Ticfinnerliche Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit
Ein Kapitel„ Volksaufklärung" im„ dritten Reich"
In einer großen nationalsozialistischen Zeitung leſen Der deutsche Sozialismus"
mir:
Vor der ungeheueren Kraft des nationalsozialistischen
Totalitätsgebanten s mußten naturnotwendig Frei nach Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt
auch diese letzten Reste und Menschen nicht unserer Prägung verschwinden. Das geschah dann auch. Hugen berg ging, und der Führer berief Dr. Schmitt zum Reichswirtschaftsminister. Was dieser Mann in seiner ersten öffentlichen Rede am Sonntag in Köln erklärte, war also erstmalig die programmatische Wirtschaftspolitif, die der Nationalsozia lismus und Adolf Hitler als sein Führer dem neuen Deutschland und der gesamten Welt zu verkünden haben. Tiefinnerliche Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit... waren wohl der tiefste Eindruck, den diese Rede hinterließ. Daß ein Minister so offen, so ungeschminkt, wahrhaftig und aufrichtig sprechen fonnte, zeigt, welch gewaltige Erziehungsarbeit in den wenigen Monaten des neuen Staats am deutschen Volke bereits geleistet worden ist. Das Novembersystem bestand aus Lüge, Täuschung und Feigheit...
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Wir alle erfuhren also aus Köln erstmalig die programmatische Wirtschaftspolitik" des Nationalsozialismus. Das nationalsozialistische Wirtschaftsprogramm offenbar eine gänzlich andere Angelegenheit- stammt aus dem Jahre 1922. Es hat seine Aufgabe als bezaubernde Rattenfängermelodie erfüllt und macht nun der ,, tiefinnerlichen Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit" Plazz. Immerhin scheint man noch nicht ganz sicher, wie die vers zauberten Ratten den Wechsel aufnehmen werden. Die nationalsozialistischen und gleichgeschalteten Zeitungen haben es jedenfalls vorgezogen, die allzu aufrichtigen Stellen der programmatischen Rede ihren Lesern nicht zu servieren, obwohl auf diese Weise die„ tiefinnerliche. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit" zum Teufel geht. Die nationalsozialistische Sa a r- Front" versteckt sogar die ,, erstmalige" Darlegung der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik an einer unwürdigen Stelle hinter den Nachrichten aus der Südpfalz, dem Sport und sonstigem " Kreuz und Quer".
Die nationalsozialistischen Blätter legen auf eine treue Wiedergabe der goldenen Ministerworte offenbar den geringsten Wert. Was Herr Schmitt klar, deutlich und rücksichtslos zum Ausdruck brachte, daß nämlich mit den alten Parteiphrasen aufgeräumt werden müsse und der gute alte Liberalismus„ nach beendeter nationaler Revolution" allein maßgeblich sei, das ist wohl für den durchschnittlichen Gefolgsmann des„ Führers" ein zu starker Tabak. Infolgedessen werden ihm die„ springenden Punkte" entweder verschwiegen oder so mit Phrasen überdeckt, daß er nichts versteht, denn er darfja nicht merken, daß der Minister Schmitt in Köln dem nationalen Sozialismus eine pietät lose, beinahe höhnische Grabrede gehalten hat. Kleiner Mann, was nun...
Der Bericht des„ Temps", der offenbar auf ein Stenogramm der Rede zurückgeht, ist wohl der treueste. Durch den Vergleich mit ihm erfährt man, in welchem Maße selbst die Reden von Ministern der Zensur unterliegen. Es ist nicht unsere Schuld, wenn wir zu einem französischen Blatt greifen müssen, um eine deutsche Ministerrede in ihrem wirklichen Inhalt kennen zu lernen:
Indessen, bei allem notwendigen Optimismus dürfen wir uns nicht in Utopien verlieren.
Wir dürfen nicht glauben, daß es gleichgültig ist, ob man uns in der Welt verabscheut und uns als Feinde ansieht. Wir dürfen auch nicht glauben, daß alles von selbst kommt und wir auf wirtschaftlichem Gebiet von einem Sieg zum anderen schreiten werden.
Nicht durch gewaltsame Eingriffe und nicht durch Siegess meldungen über die Beseitigung der örtlichen Arbeitss
Was ist Sozialismus?
