Deutsche   Stimmen

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Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit" Freitag, den 1. September 1933* Ereignisse und Geschichten

Festspiele in Salzburg  

Der ,, Faust  ", von Reinhardt inszeniert von Dr. D. Bach

Salzburg, Ende August.

Sinn der Festspiele, und zwar ihr geistiger Sinn, nicht der materielle Sinn einer Hebung des Fremdenverkehrs, der berechtigterweise mitläuft: in einem gedrängten Aus­schnitt immer wieder den Beitrag Oesterreichs   zur deutschen Kultur, Musit, Literatur, Theater sichtbar machen, den Bei­trag selbst immer wieder erneuern. Die Gaben der Fest­spiele sind größtenteils durch die Geschichte der deutschen Mufit, durch den Ort der Festspiele, eben Salzburg  , die Geburtsstadt Mozarts bestimmt, durch Herkommen und be­wußte Pflege der Tradition; in den Ausführungsstilen er­neuert sich jedes Werk. Langsam wird der Begriff des Klassischen" erweitert und allmählich kommen auch neuere, wenn nicht neue, Werk an die Reihe.

1. Mozart

An Mozartwerken wurden diesmal geboten: Cosi fan tutte  ", igaros Hochzeit" und die 3 auber­flöte". Die ersten beiden Werke durchaus mit den Mitteln der Wiener Staatsoper und ihrem Direktor Clemens Krauß   als Dirigenten, Dr. Lothar Wallerstein   als Spielleiter. Schöne Aufführungen, bis auf geringfügige Ver­änderungen schon von früher her bekannt. Auch die Zauber­ flöte  

" ist schon vor einem Jahr in Salzburg   zu sehen ge­

wesen, diesmal aber musikalisch und szenisch wesentlich ver­bessert. Das Orchester und ein großer Teil der Solisten stammen auch in diesem Fall aus der Wiener Oper; hier aber sind sie durch einen anderen und neuen Geist musikalisch und szenisch zusammengefaßt. Bruno Walter   erschließt als Dirigent die beseligenden Zauber der Partitur. Es ist höchste Kunstmusik, die aus dem Empfinden der Volksmusik stammt und wieder zum Volksgut wird. Soweit der Geist des Werkes durch die Szene ausgedrückt wird, fenn ich keine Inszenierung, die der Aufgabe so gerecht würde, wie diese, die man Ostar Struad zu danken hat. Hier ist der Bühnen­bildner sein eigener Regisseur gewesen, und es war gut jo. Der Kampf zwischen Tag und Nacht, dem Sonnengott ( Sarastro) und der Mondgöttin( Königin der Nacht) wird durch Licht und Beleuchtung auch gedanklich sichtbar gemacht. Der Zauberflöte  " liegen bekanntlich textlich und musikalisch freimaurerische Rituale zugrunde. Aber die Musik Mozarts e dringt von der Absicht des Rituals zur Verwirklichung der Idee; das allgemeine Humanitätsideal, der Glaube an den Sieg des Guten und Gerechten, an die Ueberwindung des Todes durch das Leben, wird in der Zauberflöte  " zur tönen­den Wahrheit erhoben. Dieser Wahrheit dient die Salzburger  Feftaufführung in Ton und Bild, und dies ist das Höchste, as zu ihrem Lob gesagt werden kann.

2. Weber- Gluck- Wagner

Von älteren Opernwerken wurden wiederholt Webers Oberon", der als ganze Oper doch nur sehr fünstlich am Leben erhalten werden kann, und Orpheus und Eurydike  " von Gluck  . Bemerkenswert die Ausfüllung und Belebung der Szene durch den Tanz oder rhythmische Bewegung. Hier ist Margarete Wallmann   und ihrer Schule vieles sehr schön geglückt. Dem Wagnerjahr zuliebe wurde " Tristan und Isolde" aufgeführt. So weit es auf das Orchester, die Wiener Philharmoniker  , den Dirigenten Bruno Walter  , den Bühnengestalter Oskar Struad und manche Einzelfigur anfam, sehr schön; nur leider ganz un­zulänglich in den beiden Titelfiguren, insbesondere in der Molde   einer Frau Dorothea Manffy. Mit einem Festspiel hat solch eine aus der weiten Welt mühsam hervorgeholte Besetzung in den wichtigsten Rollen wahrlich nichts zu tun. Richard Strauß  

