I Sinzigs unabhängige Tageszeitung Deutschlands Nummer 56 1. Jahrgang j Saarbrücken , Donnerstag, den 24. August 1933| Chefredakteur; M. Braun Dem Tyrannen steht es wohl an, religiöse Erhebung zu predigen, und die, denen er auf Erden kein Plätzchen verstatten würde, an den Himmel zu verweisen; die anderen müssen verhindern, daß man die Erde zur Hölle macht, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel zu erregen. Fichte In Cörinas Schlott Der merphinistische Blutmensch unter dem Richtschwert ' k t t) f I Wo wohnt der preußische Ministerpräsident Gering? In einem Mietshaus, wie einstens diekor- fupten Systemminister"? Nein! Das entspräche nicht jener spartanischen Einfachheit, deren die Herren desdritten Reiches" sich zu rühmen Pflegen. Also in einem Fliegerzelt mit Feldbett? Auch nicht. Wo wohnt Göring ? DieNeue Linie", ein mondäne» Moden b latt, das in Berlin erscheint und mit Borliebe aus der Führerschule plaudert, ent- hüllt der staunenden Mitwelt die sparsame Häus- lichkett. Ueber vier Seiten hinweg bringt diese Zettschrift in ihrer Augustnummer Bilder au» dem bescheidenen Heim des Herrn Ministerprä- sidenten. Und was für Bilder! Es zeigt sich, daß der ungekrönte Nero von Deutschland sich mit einem unerhörten Luxus umgibt, mit einem Luxus, von dem die geschmähtenBonzen" des zweiten Reiches sich niemals hätten träumen lassen. Das Palais des Reichstagspräsidenten, das ihm zur Verfügung steht, genügte ihm nicht er mußte höher hinaus! Eine Architektin erhielt den Auftrag, diebis- her fehlende Amtswohnung" zu schaffen.Bis- her fehlend"! Otto Braun begnügte sich mit einem kleinen Siedlungshaus in Zehlendorf , Fürst Göring aber braucht nicht nur ein Grundstück, er braucht deren zwei. Einesehr geräumige" Villa wurde zum Schloß um- und ausgebaut, eine Zwischenmauer wurde nieberge- legt, umdas angrenzende Raumgrundstück in einen weiten sonnigen Garten zu verwandeln". Die Räume beweisen zweierlei: erstens, daß der Hausherr ein bedenkenloser Verschwen- der, zweitens, daß er geistig nicht nor- Mal ist. Neben der Kostbarkeit des Mobiliars, neben der Ueberfttlle an teuren Stoffen, Wand- behängen, Teppichen, Kunstwerken, Schnitzereien fällt vor allem eines auf d i e gespenstische Düsterkeit des schloßartigen Gebäudes, die mittelalterliche, bedrückende, beinahe drohende Feierlichkeit der Säle und Hallen. Genau so haben geschickte Theaterdekorateure von je die Behausungen der Tyrannen, der Philipp von Spanien , Torquemada , Scarpia, auf die Bühne gestellt, genau so denkt man sich das traute Heim eines Großinquisitors, eines bluttriefen- den königlichen Wüterich oder eines gefähr- lich Verrückten. Im großen Arbeitszimmer, dessen Wände rings durch dunkle, bewegliche Vorhänge verdeckt sind, hängt ein mächtiger schmiedeeiserner Leuchter mit 66 Wachskerzen elektrisches Licht wäre zu nüchtern, flackernde Kerzen müssen's seinüber dem Kamin der Bibliothek ist ein großes Mosaik- Hakenkreuz eingelassen,das in seiner erstaun- lichen Leuchtkraft an die Gemälde ungegenständ- lichcr Malerei erinnert", der Durchblick aus den Privaträumen in das Arbeitszimmer gleicht einem Kirchenausschnitt Spitzbögen überall. Ueber dem Renaissance-Schreibtisch aus Nuß - bäum mit dem Familienwappen Görings hängt ein altes echtes R i ch t s ch w e r t, daneben ein weibliches Aktbild, das Licht fällt durch verbleite, in kleine Quadrate geteilte Scheiben ein. Und der Hauptschlager einGedächtnis- räum für die verstorbene Gattin". Neu einge- »ogene Gewölbebogen. Kerzen, schwarze Vor- hänge. Es gehört wirklich ein für normale Ge- Hirne schwer vorstellbares Maß von Eitel - fett, Geschmacklosigkeit und Dumm- heit dazu, die Fotografie eines solchen Raumes in einer mondänen Zeitschrift abdrucken zu lassen, der Welt gleichsam ins Gesicht zu brüllen:Da, schaut alle her, wie zart ich Ebe- ling im stillen Kämmerlein zu trauern weiß!" Das ist Görings Wohnung das ist er selber! Ein größenwahnsinniger Narr mit überreizter Fantasie und anormalem Triebleben. Und dem ist im 26. Jahrhundert ein Volk ausgeliefert, das vordem die freie Lust eines demokratischen, modernen Staatswesens atmen durste! Audienzraum Die Inschrift aus der Landkarte ist