Feuilletonbeilage der„, Deutschen Freiheit"* Sonntag, den 27. August 1933* Ereignisse und Geschichten
Die Schule
Hans Jttelsohn tam nach Hause. Er kam direkt aus dem Konzentrationslager. Er betrat sein kleines Zimmer, das er für 42 Mark im Monat, möbliert und mit Bedienung, bei der Witwe Rusch bewohnte. Müde und apathisch setzte er sich aufs Bett. Wie weich das Bett war... Eigentlich hatte er Hunger, und Brot und Eier und ein viertel Pfund Butter hatte er sich mitgebracht. Aber er war zu schwer, um sich jetzt etwas zurechtzumachen. Er saẞ auf dem Bett und dachte.
Wie war es gekommen, daß man ihn eingestedt hatte? Politisch hatte Hans Jttelsohn sich nie betätigt. Nein. Er war in einem Konfektionshaus angestellt gewesen. Bei der Firma Eisenstädt u. Breslauer. Damen- und Kinderwäsche. Er verstand sich gut auf seidene Hemden, Unterwäsche aus Crepe de chine, Crepe satin, Maroquin, einfach Satin, Leinen, Wolle... Aber von Politik verstand er gar nichts. Er wollte auch feiner Berufsorganisation beitreten. Er war Mitglied eines jüdischen Sportvereins, und da fand er in der Freizeit Unterhaltung und Betätigung, machte Sonntags Fahrten ins Freie, hatte seine Tanzabende und seine Flirts. Wozu sollte er sich da noch mit Politik beschäftigen? Als das„ dritte Reich" anbrach, da machte er sich auch weiter feine Sorgen. Es würde auch so gehen. Die reichen Damen ihrer Kundschaft würden auch weiter seidene Hemdchen und Höschen und Büstenhalter brauchen, ob es nun das dritte", das vierte" oder das fünfte Reich" wäre. Nur als der Judenboykott kam, wurde Hans Jttelsohn unruhig. Was war denn das?! Seit wann machte man Jagd auf Juden von Staats wegen! Aber der offizielle Boykott ging bald vorüber, das Geschäft durfte wieder eröffnen, alles schien den alten Weg zu gehen. Na also! Das war nur vorübergehend. Das war wohl nötig, um die dunkle Masse der Anhänger zu beruhigen. Das Volk verlangt eben solche Maßnahmen. Und warum hezte auch das Ausland?- Doch die Unruhe blieb.-
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Aber das Geschäft ging zurück. Die Judenverfolgungen hörten nicht auf. Eines Tages wurden bei der Firma Eilenstädt u. Breslauer die Schaufenster eingeworfen. Und an der Tür klebte ein gelbes Schild: Juden!"-" Wie bei Pestkranken," dachte Hans Jttelsohn. Jest ging er nicht mehr in den Sportklub. Der war geschlossen. Nun, so ging Hans Jttelsohn ins Kino, spazierte viel in der Umgebung, las viel auf seiner Bude. Defters machte er auch Ueberstunden. Bekannte, mit denen er über die Lage hätte sprechen können, hatte er nicht. Zeitungen kaufte er sich nur selten. Und dann las er auch nur den Sportteil.
Eines Tages ging er gerade von einer Besorgung- er war bei einem Kunden gewesen, um ihn an die Zahlung der noch ausstehenden Rechnung zu erinnern, und der Kunde,
Dann kam er in das Konzentrationslager. Hier war es nicht viel anders. Nur daß man in frische Lust fam. Zur Arbeit. Wenn man arbeiten konnte. Denn oft wurde man halb ohnmächtig geschlagen.
Jazt famen Hans Jttelsohn Gedanken. Wie ist das möglich?" dachte er. ,, Was habe ich getan?"- dachte er. Aber noch öfter dachte er:
Ueberall auf der Welt fißen Menschen in ihren Wohnungen, haben ihr Auskommen, lesen jeden Tag ihre Zeitung, und tun nichts für uns. Warum tun sie nichts für uns? Das hier ist doch Verbrechen. Das ist Barbarei. Und die Welt ist zivilisiert. Warum fämpft die zivilifierte Welt nicht gegen die Barbarei? Warum läßt man dieses Verbrechen geschehen?"
