Nummer 63-1. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
,, Denn ein Justizkollegium, das Ungerechtigkeiten ausübt, ist gefährlicher und schlimmer als eine Diebesbande; vor der kann man sich hüten, aber vor Schelmen, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üblen Passiones auszuführen, vor denen kann sich kein Mensch hüten; die sind ärger als die größten Spitzbuben, die in der Welt sind und meritieren eine doppelte Bestrafung."
Friedrich II.
Rassenfanatiker
sind Kriegstreiber
Bluturteil gegen Priester
Well er die Wahrheit sagte...
Im Rahmen der Niederwaldkundgebung hat am Sonnabend in Bingen eine strengvertrauliche Arbeitstagung des Bundes der Saarvereine stattgefunden. Auf dieser Tagung hat der neue Bundesführer des Bundes der Saarvereine, der Staatsrat Simon, Koblenz , eine Rede gehalten, in der er Eroberungen forderte, soweit die deutsche Zunge tlingt. Seine Fantasien reichten bis Mez und Mülhau= sen, bis Luxemburg und den flämischen Teil Bel giens und bis zu den Niederlanden. Auch Oester= reich will er selbstverständlich in die Nation der 90 Millio nen eingliedern.
Seit Dienstag ist diese Rede nationalsozialistischer Groberungspolitik bekannt. Bis heute hat der Staatsrat Simon, der nicht gerade ein Wahrheitsfanatiker ist, seine Rede nicht zu dementieren gewagt. Nur der Bund der Saarvereine er= läßt jezt eine Erklärung, die an den wesentlichen Dingen vorbeiredet. Wir übergehen die üblichen ge= gen den Führer der saarländischen Sozialdemokratie, Mar Braun, gerichteten Beschimpfungen. Die stets persönlich und unsachlich und verlegend gefärbte Heyze gegen diesen Mann richtet sich von selbst.
Hier geht es nicht um Personen, sondern um deutsches und enropäisches Schicksal. Wenn der preußische Staatsrat Simon nicht fähig ist, seine außenpolitischen Reden abzuwägen, so hat er den Mund zu halten. Reden vor größerer Zuhörer= fchar bleiben nie geheim, auch wenn man noch so um Ver= traulichkeit wirbt. Wenn Menschen wie dieser Simon so uns verantwortliches Zeng reden, dann müssen sie und ihre Bes wegung öffentlich gestellt werden. Das ist in diesem Falle geschehen. Es ist notwendig, laut und klar zu sagen, daß das Dementi unseren Bericht nicht widerlegt.
Es ist nicht behauptet worden, daß der Bund der Eaarvereine die Aufgabe und den Willen hötte, ein derartiges Eroberungsprogramm aufzustellen und zu jor= dern. Nichtig bleibt aber, daß die nationalsozialis stische Führung des Bundes durch den Mund des Staatsrat Simon alarmierende Eroberungspläne, sagen wir es deutlich: an Irrfinn grenzende Kriegsfantasien, spinnt und plant.
Als Deutsche , deren Volksgenoffen schließlich die Opfer für solche Friedensstörer in Europa zu tragen haben, erfüllen wir die Pflicht, solche verbrecherischen Politiker zu befämps fen. Lieber wollen wir„ Landesverräter" gescholten werden, als still mit zusehen, wie unser deutsches Bolt durch eine Sorte Politiker wie diesen Simon in kriegerische Abenteuer hineingehegt wird.
Was Staatsrat Simon sagte, liegt durchaus im System nationalsozialistischer Außenpolitit, auch wenn sie jetzt durch den Reichskanzler Hitler vorsichtig verkleidet wird. Wir wollen als Beweis eine Stelle aus einer soeben erschienenen Broschüre des italienischen Historikers Giovanucci anführen, also eines Mannes, der doch wohl seine deutschen Gesinnungsfreunde verstehen dürfte, Er sagt:
„ Die Grundidee des deutschen Faschismus ist die Nas= senidee, der Wunsch, alle, die irgendwie Deutsche ge nannt werden können, mit den Boden, auf dem sie leben, dem dritten Reich" einzuverleiben. Das gilt ja nicht nur für das Elsaß, für Lothringen , für Polen , die Tschechoslowatei, Ungarn , Oesterreich, Dänes mart, Belgien , sondern auch für Italien ."
Wir möchten wissen, was ein nationalsozialistischer Verfech ter der Rassenidee gegen diese Behauptungen einwenden kann. Die Eroberungs- oder Angliederungspläne müssen naturnotwendig aus dem pangermanistischen My= thos erwachsen. Nur Unflarheit oder Unwahrhaftigkeit kann das bestreiten.
