DAS BUNTE BLATT

TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

Indische Kämpfe

Gandhis Liebesverbot- 3nder und Mohammedaner- Registrierte Sdiußwaffen- Ein Schieck auf Maschinengewefirfeuer

In Indien   gärt es wieder. Gandhi   hat einen neuen Sa­botagefeldzug eingeleitet, ist verhaftet, freigelassen und wie­der verhaftet worden. Freilich fürchtet die englische   Regie­rung nach dem letzten Hungerstreik, der diesem Apostel des unblutigen Kampfes fast das Leben gekostet hätte, der in­dische Führer könnte in der Zelle sterben und zum Märty­rer werden. Seine politische Betätigung ist durchaus nicht so unumstritten, wie man in Europa   anzunehmen geneigt ist. Bei den kompromißlosen Radikalen haben seine Verhandlungen mit dem englischen Vizekönig schon oft Widerspruch herausgefordert. Nur das Leben dieses Heiligen, das ein steter Verzicht auf Güter und Freuden dieser Welt ist, macht ihn zur Persönlichkeit, die immer wie­der Tausende in Begeisterung mit fortreißt.

Gandhis   Gebote sind streng. Er hat sie in seinem Buch riedergelegt, das kürzlich ins Französische übertragen wor­den ist. Er fordert darin nicht nur Enthaltsamkeit von Fleischgenuß und Wein, sondern auch von

ber Liebe, ber Tausende die besten Reserven des Körpers opfern".

Ihre praktische Ausübung will er auch unter Gatten nur einmal in fünf Jahren zulassen, denn er läßt die Freuden des gemeinsamen Lagers nur gelten, wenn der Wunsch nach einem Kinde übermächtig geworden ist." Für die Inder, die trog vegetarischem Leben, trop Jahrtausende alter Kultur gerade auf diesem Gebiet nicht die geringfügigsten Spuren dekadenter Ermüdung zeigen, ein qualvolles Verbot. Brah­manische Verzichtlehre, in die letzten Konsequenzen ge­trieben.

Dieses Volt, das niemals friegerisch geschult wurde und nicht einmal ein Tier tötet, ist ängstlich und leicht erschreck bar, Die Bambusstöcke der englischen Polizei genügen meist, um hunderte Inder in die Flucht zu jagen.

Weit grausamer als die herrschenden Söhne Albions   sind in dieser Hinsicht die religiösen Erbfeinde der Jnder, die mohammedanischen Bengalen,

ein kleines, gedrungenes Bolt, deffen fürchterlichste Waffe ein türkensäbelartig gebogenes Messer ist. Mit einem be­sonderen Griff werfen sie im Kampf die baumlangen Inder über ihre Schulter; dann tritt das Sichelmesser( Kukri) in Aftion. Mit unerhörter Geschicklichkeit setzt es der Bengale dem Inder an die Kehle- ein Durchziehen und der Kopf liegt auf der Straße. So morden die Bengalen die Inder oft tagelang. Die Engländer greifen am Anfang meist nicht ein und beschränken sich darauf, das Viertel der Kämpfe ab= zusperren. Die Anlässe solchen Mordens find meist ganz geringfügig. Im Vorjahr war eine verschüttete Staffeetasse und eine leichte Ohrfeige, die ein Inder einem Mohamme­daner gab, der Anlaß.

Wenn es gegen die Europäer geht, sind beide Parteien rasch einig. Er ist der größere Feind. Das spüren auch die Bengalen instinktiv.

Schußwaffen hat nur der Brite.

Jeder Revolver, jede Pistole ist registriert. Wer seine Waffe verliert, hat sofort zu melden, wann und wo sie in Verlust geraten ist und mit wieviel Patronen. Dieses Vergehen wird nur mit Haft bestraft. Unterläßt jemand die Meldung und findet man etwa bei einem Attentat die Waffe bei dem Mörder, gibt es für den eigentlichen Inhaber, der nach der Nummer des Revolvers rasch festzustellen ist, jahrelanges Zuchthaus. Mit solchen brutalen Mitteln schützt sich der euro­ päische   Eroberer vor den Millionen, die er ausbeutet und versflavt.

Die Engländer sind in dieser Hinsicht besonders rücksichts­Ios und weit weniger Demokraten, als beispielsweise die

eingewanderten Italiener, die sich kommerziell zu scharfen Konkurrenten entwickeln. Nie darf der Beherrschte den Bri­ ten   schwach sehen, das ist das oberste Prinzip.

