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Panjaže
Fretheil
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Nummer 53-1. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag/ Montag, 20./21. Aug. 1933
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Chefredakteur: M. Braun
Ruhe vom Alltag
Kronprinz Wilhelm und Reichsminister Dr. Göbbels verbringen gegenwärtig einige Erholungstage auf Heiligendamm , wo sie unser Bild im ernsten Gespräch zeigt.
Dieses Bild mit vorstehender Bemerkung versandte eine deutsche Bilderkorrespondenz an die gleichgeschaltete Presse. Aber schon am nächsten Tage schickte die Korrespondenz folgende Notiz nach:
An die Rebaktion!
Wir bitten, das gestern von uns veröffentlichte Bild von Reichs minister Dr. Göbbels mit dem Kronprinzen nicht zu veröffentlichen, da das Reichsministerium für Propaganda und Voltsaufklä rung die Wiedergabe dieser Aufnahme nicht wünscht.
Die nationale Revolution ist zu Ende" erklärten die Führer des neuen Deutschland im Kommandoton, worauf fie in die Ferien fuhren und es den Sturm- Abteilungen überließen, sich über den Sinn dieser Worte klar zu wer= den, falls ihnen zwischen Razzien auf kleine Leute und Gepäckmärschen einmal Zeit dazu bleiben sollte. Den SA.Beuten, die leichter mit der Faust als mit dem Hirn arbeiten, wäre in ihrem Bemühen um Klarheit beinahe ein Helfer in dem Herrn Reichspropagandaminister erwachsen, zu dessen Aufgabenbereich bekanntlich auch die Volksaufklärung gehört. Auf Heiligendamm , wo er sich zur Zeit von den Anstrengungen seiner propagandistischen Tätigkeit erholt, zeigte sich Dr. Josef Göbbels in lächelnder und betont volkstümlicher Pose bei Kaffee und Kronprinzenhuld den eilfertigen Fotografen, die- gerührt von soviel Leutseligkeit dem erstaunten Volk zu verkünden sich bemühten, daß der Herr Reichsminister Ruhe vom Alltag" in der Gesellschaft des„ Kronprinzen Wilhelm" finde. Lieb' Vaterland, magst ruhig sein- der Ring der Boltsgemeinschaft ist geschlossen. Der fleine Mann aus
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Rheydt trinkt mit dem Repräsentanten des allerhöchsten Hauses" Kaffee. Der Aufstieg des Kleinbürgers hat seine Krönung erfahren. Die neue Führerschicht reicht der alten nicht nur bei offiziellen Anlässen die Hand, sie ist auch privat gesellschaftsfähig geworden. Merkt ihr, warum die Revolution zu Ende sein muß, die sich immer mehr als eine Veranstaltung der Feinen Leute", und derer, die es werden wollten, offenbart?
Leider ist der launische propagandistische Einfall des Herrn Reichsministers diesmal um die Massenwirkung gebracht worden. Er hat sozusagen ein amtliches Nachspiel. Kaum war das Foto, das einen unbestreitbaren dokumentarischen Wert hat, der deutschen Presse zugeleitet worden, da ließ das Reichspropagandaministerium- also das Instrument des Herr Dr. Göbbels - mitteilen, daß es seine Veröffentlichung nicht wünsche. Schade, es hätte die nachdenklich gewordene SA. auf die richtige Spur bringen können.
Hängt den Mantel nach dem
Winde!
Andre Fahne aus dem Spinde!
Stimmt am neuen Lied die Kehle!
tauscht doch selbst der Baum die Rinde!
A
Sie nur bleibt: die Hundeseele! Carl Albert Lang.
