Chefredakteur: M. Braun
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Anklagezum Reichstagsbrand
- Die Saarbrücker Rechtsanwälte Lehmann und
Dr. Sender verlangen Prozeßvollmacht von Torgler Die geheimnisvolle Anklageschrift
Der bekannte schwedische Rechtsanwalt Georg Branting , der neben anderen bekannten Juristen dem Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Reichstagsbrandes angehört, hat an den deutschen Oberreichsanwalt ein Schreiben gerichtet, das als Antwort auf dessen in der Presse veröffentlichke Aufforderung, das Beweismaterial des Ausschusses dem Reichsgericht zur Verfügung zu stellen, gilf.
» Ich möchte zuerst Stellung nehmen zu folgendem Passus Ihres Briefes:
,, Da weder mir noch dem Untersuchungsrichter des Reichsgerichts trotz der in der Oeffentlichkeit ergangenen Aufforderung zur Mitteilung aller der Aufklärung der Sache dienenden Umstände und trotz Aussetzung einer hohen Belohnung für die Mitwirkung bei der Ermittlung der Täter andere als die in den Akten vermerteten Angaben zugegangen sind, die Anklagebehörde und das Gericht aber das allergrößte Interesse daran haben, alle Umstände kennen zu lernen und bei der Bildung des Urteils zu verwerten, die für die Aufklärung des Sachverhaltes dienlich sein können, wäre ich Ihnen, sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, zu Dank verpflichtet, wenn Sie mir Kenntnis von dem angeblich im Besitz der Kommission befindlichen Beweismaterial geben würden."
Aus dieser Mitteilung, wie aus Ihrem Brief überhaupt, glaube ich schließen zu können, daß Sie selbst, Herr Oberreichsanwalt, der Meinung sind, daß das in Jhren Händen befindliche Beweismaterial nicht ausreichend ist. Ich erkläre mir dadurch Ihren außergewöhnlichen Schritt, daß eine Anklagebehörde nach Abschluß der Voruntersuchung und sogar noch nach Fertig stellung der Anklageschrift bei nicht direkt am Prozeß beteiligten Personen wegen weiteren Beweismaterials anfragt. Ich erkläre mir auch damit die ungewöhnliche Tatsache, daß Sie Ihr Schreiben an mich durch Wolffs Telegrafenbüro verbreiten ließen. Ich darf erwarten, daß Sie auch meine Antwort der deutschen Oeffentlichkeit auf dem gleichen Wege bekannt geben.
Selbstverständlich muß ich das größte Gewicht darauf legen, daß alles Material, das zur Ermitt Iung der Wahrheit dienen könnte, dem Reichsgericht vorgelegt wird. Aber ich halte es auch für selbstverständlich, das Material, das zur Verteidigung der Angeklagten dient, nunmehr, nachdem die Anklageschrift abgeschlossen und dem Gericht übergeben ist, nicht durch die Anklagebehörde, sondern durch die Verteidiger dem Gericht vorgelegt wird. Ich konstatiere überdies, daß die vom Gericht bestellten Verteidiger sich nicht an mich gewandt haben.
Auch Sie, Herr Oberreichsanwalt, mer ben zugeben, daß Garantien für eine voll. ständige und objektive Verwendung des Materials durch die Verteidigung gegeben sein müssen. Das beste und überzeugendste Beweismaterial kann ohne Nutzen sein, wenn es nicht im Interesse der Angeklagten verwendet wird. Ich persönlich habe nicht das alleinige Verfügungsrecht über das Beweismaterial des Untersuchungsausschusses. Ich zweifle aber nicht daran, daß der Untersuchungsausschuß in Uebereinstimmung mit den von mir bereits dargelegten Anschauungen das gesamte Material den Verteidigern sofort zur Verfügung stellen wird, falls genügende Boraussetzungen für eine freie und unabhängige Verteidigung der Angeklagten gegeben sind. Als solche Voraussetzungen sehe ich in diesem Falle an:
1. Freie Wahl der Verteidiger durch die An= geklagten.
2. Zulassung der von den Angeklagten bestellten auslän dischen Verteidiger.
3. Unbeschränkte Einsicht der Akten durch die Berteidiger und Uebersendung der Anklageschrift an die von den Angeklagten bestellten ausländischen Verteidiger. 4. Bolles Recht der Angeklagten zur Aus= sprache mit ihren Verteidigern ohne An wesenheit Dritter
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5. Oeffentlichkeit der Verhandlungen des Ges richts während der ganzen Dauer des Prozesses.
6. Menschen würdige Behandlung der Anges klagten, so daß sie körperlich und geistig imftande sind, ihre Verteidigung vor Gericht zu führen.