Theatergarderobe

ohne Schlachitgetümmel

Welcher Theaterbesucher hat bisher nicht mit banger Un ruhe an das Ende der Vorstellung und den unvermeidlichen Sturm auf die Garderobe gedacht? Wer hat sich bei solchen Gefechten nicht über die Vordringlichkeit des Nachbarn, über abgetretene Zehen und über derangierte Kleider grün und blau geärgert?

Diesem Unfug soll nun ein für allemal ein Ende gemacht merden. Ein findiger Berliner Ingenieur, Freund, hat

Die eingeborenen Diener dürfen sich noch heute dem Herrn sozusagen das Ei des Kolumbus gefunden und eine herr­nur barfuß nahen,

mit niedergeschlagenen Augen, demütig wie Hunde. Paläste, Villen im Gebirge, herrliche Autos und unerhörter Lurus bilden den äußeren Rahmen der Gottähnlichen. Die eng lischen Offiziere und Beamten, die in den Kolonialdienst eintreten, meist verarmte Adelige, bekommen alles beige­stellt, von der herrschaftlichen Wohnung und der Villa im Gebirge, um der Sommerhitze zu entfliehen, bis zur Ge­liebten( wenn sie ledig sind). Auch für die englische Truppe ist bis zu

den eigenen Bordellen, für die der Soldat Tickets faßt, gesorgt. Mischehen sieht man in den englischen Kolonien im Gegensatz zu den holländischen nicht gern. Die Rasse ist nicht gut, behauptet der Engländer.

Alles, was englisch ist, trifft sich im exklusiven Klub, wo felbst bei größter Hiße der Smoking Vorschrift ist. Eine Nachtfahrt im offenen Auto hat nach solchen Zusammen­künften manchem schon das Leben gekostet. Der Aufwand ist unbeschreiblich. Alles tut mit, nicht nur die Sekretäre der Regierung und andere Beamte, deren Macht weit größer ist als der Scheinfiguren indischer Maharadschas; auch die Kaufleute leben hier weit über ihre Verhältnisse. Ein Grund für das Vordringen anderer Rassen, die fleißig und bescheiden sind und sich durch bessere Behandlung der Ein­geborenen Freunde zu schaffen wissen. Aber auch die Inder selbst schaffen in erhöhtem Ausmaß eigene Industrien. Es gibt zum Beispiel Eisenwerfe, Textilfabriken, die sich in den lezten Jahren unerhört vergrößert haben, Firmen, die nicht verattioniert sind, sondern Einzelbesiz indischer Millionäre darstellen.

Im Falle eines Aufruhrs ist jeder Engländer Mitkämp fer. Die Zivilschußtruppe ist ausgezeichnet organisiert. Die offenen Autos, die ein Maschinengewehr in den Fond stel­Braucht man sie, sind sie im Nu versammelt, ihr Besitzer Ien können, sind registriert und genießen Steuerfreiheit. setzt sich hinter den Volant- noch ein Maschinengewehr und Bedienungsmannschaft und es kann losgehen. Der Kampf ist schwer, weil in den engen Straßen, die verbarri­kadiert werden, der Wagen bald nicht weiter kann. Es ha­

liche Vorrichtung geschaffen, die jeden Garderobetiger in ein sanftes Lämmchen verwandeln muß. Der Garderoben­tisch und die davor gelegene Bodenfläche sind mit korrespon­dierenden farbigen Doppelstreifen bemalt. Ein Streifen ist für den Zugang, der andere gleich daneben für den Abgang bestimmt. Das Publikum muß schön in Reih' und Glied antreten; wer nicht auf seinem Streifen anmarschiert kemmt, wird von der Garderobenfrau nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Es gibt kein Gedränge und keinen Streit mehr, denn die anderen Angestellten" achten streng darauf, daß kein Nachzügler sich etwa in die Reihe schleicht. Ein großes Berliner Theater wendet diese Methode bereits mit Erfolg an, die anderen dürften bald seinem Beispiel folgen.