Gewissermaßen als Klassiker der Gegenwart wurde Richard Strauß   geehrt. Man führte mit den Mitteln der Wiener Staatsoper die Aegyptische Helena" auf. An einer sozusagen neuen Fassung, die darin besteht, daß der zweite Aft etwas konzentrierter, also dramatisch möglicher geworden ist. Aber nichtsdestoweniger bleibt der Text von Hoffmanns­

DID

DIC Dome- Sonnette

An diesen sachlichen Forderungen- denn auch das Per­sönliche seines Ruhms ist eine allgemeine Sachetst Reinhardt, eingesponnen in seine Verliebtheit in szenische Möglichkeiten, auch verärgert und verleßt durch die Absagen, leider vorübergegangen. Es mag gewiß nicht leicht gewesen sein, knapp drei Wochen vor der Aufführung Absagen für die wichtigsten Rollen, darunter die Titelrolle, zu erhalten und für entsprechenden Ersatz zu sorgen. Aber nicht das Manko in der Darstellung, sondern das Manto im inneren Verhältnis zum Werk, zur Aufgabe war das Schlimme. Was nußen alle Spielereien und noch so hübsche Spielereien mit der Kulisse der Felsenreitschule, was nußen alle Einfälle mit Aufzügen und Umzügen, wenn von dem großartigen Früh­lingsgespräch Fausts   nichts übrig bleibt, als die Eingangs­zeile: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche". Der Rest ist gestrichen. Die Musik der Dichtung überhaupt ist ersäuft in einer überreichlichen Theatermusik, auch in Lärm und Geschrei. Jeder Sinn wird geopfert, wenn man nur glaubt, einen szenischen Effett erzielen zu können So ist die Walpurgisnacht aufgelöst in ein Umberflattern, ein Auf und Nieder jener erwähnten Tanzgruppe, die die

Führung an sich geriffen hat, und nicht nur über Reinhardt,

sondern auch über Goethe siegt.

Darstellerisch steht Paula Weffely als Gretchen obenan, vielfach neu in der Gestaltung, immer bezaubernd und er­greifend. Ganz hervorragend Ewald Balser   vom Burg­theater als Faust. Er rettet von der Sprache der Dichtung, was in dieser Verkümmerung zu retten war. Interessant, aber äußerst zwiespältig Max Pallenberg   als Mephisto. aber äußerst zwiespältig Max Pallenberg   als Mephisto. Ein sozusagen proletarischer Teufel, dem die junkerliche Ge­wandung nur sehr schlecht sitzt, ein Teufel, der jederzeit bereit ist, Gift und Galle   seiner unterdrückten Seele dem Herrn ins Gesicht zu schleudern. Die Grundauffassung gerät jedoch manchmal an die Grenze der Karikatur, wenn sie in anderen Augenblicken an die größten tragischen Schauer rührt. Sein Teufel gehört zu einem volkstümlichen" Faust" und solch ein " Faust" hat Reinhardt offenkundig vorgeschwebt.

Doch er hat ihn nicht erobert, nicht neu gestaltet. Erst wenn Reinhardt sich wieder entschließen wird, über sich selber den Dichter und sein Wert anzuerkennen, seine Kunst der Dichtung zu weihen, zu opfern, in einem schönen Sinn des Wortes, nicht umgekehrt die Dichtung als Gegenstand seiner Künste, ihnen unterworfen zu betrachten, dann wird er den Bolts Faust schaffen, den man von ihm erwartet.

en G

Dieses Gedicht ist jenen Emigranten gewidmet, die über den theoretischen Erörterungen der " Page" feinen festen Grund der Gesinnung und der Teilnahme am Kampf gewinnen können. Nächtlich fizzen trübe Mannen Träumerisch am Montparnasse  , Sinnen, was fie einstens fannen, Blicken düster in ihr Glas.

Tragen hochgeftirnt die Bürde " Ich, der Refugie" zur Schau, Baden sich darin in Würde Deutschlands   Not ist süßer Tan. Wetzen ab und zu die Hirne Feingeschliffen im Disput, Zeigen sich voll Zorn die Stirne Roter Literatenglut,

Kennen nicht mehr gut und böse, Kennen nur noch Theorien, Jeder träht: Nur unfre These Führt heraus aus dem Ruin!" Deutsches Blut verströmt nach Kannen, Deutschland ftöhnt in Graun   und Haß Nächtlich gen tribe Mannen Träumerisch am Montparnasse.