Die nationalsozialistische inoffizielle außenpolitische Bes tätigung verfolgt auch mit Zähigkeit diese Ziele. Für Oesterreich wird es von niemand geleugnet werden. Ges gen Holland stehen aggressive nationalsozialistische Vor: stöße in der Provinz Limburg , gegen Dänemark in Nordschleswig feft. Ueber die Schweiz liest man in der nationals sozialistischen Literatur Sätze wie diesen:„ Die deutsche Schweiz tommt bald wieder zum Reich! Siegheil!" Ein keis neswegs deutschfeindliches und sehr zurückhaltend geleitetes Blatt wie die„ Neue Züricher Zeitung" hat gegen dieses Treiben sich in folgenden entschiedenen Säßen ge= wehrt:
" Der pangermanistische Mythos hat nichts innerhalb unserer Grenzen zu suchen, die wir während des Welt: trieges zu beschützen gewußt haben und die wir heute, wie wir mit Conrad Falke sagen können, mit einer levee en masse des schweizerischen Geift e 8" verteidis gen werden. Wir wünschen, daß man sich innerhalb des Reiches darüber Rechenschaft ablegt über die beunruhigende und verhängnisvolle Wirkung der ganzen Kampagne und daß man mit diesen Erklärungen aufhöre, die den normalen Beziehungen der beiden benachbarten Staaten nur schaden können."
Sogar bis nach Nordschweden hat sich der nationalsozialis stische Expansionswille ausgedehnt. Der nationalsozialistische Führer in Stockholm Furugard hat unwidersprochen öffentlich erklärt, der preußische Ministerpräsident Göring
Essen, 30. Aug. Vom Dortmunder Sondergericht wurde der katholische Vikar August Stöder zu neun Monaten Festung und sieben Monaten Ge fängnis verurteilt. Ein Antrag auf Bewährungsfrist und Strafaufschub wurde abgelehnt. Dem verurteilten Geistlichen wird u. a. vorgeworfen, behauptet zu haben, daß der SA. gesprengt worden sei, wobei manFahnen zerrissen habe. Auch habe er sich in unzulässiger Weise gegen führende Persönlichkeiten der Regierung geäußert. Als erschwerend wurde angesehen, daß ein Teil der beanstandeten Aeußerungen des Geistlichen von der Kanzel herab ge= macht wurden. In der Urteilsbegründung wird der verurs teilte Geistliche als ein Fanatiker bezeichnet, der statt die Gegenfäße innerhalb der Gemeinde auszugleichen, bewußt Unfrieden gestiftet habe...
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Dieses ungeheuerliche Urteil ist ein Dokument der deutschen Zustände. Die Herausprüglung der katholischen Gesellen ans München , tausendfach durch die Erlebnisse der Beschimpften und Geschlagenen erhärtet, war das große Pfingstereignis, von dem ganz Deutschland sprach. Zehntausende waren in München Zengen jener Vorgänge, an ihrer Spige kein anderer als Herr von Papen. Die Opfer der braunen Attade lagen teilweise wochenlang im Hospital. Die katholische Presse an der Saar , damals noch nicht gleichgeschaltet, veröffentlichte spaltenlange Berichte, die ihr von Leidtragenden übergeben worden waren.
Jetzt wird ein katholischer Priester, weil er die Wahrs heit auch von der Kanzel herab verkündete, zu vierzehn Monaten Freiheitsentziehung verurteilt! Eine Illustration zum Konkordat, ein Beweis für die Entthronung aller Menschenrechte, eine Offenbarung des Terrorgeistes, daß man teine Brutalität verschmäht, um die ersehnte Grabestille zu erzwingen.
Gleichzeitig mit Stöder wurde der Polizeiwachtmeister Funke zu sieben Monaten Gefängnis verur= teilt. Funke soll die Vorgänge auf dem Gesellentag in Müns chen und gelegentlich einer Prozession in Regensburg zum Anlaß herabseßender Bemerkungen gemacht haben.d
habe mit ihm in Berlin Berhandlungen gepflogen und im Katholische Jugendverbände
hohe Subventionsgelder in Aussicht gestellt, wenn die schwedischen Nationalsozialisten fich verpflichten, die nördlichen Provinzen Schwedens an Deutschland abzutreten, sobald die schwedischen Nationalsozialisten zur Macht kommen. Diese Zumutung erschien dem schwedischen nationalsozialistischen Führer so ungeheuerlich, daß er seine Aemter niedergelegt hat.
Verboten!
Die katholischen Jugendverbände in Bense heim, und zwar die Jungschar, die Sturmschar, die Schwarze Schar und Neudeutschland, sind von der hessischen Staatspolizei mit sofortiger Wirkung aufgelöst und ver boten worden. Das Verbot erfolgte, wie das Bergsträßer Anzeigeblatt" mitteilt, im Zusammenhang mit der durch die Versehung des Kaplans Münch veranlaßten Demonstration, an der sich die genannten katholischen Verbände beteiligt hatten.
Sozialismus
Es gibt Chauvinisten und Kriegstreiber in allen Ländern. Ueberall werden sie von den politischen Kräften des Landes bekämpft, die eine friedliche Lösung der europäischen Span= nungen wollen. Als Deutsche haben wir die Aufgabe, unseren Kampf zunächst und zumeist gegen die wilden Nationalisten unseres eigenen Landes zu richten. Es gibt flügere und dümmere Verfechter des pangermanistischen Mythos. Die Andreas Howald einen formulieren vorsichtig, die anderen, wie dieser Simon, schwägen munter drauflos und fühlen sich schon gesichert, wenn sie die Veröffentlichung ihrer Träume untersagen. Je mehr die Schwierigkeiten in Deutschland wachsen, je auss sichtsloser es wird, das deutsche Volt durch wirtschaftliche und politische Segnungen zufriedenzustellen, um so größer ist die Gefahr, daß die Regierenden in außenpolitische Abenteuer hineintaumeln. Mit Brandstiftung in der Reichshauptstadt hat das„ dritte Reich" begonnen. Wir wollen nicht, daß es Europa in Brand steckt, ehe es zugrunde geht. Der Vernichs tungskampf gilt den Machthabern in Deutschland , nicht dem deutschen Bolt und dem Deutschen Reich.
