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Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der ,, Deutschen Freiheit"* Donnerstag, den 31. August 1933* Ereignisse und Geschichten

Schmach und Rache

Zweihundert Jahre alte Erinnerungen

Studium der Geschichte mag als Flucht aus der Gegenwart erscheinen. Aber wer nicht nur mit falter Gelehrsamkeit an die alten Zeiten herangeht, wird immer wieder in die Jebt­Beit zurückgeschleudert, ob er will oder nicht. Vielleicht ist es nicht ohne Nußen, gerade in einer Epoche, die das Ende aller liberalistischen Ideen" behauptet, den Aufgang dieser Jdeen über der Dunkelheit barbarischer Zeiten noch einmal inner­lich zu erleben. In diesem Sinne nahmen wir die- vor einem Jahrzehnt in Deutschland   erschienene- Boltaire= Voltaire  Biografie des großen Dänen Georg Brandes   zur Hand. Und wir stießen auf gräßliche Demütigungen des freten Geistes, der sich unter Qualen aus mittelalterlicher Finster­nis emporzuringen sucht, auf immer erneute Roheitstaten des bornierten Machtdünfels, die wir vor einigen Jahren noch als typisch für die Zeit des Absolutismus bezeichnet hätten, heute freilich...? Es lohnt, ein paar Exempel davon zu refapitulieren:

Im Jahre 1725/26 zieht sich Voltaire  , der bereits gefeierte dieißigjährige Dichter, den Haß eines Magnaten aus einer der vornehmsten französischen   Familien, des Ritters von Rohan Chabot zu. Als Boltaire bei dem Herzog von Sully, seinem hochadligen Gönner, speist, wird er vor die Tür gebeten. Draußen warten sechs Lataien Rohans, die mit Stöcken über den Ahnungslosen herfallen und ihm unter Aufsicht ihres sich entfernt haltenden Herrn barbarisch ver­prügeln.

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Stellungnahme der Welt hierzu: die unmittelbaren Su schauer der Szene amüsieren sich köstlich. Als der adlige Nohling seine Lakaien vermahnt, Voltaire   nicht auf den Kopf zu schlagen, denn aus diesem fönne immerhin etwas Gutes fommen," da sind die Umstehenden ganz gerührt über die Güte" des Herrn. Der Herzog von Sully, Voltaires Gastgeber, lehnt es, wie Brandes schreibt, mit würdeloser und empörender Vorsicht ab," sich gegen den vornehmen Schänder seines Gastes zu wenden, den der Herzog seit zehn Jahren seinen Freund nennt! Eine mächtige Familie wie die Rohans macht man sich nicht um eines bürgerlichen Literaten willen zum Feinde. So denken auch die übrigen, Voltaire   selber, der sich bei dem feige tneifenden Rohan persönliche Genugtuung nach der damals gültigen Ehrauf­fassung zu verschaffen sucht, wird durch einen lettre de cachet, durch einen Schußhaftbefehl" so würden wir es heute. so würden wir es heute in die Bastille   geworfen und nach wochenlanger Haft nur gegen die Verpflichtung freigelassen, in die Ver­bannung zu gehen. Dem adligen Rohling passiert nichts.

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Einige Kapitel später lesen wir die Tragödie einer Freundin Voltaires  , der edlen und hochbegabten Adrienne Recouvreur. Diese, die erste Schauspielerin ihrer Zeit, war die Geliebte eines Mannes, der bald darauf als Feld­herr Ludwigs XV. berühmt werden sollte, des Marschall Moritz von Sachsen. Die Herzogin von Bouillon, wegen des Prinzen auf die Schauspielerin eifersüchtig, versucht diese durch Gift zu beseitigen. Zu diesem Zweck wird ein neunzehn jähriger buckliger junger Mensch gedungen, der als Porträt

