Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"

Ein Fluchtversuch

,, Wenn die Behörden mich erwischen"

I

Ich erkläre feierlich, daß folgende Erzählung sich bis in die kleinste Einzelheit so in Wirklichkeit abgespielt hat, wie ich sie hier vortrage. Ich weiß, daß mir das gleiche Schicksal blüht wie meinem Freund A. S., von dessen Sterben ich hier erzählen will, wenn es seinen Mördern gelingt, mich als den Verfasser dieser Zeilen zu entdecken. Ich weiß auch, daß vor einem kommenden Gericht hundert Arbeiter auf­stehen und mit ihrem proletarischen Eid die Wahrhaftigkeit dieses bekräftigen werden. Ich weiß, daß viele dieser Ar­beiter bis dahin den gleichen Weg gegangen sein werden, den der junge Genosse A. S. gehen mußte. Aber ich kann nicht schweigen. Ich muß erzählen, wie mein Freund A. S. starb, damit es ja nicht vergessen wird. Es ist ein Stück des Golgathaweges der deutschen Arbeiterklasse, der noch nicht zu Ende ist, und den Millionen junger deutscher Arbeiter gehen, bis sie ihn durch ihren Kampf beenden werden.

In unserer Stadt wohnen die Arbeiter größtenteils in dem mittelalterlichen, schmutzigen Viertel, das man die Alt­stadt nennt. Abends stehen sie in kleinen Gruppen an den Eingängen der engen feuchten Gassen. Die jüngeren Ar­beiter scherzen wohl mit den vorübergehenden Mädchen und fizzen in Reihen auf den breiten Treppenstufen der alten Barockbürgerhäuser. Mein Freund saß immer bei uns. Er war einer der zurückhaltendsten Menschen unserer Gasse. Deshalb hänselten wir ihn oft. Aber im Ernst verfügte er über riesige Kräfte. So saßen wir eines Abends zu fünft am Eingang zur T.- Gasse, als sich von der L.- Gasse her zwei betrunkene, von Dirnen eskortierte Männer näherten. Aus einander gehen," schrien sie mit

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schwankender Stimme: SA.- Streife".

Sie waren als solche nicht zu erkennen; sie hatten weder Uniform noch irgendwelche Abzeichen an, während die SA.­Streifen fast immer in Uniform und sichtbar bewaffnet auf­treten. Vielleicht hätte man die verrohten, gemeinen Ge­fichter der beiden Betrunkenen als Legitimation nehmen können, aber wir waren zunächst nur empört über das Auftreten dieser Halunken und verlangten Ausweise. Sie wurden jedoch grob, schrien und zogen Pistolen, mit denen sie uns bedrohten. Die Dirnen fannten uns als organi­sierte Arbeiter und flüsterten ihren Begleitern zu, daß wir Kommunisten seien. Das erhöhte den Mut der Betrunkenen beträchtlich, da sie sich linksstehenden Arbeitern gegenüber immer im Recht au sein glaubten. Sie schossen mehrere Male, ohne jemand zu treffen, und entfernten sich dann un­vermutet in Richtung des Kaffee R.

Ereignisse und Geschichten

10 Gebote für Anno 1933

emmo 18 10 Gebote

nicht mehr rührte und regte. Sein Körper wurde buch­stäblich zerfleischt. Wir mußten bis elf Uhr des nächsten Tages bleiben und alles Blut auswaschen.

II

Sehr schnell sickerte das Geschehene durch. Mit Windes eile lief die Nachricht durch die Stadt, durch alle Arbeiter­viertel. Die Behörden konnten vertuschen und verbieten, die Zeitungen konnten Notizen bringen wie:

Heute nacht wurbe ein berüchtigter Kommunist an­geschoffen, als er sich seiner Verhaftung durch eine SA.­Streife widersetzte und tätlich gegen sie vorging. Er liegt schwerverletzt im B.- Hospital."

Die Wahrheit setzte sich durch. Sogar Einzelheiten der ärztlichen Untersuchung, die das Blut in den Adern er= starren ließen, tamen unter die Leute. Es wurde dementiert und verhaftet. Aber nie wurde seit Hitlers Machtübernahme eine solche Unruhe gespürt, als in jenen Tagen. Es er­schienen Handzettel mit anklagendem Tegt, ergebnislos ver­liefen die Haussuchungen.