Antwort der DAZ.: Mut zum Business oder Abschluß lohnender Geschäfte
Seitdem die Generaldirektoren Thyssen, Vögler, Schmitt, von Stauß und ihre Kollegen„ Sozialisten" find, gibt man sich in der Kapitalistenpresse redliche Mühe, eine Spielart„ Sozialismus" zu finden, durch die man die Herren nicht verlegt. Endlich ist jemand da, der die Aufgabe löſt: ein Herr Sr. am 15. August in der„ D. A. 3.", die schon unter Stinnes bahnbrechend für den Sozialismus" gewirkt hat. Herr Sr. erledigt ganze sozialistische Bibliotheken durch diesen Absatz:
Der Begriff des deutschen Sozialismus hat immer wieder neue Formulierungen erfahren. In seinem Sonntagsartikel hat Mussolini uns beschei= nigt, daß der wahre Sozialismus auf die Dauer eine dem Deutschen unbekannte Wesenheit geblieben wäre, wenn dieses Wort nicht ein Bestandteil des Namens der Hitlerpartei wäre. Schmitt versteht unter deutschem Sozialismus, daß jeder auf seinem Platz das Letzte her= gibt für sein Volk und für die Gesamtheit und sich ein: ordnet, alles für das Volk zu tun. Der Ministerpräsi: dent Göring sagte vom Nationalsozialismus, er bes deute nichts anderes, als das deutsche Volk start und glücklich zu machen. Es ist der Sinn unseres neuen Wirtschaftens, daß der Eigennut untergeordnet wird. Aber dieser Eigennut hat seine Rechte, die gerade in dieser Unterordnung liegen. Seine Rechte leiten sich nicht aus dem Lurus und Wohlleben ab, die er als Rebenprodukte oft erzeugte, bei anderen Völkern mehr als bei uns. Seine Rechte gründen sich auf die einfache, von Schmitt Tausendköpfigkeit der Wirtschaft genannte Tatsache, Denn der Eigennuk muß an tausend Stellen jeden Tag von neuem die ents scheidende Frage beantworten, ob ein Geschäft sich
Tofigkeit wird in Wirklichkeit das große Problem der Arbeitslosigkeit gelöst.
Man muß eine Atmosphäre des Vertrauens und einen starken Staat schaffen. Den starken Staat haben wir; das Vertrauen wollen wir verstärken. Die Arbeitslosigkeit wird geringer. Aber es hat keinen Zweck, in einem Bezirk den Befehl zu geben, die Arbeitslosen einzustellen,
wenn die Unternehmungen nicht in der Lage sind, nene Arbeiter zu beschäftigen. Der Arbeitslose muß, wenn er einmal beschäftigt ist, seine Stellung auch behalten können. Aus diesem Grunde wird man Rückschläge vermeiden müssen.
Ein zweiter wichtiger Punkt, um unsere Wirtschaft zu beleben, ist die Frage des Geldmarktes. Das Kapital ist selten in Deutschland , aber immerhin weniger selten als man glaubt, denn infolge der Devisengefeßgebung wird das fremde Kapital in Deutschland zurückgehalten und kann nicht hinaus. Das Kapital bleibt selten, weil es fein Vertrauen hat.
Es ist beunruhigt wegen der vielfachen theoretischen Auseinandersetzungen über die zwangsweise Zinsherabsetzung und Gott weiß was sonst noch.
Wenn wir den Geldmarkt beruhigen können, dann wird das Kapital kommen und von selbst billiger werden.
Die deutsche Wirtschaft ist franf. Sie muß sich dem Arzt anvertrauen.
Wir müssen vor allem den jungen Leuten Arbeit geben, die jetzt gerne die ganze Welt zerstören möchten, um sie von neuem aufzubauen.
Die Reichsregierung hat zu allen Fragen Stellung genom
lohnt. Jede Stunde entstehen diese tausend Geschäfte, die sich in Arbeit eben erst umsehen, wenn die Kalkula tion stimmt. Es gibt keine Arbeit, der nicht der Abschluß eines Geschäfts im weitesten Sinne- irgend wie zugrundeliegt.
„ Obein Geschäftsich lohnt" das ist das ganze Problem des deutschen Sozialismus". Nie ist der Inhalt des Nationalsozialismus klarer und erschöpfender definiert worden.
„ Ob ein Geschäft sich lohnt" an diesen Sozialismus dachte Frizz Thyssen, als er den„ Führer" vor de Schwerindustriellen zum ersten Male grüßte mit dem Rufe:" Heil Hitler!"
Ob das Geschäft mit dem Nationalsozialismus zur Uebertölpelung und zum Niederhalten der Arbeiter auf die So
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men. Infolgedessen ist es nicht zulässig, deß man abweichende Ansichten vertritt. Es ist nicht schwer, in einem ländlichen Bezirf, wo es keine Industrie gibt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem man die Arbeitslosen in der Landwirtschaft beschäftigt oder indem man erklärt, man wolle eine örtliche Industrie begünstigen.
Aber was würde z. B. im Ruhrgebiet mit seinen Millionen von Arbeitern geschehen, wenn jeder Bezirk in Deutschland fich selbständig und unabhängig wieder aufbauen wollte. Alle, die nicht berufen sind, sich mit diesen Fragen zu be= schäftigen und nichts von ihnen verstehen, dürfen nicht eingreifen.