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maler bei Adrienne Eingang finden und ihr das Gift bei­bringen soll. Von Gewissensbiffen gequält, warnt der junge Mann jedoch das Opfer mit dem Erfolg, daß er selber eingeferfert wird. Rurze Zeit darauf stirbt Adrienne Lecouvreur   unter mysteriösen Umständen, offenbar ist es der Herzogin gelungen, auf anderem Wege ihren Mordplan zu verwirklichen. Die Leiche wird von der Polizei bei Nacht und Nebel auf einer Abfallstätte verscharrt und in ungelöschtem Stalt gebettet, wodurch jede Obduktion unmög= lich gemacht wird. Als Vorwand für dieses grauenvolle Ver­fahren dient der Umstand, daß Adrienne Lecouvreur   als Schauspielerin das ist für damalige Zeit als Aus­überin eines ärgerniserregenden" Berufes, auf ein ehrliches Begräbnis teinen Anspruch hat!,- Der erwähnte junge Mann bleibt zwei Jahre in Haft, bis man aus ihm das Geständnis erpreßt hat, daß er die Gift­mordanstiftung durch die Herzogin nur erfunden" habe.

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Die Herzogin von Bouillon, zwar Giftmörderin, gleich­zeitig jedoch eine der vornehmsten Damen des Hofes, bleibt selbstverständlich gänzlich unbehelligt. Unter den Wissenden, die den Mund halten und keinen Finger rühren, um den Mord an der Adrienne Lecouvreur   zu rächen, befindet befindet sich auch ihr Geliebter, der Marschall von Sachsen  , der tapfere Krieger und große Feldherr! Vor ein paar Jahren hatte er es gnädig hingenommen, daß Adrienne ihr Vermögen opferte, um feine ehrgeizigen Pläne auf den Herzogsthron von Kurland zu unterstüßen. Aber jest! Er, wenn auch allegitime- Sohn des Königs von Sachsen  , wird doch nicht für eine tote, bürgerliche Schauspielerin die Feindschaft einer lebenden, hocheinflußreichen Herzogin von Bouillon und ihres höfischen Anhanges riskieren!

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Das Lied von den Rassen

Von Wenzel Sladek

Der weiße Mann, der schwarze Mann, der gelbe. fie schuften und sie fronen um dasselbe. Ein Stückchen Brot, ein bißchen Geld erwirbt man schwer in dieser Welt, ob frumm die Nas, ob blond das Haar, was man verzehrt, bezahlt man bar. Kredit wird nicht gegeben

im Leben, im Leben!

Der weiße Mann, der schwarze Mann, der gelbe, hat einen Feind und immer ists derselbe. Maschinenherr und Bankbaron

zahlt jedem schwer den schmalen Lohn, ob weiß das Fell, ob schwarz die Haut, wer nicht pariert, wird abgebaut und jedermann muß dienen:

Maschinen, Maschinen.

Der weiße Mann, der schwarze Mann, der gelbe, fie haben einen Feind, er ist derselbe;

ob nordisch rein, ob schwarz gebrannt, ob Fürstensohn, ob Fabrikfant,

im Geldverdienen fromm vereint erkennen sie den einen Feind und zwingen ihn den Rücken zu bücken, zu bücken.

Der weiße Mann, der schwarze Mann, der gelbe,

fie stehn im gleichen Kampfe um dasselbe,

um Arbeitsplaß, um wenig Geld und um die Freiheit in der Welt, die allen Raffen raffend stahl das rassisch kalte Kapital­Kredit wird nicht gegeben im Leben, im Leben!

So sab der Alltag vor zweihundert Jahren aus. Die Geschändete ,, Büchergilde"

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Prügel an Voltaire  , die Ermordung der Adrienne Lecouvreur  und tausendfache ähnliche Erniedrigungen des Geistes, sie wurden nicht gerächt... Nicht? Nicht zu Lebzetten Vol­ taires  , obwohl dieser ein Alter von dreiundachtzig Jahreк erreichte. Aber bald nach seinem Tode brach jene fran= zösische Revolution aus, in der die Köpfe des fran­ zösischen   Adels flogen, und als einer ihrer großen geistigen Bahnbrecher wird heute noch der Name Voltaires   ge­nannt. Die Stockprügel, die der Ritter von Rohan im Fe­bruar 1726 durch seine Lakaien an Voltaire   verabreichen ließ, haben einige sechzig Jahre später Dußenden von Rohans das Leben gekostet.