So fragte sich Hans Jttelsohn. Ein rothaariger, bauntlanger Mensch, ein Mitgefangener, ein Gewerkschafter, wie er sich nannte, sagte ihm:„ Das ist nicht so, Genosse.( Wieso: Genosse? dachte Hans Jttelsohn.) Ueberall auf der Welt find Menschen, die für uns kämpfen, die uns befreien möchten. Das sind Proletarier, Proleten. Aber sie können nicht. Sie dürfen nicht. Ueberall steht der Prolet unter der Knute. Unter dem Willen der herrschenden Klasse. Und die
,, Hetz meine Hunde"
Raum tommandiert, erscheinen die ersten neuen Geschichtsbücher in Druck, mit dem Hakenkreuz auf dem Einband:„ Aus Deutschlands Werden. Heftreihe deutscher Vergangenheit und Gegenwart zur Neugestaltung unseres nationalen und kulturellen Lebens." In Heft 1 Bon Hermann bis Hitler . Deutsches Geschehen" von Eilhard Erich Pauls heißt es:
" Im Jahre 9
Der Sturm zerriß die Eichen, flatschte Ströme eisigen Regens in den Sumpf des Urwaldbodens, warf sich heulend in die Lichtung. Die Reste eines römischen Heerhausens scharten sich und schlossen sich um ihre Feldzeichen und ihren Führer. Der Wind warf eine Eiche zu Boden. Auf dem kaum gestürzten Stamm stand lachend Arminius , den wir Hermann den Cherusker nennen.„ Die Götter helfen!" schrie er. Het
,, Haben Sie Bedarf?"
ein Herr Schinner, hatte ihm zugeschrien:„ An Juden zable Geschäft auf Umstellung in Oesterreich
ich überhaupt nicht!" und hatte dabei mit der rechten Hand auf die Tür gewiesen, also er ging gerade ins Geschäft. Da zog an ihm ein SA.- 3ug vorbei. Die Leute grüßten den Zug, indem sie den rechten Arm hochhoben und„ Heil Hitler" riefen. Hans Jttelsohn grüßte nicht. So viel verstand er nun von Politik. Er dachte gar nicht daran, die zu grüßen. Die nicht! Er nicht!
Da lösten sich etwa sechs Mann aus dem braunen Zug und Tiefen auf Hans Jttelsohn zu.„ Warum grüßt du nicht, du Judenhund, du dreckiger?!" schrie ihm der eine ins Gesicht. Hans Jttelsohn wurde bleich. Er wollte etwas antworten, was, wußte er selbst nicht. Doch da bekam er schon einen Faustschlag ins Gesicht. Und einen Fußtritt in den Bauch. Und einen, zwei, drei ans Schienbein. Hiebe prasselten auf seinen Kopf, seinen Rücken. Er flog hin. Wurde getreten. Verlor schließlich das Bewußtsein. Dunkel war ihm dann noch im Gedächtnis, wie er durch die Straßen geschleppt wurde, blutend, halb ohnmächtig. Endlich wurde er in ein Haus gezerrt und in eine Kammer gestoßen, in der als einziges Möbel ein Stuhl stand. Einen Tritt bekam er noch hinterdrein. Er schlug mit dem Kopf gegen den Stuhl, dachte noch:„ Herr Breslauer wird warten," und dann wußte er nichts mehr.
Zu fich fam er erst, als jemand sein Zimmer betrat. Es waren zwei untersetzte Männer, die in der SA.- Uniform steckten.„ Ausgeschlafen, Saujude verdammter?! Warte, mein Bürschchen, das Pennen wird dir hier noch vergehen. Marristenschwein, dreckiges!" Dann stand er vor einem Tisch, hinter welchem ein Mann mit Zwicker und Glaze saß. „ Aha, Verhör," dachte er.„ Nun werde ich wohl frei werden." " Name? Geburt? Bekenntnis? Aha! Welcher Partei angehörig?"
" Ich habe mich nie mit Politik beschäftigt."
„ Na, da haben wirs ja. Also wieder ein Marristenvögelchen. Kommunist oder SPD.?"
" Ich habe mich wirklich nie..."