III

In der Gaffe, in der A. S. mit seiner Mutter gewohnt hatte, war fein Mann, keine Frau, fein Kind zu Hause ait dem Tag, an dem mein Freund begraben wurde. Totenstill lag das Viertel der Armut, aus dem die Menschen stumm, abgerissen, vorbei an patrouillierenden Polizeiwagen, zum Friedhof gingen. Es mögen Tausende gewesen sein, die an jenem Tag heimlich die Fäuste geballt haben, es waren Hunderte, die weinten. Wir schämten uns nicht unserer Tränen. Wir weinten, wie wir seit unserer Kindheit nicht mehr geweint hatten. Wieviele Flüche wurden an dem zer­rissenen Körper unseres Freundes seinen Mördern ge­sprochen.

Die Mutter des Ermordeten schrie auf dem Heimweg unaufhörlich:" Die Nazis haben meinen Bub totgeschlagen." Sie padte jeben ihr begegnenden Menschen und schrie ihm ins Gesicht: Die Nazis haben meinen Bub totgeschlagen." Schließlich nahm man sie fest und brachte sie in die Jrren­anstalt.

Die Behörden bewahrten bis heute Stillschweigen. Wenn sie mich erwischen dafür, daß ich das Schweigen gebrochen habe, so bitte ich das Schicksal, gnädig zu sein und es schnell Golv. zu machen.

Ein Gefangener

Wir ließen die Angelegenheit nicht auf sich beruhen, son- reicht dem Tod die Hand

dern folgten den beiden und alarmierten in einem ver­fluchten, törichten Gerechtigkeitsgefühl selbst das Ueberfallfommando. Daraufhin erschienen nach etwa zehn Minuten zehn SA.- Leute mit einem Schutzpolizei­beamten auf einem Polizeiwagen. Wir wurden auf dem Wagen verstaut, zusammen mit den zwei Betrunkenen, und daraufhin entfernte sich der Beamte. Wir wurden nicht zur Polizei, sondern zur SA.- Kaserne am 3.- Platz gebracht. Es beschlich uns ein unheimliches Gefühl, als wir unter aller­lei Vorsichtsmaßregeln ausgeladen wurden; aber im Be­wußtsein unserer Unschuld folgten wir ohne Zögern.

Wir wurden in ein vergittertes Zimmer gebracht, wäh­rend die zwei Halunken, denen wir das alles zu verdanken hatten, sich nun tatsächlich als Mitglieder einer nationalen Formation ausweisen konnten und mit in den Aufenthalts­raum ihrer Gesinnungsfreunde gingen. Was sie dort er­zählten, ist nie befannt geworden.

Seit wir wußten, daß es sich bei den beiden Betrunkenen. um Faschisten handelte, waren wir in dem dunklen ver­gitterten Zimmer von Furcht ergriffen. Wir bereuten, unserem Gefühl gefolgt zu sein. Als die Tür aufging und eine Anzahl mit Ketten, Knüppeln und Stuhlbeinen be­waffneter Faschisten hereinkam, erfaßte uns ein lähmendes Entsetzen. Wer von euch hat geschossen?" schrie der Führer.

,, Niemand, niemand von uns," versuchten wir zu be­teuern, aber ehe wir nur richtig zum Reden gekommen waren, fielen die Bestien wie wahnsinnig über uns her. Gleich zu Anfang brach der Arbeiter N. mit einem schweren Schädelbruch zusammen, sein Blut übergoß den Boden und spiegelte die Knöpfe der Uniformen wider. Anscheinend war der junge Genosse A. S. durch die Lügen der Betrunkenen besonders belastet, denn auf ihn schlugen die Mörder bestialischer als auf uns ein.

A. fiel auf den Boden und versuchte mit seinen zer­schlagenen Armen über die Bohlen zu kriechen. Er stöhnte leise, er war halb wahnsinnig vor Entsezen. Einer seiner Mörder trat ihm die Zähne ein und riß mit seinen be­schlagenen Stiefeln die halbe Wange ein. Alle schlugen auf den im Blut seines Rameraden liegenden, leise winselnden Menschen ein, der immer versuchte zu entkommen und doch nicht konnte. Wir waren von einem fürchterlichen Entsezen gepackt. Reiner von uns glaubte, mit dem Leben davon zu fommen.