Braun! Braun!

Friz Ellmenreich.

Rechtfertigung des Gottfried Benn  

Nun endlich verstehen wir, warum der scharfsinnige Mythiker und Mediziner Gottfried Benn   ein solch fanatischer Hitlerverehrer geworden ist. Schon 1919 glühte in ihm eine Sehnsucht, eine Sehnsucht nach der braunen Couleur. - Man lese einige Zeilen seines 1919 im Sammelband " Menschheitsdämmerung" erschienenen wild- expressioni­ Menschheitsdämmerung" stischen Redichtes D- Bug":

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" Braun wie Kognat. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaien D- Bug Berlin  - Trelleborg   und die Ostseebäder. gelb. Fleisch, das nackt ging.

Bis in den Mund gebräunt vom Meer... Die Georginennähe macht uns wirr. Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun: Eine Frau ist etwas für eine Nacht. Und wenn es schön war, noch für die nächste! ... Eine Frau ist etwas mit. Geruch. Unsägliches! Stirb hin. Resede.

... Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun: Halte mich! Du, ich falle!

Ich bin im Nacken so müde..."

Heinrich Mann   an seine Tochter

Den Brief, den wir unter Weglassung persön­licher Stellen der Prager Montagspost" ent­nehmen, hat der große deutsche Dichter Hein rich Mann, dem dieser Tage vom dritten Reich" die Staatsbürgerschaft aberkannt und sein Vermögen geraubt wurde, schon am 10. April aus Nizza   an sein in Prag   lebendes Töchterchen geschrieben:

Mein liebes Kind, heute bekam ich Deinen Brief und will Dir gleich antworten. Telefon und Licht werde ich und will Dir gleich antworten. Telefon und Licht werde ich Ende der Woche bezahlen, früher geht es nicht. Du mußt wissen, daß mein Bankguthaben in Berlin   beschlagnahmt wissen, daß mein Bankguthaben in Berlin   beschlagnahmt worden ist... Denn der Chef der politischen Polizei hat gesagt, mir werde tein Pardon gegeben"... Mir ist sogar hinterbracht worden, daß sie Dich verhaften würden, nur damit ich zurückäme. Du siehst: uns bleibt nur übrig, zu bletben, wo wir sind.

thal noch immer die komplizierteste Hahnreigeschichte der Wird der Bronnen zugedeckt?

Weltliteratur und ihre Entwirrung will nicht gelingen. Schon gar nicht durch den Schwall der Musik, der sich über den Hörer ergießt. Alles, was von einem Meister wie Richard Strauß   stammt, hat natürlich irgendeinen Wert. Doch die Zahl derer, welche die ganze Art dieser Oper noch berührt, ist verschwindend klein, und feineswegs sind etwa auch nur alle Musiker unter ihr zu finden.

Indes Strauß hat sich den Festspielen zur Verfügung ge­stellt, und wenn auch mit einer sehr beiläufigen und daher ungenügenden Aufführung des Fidelio  ". Er hat sich also jebenfalls besser benommen, als eine Reibe anderer Musiker und Schauspieler, die teils mit albernen, teils mit frechen Worten in letter Stunde absagten, wie Hans Pfizner, Sigrid Onegin  , Wilhelm Rohde, Eugen Klöpfer   und andere mehr.

4. Reinhardts" Faust"

Dadurch ist auch die" Faust"- Inszenierung Rein­hardts in Mitleidenschaft gezogen worden. An diese Inszenierung war die Erwartung der ganzen Welt geknüpft. Hoffte man doch, durch den größten Regisseur der deutschen Bühne, eben Max Reinhardt  , eine neue und für längere Zeit bestimmende Lösung des Theaterproblems" Faust" zu ge winnen. Hofften doch die Salzburger  , allmählich einen Ersatz für Jedermann" zu erhalten, der nun schon seit dreizehn Jahren zu dem festen Bestand der Salzburger Festspiele  gehört, aber einmal mit der Zeit wird abgelöst werden müssen. Und für Reinhardt galt es, seinen Ruhm so neu und unwiderstehlich strahlen zu machen, daß jede Mißgunst fliehen mußte.