Bielleicht befriedigt dieser Verlauf das individualistische Gerechtigkeitsbedürfnis nicht in allen Stücken. Aber es lehrt doch eins: im Geist lebt eine ungeheure Kraft der Vergeltung und Ueberwindung, eine Kraft, die noch nach Menschenaltern sich Bahn bricht. Wehe denen, die in verblendeter Roheit meinen, den Geist ungestraft foltern zu können, weil der Körper, der ihn beherbergt, schwächer ist als der ihre. Die heutige Geschichte arbeitet rascher als die vergangene, und nicht immer dauert es sechzig und siebzig Jahre bis zum Tage der Vergeltung.

Von einem nichtmarxisten

Seine Gestalt steht wie ein Turm über denen, die sie heute bespeien.

Sie haben sein Geburtshaus besetzt und über ihm ihr Greuelzeichen gehißt.

Sie haben die Tafel entfernt, die an ihn erinnern sollte.

Sie verbrennen seine Schriften oder schließen sie in ben Giftschrank" ihrer Bibliotheken.

Sie möchten am liebsten seinen Namen von der Erde tilgen.

So taten ihre Vorgänger auch: fanatische Mönche und Rezerrichter an den Zeugen der Wahrheit.

So tat man in Indien   an Buddhas Spuren.

So verfuhren Heiden mit Christen.

So taten Christen mit Giordano Bruno  .

So wäre es Rousseau   ergangen bei lebendigem Leibe, wenn ihn der Henter erwischt hätte.

Armselige Naturen, die Geschichte hat ihr Urteil über euch längst gesprochen.

Verblendete Jünglinge: mit Musik und Fackeln zieht ihr heute zu solchen Massenhinrichtungen, Scheiterhaufen, darauf das Herz der Menschheit brennt.

Mary!

Er wuchs hervor aus titanischem Geschlecht, Geschlecht von Denkern, deren Sprache ihr nicht wert seid zu sprechen. Sie sahen zum Himmel, er zur Erde.

Er sah den Mühenden, den Sklaven, den Mann an der Maschine. Und sein Herz ward erfaßt von Mitleid, seine Zunge von Ingrimm.

Da sprach und schrieb er das Wort vom Kapital, das mit blutigen Klauen auf die Welt kommt.

Er sah die Kinder im Frondienst, ihre blassen aus­gemergelten Gestalten in den englischen Fabriken, in Webe­reien, Bergwerfen eine Schande der Menschheit.

Und er begann zu denken. Die Erde dachte in ihm voll Scham an ihre Kinder.

An all ihre Gefesselten, und wie anders es doch sein könne, wenn alle den Ertrag ihrer Arbeit brüderlich teilten und verwalteten.

Er dachte Geschichte. Dachte er sie mahr? Ueberall sah er Herrschende und Beherrschte miteinander fämpfen, Klassen emporsteigen und andere ausbeuten.

Er träumte die klassenlose Gesellschaft. Ein Traum? Die

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Arbeiter sollten sie erringen. Eine letzte Diktatur sollte alle früheren ablösen und dann sich selber aufheben. Wahrheit oder Irrtum, wie ers dachte ein Reich der Gerechtigkeit soll uns doch werden. Dies erflehen, dies schwören wir.

Marg tannte feinen Gott. Aber er sah den Gott, der in der Geschichte schaltet.

Er spürte ihn in Menschenherzen.

Diese große Seele war frömmer als viele, die ihn täglich mit Lippen bekennen und den Greuel der Kriege, diese

Ueber den ehemaligen Kommunisten, späteren Sozialdemo­kraten, heutigen Nazi Max Barthel   ist schon genug ge­schrieben worden. Das Urteil über ihn ist allgemein.

Jetzt hat man ihn für den Verrat belohnt. Die einst so prachtvolle Büchergilde" hat ihn, den Gleichgeschalte­ ten  ", zum Leftor, zum Schriftleiter auch der Monatszeit­schrift bestimmt. Da geistert er: Der neue Mensch in Deutschland   ist auf dem Marsch; der soldatische Mensch!" Und Barthel ist General geworden. Hurra!

