Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 59 1. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag/ Montag, 27./28. Aug. 1933

Chefredakteur: M. Braun

Die Juden dürsten danach, end­lich irgendwo fest, erlaubt, ge­achtet zu sein und dem Nomaden­leben, dem ,, ewigen Juden" ein Ziel zu setzen; und man sollte diesen Zug und Drang wohl be­achten und ihm entgegenkom­men, wozu es vielleicht nützlich und billig wäre, die antisemi­tischen Schreihälse des Landes zu verweisen. Fr. Nietzsche.

Wer wird Reichspräsident?

Der Kampf zwischen dem Hauptmann und dem Gefreiten

Wir haben seit einiger Zeit die inneren Kämpfe zwischen der nationalsozialistischen Führerschaft weniger in die Oef= fentlichkeit gezogen, obwohl uns immer wieder Material darüber zugegangen ist. Nun liegt aber ein besonderer An= laß vor, diese Intrigen wieder einmal öffentlich zu beach ten. Der preußische Ministerpräsident Göring hat einen mehrtägigen Besuch bei dem Reichspräsidenten Hinden burg in Nended gemacht. Der Aufenthalt auf Hindens burgs Rittergut ist durch die Beteiligung an dem ostpreußis fchen Flugtag getarnt worden. Es ist bekannt, daß der frü= here Hauptmann Göring seit jeher zum Generalfeld­marschall des Weltkrieges bessere Beziehungen unterhielt als der Gefreite Adolf Hitler . Es ist sicher, daß sich Göring bei seinen ehrgeizigen Treibereien gegen meinen Führer" auf die ostpreußischen Junker und auf die Umgebung des Reichspräsidenten stützt.

Ministerpräsident Göring hat eine sehr schwere politische und moralische Niederlage erlitten. Man erinnert sich der plöglich einberufenen geheimen Führerbesprechung, der Göz ring sein nenes Köpf- und Hängegeset gegen die Un­zufriedenen im Lande vorlegte. Er fuhr zum Reichskanzler Hitler nach Bayreuth und verlangte, daß das Reich sofort ein entsprechendes Gesez erlasse. Nur so finne er die Margiften erschrecken und niederhalten. Wochen über Wochen find vergangen, aber das Gesetz ist nicht gekommen. Der Reichskanzler weigert sich, seinem intimsten Feind noch mehr Macht auszuliefern. Nebenher läuft ein Streit über eine neue Presseordonnanz, über die Frage, wer Zeitungen vers bieten darf, nur das Reich oder auch Preußen.

Göring ist von einem gleich großen Ehrgeiz beseffen wie Hitler, aber bei dem Morphinisten kommen noch eine trant­

hafte Eitelkeit und ein Uniformfetischismus hinzu, die selbst Wilhelms II. Spielereien weit übertreffen. Mit etwa 40 Uniformen hält Göring einen Reford. An einem Tage der Schlageterfeier allein hat er sich in sieben verschiedenen Mon­

turen gezeigt. Nicht zuletzt aus seiner Liebe zu prächtigen Uniformstücken hat er sich selbst zum Polizeigeneral Pren ßens ernannt und eine goldstrogende Uniform für diesen Posten komponiert.

Der Kampf zwischen Göring und Hitler hat ein entschei dendes Ziel: die Reichspräsidentschaft. Einmal muß auch der 85jährige Marschall sterben. Seine Gesundheit hat sich, ents gegen allen amtlichen Ablengnungen, in den letzten Monaten verschlechtert. Wenn nicht sein Tod, so steht seine Abdantung. in absehbarer Zeit bevor. Göring will nun in diesem Falle Herrn Hitler in das durch die neue staatliche Entwicklung so gut wie macht'ose Amt des Reichspräsidenten abschieben and sich selbst zum Reichskanzler ernennen lassen. Die Ver: bindung von Reichskanzlerschaft und preußischem Minifters präsidium soll ihm dann Machtbefugnisse geben, wie fie feit Bismarck niemand mehr in Deutschland gehabt hat. Sitler dur hschaut diese Absichten und verspürt keine Luft, die Rolle eines, wenn auch verjüngten, Hindenburg II , au spielen. Er will Kanzler bleiben und an den Platz des Reichspräsidenten einen Hohenzollern als Reichsverweser und Brüdenbauer zu einer neuen Monarchie sezen.