Vergessen wir alles, was vor 1933 vorgekommen ist. Vertrauen wir, daß das deutsche Volk durch seine Arbeit, aber auch durch seine
außerordentlich befähigten Wirtschaftsführer imstande ist, sich die Stellung in der Welt zurückzuerobern, die es inne hatte.
Glauben Sie, daß ein Fremder Luft hat, mit einem Deutschen einen Vertrag abzuschließen, wenn er täglich in den Zeitungen lieft: Korruption hie, Korruption da! Es gibt in Deutschland feine Ränke und Meinungsverschie denheiten mehr. Unter der Leitung des Führers werden wir der Welt zeigen, daß Deutschland seine gegenwärtige Schwäche überwinden und sich wieder erheben wird. Das Ausland n'ird uns dafür danken, denn wenn Deutschland , wirtschaft sch wieder erstarkt, seinen Platz in der Weltwirtschaft einnimmt, so befreien wir die anderen von einer ungeheuren Sorge und geben ihnen die Grundlage für einen Wiederaufbau der Weltwirtschaft.
Von Arbeitgeberverbänden sei z. B. darüber geflagt wor den, daß diese allzu scharfen Formulierungen durch Flugblätter, Handzettel usw. große Beunruhigung in den Betrieben hervorgerufen hätten. Das Organisationsamt der deutschen Arbeitsfront halte es daher für zweckmäßig, daß bei der Werbung zu große Schärfen vermieden würden. Der Zwang zur deutschen Arbeitsfront solle mehr als ein moralischer angesehen werden, der Ton der Werbung sei darauf abzustimmen.
Diese zahmen Worte zeigen deutlich, wie stark der Widerstand in der Arbeiterklasse gegen die Drohungen der Nationalsozialisten ist. Nun soll es mit sanften Worten und mit moralischen Mitteln versucht werden. Auch das wird nicht helfen. Der geschulte deutsche Arbeiter ist Sozialist, aber nicht Faschist.
Dauer sich lohnt, ist aber noch sehr die Frage. Go bumm Er bekommt einen Fußtritt sind die Massen in Deutschland nicht, um nicht zu wissen, daß ihnen hier reiner Kapitalismus mit dem Etikett ,, Sozialismus" vorgesetzt wird.
Zwang hilft nicht
Die Arbeiter lassen sich nicht wie Kulis behandeln Eine sehr interessante und lehrreiche Meldung bringt die " Frankfurter Zeitung " aus München :
Ein Schreiben der deutschen Arbeitsfront, welches die NSBO.- Mitglieder zum Eintritt in die Berufsverbände verpflichtet, wurde von den Verbandsleitungen benüßt, die Angehörigen der NSBO. zum Beitritt in die Verbände zu zwingen. Einen solchen 3 wang hat jetzt der Bezirksleiter Bayern der deutschen Arbeitsfront Frey ausdrücklich untersagt. Er erklärt: Die Verbandsamtswalter hätten sich in die NSBO. und ihre Angelegenheiten genau so wenig einzumischen, wie dies die NSBO. in die fachliche Arbeit der Verbände tue. Bei aller Notwendigkeit der Werbung für die deutsche Arbeitsfront hätten sich Methoden wie die Drohung mit Verlust des Staatsbürgertums, mit Aechtung usw. ungünstig ausgewirkt.
Aus Berlin wird berichtet: Die Rudolf- Mosse- Stiftung teilt mit:„ Mit dem heutigen Tage it Verlagsdirektor Karl Wetter aus den Unternehmungen des Hauses Rudolf Mosse bzw. der Rudolf- Mosse- Stiftung GmbH. ausge= schieden. Vetter hat diesen Entschluß im Einvernehmen mit dem vorläufigen Gläubigerausschuß gefaßt, um der Abwicklung des Vergleichsverfahrens und einer evtl. Neugestaltung des Unternehmens mit seiner Person nicht im Wege zu stehen."
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Vetter war früher der Radikalsten einer. Er gründete in den Jahren nach dem Kriege eine republikanische Partei und beschimpfte die Linke, weil sie den Kampf gegen die Reaktion nicht scharf genug führt... Später machte Vetter Karriere. Er wurde erst Direktor der Berliner Messe, dann Verlagsdirektor bei Mosse . Nach dem 5. März zog er mit fliegenden Hospitantenfahnen ins Nazilager und führte den Regentenstab auch über die Redaktion. Die Gleichschaltung nüßte nichts. Das„ Berliner Tageblatt" wurde ausgeschaltet und der Mosse- Verlag stellte die Zahlungen ein. Jezt geht Vetter im„ Einvernehmen" mit dem Gläubigerausschuß. Hinter ihm ziehen die Flüche schwer geschädigter Redakteure, Angestellter und Arbeiter her.