Freiheit

Nummer 49 1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 16. August 1933 Chefredakteur: M. Braun

Zwei Geschlechter machen heute

Karriere in unserem Staat,

ehrenfeste, liebe Leute,

trinken Bier und spielen Skat,

und sie heißẞen kurz und schlicht: Duckedich und Denkenicht.

Ernst Ziel.

Der Blutrausch

Die Parteigenossen des deutschen   Reichskanzlers und ihre Todesopfer

Es ist unendlich schwer, über irgendein Geschehen im ** faschistischen Deutschland   die Wahrheit zu ermitteln,

denn alle irgendwie Beteiligten, vor allem auch die Angehörigen von Gemordeten, stehen unter einem un­geheuerlichen Druck des Terrors und der Angst, daß fie fich fürchten, irgendetwas auszusagen. Daher ist es uns erst jetzt gelungen, die folgenden authentischen Angaben zusammenzustellen über die grauenhaft blu= tigen Vorgänge, die sich Ende Juni in Berlin- Köpenick  zugetragen haben.

Am Mittwoch, dem 21. Juni, früh hatte die SA. Alarm. Ab 9 Uhr morgens wurden ehemalige Mitglieder der SPD.   und KPD.   sowie auch viele unpolitische Leute, die sich früher ein­mal abfällig über die NSDAP  . geäußert hatten, oder die bei SA.- Mitgliedern unbeliebt waren, aus den Wohnungen geholt, wobei Bücher, Fahnen, Bilder usw. mitgenommen nurden. Im Ganzen wurden zirka 800 Menschen nach vier Lokalen( Sonntag, Kaiserin- Augusta- Vittoriastraße; Seid­Ter, Uhlenhorststraße; Demuth, Elisabethstraße; Heuboden, Schönlinderstraße) gebracht.

Dort wurden sie stundenlang gequält, indem man sie mit Fußtritten und Fausthieben bearbeitete, mit langen Rohr­stöcken, Holzstäben und Gummifnüppeln schlug. Die Zahl der Schläge, die der Einzelne empfing, betrug 20 bis 140! Zu der Prozedur des Schlagens wurden Tische benutzt, die mit schwarz- rot- goldenen Fahnentüchern bedeckt waren. Aus­schlagen der Zähne, Armbrüche und Gliederverrenkungen ge= hörten noch zu den leichten Fällen. Es sind sogar Fälle be­fannt, wo Festgenommenen mit brennenden Fackeln das Ge­fäß verbrannt wurde. Die bereits Mißhandelten oder noch nicht Mißhandelten wurden gezwungen, sich stundenlang die Mißhandlung mitanzusehen. Der Arzt Dr. Heilbronn, der von der SA. zur Vorsicht hinzugezogen worden war, wurde selber geschlagen und schlimm zugerichtet, als er die SA.- Leute fragte, warum sie die Gefangenen schlügen.

Im Köpenider Krankenhaus lagen nach Wochen noch 80 bis 40 Genossen, die zum Teil in Wasserbetten liegen müssen, so find fie angerichtet worden! Mindestens 20 Tote find zu beklagen. Soweit wir die genauen Personalien der Toten bisher ermitteln konnten, geben wir sie an. Die Vorgänge, die zur Erschießung der drei SA.- Leute führten, haben sich erst im Anschluß an das Wüten der SA. abgespielt! Nachdem die Horden den ganzen Mittwoch über in Köpenick   gehaust hatten, drangen sie in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag um halb zwölf in die Wohnung des Sozialdemokraten Schmaus ein. Anton Schmaus war bereits einmal von den Nazis festgenommen und aufs Schwerste mißhandelt worden. Was sich dann dort abspielte, ist bereits von uns berichtet worden, während es in Deutschland   nur in illegalen Zeitungen und von Mund su Mund verbreitet werden kann. Ueber den Tod des jun­gen Schmaus ist uns noch folgendes bekannt geworden: da Schmaus nur mit einer Badehose bekleidet und seine Flucht daher aussichtlos war, stellte er sich selbst der Polizei. Ein Trupp von 30 SA.- Leuten drang in die Wache ein und for­derte seine Herausgabe, wobei es beinahe zu einer Schieße­rei zwischen SA. und Polizei fam. Später wurde Schmaus nach Informationen, die aus Nazikreisen stammen! auf direkte Veranlassung des Polizeipräsidenten der SA. ausgeliefert und von dieser umgebracht.