Von Dr. Thorwesten
Bern, den 18. August. Der deutschsprachige Schweizer Bürger hat die Hitler bewegung von Anfang an mit unverkennbarem Wohlwollen verfolgt, und diese Sympathie ließ auch zunächst nicht nach, als das„ dritte Reich" in Deutschland ausbrach. Daß es gegen den Margismus ging, gefiel ihm gut, denn es gibt kaum eine Bourgeoisie in Europa , die dem Sozialismus und den Arbeiterorganisationen ablehnender und feindlicher gegenübersteht als die der Schweiz . Auch dagegen, daß die Nazis dem Militarismus wieder neues Leben einflößen wollten, hatte er im Grunde um so weniger einzuwenden, als er selbst mit großer Begeisterung an seinem Heer hängt und das, was er die Landesverteidigung nennt, zu einem seiner obersten Grundsätze gemacht hat. Der Antisemitismus wurde zum mindesten in den konservativeren Teilen, in denen sich auch in der Schweiz stark judenfeindliche Strös mungen regen, verständnisvoll gebilligt.
So ist es auch gekommen, daß man hier die deutschen Flüchtlinge im allgemeinen mit wenigfreundlichen Augen ansieht. Während die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften sich in dankenswertester Weise bemüht haben und bemühen, das Los der Emigranten zu erleichtern, betrachtet sie der Durchschnitts spießer als lästige Eindringlinge. Keinerlei Erwerbsmög lichkeiten stehen ihnen offen, die Gewährung der Aufent haltserlaubnis hängt von dem Nachweis eines nicht einmal geringen Vermögensbefizes oder von der Beibringung entsprechender Bürgschaften ab. Dabei paart sich das Wohlgefallen an den nationalsozialistischen Ideen mit der Angst vor politischen Verwicklungen. Mussolini im Süden, Hitler im Norden, das ist gefährlich. Die Schweiz muß ihre Neutralität wahren, und sie darf den Regierungen in Rom und Berlin keinen Anlaß und keinen Vorwand zu Vorstellungen wegen zu günstiger Behandlung der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen
bieten.
Um alles das festzustellen, braucht man nicht einmal in der Schweiz zu leben. Die Lektüre der eidgenössi schen bürgerlichen Presse genügt. Mit wenigen Ausnahmen üben diese Blätter gegenüber den furchtbaren Geschehnissen in Deutschland eine Zurückhaltung, die einem absichtlichen Verschweigen der Wahrheit sehr nahe kommt. Jn keinem Lande, selbst Deutschland einbegriffen, läßt sich aus den nichtsozialdemokratischen Zeitungen so
Aber warum diese Zurückhaltung? Hat sich in dem Herrn Minister, der eine Schwäche für Fotografen hat, ein letztes Restchen von Schamgefühl gegenüber den Mitkämpfern geregt, die er vor nicht allzulanger Zeit in einem Mäusekrieg anführte? Hat sich eine höhere Stelle eingeschaltet, die den„ Meister der Propaganda" auf die verheerende Wirfung aufmerksam machte, die diese Aufnahme zu einem Zeitpunkt haben müsse, in dem der Kurs entschlossen gegen die feinen Leute geht? Oder wollen die hohen Herrschaften ganz einfach unter sich bleiben? Was mag wohl schuld daran sein, daß dem„ niederen Volk" mit und ohne Uniform dieses Ferienbild des Herrn Ministers vorenthalten wurde? Vielleicht wäre mancher der Daheimge- ,, L'Ere Nouvelle":
bliebenen ein Licht dabei aufgegangen.
Die Aufregung in Paris Völkerbund oder Sanktionen? Berlin , 19. Auguft.
Die deutsche Gesandtschaft in Wien bestreitet, daß der Gefandte oder einer seiner Beamten von den drei nationalsozialistischen Geheimbriefen Kenntnis gehabt habe, für die die Kurierpost benutzt worden sein soll. In Wien wird diese Ableugnung nicht geglaubt. Die Reichspost" weist die amtlichen deutschen Dementis zurück. Der österreichische Gesandte in Berlin ist zu Beratungen mit dem Bundeskanzler Dollfuß in Wien eingetroffen.
Die Fortsetzung der deutschen Radiopropaganda gegen die österreichische Regierung hat zu neuen lebhaften Verhandlungen zwischen Paris und London Anlaß gegeben. Der englische Botschafterin Paris , Lord Tyrrell, hat sich am Freitagabend im Flugzeug nach London begeben. Seine Reise gilt lediglich der österteichischen Frage.
