DAS BUNTE BLATT
NUMMER 59- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE SONNTAG, DEN 27. AUGUST 1933
Geschichten um Gandhi
Gandhi, der wieder wochenlang in englischer Haft and in den Hungerstreit getreten war, hat seine Freiheit bedingungslos wieder erlangt. Er ist nach seiner Freilassung von Anhängern in das Palais feiner Gönnerin Lady Thakersy, in deren Hans er bereits im Mai seine Fasten: geit verbracht, gebracht worden. Bereits vor Verlassen des Hospitals hat Gandhi sein„ Hungern bis zum Tode" als Brotest gegen die Maßnahmen der indischen Regierung, thm nicht wie früher volle Freiheit bei seinem Wirken für die Unberührbaren im Gefängniß zu geben, eingestellt. Gandhi ist heute äußerst anspruchslos. Für sich selber braucht er fast nichts. Aber den Wert des Geldes kennt er dennoch sehr genau und für Propagandazwecke ist ihm keine Summe zu groß.
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Vor einigen Jahren, als er in Aden weilte, wurde dem spinnenden Mahatma von der dortigen Kaufmannschaft eine schöne Börse mit 350 Pfund Inhalt übergeben. Dieses Geld sollte für die indische Freiheitsbewegung verwendet werden. Gandhi nahm die Börse- es war ein kleines Säcklein in die Hand und fragte den Führer der Deputation: Wie groß ist der Inhalt?" Die Herren antworteten: 350 Pfund." Gandhi schüttelte mißbilligend sein Haupt.„ Nur 350 Pfund. Die Kaufherren von Aden haben sich wahrhaft nicht angestrengt. Ich habe auf viel, viel mehr gerechnet, aber „ plößlich begann er zu lächeln". Ich hoffe, daß sich Ihre Auftraggeber geirrt haben und eine Null vergessen hatten. Ich bin jedoch der Meinung, daß die Kaufherren auf ihre Unterlassungsfünde aufmerksam gemacht, dies schleunigst nachholen werden."
Die Deputation schwieg betroffen und am nächsten Tage erhielt der Mahatma noch 3150 Pfund.
Drei Badehosen
Als Gandhi zu der letzten„ Round- Table- Konference" nach London fuhr, bestand sein ganzes Gepäck aus einer warmen Decke und drei Badehosen, die in einem kleinen Musterkoffer untergebracht waren. Mit diesen drei Höschen mußte er während seines Londoner Aufenthaltes auskommen. Seine Waschfrau hatte während dieser Zeit recht viel zu tun, denn Gandhi ist sehr reinlich und wechselt öfters am Tage seine Wäsche.
Bei seiner Ankunft in Folkestone wurde der illustre Gaft von einem Londoner Journalisten interviewt. Der Repor= ter fragte ihn, ob es ihm nicht peinlich sein werde, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, durch Londons Straßen zu gehen und in diesem Aufzuge vor dem König zu erscheinen. Schmunzelnd antwortete Gandhi :" Bei Euch in England trägt man Plus fours"( bei uns nennt man diese kurzen Sporthosen Knickerboder), ich ziehe die Minus fours vor." Das Zollamt
Gandhi hatte während seiner letzten Reise nach London mit dem Zollinspektor in Folkestone ein sehr interessantes Gespräch. Der Zollinspektor fragte pflichtgemäß auch den Mahatma, ob er nichts zu verzollen habe?
Entrüstet antwortete Gandhi : Wie können Sie glauben, daß ich etwas zu verzollen habe? Ich bin doch ein armer Bettelmönch und besize nur das, was ich an meinem Körper habe."
Der Beamte gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und forschte weiter: Haben Sie vielleicht Zigaretten, Zigarren, Alfohol oder gar Feuerwaffen bei sich?"
Gandhi entrüstete sich wieder:„ Sie müßten es doch wissen, baß ich weder trinke noch rauche und daß ich niemals Gewalt anwende. Uebrigens wenn Sie alles wissen wollen, ich befizze drei Schwimmhosen. Die eine davon habe ich jetzt an, die anderen beiden sind naß, weil man sie eben gewaschen hat. Diese beiden Schwimmhosen werden Sie doch nicht verzollen wollen. Aber wenn Sie es dennoch tun wollen, so werde ich den Zoll nicht bezahlen. Sind Sie nun zufriedengestellt?"