Mit einem Male richtete sich A. auf, Blut strömte über seinen ganzen Körper, seine Wangen hingen in Feßen herunter, und sprang gegen das geschlossene und vergitterte Fenster. Er mußte wahnsinnig vor Schmers geworden sein. Er sprang mit übermenschlicher Kraft gegen das geschlossene und vergitterte& enster. In diesem Augenblick frachte ein Schuß. A. S. fiel zurück, schwer in das nasse Blut. Er drehte sich noch herum, wic um sein Gesicht zu schützen.

Er verstellt sich nur," schrie jemand, drauf!" Und wieder schlugen die Mörder auf den Unglüdlichen los, der sich

Erft hört man den Schrei der armen Kreatur, Dann poltern Flüche durch die aufgescheuchten Gänge, Sirenen fingen die Alarmgefänge,

In allen Zellen tickt die Totenuhr.

Was trieb dich, Freund, dem Hein die Hand zu reichen? Das Wimmern der Gepeitschten? Die geschluchzten Hungers flagen?

Die Jahre, die wie Leichenratten unsern Leib zernagen? Die ruhelosen Schritte, die zu unsern Häuptern schleichen?

Trieb dich der stumme Sohn der leidverfilzten Wände, Der wie ein Nachtmahr unsre Bruft bedrückt? 28ir wissen's nicht. Wir wissen nur, daß Menschenhände Einander wehe tun. Daß feine Hilfebrücke überbrückt Die Ströme Jch und Du. Daß wir den Weg verlieren Im Dunkel dieses Hauses. Daß wir frieren. Ernst Toller .

Du sollst keine anderen Götter haben neben dem EJNEN. Du sollst nicht lügen, aber du darfst auch nicht die Wahr­heit sagen.

Du sollst dich bedingungslos gleichschalten, damit der EJNE kritikfrei über dich schalten und walten kann.

Du sollst deine Eigenpersönlichkeit nicht zum Pfeile und nicht zum Kristall fonzentrieren sonst kommst du ins Konzentrationslager.

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Liebe du die Waffe mehr als den Frieden.

Und bist du ein Dichter, dann sollst du der herrschenden Den­Politik untertan sein. Denn die Politik ist die Seife fen und Dichten gilt als Seifenschaum.

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Der Begriff Vaterland" ist dir vorgeschrieben- aber greife nicht daneben, du würdest in Brennesseln greifen. Deutsche Gedankenfreiheit sollst du verschweigen. Gucke du nicht über die Grenzpfähle hinaus, denn drüben wohnt der Teifi.

Und willst du diese Gebote nicht achten, dann werden DJE bm. dich schlachten. Hermann Stehr

Juhaber des Goethepreises 1933

Der Goethe- Preis der Stadt Frankfurt a. M. in Höhe von 10 000 Mark wird in diesem Jahre dem 78jährigen Dichter Hermann Stehr zuerkannt werden. Stehr , der aus Schlesien stammt und in Oberschreiberhau lebt, war bis 1911 als Volksschullehrer tätig und ist bereits seit dem Ende der achtziger Jahre mit einer größeren Anzahl Romane und Novellen, in denen er Menschenschicksale seines Heimat­landes schilderte, hervorgetreten. Der Goethe- Preis wird am Geburtstag Goethes, dem 28. August, verteilt.

Man las Aufsäße des ehrwürdigen Hermann Stehr in jüngster Zeit häufig in Nazi- Blättern, mit rührenden Worten, die auf Gleichschaltung schließen ließen. Ganz ge­wiß: Stehr hätte sonst den Goethe- Preis, der nach Hitler­Gunst verteilt wird, nicht erhalten.

Schriftsteller

Kommissarisch beordert von Hinkel

Der neue Vorstand der deutschen Gruppe bes PEN- Clubs setzt sich wie folgt zusammen: Hanns Johst , Hanns Hinfel, Rainer Schlösser , J. v. Leers, Edgar v. Schmidt- Pauli, Hanns Martin Elster, Erich Kochanowski. Tie organisatorische Leitung des Vorstandes liegt in den Händen von Staatsfommissar Hintel.