Berlin scheint jetzt zu wünschen, den deutsch - österreichischen Streit vor den Völkerbund zu bringen. Man geht
Darlegung der französischen und der englischen Finanzinteressen in Oesterreich auf die Deffentlichkeit Eindruck wachen werde. Warum diese große Wirkung eintreten soll, ist nicht recht ersichtlich, da alle Welt weiß, daß beträchtliche ausländische Kapitalien in Oesterreich angelegt sind.
Die deutsche Regierungspolitik scheint es auf eine Kraftprobe gegenüber Europa ankommen lassen zu wollen. Sie ist zwar Mitglied des Völkerbundes, aber sie hat natürlich mit dessen Grundsätzen nichts gemein, ja mißachtet sie. Mehr und mehr setzt sich in Berlin die Auffassung durch, daß Frankreich und England wirklich entscheidende Schritte gegen die expansive Politik Deutschlands gegen Oesterreich nicht zu unternehmen wagen.
In der französischen Presse ist der Widerhall entsprechend. Die Presse der oppositionellen Rechten verlangt energisches Einschreiten, aber auch der offiziöse Temps und Zeitungen der Linken erwägen Sanktionen.
dabei wohl davon aus, daß der Völkerbund höchstens eine Französische Presse fordert
moralische Verurteilung Deutschlands aussprechen werde. Im Laufe der Verhandlungen aber würde Deutschland , so glaubt die Reichsregierung, Gelegenheit haben, eine Offen- ,, Le Figaro ": five gegen die französische und die englische Politik zu eröffnen. Insbesondere hoffen die Nationalsozialisten, daß die
Herr Hitler , der höchstselbst den deutschen Feldzug gegen Oeste..cich in Szene gesezt hat, wird grinsen und sich die
Hände reiben, wenn er lieft, daß französische und englische Blätter sich darauf beschränken, den Weg nach Genf vorzu= schlagen! Er hat recht, denn dieses Verfahren würde bedenten, daß man einem wilden Tier das Maul zubindet mit einem Blatt aus dem Evang lium. Heute branchen wir teinen Richter und keinen Prediger mehr; der einzige, der Hitler zur Vernunft bringen kann, ist der Gendarm!
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Deutschland bricht die Verträge. Deutschland gibt sich gar keine Mühe mehr, diese Tatsache zu verhüllen. Wir lassen uns nicht täuschen. Und wir lassen uns von diesen Leuten nicht vor vollendete Entwicklungen stellen. Wir wissen, daß die österreichische Frage eine sofortige Lösung, und zwar zunächst eine ökonomische Lösung erfordert. Der erste Schlag, den wir heute gegen Hitler- Deutschland zu führen haben, ist die Pro= flamation einer französisch österreichischen Wirtschafts- Union. Diese Union hat ihre Spitze gegen Berlin zu richten. Das weitere wird folgen!
" L'Echo de Paris":
Man muß der Berliner Regierung zu verstehen geben, daß wir notfalls mit Waffengewalt Defterreich verteidigen werden. Nur auf diesem Wege ist es noch möglich, die Ver= schärfung der deutsch - österreichischen Beziehungen zu ver: meiden. England und Italien scheinen zu zögern. Warum zögern wir?
Le Temps":
Wir wollen fein Del ins Feuer gießen. Wir stellen feft: heute mehr denn je ist die Freiheit Oesterreichs die Vorauss setzung für den Frieden Europas . Herr Habicht will vor den Völkerbund. Es ist kein Zweifel, daß Dentschland in Genf feine Verurteilung erleben wird. Im übrigen aber ruft die ganze Welt hente schon nach Sanktionen, die gegen Hitlers Deutschland ergriffen werden sollen.
Die Regierung unterstüßt die Vorstöße gegen Oesterreich . Man macht dies nicht zuletzt deshalb, um die deutsche Aufmerksamkeit abzulenken von der katastrophalen Lage der deutschen Wirtschaft und um die erheb= lichen inneren Schwierigkeiten zu übertrumpfen. Die deutschen Erklärungen sind Bluff und nicht glaubwürdig.