dem dritten Reich" gewidmet Sein Privatarbeitszimmer flQlhos und Trompete Von Andreas Howald Sobald das Kind anfängt zu denken, bekommt e» schon ein Fähnchen in die Hand gedrückt. Dr. Ley auf der Führertagung in Bernau . Es ist schwer, die furchtbare Kakaphonie, die äugen- blicklich in Deutschland einen unaufhörlichen Lärm ver- ursacht, in ihre Bestandteile zu zerlegen. Das gehört alles in enger Verschlingung zueinander: der dröhnende Marschierschritt von CA., die ekstatischen Rufe der Führer, die Exmittierung aller Weltanschauungen außer der eigenen, die Wissenschaft, die sich dem totalen Staat gehorsamst zur Verfügung stellt, der Pastor, der Haken- kreuz und Christenkreuz andächtig harmonisiert. Der Mythos des neuen Geschichtsbildes zeigt auf seinen Firnen wallende Nebel bis zu den heiligen Herden Walhalls, während unten höchst irdisch das Blut deutscher Menschen versickert. Aber es gibt in dieser Szenerie ein Detail, das für alle, die ihr Deutschtum und ihr Deutschsein in den vergunge- nen Iahren durchlebt und durchlitten haben, wahrhaft niederschmetternde Gewalt besitzt. Es handelt sich um das Spiel, das von den Machthaber» und Propheten des dritten Reiches" mit der deutschen Jugend ge- trieben wird. Das Antlitz der deutschen Schule hat keine Aehnlichkeit mehr mit den Sinnbildern der Menschen- würde und der Menschengüte, gedacht und vorgelebt von den großen europäischen Erziehern. In wenigen Monaten hat man es fertiggebracht, das pädagogische Werk eines Jahrhunderts, das von Pestalozzi seinen Ausgang nahm, her faschistischen Staatsräson zur restlosen Vernichtung auszuliefern. Die deutschen Volksschullehrer, die deutschen Philologen haben sich bedingungslos zu Exerziermeistern auf dem Schulkasernenhof degradieren lassen. Sie alle, alle haben das humanistische Gepäck und den Glauben an die ethische Aufgabe gegenüber den ihnen anvertrauten jungen Menschen in dem Augenblick in die Ecke geworfen, als ihnen dasHeil Hitler" als Befehlsübergabe entgegen- dröhnte. Vor uns liegen die Richtlinien des Reichs- innenmini st ers Frick für den neuen Geschichtsunterricht. Sie werden soeben im Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen" veröffentlicht. Wir lasten sie selber sprechen. Im Mittelpunkt der Geschichtsstunde soll künftig der heldische Gedanke in seiner germanischen Ausprägung"' stehen. An der Geschicke Vorderasiens, an den Schick- salen derursprünglich nordrassigen" Inder. Meder, Perser müssen die Schüler künftig die Schicksale ihrer eigenen Blutsverwandten" erleben, die schließlich das gilt auch für die griechische Geschichte unter der Ueber- macht fremden Blutes zugrunde gingen. Den Römern ist- mit der germanischen Völkerwanderungfrisches nordi- sches Blut zugeführt" worden, nachdem es in seinem Rassenmischmäschentartet" war, und so fort bis zur jüngsten deutschen Geschichte. In ihr muß der heldische Gedanke in Verbindung mit dem Führergedanken in seiner germanischen Ausprägung besonders heraus- gearbeitet werden. Es endet mit dem Zusammenbruch der liberal-marxistischen Weltanschauung" und ihrer ent- scheidenden Ueberwindung durch denTag von Potsdam ". Wie unsinnig und vergeblich, dieser Geschichtsbetrach- tung die Wahrheit entgegenzusetzen! Die großen deutschen Geschichtsschreiber M o m m s e n und Ranke dürften aus ihrer Grabesruhe aufgescheucht werden, wenn sie hören, daß eigentlich alles in Asien und Europa urspriing- lich germanisch gewesen ist. bis es durch irgendwelche mythologischen Blutsvermischungen versteht sich, vor allem durch semitische entnordet, geschwächt, pazifisiert worden ist. Denn das Rezept des neuen Geschichtsbildes will mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. Es setzt an ihre Stelle den Glauben, den Enthusiasmus. Alles geschichtliche Material ist nur noch Mittel zum Zweck, der faschistischen Gegenwart eine bestimmte Bewußtsein- richtung zu geben, mit deren Hilfe sie die Jugend willens- mäßig für sich gewinnen und einspannen kann. Dazu braucht man vor allem die Verunglimpfung der üngsten Vergangenheit. Schon der-Sechsjährige muß er- ahren, daß die Sozialdemokratie den Dolch gegen das iegreiche deutsche Heer zückte. Der Zehnjährige wird mit