An die Seite stellt sich diesem Renegaten ein zweiter. Der Leipziger   Lehrer Paul Georg Münch  . Er hat einmal als Schulreformer gegolten. Und als solcher bekam er durch die marxistische Büchergilde" Gelegenheit, seine Bücher zu verbreiten: Mein frohes Völkchen und Wie ich sie wieder­sah". Die Büchergilde" gab diesem Sozialisten" auch die Möglichkeit, für seine Bücher zu werben. In den Gilden­versammlungen des In- und Auslandes hielt er seine launigen Vorträge. Er hat seine Vergangenheit begraben, in der er nur an der Seite der Marristen und mit deren Unterstützung seine schulischen Experimente wagen fonnte. Jest   aber schreibt dieser Held in dem Heft der nationalsozialistischen Büchergilde":

Was die beiden jungen, starkwilligen Pestalozzijünger von einem stockkonservativen Schlotgutbaron und von den ihm geistig hörigen Bauern erdulden mußten, ehe sie in den Nationalsozialisten die rettenden Helfer fanden, ist von ergreifender Tragit! Nur wer die ländlichen Verhältnisse und die Einstellung der meisten Großgrund­besitzer zu Schule und Volkstum und sozialen Fragen fennt, wird es verstehen, warum die Landlehrer schon SA.- Leute waren, als wir Stadtlehrer noch das Für und Wider erwogen!"

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Die herrliche Büchergilde daß sie so beschmutzt werden muß. Alles Edle, das einst der Sozialismus in Deutschland  errichtet hat es hat das gleiche Schicksal: Auf den Scheiter­haufen! Oder auf den Misthaufen, der gebildet ist von den Urkräften" der Verräter und Heuchler und Geschäftemacher.

Dauerfron der Menschheit, preisen und still Schweigen zur Sie treten zum Beten

Barbarei um sie her.

Diese große Seele lebt.

Marrismus mag vergehen, wie aller Ismus". Barteiung mag vergehen. Sollte der Mensch vergehen?

Ihr Tiere, euer Gefläff am Fuße seines Denkmals, das länger dauert als die Steine, die ihr euren Rottenführern setzt, wird euch noch um die eignen Ohren tönen, lange, daß ihrs noch verwünschen sollt! Und in eurem Gespei werdet ihr schier ertrinken.

Ihr rüstet anderen die Hölle, Menschenfreunden, brennt und sengt. In eben diesen Flammen werdet ihr umfommen. Und ihr könnt noch froh sein, wenn ein wahrer, nicht fehlerloser, Mensch für euch, armselig Bolt, bittet und euer etliche zur Wahrheit kommen läßt.

Wahr ist die Menschenliebe.

Marr, du Freund des Armen, wir grüßen dich, obwohl wir nicht von deiner Parteiung sind!

Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern

Herzen gefällt; wo du in den Sitten und Weisen und Ge­seßen der Väter leben darfst; wo dich beglückt, was schon deinen Ureltervater beglüdte; wo teine fremden Henker über dich gebieten und feine fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt.

Ernst Moritz Arndt  .

vor die Filmtheaterkasse

In den Berliner   Kammersälen fand dieser Tage die feier­liche Vereidigung der Berliner   NS.- Zellenmitglieder des Reichsverbandes deutscher   Lichtspieltheaterbesitzer statt. Nach Begrüßungsworten des Berlin  - Brandenburger Zellenob­manns Simon und dem Fahneneinmarsch nahm der Reichsverbandsvorsißende Engels fura das Wort, der u. a. betonte, daß der deutsche Film dem deutschen   Volke nur durch Deutsche   vermittelt werden darf. Den Vereidigungsaft leitete der Reichszellenleiter Johnson mit einer Ansprache ein. Wer nicht ehrlichen Willens alle seine Kraft für den Aufbau eines neuen Deutschland   einsetzen zu können glaubt, der bleibe besser der Zelle fern. Die Musik spielt: Wir treten zum Beten", die Hände heben sich zum Schwur, den der Reichszellenleiter vorspricht. Dann legt jeder der 200 Männer die Hand aufs Hafenkreuztuch, mit Wort und Handschlag sein Ich gelobe" feierlich beeidend...

Aus Deutschland   vertrieben In der Schweiz   aufgenommen

Nach Basel   wurden berufen: Dr. Alwin Kronacher, der frühere Intendant des Schauspielhauses in Frankfurt am Main  , als Schauspieldirektor am Stadttheater; der Berliner  Schauspieler Hermann Vallentin   als Regisseur daselbst; der bisherige Regisseur am Frankfurter Opernhaus, Dr. Herbert Graf  , als Oberregisseur der Oper.