7. Freies Geleit und Sicherheit des Leben für die von der Verteidigung oder vom Untersuchungsausschuß benannten Zeugen, sowie Gelegenheit zur uns gehinderten Aussage.
8. Sicherheit des Lebens für die Verteidiger und Sicherheit der ungehinderten Möglichkeit zur Bers teidigung durch fie.
9. Ladung der von der Verteidigung benann= ten oder noch zu benennenden Zengen. 10. Genehmigung der uneingeschränkten Ausz sagen für die Zeugen, soweit sie sich im Dienste des Deutschen Reiches oder eines deutschen Staates befinden oder befanden.
Wie notwendig es ist, diese Garantien zu fordern, geht beispielsweise aus einem Artikel hervor, den der parteis Anzeiger", das Blatt der Regierungspartei, am 12. August, amtliche nationalsozialistische Dortmunder General im Zusammenhang mit Ihrem Schreiben an Romain Rolland und mich veröffentlichte. In diesem Artikel heißt es u. a.:
„ Jedes gesunde Volk wird dasselbe Notwehrrecht für sich in Anspruch nehmen, das die deutsche Nation längst durch die Tat für sich in Anspruch genommen hat, nämlich, die rote Pest mit Stumpf und Stiel auszurotten. Der Staat, der seine Hand dazu bieten würde, auch nur den Versuch zu unternehmen, sich schützend vor Mordbrenner zu stellen, müßte sich in den Augen der Welt selbst richten. Wenn sich heute marristische Kreaturen mit ihren Komplicen solidarisch erklären, so könnte das nur zu einer Konsequenz führen, und zwar gleich wo: sie gleichmäßig zu behandeln." Ich habe mich für verpflichtet gehalten, ihren Brief dem Untersuchungsausschuß zu übergeben. Ihrem eigenen Untersuchungsausschuß zu übergeben. Ihrem eigenen Beispiel, Herr Oberreichsanwalt, folgend, übergebe ich diese meine Antwort der Presse.
Ich erwarte, Herr Oberreichsanwalt, Ihre Antwort, die ich alsdann dem Untersuchungsausschuß weiter leiten werde. gez. Georg Branting ."
Anklage und Verteidigung
D. F. 3um achten Male ist die Verhandlung gegen die angeblichen Reichstagsbrandstifter verschoben worden. Der augenblickliche Stand ist so, daß das Reichsgericht erklärt hat, nicht vor dem 18. September einen Termin ansetzen zu können. Ob das bald nach dem 18. September geschehen und scheinen die Herren in Leipzig und ihre mächtigen Auftragwann der Prozeß steigen wird, ist sehr ungewiß. Noch immer geber in Berlin die Hoffnung zu haben, daß irgendein zufall" sie von der peinlichen Pflicht befreit, die politische Brandnacht vor der Weltöffentlichkeit durchprüfen lassen zu
müssen.
Es bestätigt sich, daß der frühere kommunistische Fraktionsführer Torgler im Gefängnis dauernd gefesselt ist. Man begründet diese Maßnahme gegen einen der bekanntesten Parlamentarier Deutschlands mit dem Selbstmordtesten Parlamentarier Deutschlands mit dem Selbstmordversuch eines der bulgarischen Mitangeklagten und erklärt, versuch eines der bulgarischen Mitangeklagten und erklärt, man müsse Torgler vor sich selber schützen. Erfreulicherweise erträgt Torgler diese elende Behandlung mit großer Festig feit. Er sieht dem Prozeß mit ruhigen Nerven und selbstkeit. Er sieht dem Prozeß mit ruhigen Nerven und selbstsicher entgegen. Die Fesseln werden ihm nur während der Mahlzeiten und bei den Besuchen seiner Frau abgenommen. Einen Verteidiger freier Wahl hat Torgler bisher immer noch nicht. Er ist auf Offizialverteidiger angewiesen, und das ist bei der allgemeinen Gleichschaltung und bei der Furcht vor Terror von großer Gefahr für den Angeklagten Torgler . Er, der Kommunist, kann ja keinerlei Vertrauensverhältnis zu einem nationalsozialistischen Rechtsanwalt haben und muß befürchten, daß dieser sich mehr als Staatsanwalt denn als Verteidiger betätigt.
Es sind noch immer lebhafte Bemühungen im Gange, angesehene Verteidiger für Torgler zu erlangen. Das ist sehr schwer, denn fast alle in Betracht kommenden Rechtsanwälte der Linken sind entweder erschlagen oder
haben durch Freitod geendet oder find in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt.