Der Zollbeamte war zwar nicht zufriedengestellt, aber zoa dennoch ab.
Erziehung zur Schweigfamkeit.
Nach Beendigung der letzten Round- Table- Konference fuhr Gandhi nach Paris . Noch am selben Tage veranstalteten die in der französischen Hauptstadt lebenden Inder zu seinen Ehren im Hotel Terminus einen Tee. Zu der Feier wurden nur einige Journalisten und die Vornehmheit der Inderfolonie eingeladen.
Welkes Blatt
Der Sommer hat sich plötzlich satt, im Rinnstein liegt das erste Blatt, die Abende sind blasser.
Ein Dußend Regenwolfen zieht, ein naher Ausflugsplan zersprüht, ein Bootssteg steht im Wasser.
Mein Grammofon am Sofa fingt ein Lied, das fast wie Schwermut klingt. Wann willst du zu mir kommen? Die Sonne wandert himmelab,
es blieb ein Trost, den sie uns gab: die Nacht hat zugenommen. Annette Stein.
Der Mahatma nahm an dem reich mit Obst beladenen Tische Plazz und legte die Uhr vor si hin. Als man ihn fragte, wozu das gut sei, meinte er:„ Seit meinem Schweig- rozeß wegen einer Stimme samkeitsgelübde pflege ich mich immer mit der Uhr in der Hand zu kontrollieren, ob ich nicht zu viel spreche. Stelle ich dann einmal fest, daß ich genügend gesprochen habe, so breche ich selbst inmitten des Sages ab. Nur auf diese Weise kann ich, der Vielredner, mich zu einem schweigsamen Menschen erziehen."*)
Die große Sünde
Als Gandhi von seiner letzten Europareise heimkehrte, entdeckte er, daß seine Gattin, die er schon als neunjähriges Mädchen heiratete, eine große Sünde begangen hatte.
Gandhi , der Apostel der Enthaltsamkeit, verlangte auch von seiner Frau, daß sie auf einen jeden irdischen Genuß verzichten soll. Frau Kasturbai verzichtete auch auf einen jeden irdischen Besitz und lebte ebenso einfach wie Gandhi . Diese Enthaltsamkeit zu ertragen, wurde ihr aber außerordentlich schwer. Sie ersparte sich daher im Laufe der Jahre zweihundert Rupien, ohne daß Gandhi von diesem er= sparten Vermögen" gewußt hatte.
Eines Tages erkrankte Frau Gandhi und der Arzt erflärte, fie müsse unbedingt eine Luftveränderung haben. Gandhis Getreue erfuhren dies und begannen zu sammeln, um auf diese Weise die Reise der franken Frau zu er= möglichen.
Nun beging Frau Gandhi eine große Unvorsichtigkeit. Sie erklärte ihrem Gatten:„ Das gesammelte Geld soll unter die Armen verteilt werden. Ich benötige es nicht, denn ich habe mir etwa zweihundert Rupien erspart."
Als dies Gandhi hörte, wurde er tieftraurig. Er machte seiner Gattin heftige Vorwürfe, nahm ihr die zweihundert Rupien fort und verteilte sie unter die notleidenden Be wohner von Ashram. Gandhi bestand darauf, auch das ge= sammelte Geld unter die Armen zu verteilen, so daß Frau Gandhi nicht reisen konnte. Denn," erklärte er, meine Frau hat eine große Sünde begangen und muß darum büßen!"
Die Strafe
Während seines letzten Gefängnisaufenthaltes expertmentierte Gandhi gern mit seiner Diät. So hat er z. B. beschlossen, keine Ziegenmilch mehr zu trinken und kein frisches Obst zu essen. Innerhalb eines Monats nahm er bei dieser neuen Diät zwölf Pfund ab.
Als dies der Gefängnisdirektor hörte, suchte er Gandhi auf und erklärte ihm, daß er diese Experimente aufgeben müsse, denn die Regierung sei für seinen Gesundheitszustand verantwortlich.
Mahatma Gandhi hörte sich die Ermahnungen des Direktors ruhig an und stellte nur eine Frage:„ Ist Ziegenmilch- Trinken auch ein Teil meiner Strafe?"
Der Direktor bejahte dies. Gandhi schwieg nun einen Augenblick und sprach dann:" Also, von nun ab werde ich Ziegenmilch trinken, denn die Gefängnisdirektion hat die Macht und so das Recht, über ihre Gefangenen Strafen zu verhängen. 2. B.