Arnold Bronnen  , der dank dem Umstand, daß er die Vaterschaft seines jüdischen Erzeugers, des Wiener   Professors Siegfried Bronnen in Frage stellte und seine arische Mutter eines Fehltritts bezichtigte, nach wie vor als nationalsozia­listischer Hausdichter tätig war und sogar eine leitende Stelle bei dem Berliner Rundfunk inne hatte, ist, wie wir zuver­lässig erfahren, nicht nur seines Postens enthoben worden, sondern es ist ihm sogar das Betreten des Berliner   Rund­funkhauses untersagt worden. Seine nationalsozialistischen Gönner und Freunde bemühen sich jetzt, ihn an einer weniger exponierten Stelle beim Deutschlandsender unterzubringen. Seinen Plaz nimmt jezt ein 23jähriger Dichter" namens Boehm ein.

Die braune Nachtigall

Geo London erzählte kürzlich im Pariser Journal" folgende Berliner   Geschichte: Lotte Schöne, die Sängerin der Staatsoper von Weltruhm, hat weichen müssen. An ihrer Stelle singt jetzt Fräulein Rosalinde von Schirach, die Schwester des Baldurs der Hitler- Jugend  .

Leider erhielt Rosalinde beim Betreten der gleichgeschal­teten Bühne, als sie zu fingen begann, nur einen frostigen Empfang. Der Direktor der Oper bemerkte dies, wagte zwar nicht die Wahrheit zu sagen, brachte aber doch hervor: Das gnädige Fräulein hat doch wohl nicht genug Stimme."

Worauf man ihm überzeugend bedeutete: Aber die Hitler­Beute hatten 18 Millionen Stimmen. Da kommt es auf diese eine auch nicht an."

Mir liegt es schwer genug auf der Seele, daß die Stellung oder der Ruf Deines Vaters Dir das Leben erschweren müssen. Aber wenn ich auch anders wäre, Deine Mutter ist Jüdin; das allein gefährdet dich schon. Wir können nichts ändern, und bleibt nur übrig, dem Terror auszuweichen. Du weißt wohl, daß Terror oder Schrecken" einst in Frank­ reich   herrschte, 1793, a terreur" und die Guillotine. Das ging gegen die Aristokraten, die schließlich auch viel Schuld hatten. Heute sind wir die Aristokraten unter der Schreckensherrschaft des Pöbels; aber ich glaube nicht, daß wir es so sehr verdient haben.

Man müßte das bessere Wissen und alles menschliche Gefühl ablegen, um heute bei den Siegern zu sein. Du wirst es gewiß Deinem Vater nicht verdenken, daß er tros un­serem Unglüd noch lieber bei den Besiegten ist; und diese werden es auch nicht immer bleiben. Ich vielleicht nicht mehr, aber Du selbst wirst hoffentlich noch in einer erträglicheren Welt leben.

Kampf den Unterdrückten!

Der Wiener   Penklub protestiect

Auf der Generalversammlung des Wiener   Penklubs wurde nach einer lebhaften Auseinanderseßung die folgende Entschließung beantragt und angenommen:

" Indem der österreichische Penklub den im heutigen Deutschland   unterdrückten, ihrer Freiheit beraubten Män­nern und Frauen des Geisteslebens, ohne Unterschied ihrer Partei und Rasse, seine Grüße und Sympathien zum Aus­druck bringt und jener gedenkt, die ihr Eintreten für die Geistesfreiheit mit( efängnis oder Emigration zu bezahlen haben, vertritt er die Meinung, daß die individuelle Freiheit unerläßliche Vorbedingung für jegliches geistige und künstlerische Schaffen ist. Die Unterwerfung der Presse, des Rund­funks und des Verlagswesens macht es jedem Autor, der im geringsten von der herrschenden Partei abweicht, un­möglich, auch nur eine gegnerische Zeile zu veröffentlichen. Der österreichische Penklub erhebt entschieden im Namen der deutschen Freiheit und der übernationalen Grundsäße des Penklubs Einspruch gegen die geistige Unterdrückung des Individuums. Mit dieser Haltung erfüllt der öster­reichische Penklub die besondere österreichische Aufgabe, die ihm im Bereich der gesamtdeutschen Kultur zukommt." Der Beschluß dieser scharfen Resolution erfolgte nicht ein­stimmig. Eine Reihe von Mitgliedern des Wiener   Penklubs erklärten ihren Austritt. Wir wollen uns in die Angelegen­heiten des Penklubs nicht hineinmischen, freuen uns aber darüber, daß die Resolution die Mehrheit gefunden hat