Prag , 31. Aug. Auf den früheren Profeffor an der Technischen Hochschule Braunschweig Theodor Lessing ist, wie das „ Prager Tageblatt" meldet, gestern nacht ein Revolveratten: tat verübt worden. Ein noch unbekannter Täter drang über
Schrifttum zum höchsten Kulturgut deutscher Sprache gehört, Schrifttum zum höchsten Kulturgut deutscher Sprache gehört, war Pazifist und Jude. Nun hat er seine Gesinnung mit dem Leben bezahlt.
eine Leiter durch das Fenster in das Zimmer Leffings, feuerte Van der Lubbe
zwei Revolverschüsse auf diesen ab, von denen einer in die linke Wange eindrang und die rechte Seite des Hinterkopfes durchschlug. Lessing wurde bewußtlos ins Krankenhaus gebracht, wo er heute morgen um 1 Uhr gestorben ist.
Wie das Tschechoslowakische Pressebüro meldet, ist der Tat dringend verdächtig der in Schanz bei Marienbad wohnende 81 Jahre alte Arbeiter Max Edert, der zum Einsteigen in die Villa eine Leiter der Feuerwehr von Schanz benutte. Es wird angenommen, daß Edert bereits über die Grenze geflüchtet ist.
Wieder haben sie einen der besten Geister Deutschlands killen lassen. Der sechzigjährige Theodor Lessing hatte sich den Haß der reaktionären Studentenschaft zugezogen. Nach der nationalen Revolution" setzten sie seine Wohnung unter Jauche und zerstörten seine Bibliothek. Dieser Mann, dessen
Das kommunistische Blatt„ Tribune" behauptet, daß der „ Brandstifter" von der Lubbe bei seinem Verhör gelengnet Brandstifter" von der Lubbe bei seinem Verhör geleugnet hat, Mitglieder der deutschen kommunistischen Partei zu kennen. Als diese Erklärung ins Protokoll nicht aufges nommen wurde, weigerte sich der Dolmetscher der Nieder ländischen Gesandtschaft das Protokoll zu unterzeichnen, wenn die Erklärung des Angeklagten nicht aufgenommen würde. Daraufhin wurde der Dolmetscher nicht mehr aufgefordert, den Verhören beizuwohnen.
Außerdem wird berichtet, daß der bekannte Rechtsanwalt Pauwels von der Familie von der Lubbe ersucht worden ist, die Verteidigung des„ Brandstifters" zu übernehmen. Pauwels hat angenommen und sich sofort mit seinem Pariser Kollegen Moro- Giafferri in Verbindung gefeßt.
in Wald und Wiese
Das Gesetz des Nuvens in der Wirtschaft muß selbstverständlich bleiben. Es heißt nicht, daß der Eigennuß einem nebelhaften Gemeinnuz Plaz machen soll..
Bernhard Köhler , Leiter des wirtschaftspolitischen Amtes der NSDAP .
130 Jahre ist es jetzt alt, das Wort„ Sozialismus". Suerst in der Geschichte hat es der utopische Franzose Joncieres gebraucht, um eine gesellschaftliche Forderung gegen die egoistischen Rechte des einzelnen zu begründen. Aber welche Schicksale haben diese vier Silben inzwischen erlebt! Ver träumte Schwärmerei sozialer Paradiese, christlicher Messia nismus und materialistischer Optimismus, Erlösungshoffnung und realpolitischer Befreiungswille alles das, hat sich diesen vieldeutigen Namen im vergangenen Jahrhundert verliehen und erborgt. Als Karl Marx und Engels am Vorabend der deutschen Revolution von 1848 das Kommunistische Manifest schrieb, durfte er mit Recht spotten über die reaktionären und fonservativen Scholastiker und Volksverächter, die den Begriff Sozialismus" mit feudalistischer Gewaltherrschaft im Namen der Heiligen Allianz der Völker zu vereinigen wußten.
Achtzig Jahre später! Allen Gesetzen der Vernunft zum Trotz entdecken wir, daß die Varianten des Sozialismus, die er bisher erlebte, noch nicht erschöpft sind. Denn jetzt erscheint er auf einmal in Braun, brüllt uns aus dem Munde von Despoten entgegen, wird durch die Gosse der Plattheit und der Lüge, der Dummheit und der Brutalität geschleift. Während sie den„ Sieg" des Sozialismus verfünden, wird die Idee der menschlichen Befreiung, ohne die ber wirkliche Sozialismus nicht leben kann, dazu mißbraucht,