*) Gandhi gelobte vor vielen Jahren, als er zu der Einficht kam, daß er zu viel rede, jede Woche von Sonntag abends bis Montag abends zu schweigen. Dieses Gelübde wurde von dem Mahatma strengstens eingehalten.
den Weg und durchwanderte tagelange Streden. Immer
Wolkenkratzer
Nach einem amtlichen amerikanischen Bericht stehen in Neuyork zur Zeit 35 Prozent aller Hochhäuser leer, während die kleineren Kontorhäuser weit besser besetzt sind. Daraus geht einwandfrei hervor, daß die Neuyorker die berühmten Wahrzeichen ihrer Stadt nicht gerade hochschätzen und lieber tiefer ihren Geschäften nachgehen. In weltberühmten Ge= bäuden, wie dem Equitable Trust Building mit seinem gewaltigen Turm, sind zahlreiche Stockwerke überhaupt noch niemals vermietet worden.
Man ist bemüht, dieser Abneigung eine plausible Erklärung zu geben. Zweifellos ist zum Teil die Wirtschaftskrise dafür verantwortlich zu machen. Aber das kann keineswegs allein der Grund sein; denn so groß ist der Unterschied nicht. Es scheint vielmehr tatsächlich, daß der Aberglaube, der unter der Neuyorker Geschäftswelt immer breiteren Boden gewinnt, ein gewichtiges Wort mitspricht. Die Ansicht setzt sich immer weitergehend durch, daß das Wohnen in luftiger Höhe Unheil bedeutet und geschäftlichen Mißerfolg mit sich bringt.
Goldfieber
In dem schwer zugänglichen Colorado - Gebiet in Amerifa, in der Nähe Canon- City, hat ein Neger durch Zufall eine allem Anschein nach überaus ergiebige Goldader entdeckt. Zuerst wollte man seinen Erzählungen keinen Glauben schenken, doch als er zum Beweis einen großen Klumpen goldhaltigen Erzes vorzeigte, sette sofort eine förmliche Völkerwanderung nach dem Fundort ein. Wer keinen Wagen und fein Reittier sein eigen nannte, machte sich zu Fuß auf
von dem Vorkommen des kostbaren Metalls hat sich mit Blizesschnelle verbreitet. Ueber Nacht ist in der Nähe des Fundortes eine ganze Zeltstadt entstanden. Inzwischen sind die Angaben des Negers von mehreren Goldgräbern bestätigt worden, die in dem bezeichneten Gebiet goldhaltiges Gestein gefunden haben.
Der französische Automobilfabrikant Gitroen befindet sich auf einer Studienreise durch die Vereinigten Staaten . Er kommt auch nach Detroit und stattet Henry Ford einen Besuch ab. Als er das Zimmer seines größeren, amerikanischen Kollegen betritt, sagt dieser, ohne sich von seinem Siz zu erheben:„ Nehmen Sie Platz, mein Herr."
Citroen , der von dieser Formlosigkeit etwas überrascht ist, wiederholt seinen Namen, in der Annahme, daß es Henry Ford übersehen hat, was für ein prominenter Besucher bei ihm ist. Er stellt sich also nochmals mit den Worten vor: „ Ich bin der bekannte französische Automobilfabrikant!" " Ach so," sagt Ford, dann nehmen Sie doch bitte zwei Plätze!"
Die Zukunft
Irmgard, zwölf Jahr alt, und Grete, dreizehn, betrachten einander im Seebad.
" Du hast schon Busen- und ich gar keinen." Wozu Busen? Du wirst doch Lehrerin,"
Eine ungewöhnliche Schadenersatzklage hat eine junge Frau, eine gewisse Colombe Aubert, gegen die Stadtverwaltung von Versailles eingeleitet. Sie fordert nicht weniger als 60 000 französische Franken, weil sie zwei Jahre lang von einem Lehrer des städtischen Musikkonservatoriums als Altistin ausgebildet wurde, während sie nach ihrer Behauptung einen hohen Sopran befigt. Diese Verkennung der Stimme durch den Gesangslehrer hat nach den Angaben der Klägerin ihre Stimme vollkommen ruiniert, so daß sie jetzt nicht mehr mit ihr singen, sondern nur noch Protest gegen die ihr zuteil gewordene Behandlung erheben kann. Infolge der falschen Ausbildung hat sie auch ihr Eramen nicht bestanden. Ein Halsarzt, den sie wegen Schwellungen an ihren Stimmbändern um Rat fragte, war die erste Person, die ihr riet, sie solle hohen Sopran fingen, weil sich ihre Stimme nur dazu eigne, und der Arzt erkannte das, wie gesagt, auf den ersten Blick, während die Sachverständigen des Konservatoriums den Charakter ihrer Stimme nicht in zwei Jahren erkannt haben.