„ Na, ist ja scheißegal. Marrist, und das genügt. Ihr Juden seid ja alle Marxisten. Aber wir werden es euch schon austreiben. Wir werden mal eure Erziehung in die Hand nehmen. Aus euch sollen wieder anständige Menschen werden. Das heißt, an einem Juden, da ist Hopfen und Malz zum Teufel. Da ist nichts gewonnen und nichts verloren dran. Sau bleibt Sau."
Dann tam Hans Jttelsohn wieder in sein Zimmer. Dort blieb er auch einige Tage. Die Kamer war dun t, fie lag im Keller, hatte kein Fenster. Schlafen mußte er au dem Fußboden. Am Tage konnte er auf dem Stuhl fizzen. Jeden Tag zweimal bekam er Essen . Und jeden Tag wurde er geprügelt.
Ein Wiener Vertreter hat von einer deutschen Metallwarenfabrik ein Schreiben erhalten, in dem ihm die Absendung einer Musterkollektion nebst Prospekten angekündigt wird. Außerdem fordert die Firma ihn auf, sich für den Verkauf von Fahnenspißen mit Hakenkreuzen zu intereffieren; es heißt dann wörtlich:
Gleichfalls legen wir dann auch unseren Prospekt nebst Preisen für Fahnenspißen mit Hakenkreuz bei und werden die letzteren demnächst auch in Ihrem Lande verlangt werden. Daß eine Umstellung Ihres Landes nach nationalsozialistischem Muster in nächster Zeit erfolgt, darüber werden Sie sich auch klar sein. Wenn dann der Moment gekommen ist, werden die Fahnenspizzen viel verlangt. Wir würden in diesem Falle vorziehen, eine größere Partie von jeder Sorte sofort nach dort zu senden, damit sie alsdann jeder Anforderung des Kaufes gerecht werden können.
„ Wenn der Moment gekommen ist" und sich das Land
herrschende Klasse, das ist die Bourgeoisie, die will Geschäfte machen. Auch mit Hitler . Verstehste, Genosse?"
Dann hörte Hans Jttelsohn, daß auch das deutsche Proletariat gegen die Hitlerbanden kämpft. Jeden Tag wurden ja neue Gefangene eingeliefert Proleten.„ Seltsam," dachte Hans Ittelsohn, warum kämpft gerade das Proletariat gegen die Barbarei, für den Fortschritt? Eigentlich sollten es doch die Reichen, die Gebildeten tun. Die sind doch gebildet, haben Schulen, Universitäten besucht, die müßten doch in erster Linie an der Front stehen." So dachte Hans Jttelsohn. Und er dachte immer weiter. Und trop Verbots unterhielt er sich mit dem Rothaarigen.
Eines Tages wurde er entlassen. Und noch einige. Plaz müsse gemacht werden, hieß es. Für aufständische SA., sagte der Rothaarige. Und jetzt jaß Hans Jttelsohn auf seinem Bett. Draußen hörte er eine Männerstimme. Das war sicher Friß, der Sohn der Witwe Rusch. Der trug früher immer eine grüne Uniform- Reichsbanner. Er pflegte Hans Jttelsohn immer mit dem Ruf Freiheit" zu begrüßen.„ Guten Tag," sagte immer Hans Jttelsohn darauf. Die Tür ging auf, Friz saf herein.
,, Nanu, Herr Jttelsohn? Wo haben Sie denn solange gesteckt?"
Freiheit! Genosse!" Hans Jttelsohn erhob sich. -Ich war in der Schule. Habe gelernt, wofür ihr kämpft. Und bald will ich in die Prüfung steigen!" Igor Pan.
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Der wundervolle August 1914
meine Hunde!" Mit Grausen hörte der römische FeldHerr den wütenden, heulenden Schlachtruf der Germanen... 1914-1918
Und so kam der Krieg.„ Mobil! Mobil!" Die roten Zetter brannten allerorten. Und es wurde ein August 1914, so wundervoll, wie es ein März 1913 gewesen war. Das wollen wir nicht vergessen, nicht vergessen, daß ein solches Geschehen immer wieder hell auflodernd aus den Tiefen der deutschen Volksseele heraus möglich ist... ein solches Lebendigwerden des deutschen Geistes."