In Deutschland vollzieht sich die Staatsführung ohne öf­fentliche Kontrolle. Die Intrige herrscht. Aus freien Staats bürgern sind rechtlose Untertanen geworden, und das Schick­sal eines der größten Kulturvölker der Erde ist den persön= lichen unen ehrgeiziger Streber ausgeliefert.

Erste Ehrenliste

Ausbürgerung von Kämpfern für Deutschlands Freiheit

Berlin , 25. Auguft. Berlin , 25. Auguft.

Auf Grund des§ 2 des Gesezes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staats­angehörigkeit vom 14. 7. 1933 hat der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Aus­wärtigen durch eine im Reichsanzeiger veröffentlichte Bekanntmachung vom 23, 8. 1933 zunächst folgende im Aus land befindliche Reichsangehörige der deutschen Staats­angehörigkeit für verlustig erklärt, weil sie durch ein Ver: halten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Volk und Reich verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben:

Dr. Alfred Apfel , Georg Bernhard , Dr. Rudolf Breitscheid , Eugen Eppstein , Alfred Falk, Lion Feuchtwanger , Dr. Friedrich Wilhelm Förster, Helmut v. Gerlach, Elfriede Gohlke gen. Ruth Fischer , Kurt Großmann , Albert Grzesinski , Emil Gum= bel, Wilhelm Hausmann, Friedrich Hedert, Max Hölz , Dr. Alfred Kerr, Otto Lehmann- Rußbüldt , Heinrich Mann , Mann, Theodor Maslowski, Wilhelm Münzenberg, Heinz- Werner Neumann, Wilhelm Pied, Berthold Salomon gen. Jacob, Philipp Scheidemann , Leopold Schwarzschild , Mag Sievers, Friedrich Stampfer, Ernst Toller , Dr. Kurt Tucholski, Bernhard Weiß , Robert Weißmann, Otto Wels . Dr. Johannes Werthauser. Zugleich ist das Vermögen dieser Personen beschlag= nahmt worden.

Es sind Männer sehr verschiedener Anschauungen, denen die Reichsregierung die Auszeichnung erweist, sie als gefähr­lich für den Bestand der jetzigen Bluttyrannei vor aller Welt anzuerkennen: Demokraten und Kommunisten, Sozial­demokraten und Freidenker und Pazifisten. So manche haben sich in heftiger Gegnerschaft befämpft. Auch eine Frau, die frühere Führerin der KPD. , Ruth Fischer , wird von den waffenstarrenden Machthabern so gefürchtet, daß sie ihr den Zutritt zu Deutschland für immer verweigern und ihr das sehr bescheidene Besitztum stehlen, das sie etwa noch in Deutschland haben sollte. Denn ohne Raub geht es natürlich nicht. Das Vermögen" von Breitscheid und

andern besteht, wie wir genau wissen, aus Büchern und einigen Arbeitsmöbeln. Auch das muß beschlagnahmt", lies:

gestohlen, werden. So will es der total unmoralische Staat.

Allen wird vorgeworfen, daß ihr Verhalten gegen die Pflicht zur Treue, gegen Volk und Reich verstößt und die deutschen Belange geschädigt hat. In keinem Falle aber wird auch nur der Beweis versucht.

Was die geächteten Sozialdemokraten betrifft, so hat man dem einstigen Ministerpräsidenten des Deutschen Reiches , Philipp Scheidemann , vorgeworfen, er habe in einer amerikanischen Zeitung zum Kriege gegen Deutschland ge­hetzt. Dafür sind wochenlang unbeteiligte Menschen als Geiseln eingesperrt worden. Tatsache aber ist, daß Scheide­ mann überhaupt feinen Aufsatz für irgend eine amerita­nische Zeitung geschrieben hat.

Gegen den auch geächteten Landrat Hans mann, einen Frontkämpfer, wurde der Vorwurf erhoben, er hätte im Rundfunk gegen Deutschland gehezt. Dafür wurde sein Schwager als Geisel eingeferfert. Tatsache ist, daß Hans­mann nie im Rundfunk gesprochen und Deutschland über­haupt nicht verlassen hat.

