Fretheil

Nummer 51-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, den 18. August 1933 Chefredakteur: M. Braun

Fatal ist mir das Lumpenpack,

Das, um die Herzen zu rühren, Den Patriotismus trägt zur Schau Mit allen seinen Geschwüren. Heinrich Heine .

Holland fühlt sich bedroht

Der deutsch - österreichische Konflikt beunruhigt die kleinen Länder- Schweiz und Holland sorgenvoll- Krieg und Sozialismus

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In der Schweiz verfolgen nicht nur die Sozia- durch das Schicksal des deutschen Zentrum gewarntete Deutsch die Saar !

listen, sondern auch die bürgerlichen Politiker die deutsche Aggressivität gegen Oesterreich mit Unruhe und Spannung. Mehrere angesehene Publizisten, so 3. B. J. B. Rusch in der« National- Zeitung", rich­fen mahnende Rufe an die Bundesregierung. Deutsch­ land habe gegenüber Oesterreich das Völkerrecht ge­brochen. Der braune Imperialismus achte seine eigene Unterschrift nicht. Es sei notwendig, ihm auch von der Schweiz her rechtzeitig Grenzen zu ziehen.« Was jenseits des Arlberg und Rhäfikon sich vollzieht, geht auch uns an und kein Volk Europas hat gewichtigeren Grund, sich gegen eine Auffassung zu erheben, als ob die Quälerei kleiner Staaten durch freche Nachbarn für diese eine innere Angelegenheit sein dürfe, als gerade wir." Dieselbe besorgte Stimmung äußert ein Aufsatz, der uns von besonderer Seite aus dem Haag zugeht: Die erschreckend näher kommende Gefahr eines europäs ischen Krieges ist der Welt durch den österreichischen Konflitt zum Bewußtsein gekommen. Aber die Versuche des Hitler: regiments, den österreichischen Nachbarstaat gleichzuschalten, find nicht die einzigen ihrer Art. Auch an der deutsch - holläns dischen Grenze schwelt ein Brandherd.

Freilich, soweit ist auch die nationalsozialistische Groß mannspolitik noch nicht, um das stammesverwandte" hollän dische Nachbarvolk im Ganzen verschlucken zu wollen, das auf diese Verwandtschaft zur Zeit weniger Wert legt als je. Der Appetit geht einstweilen nur auf einen kleinen Teil Hollands , auf seinen südlichen Ausläufer, die Provinz Süd­Limburg.

Dieser schmale, zwischen Belgien und Deutschland ( bei Aachen ) hineingeschobene Zipfel enthält die Kohlen: schäze, über die Holland verfügt. Auf acht Gruben wird ein hochwertiger Anthrazit gefördert. Die Nähe des Aachener Bergbaureviers bringt es mit sich, daß zahlreiche deutsche Bergarbeiter auf holländischen Gruben tätig sind, ihre Zahl dürfte 25 000 betragen.

Unter diesen betreiben die deutschen Nationalsozialisten eine ungemein lebhafte Agitation. Da ein großer Teil dieser Arbeiter in Deutschland wohnt, periodisch dorthin zurück­kehrt oder mindestens Familie in Deutschland hat, so ist es nicht schwer für die Nazi- Agitatoren, durch Drohungen mit Bergeltungsmaßnahmen aller Art auf Widerspenstige den nötigen Druck auszuüben. Tatsächlich hatte sich die deutsche nationalsozialistische Partei mit Hilfe eines Teiles dieser Bergarbeiter schon eine Anzahl Stüßpunkte im niederländischen Kohlengebiet geschaffen.

Das Kohlenrevier ist seitdem in ständiger Gärung. Selbst­verständlich setzten sich die Sozialisten, Partei und Gewert fchaften, mit aller Kraft gegen den nationalsozialistischen Ein­fall zur Wehr. Das gleiche taten die katholischen Verbände,

Aber man glaube nicht, daß es in diesem Kampfe um die der 25 000 Bergarbeiter gegangen wäre.

Das kleine Ländchen Süd- Limburg ist vielmehr von ganz besonderer Bedeutung. Nicht nur von wirtschaftlicher - wegen der reichen Bodenschätze. Eine andere Bedeutung ergibt sich aus seiner geographischen Lage: dieser lang= gestreckte Zipfel, der an seiner schmalsten Stelle knapp zehn Kilometer, im Durchschnitt vielleicht zwanzig breit ist, spaltet auf eine Länge von rund sechzig Kilometer Deutschland und Belgien auseinander. Im Falle eines ernenten kriegerischen aufmarsches würde sein Besiz es Deutschland ermöglichen, den 1914 mißglückten Schlieffenschen Aufmarschplan mit besseren Chancen zu wiederholen, nämlich mit einer nörd­lichen Verlängerung des Umgehungsflügels um 60 Kilo­bei einem Durchmarsch durch Süd- Limburg. Solche Absichten Deutschlands lassen sich zwar nicht bis ins legte beweisen, aber in den Niederlanden fürchtet man fie und glaubt sie zu kennen. Sehr oft hört man Niederländer und glaubt sie zu kennen. Sehr oft hört man Niederländer sagen, daß im nächsten Weltkriege wohl Holland die Rolle Belgiens von 1914 spielen würde.

