bet my boots- ich wette meine Stiefel, diese verdammte„ Tromsö " versäuft!"
Das Schiff bäumt sich wie ein Tier und schüttet die fiber das Vorderdeck waschenden Wasser von sich. Noch einmal hebt es seine Nase aus der Flut, um gleich noch tiefer hineingedrückt zu werden. Das Hed mit Steuer und Schraube steigt steil in die Luft.
Mit großer Fahrt sinkt die„ Tromsö " in das Meer. Einmal noch tut die Tiefe sich auf und spuckt eine schmutzige Wolke aus Rauch, Kohlenstaub und Dampf. Dann gähnt ein Loch in der Nacht. Wilder Atem der Polarnacht peitscht die Männer zu hohen Haufen. Mit blauen Zähnen nagt das gefrorne Meer an Leibern und Beinen. Ole liegt mit dem Kopf gegen ein Tranfaß. Dem Faß hat man den Boden( geschlagen und hat es in Brand gesteckt. Der Tran brennt mit roter, rußiger Flamme. Ole sieht die Sterne des Himmels über seinen Scheitel laufen. Die Scholle, auf der fie liegen, treibt. Mit ihr treiben phantastische Eisgebilde. Zertlüftete Blöcke schwimmen durch die Nacht wie Gesichte. Im Rauch der Flamme hantiert der Steuermann. Ein volles Faß Rum gießt er in das fochende Wasser. Dabei bellt er mit heiserer Stimme:" That' ll do! That' ll do!"
So hat er immer in das Mannschaftlogis hineingerufen, wenn das Schiff nach beendigter Reise im Hafen angekom men und die Matrosen an Land gehen durften,
" That' ll do" pulst in schweren Schlägen das Blut durch die schiffbrüchige Mannschaft; neunköpfiger Leib schrumpft zusammen unter der Decke von Lumpen, Segeltuchfezzen und Schnee.
Ole fällt mit weit offenen Augen in Schlaf. Das über das Eis kriechende dunstige Leuchten des Nordens stürzt in seinen Traum. Ole ficht Licht. Licht hundertarmiger Leuchter blizendes Porzellan, Schüsseln, Gläser. Er sitzt an weißem Tisch mit tausend Gedecken, Glattrasierte Männerantlize, gepflegte Bärte. Nackte Schultern und Arme von Frauen leuchten weich wie Samt.
Aber der Zahlkellner hat das Geficht von dem Schuft in Trondjem, von dem Shippingmaster, der ihn auf die " Tromsö " geheuert hat. Er macht ihm eine doppelte Rech nung. Ole sucht Geld, sucht in allen Taschen und findet keines. Lisaweta ist da. Sie hat das gelbe Kleid an. Ihre schlanken Finger hasten durch die Reisetasche. Geld findet sie nicht, Bur ein paar Notenblätter und einen seidenen Pantoffel.
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Ein seidener Pantoffel. Ein unermeßlicher seidner Pantoffel singt über die Eisprärie. Ole hört mit hellwachen Sinnen den Ton, hört wieder den seltsamen Ton, von dem er einmal erzählt hat, nachdem er lange Stunden mit Frau Lisaweta dem Wind gelauscht hatte im Kamin. Ein Gletscher fährt durch die Nacht. Ein Gletscher geht durch die Nacht. Riesenzahn aus dem Maul der Ewigkeit reißt durch das Eis. Weißblutende Schollen schieben sich in die Höhe. Das letzte Tranfaß brennt, ist niedergebrannt bis an den Haarschopf Oles. Der bewegt sich nicht, fühlt keinen Leib und feine Beine mehr. Seine Füße stecken in Stiefeln und sehen ihn an wie zwei Gegenstände. Aus dem Knäuel zusammengehauenen Menschenhaufens ragt eine geballte Faust gegen den Himmel. Das Antlitz von Sven Westerwieken, dem Steuermann, sieht aus wie das Geficht eines toten Seehunds. That' ll do!