Gute Ernte in der Sowjetunion  

Aus Moskau   wird geschrieben: Der Vorsitzende des Zentralamtes für volkswirtschaftliche Statistit, Ossinsti, hat eine Reise durch die drei wichtigsten landwirtschaftlichen Ge­biete im Süden der Sowjetunion  , und zwar durch den Nord­kaukasus, das Dnjepropetrowsker und das Odessaer Gebiet in der Ukraine  , unternommen, um den tatsächlichen Stand der Ernte und der Erntearbeiten kennen zu lernen. In dem Blatte Jswjestija" schreibt Offinski ausführlich seine Be­obachtungen und Feststellungen. Danach ist die diesjährige Ernte den allerbesten früheren Ernten in den betreffenden Gebieten gleichzustellen. Vielerorts habe der Boden eine viel größere Fruchtmenge aufgewiesen, als jemals früher in der russischen Geschichte. Das sei die Folge der weitgehenden Maschinisierung der Landarbeiten, der großzügigen Anwen dung von allerlei landwirtschaftlichen Maschinen und der auf wissenschaftlicher Basis aufgebauten Bodenkultur, die im alten Rußland völlig unbekannt war.

Die diesjährige Ernte, fährt Ossinski fort, ermöglicht eine bedeutende Vergrößerung der Viehherden. Ohne große Mühe läßt sich z. B. die Anzahl der Schweine in Jahresfrist ver­doppeln. Es eröffnen sich reiche Möglichkeiten, die in den Jahren der Kulakensabotage erlittenen Viehverluste rasch auszugleichen. Ossinski kommt zu dem Schluß, daß die reiche Ernte des laufenden Jahres eine feste Grundlage für eine organisatorisch- wirtschaftliche Stärkung der Kollektivwirt schaften gibt.

gelt Steine aus den Fenstern, die Frauen schütten siedendes Ladien nicht verfernen

Wasser auf die Straße. In diesen Fällen bleibt nichts an­deres übrig, als mit dam Karabiner oder Revolver an der Häuserfront entlang zu schleichen, ein Engländer auf der linken, einer auf der rechten Straßenseite, immer die Fen­ster der gegenüberliegenden Häuser scharf im Auge behal­tend. Wer sich zeigt, wird niedergeschossen. So werden die widerspenstigen Viertel im Kleinfrieg wieder unterworfen. In breiten Straßen und auf Pläzen treten natürlich ab und zu auch Panzerwagen in Tätigkeit. Den

Befehl zum Schießen

gibt stets ein Magistratsbeamter, weil selbst im Falle des Ausnahmezustandes die Exekutivgewalt nie auf den Mili­tärbeamten übergeht, wie anderswo, sondern immer in den Händen der Zivilverwaltung bleibt. In der Praxis spielt für das Maschinengewehrfeuer in blanco unterschreibt und für das Maschinengewehrfeuer in bianco unterschreibt und an der ersten besten Straßenecke aus dem ungemütlichen Panzerwagen aussteigt. So bleibt es dem Offizier überlas­sen, ob und wann er von der schriftlichen Anweisung, einige Tausende Maschinengewehrkugeln in eine unbewaffnete Menge zu feuern, Gebrauch machen will.

Feuchtigkeitsrekord

Hamburger:" Ich habe einen Taucher gesehen, der war zwanzig Minuten unter Wasser!"

Münchener: Ich hab amal a Fremden g'segn, der hot a halbe Stund zu vaner vanzigen Maß braucht!" ( Neue J. 3.".)

Warum nicht? Der Sänger: Ich habe meine Stimme mit zehntausend Mark versichern lassen!"

Na, und warum zahlt die Gesellschaft das Geld nicht aus...?" ( Buen Humor".)

Günftige Gelegenheit

Sie weinte.

" Liebling, laß mich diese Tränen wegfüffen."

Sie fiel ihm um den Hals, und für einige Minuten war er beschäftigt, aber die Tränen hörten nicht auf.

Kann denn gar nichts diese Tränen zum Versiegen bringen?"

Nein, es ist Heuschnupfen  Behandlung."

- aber fahre fort mit der Fliegende Blätter  ".)

Die zärtlichen Briefe

An einem Sonntagabend kniete Klaudia in ihrem flet­nen Zimmer vor der Kommode und reichte Stephan meh­rere Briefpakete.

" Ist das alles?" fragte er. Sie antwortete, daß sie ein Dutzend seiner Briefe einer Freundin zur Aufbewahrung gegeben habe. Die Mutter werde, wenn sie morgen zu Besuch komme, nichts Komprimittierendes finden.

Später, als Stephan gegangen war, framte Klaudia ver= gnügt zwischen Wäschestücken ein Bündel Briefe aus. Es waren die Briefe, die bei der Freundin ruhen sollten.