Seine Leiche wurde später, wie bekannt, in Säde ge näht aus dem Wasser gelandet. Noch bevor die Leiche gefun­den wurde, deutete einer der Redner bei dem Staatsbegräb­nis den Mord an Schmaus an, indem er erklärte, man hätte gern Schmaus vor den Staatsgerichtshof gestellt, um ein Erempel zu statuieren, das sei aber leider unmöglich, weil er einem Unglücksfall(!) zum Opfer gefallen wäre. Ob die Mutter, die angeblich in eine Frrenanstalt gebracht wurde, noch lebt, ist unbekannt. Am Donnerstag, dem 29. Juni, ver­fuchte die SA. das Haus der Familie Schmaus in Brand zu stecken.

Bei den beiden Staatsbegräbnissen wurden Andersden­fende auf der Straße verprügelt und zerschlagen. Es herrscht hier ein Terror und eine Angststimmung, wie man sie sich nicht leicht vorstellen kann. Viele langjährige Mitglieder der SA. und der NSDAP  . haben ihren Abscheu und ihre Unzu­friedenheit ausgedrückt und haben sich sogar persönlich bet vielen Genossen entschuldigt. Der Leiter des Kreiskranken­hauses, Dr. Hinze sowie die Aerzte Dr. Lehmann und Dr. Heilbronn haben Beschwerde bei Göring   erhoben.

Die bisher ermittelten Toten

1. Richard Aßmann, Berlin- Friedrichshagen, Fried richsstr. 114, Reichsbannerführer. Wurde am am 21. 6. in

Friedrichshagen   verprügelt, dann nach Köpenick   gebracht und dort totgeschlagen. In einen Sad eingenäht bei Grünau   aus dem Wasser gezogen. Seine Frau wünschte, daß er auf dem Friedhof begraben werden sollte, da aber die Leiche fehr start verstümmelt war, wurde auf Anordnung der Polizei am 27. Juli( nachdem sie 25 Tage aufbewahrt worden war) im Krematorium Gerichtsstraße verbrannt.

2. Paul von Esser, Berlin  - Köpenid, Dahlwiger Platz 9. Reichsbannerführer. Wurde am 21. 6. in Köpenick   totgeschla= gen und ebenfalls bei Grünan in einen Sad eingenäht aus dem Wasser gezogen. Der Leiche waren die Hände abgehackt. Sie wurde am 9. 7. im Krematorium Gerichtsstraße vers brannt.

8. Johannes Stelling  , Berlin  - Köpenid, Dahlwitzer Straße 36. Am 21. 6. totgeschlagen und am 2. 7. bei Grünau  in einen Sack genäht mit furchtbaren Verlegungen aus dem Wasser gezogen. Am 9. 7. im Krematorium Gerichtsstraße

verbrannt.

4. Erich Janigti, Berlin  - Röpenid, Mittelheide 3. Kom munist. Nach Darstellung der Nazis von Anton Schmaus ge= tötet. Nach einer Zeitungsmeldung hat er bei dem Feuer: überfall auf die SA.- Leute im Hausflur gestanden. Nach einer anderen Zeitungsmeldunug ist er mit SA.- Leuten auf der Straße zurüdgeblieben und nach einer dritten Zeitungsmel dung ist er in einem Auto erschossen worden. Tatsache ist, daß er von den Nazis zur Rache für die getöteten SA.- Leute ge= tötet wurde.

5. R. Krahl, Berlin- Adlershof  , Handjeristr. 36. Sozial: demokrat. Wurde aus dem Teltowkanal als Leiche heraus­gezogen. Angeblich soll er Selbstmord begangen haben. Er ist aber am 21. 6. mit verprügelt worden und seitdem ver= schwunden gewesen. Er wurde am 13. 7. in Adlershof   be= graben.