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Diese Befürchtung hat dies sonst phlegmatische Volt aus seiner Ruhe gescheucht. Die holländische Regierung hat trifle Anweisung an ihre Organe gegeben, alle Ausländer, die sich in Holland politisch betätigen, rücksichtslos auszuweisen. Auf Grund dieser Anordnung wurden bereits der nationalsozia: listische Hauptagitator Tykfr und einige seiner reichsdeutschen Unterführer über die Grenze gefeßt. Sehr viel Erfolg hat die Maßregel freilich nicht gehabt, denn es wiederholt sich auch hier im Kleinen das österreichische Spiel: von Aachen , also von deutschem Boden ans, seßen Tyffr und die Seinen ihre Agitation im Nachbarland munter fort. Die Schlagworte Gleichschaltung und Angliederung" bedrohen immer noch Hollands Südprovinz.

Die holländische Sozialdemokratie sieht sich durch die Aggressivität des deutschen Nationalsozialismus, der einen Teil ihres Heimatlandes unmittelbar bedroht, vor ein ernstes Problem gestellt, vor ein Problem, auf das wohl die Zweite Internationale überhaupt sehr bald eine grundsägliche Antwort wird geben müssen: Genügt es, bei dem augen= blicklichen Machtstand des triegerischen Faschismus und bei der Schwäche des Weltproletariats, weiter nur Abrüstung zu predigen? Oder muß man nicht sagen, daß diese Politik zwar Sinn hatte, so lange sie durch eine starke europäische Sozialdemokratie realisiert werden konnte, daß sie aber jetzt sinnlos geworden ist, da der Faschismus Abrüstungs: debatten nur zum Vorwand nimmt, um seine Rüstungen zu verschleiern? Mit anderen Worten: ist es nicht richtiger, den verschleiern? Mit anderen Worten: ist es nicht richtiger, den Arbeitermassen zu sagen, daß durch die Siege des Faschismus und durch die Niederlagen des Proletariats diefes die Macht verloren hat, den kommenden Krieg abzubremsen, daß es das her den Krieg als unvermeidlich betrachten und von diesem Gesichtspunkt aus seine Maßnahmen schon jetzt treffen muß?

Die Arbeiter der Länder, die durch den Expansionsdrang des Nationalsozialismus unmittelbar gefährdet find, werden dieser entscheidenden Frage nicht lange auszuweichen können.

Hindenburgs Gut

Neues Staatsgeschenk für die Reichspräsidenten - Familie Aus Königsberg in Preußen wird gemeldet:

Die Staatsdomäne Langenau soll mit dem Neudecker Familiengut des Reichspräsidenten von Hindenburg vers einigt werden. Die Güter waren bereits 1853 vereint. Es soll also das Privatgut des 85jährigen Reichspräfi­denten durch ein staatliches Gut vergrößert werden. Ob und wieviel der Reichspräsident dafür zahlt, wird nicht gesagt, Es scheint, als handele es sich um ein staat liches Geschenk.

Das Kapitel Hindenburg und sein Rittergut Neuded find ohnehin peinlich genug. Ostpreußische Junker unter Füh­rung Oldenburg - Januschaus haben den Millionenbetrag für die Erwerbung des früheren Hindenburgschen Familien­gutes gesammelt. Die ostelbischen Granden wollten den Reichspräsidenten möglichst oft in ihrer Mitte sehen und wollten ihn an ihre Großgrundbesitzerinteressen binden. Beide Ziele find erreicht worden.

Sehr peinlich war die Tatsache, daß das geschenkte Gut nicht auf den Namen des Reichspräsidenten , sondern auf den feines Sohnes grundbuchlich eingetragen worden ist. Das geschah, um dem Staat die nicht unbeträchtliche Erbschafts­steuer vorzuenthalten, wenn das Gut bei dem Tode des Reichspräsidenten auf dessen Sohn übergeht. Man vergegen­wärtige fich, was geschehen wäre, wenn sich ein sozial­demokratischer Reichspräsident zu einer solchen Schie­bung hergegeben haben würde. Man weiß, daß das nicht der Fall ist. Friedrich Ebert ist besiglos gestorben. Zwei seiner Söhne sind im Felde gefallen und der dritte exerziert im Konzentrationslager auf Rommando junger SA.- Leute, Man erinnert sich, daß das Herrn von Hindenburg weiter nicht

fümmert.

Jetzt also bekommt der Reichspräsident, richtiger sein Sohn Oskar, zu dem geschenkten großen Gut ein weiteres großes Gut dazu, und zwar aus Staatsbesitz.