Nicht weniger als 20 linksstehende Rechtsanwälte Deutsch lands sind in den letzten Monaten ums Leben gekommen. Ausländische Verteidiger fönnen nach§ 138 der StPO. zugelassen werden. Es steht im Ermessen des Gerichts, das aber feinen ausländischen Verteidiger zuzulassen scheint. Auch elsässische Verteidiger lehnt das Reichsgericht ab. Bisher haben sich folgende ausländische Juristen von Weltruf zur Verteidigung für den Reichstagsbrandprozeß gemeldet: die französischen Anwälte Torres, Moro- Giafferi und Campinci, der Engländer Pritt, Kings council, der Amerikaner Hays und der Bulgare Detscheff. Die Entscheidung steht bei allen noch aus. Man hat aber wenig Hoffnung, daß das Reichsgericht seinen Standpunkt ändert und in diesem doch wahrlich besonders gelagerten Fall einen dieser hervorragenden Männer auftreten läßt.
In dieser Beziehung steht das Leipziger Reichsgericht an Entgegenkommen und Mut hinter den Bolschewiten zurüd, die wiederholt ausländische Verteidiger, so den Deutschen Kurt Rosenfeld und den Belgier Bandervelde, als Vers teidiger in Moskau auftreten ließen.
Seit einiger Zeit bemüht man sich, Rechtsanwälte aus dem Saargebiet für die Verteidigung Torglers zu gewinnen. Saarländer gelten nicht als Ausländer und müssen in Leipzig . zugelassen werden.
Nunmehr haben sich die Saarbrücker Rechtsanwälte Lehs mann und Dr. Sender entschlossen, den Angeklagten Torgler um Zusendung der Prozeßvollmacht zu bitten. Es besteht also doch noch die Möglichkeit, daß Torgler mit uns abhängigen Anwälten vor Gericht erscheinen lann. Den Offizialverteidigern ist inzwischen die Anklage. schrift zugestellt worden. Wie diese Herren ihr Amt auffassen, hat sich schon gezeigt. Der amerikanische Rechtsanwalt Hays bat einen der Offizialverteidiger, ihn in die Anflageschrift Einsicht nehmen zu lassen. Der Offizialverteidiger lehnte das ab, da eine Genehmigung des Gerichts nicht vorliege. Dabei ist eine Genehmigung nicht notwendig. Jeder Verteidiger, der seine Aufgabe ernst nimmt, würde die Anflageschrift einem so ernsten Juristen wie Hays zeigen, der doch die Verteidigung unterstützen will. Damit ist bewiesen, daß die Offizialverteidiger keine echte Verteidigung zu führen beabsichtigen, weil sie eben die Interessen der Angeklagten nicht wahrnehmen. Und angesichts solcher Tatbestände fordert der Oberreichsanwalt von Ausländern wie Branting und Romain Rolland , daß sie ihm gutgläubig ihr Material einreichen.
Ueber den Inhalt der Anklageschrift ist trotz aller Heims lichkeit etwas durchgefickert. Sie umfaßt mehrere hundert Seiten.
Der Hauptinhalt beschäftigt sich aber gar nicht mit dem Reichstagsbrand, sondern versucht, aus fommunistischer Literatur und aus kommunistischen Reden allgemeiner Natur den terroristischen Charakter der Partei nachzuweisen. Der Prozeß, wenn er überhaupt stattfinden sollte, ist demnach nicht als eine Untersuchung der Brandnacht, sondern als eine große parteipolitische Aktion gegen die Kommunist en gedacht.
Auf wie lächerlich schwachen Füßen die Anklage steht, geht auch daraus hervor, daß zwei der angeklagten Bulgaren ihr Alibi lückenlos nachweisen können. Der eine befand sich in der Brandnacht im Schnellzug München - Berlin Die verlogene Behauptung, die bulgarischen Kommunisten seien an dem Bombenattentat auf die Kathedrale in Sofia beteiligt gewesen, wird bekanntlich sogar von den bulgarischen politischen Todfeinden der Kommunisten widerlegt.
Der„ Gegenprozeß" unabhängiger Juristen, der in der Form eines streng objektiv arbeitenden Untersuchungsausschusses arbeiten wird, gedenkt in London zusammenzutreten. Es gilt als sicher, daß die brittsche Regierung gegen seine Arbeit keine Bedenken erheben wird. Der Ausschuß wird urkundliches Material heranziehen, Zeugen vernehmen und politische und juristische Referate erstatten lassen.
Der Kampf für die Wahrheit gegen eines der schändlichsten Verbrechen und gegen eine der gröbsten Lügen in der politischen Geschichte wird mit den Mitteln des Rechts geführt werden, bis die wahren Verbrecher verurteilt und gerichtet vor der Welt stehen.
Das gebietet die Rettung unschuldig angeklagter Menschen und die Ehre Deutschlands