6. Paul Pohle, Berlin- Köpenick  , Gutenbergstr. 10. Sos zialdemokrat. War im Köpenider Krankenhaus beschäftigt. Da er sich weigerte, seine Arbeit dort niederzulegen, wurde er von den Nazis weggeholt und verschleppt. Er wurde im Jagen 42 bei Berlin  - Grünan an einem Baum hängend mit einem Rückenschuß aufgefunden. Er wurde am 8. 7. im Kre­matorium Gerichtsstraße verbrannt.

7. Karl Pokert, Berlin- Friedrichshagen  , Mügelsee­Damm 177. Kommunist. Wurde am 21. 6. verhaftet und nach Köpenick   gebracht. Am 2. 7. wurde er in einen Sack genäht, mit furchtbaren Verlegungen bei Grünau   aus dem Wasser gezogen. Am 11. 7. in Friedrichshagen   begraben.

8. Anton Schma u 8, Berlin  - Köpenid, Alte Dahlwitzer ftraße 2. Sozialdemokrat, Tod oben geschildert.

9. Hans Schmaus  , Berlin- Köpenick, Alte Dahlwigers straße 2. Sozialdemokrat. Hat angeblich sich selbst erhängt. Tatsache ist, daß er gezwungen wurde, sich selbst zu erhängen, nachdem er furchtbar verprügelt worden war.

10. Paul Spizer, Berlin- Köpenick  , Müggelheimer: straße 4. Kommunist. Am 21. 6. totgeschlagen.

11. Josef Spiger, Berlin  - Köpenid, Glienickerstraße 59. Kommunist, am 21. 6. totgeschlagen.

Auf der Flucht er- mordet!

Wie aus Warburg   gemeldet wird, sollte von Kleinenberg aus der Adjutant des bekannten Kommunistenführers Hesse unter starker Bedeckung in ein Konzentrationslager geschafft werden. Im Kleinenberger Wald versuchte er zu ent­fliehen. Die den Transport begleitenden SA.- Leute schossen auf ihn und trafen ihn in den Arm, Fuß und Kopf. Der Verletzte wurde in das Krankenhaus Scherfelde gebracht, wo er verstorben ist.

Das Schicksal Künstlers Berlin  

, 13. Auguft.( Inpreß.) Auf einem Bild, das die Einlieferung einiger Rundfunks größen sowie den Abgeordneten Frig Ebert und Heilmann im Konzentrationslager Oranienburg   darstellt, fehlt der ebens falls verhaftete Berliner   sozialdemokratische Abgeordnete Franz Künstler  . In Berlin   verlautet, daß er von SA.- Leuten ermordet worden ist.

Nach einem Privatbrief an die Deutsche Freiheit" foll Künstler" nur" schwer mißhandelt sein. Sein Aussehen ist so, daß er nicht auf das Bild gebracht werden konnte.

Bürger und Despot

Das Bündnis

Das Bündnis gegen die Arbeiter

Von Otto Bauer  , Nationalrat   in Wien  

Die deutsche   Bourgeoisie hat, sehr im Gegensatz zur französischen, zur englischen, zur amerikanischen, Deutsch  land nie selbst regiert. Sie hat die Regierungsmacht den Fürsten  , ihren Bürokraten und Generälen überlassen und deren Macht gestützt.

Erst die Republik  , die von der Arbeiterklasse erkämpft worden war, gab der Bourgeoisie die Möglichkeit, selbst die Regierung des Reiches zu übernehmen. Je schwächer die Arbeiterklasse im Verlauf der fünfzehnjährigen Ents wicklung der Republik   wurde, desto mehr war es den bürgerlichen Parteien möglich, als Sachverwalter der Bourgeoisie die Regierungen im Reich und in den Ländern in ihre Vollzugsausschüsse zu verwandeln.