Die oftelbischen Junker müssen sehr zufrieden sein mit dem dritten Reich" und seinen Regenten.

Schwört und sprecht: Recht bleibt Recht Wahr bleibt wahr Dentsch die Saar

D. F. Jn Riefengröße hängt ein Plakat mit diesem Spruch an den Anschlagsäulen des Saargebietes. Ueber dem Niederwalddenkmal und dem Rhein als wirkungs­

vollen Sinnbildern deutscher politischer Romantik recht sich gigantisch eine zum Schwur erhobene Hand in den

Himmelsraum. Er ist blutig rot. Seltsam blaß ver­schwimmt das Hakenkreuz am Horizont.

Das Plakat ruft zur Saarkundgebung am Niederwald. Hunderttausend Menschen sollen sich dort am 27. August zusammenfinden, um ihre Treue zum Deutschtum, die niemand bezweifelt, wieder und wieder kundzutun. Man macht ihnen das Bekenntnis leicht. Nie war eine Rhein­reise wohlfeiler als diese. Sie kostet kaum mehr als ein kleiner Sonntagsausflug. Das Geld kommt aus den deutschen Propagandakassen, die, was wohl nicht zu bestreiten ist, millionenfach stärker im Saargebiet arbeiten als die französischen . Es scheint, daß die saturierte fran­ zösische Politik viel weniger Interesse am Gaargebiet nimmt, als aufgeregte nationalistische Festredner unseres deutschen Vaterlandes behaupten.

Wir mißgönnen unseren Landsleuten die billige Rhein­reise nicht. Auch im dritten Reich" ist der Blick vom Niederwald auf Bingen und Rüdesheim und Aßmanns hausen schön. In uns Ausgestoßenen und Geächteten klingt so etwas wie Scheffels Frankenlied:

Wie gerne wär' ich mitgewallt, Ihr Pfarr' wollt mich nicht haben. So muß ich seitwärts durch den Wald Als räudig Schäflein traben...

Wir vermuten, daß vielen, sehr vielen, die mit in den Rheingau fahren, der Wein dort drüben besser munden wird als die Reden, die ihnen allzuoft schon im Radio zu gemutet worden sind. Auch im patriotischen Ueberschwang geht es glücklicherweise etwas menschlicher zu, als die Bathetiker der Tribüne uns glauben machen wollen.

Das aufgeregte Bekenntnis zum Deutschtum haben wir nicht nötig. Selbstverständlichkeiten braucht man nicht in die Welt zu schreien. Für Röchling und andere deutsch­patriotische Rüstungslieferanten an die französische Armee liegt der Fall anders. Die müssen ihr Deutschtum immer wieder beweisen, und dann glauben wir es ihnen immer noch nicht. Wir haben an unserer deutschen Betätigung nie etwas verdient, genießen allerdings die hohe Auszeich nung, von denen als Landesverräter beschimpft zu werden, die durch die Unterdrückung der Freiheit im Innern und durch die Herausforderung Europas am Ruin des Deutschen Reiches arbeiten.

Das Schauspiel am Niederwald ist aus einem Grunde nicht recht verständlich: die gleichgeschaltete Presse ver sichert immer wieder, daß die für 1935 in Aussicht ge­nommene Volksabstimmung über die staatliche Zukunft des Saargebietes mit einem überwältigenden Siege des ,, dritten Reiches" enden werde. Warum also noch diese großen Unkosten? Da dürfte doch etwas nicht stimmen.

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In der Tat sind für den, der sich nicht leicht berauschen läßt, einige Zweifel erlaubt. Der deutsche Politiker darf nicht vergessen, daß bei der Abstimmung an der Saar drei Möglichkeiten zur Wahl stehen: Frankreich , Status quo und Deutschland . Diese Dreiteilung der Stimmenzahl erhöht die Macht der Minderheiten. Selbst ein nur geringer Hundertsatz für Frankreich - er wird unmöglich hoch sein unmöglich hoch sein kann entscheidend werden für die Frage, ob die Rückgliederung an Deutschland erfolgt oder ob es bei dem jezigen Regierungszustand bleibt. Selbst wenn wir alle Komplikationen, die in der europäischen Atmosphäre liegen, ausschalten und mit einer friedlichen und ruhigen Entwicklung rechnen, bleibt das Jahr 1935 für das Schicksal der Saar rätselvoll. Wir sprechen es aus. Die jetzige Reichsregierung weiß es nicht minder, aber sie schweigt und läßt dafür ihre Propagandisten reden. Um Deutschlands willen aber muß man reden.

Da sind nun diese Hitler und Göring und Len auf die 12 Millionen Sozialdemokraten und Kommunisten, die noch am 5. März unter gefährlichstem Terror zu ihren roten Fahnen standen, losgelassen. Man hat ihnen alles geraubt: die Organisationen und ihre Kassen, das ganze