Die pädagogische Wirkung solcher Bücher bleibt nicht aus. Schon spielen die Kinder wieder auf der Straße Krieg, heute in brauner Uniform:„ Juden und SA."- früher hieß es:„ Räuber und Soldaten". Was werden sie als Erwachsene tun?
Bange machen gilt nicht
Also diese eine Stelle, die nun geschaffen wurde, hat dem „ dritten Reich" gerade noch gefehlt. Nachdem man die besten und geistigsten Deutschen entweder außer Landes getrieben oder erschlagen oder in Konzentrationslager gesperrt hat, muß man jetzt darangehen, den geistigen Aktivismus von oben her zu schaffen. Also wurde die 8entrale für geistigen Attivismus" eingerichtet. Zur Begründung der neuen Einrichtung wird angeführt:
An sich braucht dem Nationalsozialismus vor der Erweckung einer neuen deutschen Kultur nicht bange zu werden...
I wo denn! Wem wird denn vor so ein paar Folterknechten, die doch die neue deutsche Kultur so prachtvoll vor aller Welt demonstrieren, bange werden! Bange machen gilt nicht, und schon gar nicht vor der Erweckung einer neuen deutschen Kultur. Denn daß und wie man mit so einer Kultur rasch und gründlich fertig wird, das hat man der Welt in wenigen Monaten gezeigt.
nach nationalsozialistischem Muster umgestellt hat, wird die Zerbrechliche Sache
nationalsozialistische Musterkollektion schon längst bereitliegen und die größere Partie von jeder Sorte Nazispigen fofort geliefert werden. Die deutsche Metallwarenfabrik wurde offenbar von den politischen Agenten des Reiches" informiert, daß die Umstellung Desterreichs" für den Herbst geplant ist; es frägt sich nur, ob die Vorausſegungen des Geschäftes zustande kommen.
In bester Ordnung
britten
Ein aus Deutschland stammender Sozialist in Milwaukec schreibt der Wiener Arbeiter- Zeitung":
„ Die Polizeidirektion meines früheren Heimatortes hat mich benachrichtigt, daß ich beim Betreten deutschen Bodens sofort verhaftet würde, da ich meine Angehörigen mit Eremplaren der Arbeiter- Zeitung " versorgt habe. Mein Schwager mußte mir unter Aufsicht der Polizei eine Starte schreiben, daß in Deutschland alles in best r Ord nung sei."
Die„ Berner Tagwacht" berichtet aus einem Polizeibericht über einen Fall von Widersetzlichkeit:
... und titulierte mich mit den gemeinsten Schimpfnamen wie Hitler , Mörder, Fozelchaib usw."
Ter Polizist hatte Recht, den Namen„ Hitler " als Schimp! zu betrachten, aber auch der Mann macht uns Freude obgleich wir die Beleidigung des Polizisten durchaus verurteilen, der den Namen„ Hitler " als den Ausdruck zur Darstellung seiner höchsten Berachtung gebrauchte.
Die Stadt Blankenhain in Thüringen , die im April den Reichskanzler Adolf Hitler zu ihrem Ehrenbürger ernannte, hat nunmehr einen Ehrenbürgerbrief eigener Art für den Voltskanzler anfertigen lassen. Das Dokument besteht aus einer großen, mit handgemaltem Text beschriebenen, fünstlerisch ausgestalteten Porzellanplatte.
Thyssen
„ Da haben wir nun die Roten erschlagen, Die Juden vertrieben und stramm konzentriert, Damit, um es noch höflich zu sagen, Der Geldschrank der Krupp und Thyssen diftiert?!
Wir waren gute Parteigenossen
Und rustig bei jedem Rummel dabei, Wir haben en masse auf der Flucht erschossen", Damit Herr Thyssen Diktator sei?!
Wir hörten tagaus und tagein die Reden Von Sozialismus und Arbeit und Brot, Jetzt werden wir in den Hintern getreten, Und stehen stramm nach Herrn Thyssens .
Wir gehen stempeln; das ist das Ende, Die braunen Bonzen sind fein heraus, Und schütteln den Krupp und Thyssen die Hände Die Revolution? Die ist längst noch nicht aus!"