Handle nicht, tanze nicht! Echängen erlaubt München

, 21. Aug.( Inpreß.) Nach einem Beschluß des Hauptausschusses des Münchner Stadtrats werden jüdische Händler nicht nur bei den Versteigerungen des städtischen Leihamtes nicht mehr zugelassen, sondern auch nicht mehr beim Oktoberfest und den anderen fröhlichen Messen, die man in München Dult nennt. Horst Wessel

- engros

Der Deutsche Bühnenverein warnt vor den zu vielen Horst Wessel - Stücken, die von verschiedenen Bühnen angenommen worden sind. Nur Stücke, die durch die Mutter Horst Wessels gebilligt worden sind und pietätvoll erscheinen, sollen angenommen werden.

Heroisches Theater

Mit ,, Schlafwagenkontrolleur" und ,, Zigeunecliebe"

In einer seiner schwulstigen und verworrenen Reden, in denen unverbaute Brocken aus der Kulturphilosophie seines einstigen Lehrers Gundolf herumschwimmen, hat Göb­ bels bald nach dem Umsturz erklärt: Das Theater des dritten Reiches wird heroisches Theater sein oder es wird gar nicht sein!" Davon läßt sich heute schon nach einem halben Jahr der Nastherrschaft die Probe aufs Exempel machen. Theater, die einst Kulturstätten ersten Ranges waren, sind gesperrt oder sie haben einen Spielplan, der unter der marristenverseuchten, fulturlosen Zeit" in diesem Zusammenhange niemals möglich gewesen wäre. So wollen wir uns einmal das heroische Theater" des dritten Reiches" näher ansehen, das zur Zeit in der Kulturmetropole Berlin verzapft" wird. Der Spielplan, den die Berliner gleich­geschalteten Blätter veröffentlichen, schaut folgendermaßen aus: Theater am Nollendorfplatz: Krach um Je= lanthe"; Theater am Kurfürstendamm : Der Schlaf­

nachrichten" mitgeteilt, daß Franz Adam Beyerlein , der vor undenklichen Zeiten mit seinem Militärreißer 3 apfenstreich" viel gespielt wurde, nun eine neue Komödie in Arbeit hat, die Sommer in Tirol" heißt und sicher zur Belebung des Spielplanes der deutschen Theater beitragen wird". Allerdings wurde dabei nicht mit­geteilt, ob diese Komödie auch zur Förderung des Fremden­verkehrs nach Tirol dienen soll. Und das Leipziger Schau­spielhaus hat zur Uraufführung ein Lustspiel von Ludwig Hynißsch und Friedel Hartlaub( mit garantiert arischer Großmutter) erworben, das den Titel führt: " Pedro soll hängen". Ein Lustspiel wie geschaffen für das dritte Reich".

wagentontrolleur"; Theater in der Behrenstraße: Schlagartig muß es gehen

Terzett zu viert"; Komödie: Der Mann mit dem Kuckuck"; Volkstheater: Schwarzwaldmädel"; Plaza: 3igeunerliebe"; Komische Oper: Die große Trommel" und Naturbühne Kölnischer Part: Die Rabensteinerin".

So sieht der heroische" Spielplan im dritten Reich" aus und jeder, der nur ein flein menig vom Theater versteht, muß zugestehen, daß dies wohl die seichteste Spielplan­erstellung ist, die in diesem Ausmaß in einer Großstadt überhaupt möglich ist. Aber die Nazifultur hat immer noch Reserven" zur Verfügung und so wird unter Theater­

Im Westdeutschen Beobachter" liest man diese Zuschrift über die Arbeit der Kölner Bühne: Die Proben in der Oper haben bereits am 15. d. M. begonnen, im Schauspiel setzen sie am 22. d. M. ein. Die Oper eröffnet am 9., das Schauspiel am 12. September. Bis dahin werden in jedem Theater mehrere Werke nebeneinander in Vor- und Nach­mittagsproben vorbereitet, um nach Eröffnung Schlag auf Schlag berausgebracht zu werden und so die gebotene Abwechslung und Farbigkeit im Spielplan zu erzielen."