Man darf getrost annehmen, daß es mit den Beweisen für die deutschlandfeindliche Tätigkeit der meisten andern aus Aus­gebürgerten genau so traurig bestellt ist. Nur sehr Ein­fältige werden glauben, daß es bei dieser Aechtung von deutschen Staatsbürgern um Deutschland geht. Parteiische Machthaber nehmen Rache an aufrechten, tapferen Gegnern. Das ist der klare Tatbestand. So wird die ganze zivilisierte Welt diese Proskriptionsliste aufnehmen, die ihr zwei­tausendjähriges Vorbild unter römischen Tyrannen zu suchen hat, deren Name in der Weltgeschichte mit Blut und Mord verzeichnet steht.

Diese erſte Liste wird nicht die einzige bleiben. Weitere

werden folgen. Keiner der Betroffenen und Bedrohten wird sich durch die Aechtung schrecken lassen. Jeder wird unbeirrt seine Pflicht tun. Rein Ministerialatt tann die Kämpfer für Deutschlands Freiheit von Deutschland und seinem Volfe trennen. Wir grüßen die Geächteten und wissen, daß viele Millionen Deutsche sich mit ihnen in Treue verbunden fühlen. Ein befreites Deutschland wird die jetzt Aus­gestoßenen in Ehren aufnehmen.

Deutsche Saar

Eine freiheits- Kundgebung

Saarbrücken , 26. August 1933. Gegen den totalen Staat hilft nur die totale Revolution das ist der Ausgangspunkt und das nächste Ziel unseres Kampfes.

Niemand kann heute sagen, in welchen Formen sich die aber Revolution gegen den Faschismus vollziehen wird

es werden bestimmt nicht die alten, ausgetretenen, ver­kalkten und überlebten Formen sein.

Sowohl die bisherige sozialdemokratische wie kom­munistische Organisationsform kann nur mehr das Sammelbecken zur Schaffung einer einheitlichen soziali­ stischen Front auf revolutionärer Grundlage sein.

Die proletarische Revolution dieser sozialistischen Front wird so demokra tisch sein wie nur möglich und so diktato­risch wie notwendig.

Ihre Voraussetzung ist die Ueberwindung des histo­rischen Fatalismus, wie er nach der Erledigung der blanquistischen Strömungen und erst recht durch den Revisionismus aufkam. Er betäubte den Willen zur Macht, er trübte das Verständnis für die Volkspsychologie und er brachte die Unter­schätzung des Führerproblems.

Verbunden damit ist die Rückkehr zum dialek­tisch- revolutionären statt des metaphysisch­kleinbürgerlichen Begriffs der Demokratie. Die Ideologie der revolutionären Demokratie, die die bürger­liche Demokratie nur als ein Durchgangsstadium zur proletarischen Demokratie betrachtet, ist betont volutaristisch und skeptisch gegen den Automatis­mus der Entwicklung.

Die nur parlamentarische Demokratie ist keine Der Aufbau einer wehrhaft sozialistischen Organisation internationaler Einstel­lung, die Aufrüstung der ganzen Klassenkraft als außerparlamentarische Macht ist die Voraussetzung zur Behauptung des Kampfbodens der Arbeiterschaft in jener politischen Demokratie, die sich durch ihre Absolut­heit selber umgebracht hat. Wenigstens sind das die Erfahrungen zwar nicht West- und Nord-, aber Mittel-, Ost- und Südeuropas .

Die Konsequenzen daraus für die noch nicht faschisier­- ebenso wie ihr ten Gebiete sind deutlich sichtbar Schnittpunkt mit unseren speziellen Saar - Aufgaben. Die Selbstbehauptung der Saar mit Zähnen und Klauen gegen den Nationalsozialismus ist ein Teilstück jener proletarischen Revolution, die unsere einzige und letzte Chance nicht nur zur Gewinnung unserer höchsten Ziele von Freiheit, Humanität und sozialistischem Wirt­schaftsaufbau, sondern auch zur Abwehr des Versinkens in der faschistischen Schlammflut ist.

Wir verteidigen wie Oesterreich nicht nur gewaltige Werte abendländischer Kultur, Zivilisation und menschlicher Spitzen- und Massenentwicklung- wir verteidigen zugleich die Grundlagen zum Aufbau einer proletarischen und mensch­lichen Zukunft nach den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf höherer, sozialistischer Ebene! Darum: Frei sei die Saar !

Braunbuch vergriffen

M. B,

Göring hätte in Paris den größten Teil aufkaufen lassen

Nach holländischen Zeitungen ist die erste Ausgabe des Braunbuches über den Hitler- Terror", die soeben erschienen ist, schon vergriffen. Göring hätte in Paris fast alle Exem plare dieses Buches auftaufen lassen,