Am nächsten Abend, als Klaudia vom Dienst in der Bib­liothek heimkehrte, trat ihr die Mutter entgegen, die schon im Laufe des Tages eingetroffen war und wie gewöhnlich bei Klaudias Wirtin Unterkunft fand. Die folgenden Tage verbrachten beide in gutem Einvernehmen. Am Morgen des vierten Tages erwachte Klaudia nach unruhiger Nacht mit Fieber. Sie mußte im Bett bleiben. Die Mutter pflegte sie liebevoll, betrübt und froh zugleich. Als Klaudia Wäsche brauchte, entdeckte die Mutter die Briefe und erkannte die Handschrift. Sie ließ sich nichts anmerken und wartete die Nacht ab.

Klaudia schlief. Da ging die Mutter mit den Briefen in ihr Schlafzimmer. Keine Einwände des Gewissens hemm ten ihre Neugierde, sie fürchtete nur, manche böse Ahnung fönnte bestätigt werden. Schon der erste Brief verriet ihr alles. Fast wäre sie ins Schlafzimmer der Tochter gestürzt. Fast hätte sie, bis aufs Blut empört, die Kranke gezüchtigt.

Von Heinrich Wiegand  

Doch sie bezwang sich und nahm sich fest vor, die Briefe zu Ende zu lesen.

Oft hielt fie fopfschüttelnd inne und fann mit geschlossenen Augen vor sich hin. Solche Liebesbriefe fonnte ein Mäd­chen, solche Liebesbriefe hatte ihre eigene Tochter erhalten! Manchmal fand sie Worte Klaudias als Zitat. Welche Freuden mußte die Tochter gekostet haben, welche Feste! Baghaft stellte sich die Mutter vor, was die Zeilen erzähl­ten. Zärtlicher und glühender wurden die Briefe. Die alternde Frau gedachte ihrer Brautzeit, die keine Geheim­nisse gekannt hatte und keine Abenteuer, nicht einmal ein wenig Poesie. Klaudia und Stephan aber mußten Besessene sein. Neid regte sich, und von neuem suchte Empörung sich der Mutter zu bemächtigen.

Da tam ihr eine Briefstelle wieder ins Gedächtnis. Sie suchte und fand die Worte, sprach sie vor sich hin und dachte: So schön ist dein Keind, so wird ihm gehuldigt. Ein Wider­schein des Glanzes fiel auf die Sechzigjährige, stimmte fie milde und stolz.

Sie begann alle Briefe zum zweitenmal zu lesen, ohne Neugier nun und ohne Ueberraschung.

Klaudias Mutter hatte viel Bücher gelesen, aber nie war ihr die Gefahr der Schönheit und die Verführung deutlicher geworden als hier, wo einer ohne Rücksicht auf Oeffentlich­teit, Verantwortung und Kritik alle Tollbeit des Herzens einzig zwei Augen überantwortete.

Die Mutter fannte Stephan, doch hatte sie ihn seit Jahren nicht gesehen, ihn, den sie nicht achten zu können wähnte, be­fämpft und ihre Tochter um seinetwillen gequält. Das Schlimmste hatte sie Klaudia angedroht, wenn sie je zwi­schen Stephan und ihr entdecken würde, was sich nach ihren Begriffen von Sitte und Moral nicht schickt. Nun war es an dem, und die Wächterin und Richterin vermochte sich nicht mehr zu entrüsten. Sie fühlte, auch sie wäre gefolgt, hätten Rufe ihr Herz und Ohr erreicht wie die Stephans. Abschied­nehmend blätterte sie zwischen den Zetteln, dann ging ste leise, die Briefe in der Hand, zum Bett ihrer Tochter.

Als halbhell der Morgen im Simmer stand, erwachte Klaudia. Auffahrend gewahrte sie die Mutter, die am Bett cingeschlafen war, den Kopf auf der Bettdecke. Auf dem Boden lagen, ihrer herabhängenden Hand entfallen. Ste­phans Briefe.

,, Mutter!" schrie die Kranke.

Die Frau auf dem Stuhl hob den Kopf. Verwirrt blickte fie um sich, auf die blasse Tochter, deren Augen groß und erschrocken starrten, auf die Briefe auf dem Boden; faßte die. Hände der Zurückweichenden und sagte, was sie nachts über­legt hatte, langsam, weich und besiegt:

Wir wollen nicht von den Briefen reden. Du warst sehr glücklich, vielleicht kannst du noch glücklicher werden, nur das ist wichtig. Ich will schweigen. Ich will versuchen, dir zu helfen."

Klaudia sah die Mutter an, Erstaunen war in ihren Augen. Dann weinten beide Frauen. Sie waren einander nie so nahe gewesen.