Boykott
gegen Johannes Rieman
Im Wiener Sascha- Atelier, wo die Aufnahmen zu dem großen Jeriza- Film Alexandria" gedreht werden, und an dem neben Leo Slezak Otto Treßler , Szökö Szakall und Johannes Riemann mitwirken, sollten Aufnahmen mit dem aus Berlin eingetroffenen Riemann beginnen. Die Arbeiter wollten aber die Arbeit nicht aufnehmen, ehe Riemann nicht das Atelier verlassen habe. Riemann behauptete, gezwungen der Nationalsozialistischen Partei beigetreten zu sein, hat aber die Antwort verweigert, als man ihn fragte, ob er auch gezwungen wurde, den nationalsozialistischen Filmbund zu gründen.
Unangenehme Steuermafinung
Steuerzahlen ist ja nirgends in der Welt ein großes Vergnügen. Aber Steuern schuldig bleiben war bisher gewissermaßen ein Vergnügen. Die modernisierte Türkei will jedoch auch mit dieser letzten Freude des Staatsuntertanen energisch aufräumen. Die türkische Regierung wird in der nächsten Zeit einen Gesezentwurf verabschieden, der vorsieht, daß vor dem Hause säumiger Zahler sechs Trommler täglich eine Stunde lang trommeln sollen, solange, bis der Schuldner gezahlt hat. Ob auch die unschuldigen Nachbarn des Säumigen wegen der ausgestandenen Ohrenqualen Schadenersazansprüche haben, ist in dem Gefeßentwurf nicht enthalten.
Wäfirend sie die Geister riefen
In Helnau stürzte ein Wohngebäude ein. Unter den Trümmern wurde eine im Gebäude versammelte offultistische Gesellschaft begraben. Acht Frauen wurden auf der Stelle getötet, sechs Frauen wurden schwer verwundet. Das Haus stürzte eben in dem Augenblick zusammen, als die Vereinigung ihre rituellen Zeremonien zweds Niederschlagung böser Elemente ausführte.
Krokodilprämien
In den malaiischen Staaten, die sehr unter der Kroko dil plage zu leiden haben, zahlen die britischen Behörden für jedes erlegte Tier eine Prämie, und zwar je nach der Länge des Krokodils: für jeden Zentimeter, nach unserem Gelde, 75 Centimes. Das ist nicht einmal viel, wenn man bedenkt, daß einiges Geschäftsrisiko" daran hängt. Aber warum sollten die Eingeborenen von der europäischen Zivilisation just auf diesem Gebiet weniger ausgebeutet werden als auf allen andern?
Junger Mann tritt ins Leben
Mag tritt ins Leben und wird Lehrjunge. Wochenlohn 15 Mark.„ Du hast alles, was du brauchst, zu Hause, mein Kind," sagt der Vater, und lieferst das Geld wohlabgezählt jeden Samstag ab."
Das geschieht auch in der ersten Woche.
In der zweiten Woche bringt May nur 14,75 Mart. Zur Rede gestellt verantwortet er sich mit Müdigkeit und hierdurch verursachter Fahrt mit der Straßenbahn.„ Du hast Füße, Max, und kannst gehen, sieh mich an, ich bin älter als du... Nächsten Samstag wieder das ganze Geld, wenn ich bitten darf."
In der dritten Woche nur 14,35 Mark. Wo die 65 Pfennig geblieben sind?„ Es war so heiß, und ich habe mir Obst gekauft." Obst, meint der entrüstete Vater, sei daheim vorhanden, sogar Tafeläpfel, und am nächsten Samstag wünsche er wieder 15 Mark zu sehen, sonst würde es etwas geben. In der vierten Woche sind es nur 14 Mark. Da zieht der Bater den Jungen in die Stube, schließt von innen ab, legt dem Erbleichenden die Hände auf die Schultern und spricht feierlichen Tones: Mann gegen Mann, Mag: wie heißt die Dame? f. 4