Aber die deutsche Bourgeoisie hatte keine Neigung, selbst das Reich zu beherrschen. Sie konnte es nur in den Formen der Demokratie beherrschen, aber die Demokratie verbürgte der Arbeiterklasse starke einflußreiche Frak­tionen in den Parlamenten und starke Gewerkschaften in den Betrieben. Sie konnte es nur in den Formen des Parlamentarismus beherrschen, aber die parlamentarische Regierungsform setzt freie Diskussion, häufige Wahlen, häufige Regierungskrisen voraus. Jhre eigene Herrschaft erschien ihr mit lästigen und gefährlichen Begleiterschei­nungen verknüpft, die ihre Privatgeschäfte störten. So zog sie es vor, auf ihre Herrschaft zugunsten einer über den Klassen thronenden Gewalt zu verzichten, die ihr das Proletariat in Gehorsam erhalten, die lästigen Diskussionen, Wahlkämpfe, politische Krisen ersparen, sie mit ihrer Herrschaft befreien sollte. Sie bewies, daß der Kampf um die Behauptung ihres öffentlichen Interesses, ihres eigenen Klasseninteresses, ihrer politischen Macht, sie als Störung ihres Privatgeschäftes nur belästigte und verstimmte."( Marx, 18. Brumarie.)

Die deutsche Schwerindustrie hat die faschistische Be­wegung finanziert. Die Massen der deutschen   bürgerlichen Wähler sind ihr zugeströmt. Schließlich haben Junker­tum und Schwerindustrie die Uebergabe der Macht an Hitler   durchgesetzt. Die Herrschaft ging damit auf die SA.   und SS.   über, auf die nach militärischem Vorbild organisierte Gewalt, die die deutsche Bourgeoisie zur Niederwerfung des Proletariats benüßen wollte.

Die SA. und SS. bestehen aus Offizieren, die mit der Auflösung der kaiserlichen Armee ihre Dienststellen ver loren haben, aus Fabrikanten, deren Fabriken stillstehen, aus Kleinbürgern, die nur noch pauperisierte Proletarier find, aus Söhnen von Bauern, deren Grundeigentum schon ihren Gläubigern gehört, aus Angestellten, für die es keine Anstellung, und aus Arbeitern, für die es keine Arbeit gibt; die neue herrschende Gewalt repräsentiert nicht eine Klasse, sondern die Abfälle aller Klassen.

Und diese neue Gewalt zerschlug nun die freien Organi fationen aller Klassen. Sie löste nicht nur die prole­tarifchen, sondern auch die bürgerlichen Parteien auf. Sie verbot nicht nur die proletarische Presse, sondern schaltete auch die bürgerliche Presse gleich. Sie hat nicht nur die Gewerkschaften gleichgeschaltet, sondern auch die Organi sationen der Industriellen, der Intellektuellen. Sie alle wurden ihrer Autonomie beraubt und unter das Kom mando von Reichskommissaren gestellt. Eine despotische Staatsgewalt hat sich alle Klassen unterworfen. Der Kampf scheint so geschlichtet, daß alle Klassen gleich macht­los und gleich lautlos vor dem Kolben niederknien." ( Marx.)

Aber in Wirklichkeit kann die Gewalt nicht über den Klassen schweben. Der Klassengegensatz ist die ent scheidende Tatsache der kapitalistischen   Gesellschaft; hatte die faschistische Gewalt alle Klassen ihrem Gummiknüppel unterworfen, so mußte sie dennoch zwischen den Klassen wählen.

Nach dem Siege des Faschismus fühlen sich die SA  .. und SS.  - Männer als Sieger. Die nationalsozialistischen Proletarier in den Fabriken und in den Büros glaubten ihre Stunde gekommen. Sie setzten Verwaltungsräte ab. Sie verjagten Direktoren. Die nationalsozialistischen Betriebszellen maßten sich die Macht in den Betrieben an. Die nationalsozialistischen Proletarier erwarteten, der ,, ersten Revolution", die den Staat in die Hände ihrer Partei gebracht, müßte die zweite folgen.

Die Krupp, Thyssen, Vögler bestürmten Hitler   um Hilfe. Der Kleinbürger, der immer zwischen Rapital und Arbeit