Unterirdische Wege

Unterirdisch führen Gänge

Oft von einem Haus ins andre. Und man kommt nicht ins Gedränge Spielt man heimlich: Taler, wandre Eine fühne Räubermente

Findet immer sich zusammen. Plötzlich tönt Alarmgeläute:

Seht, der Reichstag   steht in Flammen!

Nur zu dumm, nur zu dumm Habt ihr's angefangen.

Auf den Wegen schief und trumm

Seid ihr schlecht gegangen.

Und was einst so dunkel war, Ach, sehr bald wards sonnenklar.

Was man so im Kleinen machte, Kann man auch im großen treiben. Rußland   teilt man auf ganz sachte. Heimlich muß die Sache bleiben. In der Politit auch führen Unterirdisch viele Gänge. Polen  , Erbfeind? Nicht genieren! Erst mal Rußland   ins Gedränge!

Nur zu dumm, nur zu dumm Habt ihr's angefangen.

Auf den Wegen schief und krumm Seid ihr schlecht gegangen.

Und was einst so dunkel war, Ach, sehr bald wards sonnentlar.

Auf geheimen Gängen wühlt man Gegen Frankreich  , gegen Alle. Und am Ende was erzielt man? Man fizzt in der eignen Falle! Nicht so schnell wie Reichstagsdächer Steht die große Welt in Flammen. Ueber'm Haupt der lift'gen Schächer Bricht daß eigne Sans zusammen!

Nur zn dumm, nur zu dumm Habt ihr's angefangen.

Auf den Wegen schief und trumm

Seid ihr schlecht gegangen.

Und was einst so dunkel war,

Ach, sehr bald wards sonnentlar.

Kaltblütiger Kämpfer

Die Hinrichtung des Kommunisten als Partei­Schauspiel

Darmstadt  , 80. Aug.( Inpreß.) Im Gefängnis Buzbach wurde Ludwig Büchler, der angeblich einen Hitlerjungen getötet haben soll, durch den Magdeburger   Scharfrichter hin­gerichtet. An diesem Sonntag wurden in Deutschland 5 Hin richtungen vollzogen.

Der Hinrichtung wohnten bei: der stellvertretende Gauletter Reiner und der stellvertretenbe Gauleiter Heyse, eine Gruppe des Sonderkommandos ber Heffischen Schußpolizei, ein Geistlicher, das Gericht, die Staatsanwaltschaft und 12 Butzbacher   Bürger. Dieser

Die Angst vorm Gedanken

, Um Gotteswillen Adolf, was mag die beten!

Aus Daily Herald"

Korona wurde die Ermordung eines politischen Gegners als Schauspiel dargeboten. Die nationalsozialistische Zeitung von Darmstadt   berichtet: Büchler bewahrte bei dem Gang von der Zelle bis zum Schaffot, daß in der Garage aufgestellt war, sowie bei der Verlesung und dem Vollzug des Urteils eine derartige faltblütige Ruhe, wie sie selten ein zum Tode Verurteilter zur Schau trägt. Selbst beim Besteigen des Schaffots sowie der folgenden Handlungen zeigte er nicht die geringste Spur von Reue oder Erregung."

Korona wurde die Ermordung eines politischen Gegners als Ein Kommunist ermordet

Wiesbaden  , 30. Aug.( Inpreß.) Karl Müller, ein früherer Sturmführer des Roten Frontkämpferbundes  , wurde von acht SA.  - Leuten aus seiner Wohnung geholt, im Regierungs­gebäude in der Lessingstraße gefoltert und dann durch drei Schüsse ermordet.

Die amtliche Meldung faselt wieder von einem Flucht. versuch".

Vom Kurfürstendamm   nach En- Harod Ein ,, neuer Deutscher  " in Palästina

Die Wohnung, als ausgebautes Dach ein Juwel, lag höher als die meisten andern am Kurfürstendamm  ; der Blick aus dem Fenster war ein Blick auf die allermodernste Großstadt. Innen sah das Auge in die in Dokumenten gesammelte beste deutsche   Vergangenheit, sah an den Wänden Tausende von Büchern, unter ihnen viele seltene Klassikererstausgaben, den ersten Kleist neben dem ersten Heine, sah alte Kupferstiche und schließlich, unter Glas und Rahmen, ein vollendet schö­nes Goethe- Autogramm.

Die Eraßenbahnen, die unten vorbeifuhren, stießen mit­ten in den Grunewald   hinein, die Ferien lagen vor der Stadt. Dahinter prunkte die Schale des Wannsees. Es war einmal...

Und es war nicht einmal ein Märchen.

Die Goethe- Handschrift konnte ich über alle Grenzen ret­ten. Ich wollte sie mir in meiner neuen palästinischen Behau­fung aufhängen. Aber diese Behausung ist kein Haus, son dern nur ein Zelt geworden, und Goethe paßt an seine wat telnde, windgeschüttelte Wand wie die Faust aufs Auge.

Wer in so gewaltiger Natur lebt, entbehrt keinen Schmuck. Wer sich von uns Chaluzim  "( Pionieren) morgens um halb fünf ein letztes Mal auf die andre Seite wälzt, nach fünf Minuten aber schon die untere Zeltwand hochrollt, sieht, falls er die Augen aufkriegt, der neuen Heimat En- Harod gegen­über im letzten Morgenschatten den elefantenförmigen Berg Gilboa, auf dem, wie wir lernten, Saul   gefallen ist, unten das fruchtstrohende Emeftal, ein beliebter biblischer Kriegs­schauplah, während hinter der zerflüfteten Transjordanwand die Sonne aufsteigt. Im langen Lauf des Tages steigert sich das große Erlebnis dieser Landschaft zu einer Symphonie intensivster Formen und Farben.

Einzelheiten der Umgebung lernt man am Sabbat kennen. Wagen fahren freuz und quer, von Siedlung zu Siedlung, feber hat überall Bekannte, man besucht sich gegenseitig, auf den schwankenden Gefährten ist viel Singen und Fröhlich­teit; solche Bilder sah man früher nur in Russenfilmen. Und Goethe bleibt im Koffer.

En- Harod ist eine der ältesten und durchorganisiertesten fozialistischen Siedlungen im Lande: der Boden ist National eigentum, alle arbeiten nach besten Kräften im Gemeinschafts­interesse, es gibt keinen Privatbesib. Die zahlreichen jungen Juden aus Deutschland  , die in den letzten Monaten hierher­gekommen sind, pflücken feßt die faftigen Grapefruit und die füßen Weintrauben, die jüdisch- russische Idealisten vor Jah­ren unter bitterer Mühe angepflanzt haben und auf Boden, der unter Malariagefahr entfumpft werden mußte.

Die Deutschen   legen sich also sozusagen in das gemachte Bett.

Daß sie aus thm bisweilen durch ein paar nächtliche Schüsse aufgeschreckt werden, mit denen die Wächter Hühnerdiebe ver­scheuchen, beweist nichts gegen die Sicherheit, in der fie leben. Auch die Fähigkeit, im Belt au schlafen, bezeugt noch nicht den geringsten Heroismus. Im Gegenteil: mer unterhaltung Irebt, tommt reichlich auf seine Kosten. Zwei Raßen, die sich beispielsweise in meinem Belt niedergelassen haben, wo sie demnächst wohl auch niederzukommen gedenken, warten mit nächtlichen musikalischen Veranstaltungen auf. Mit einem Storpion war allerdings nur auszukommen, indem man ihn in offener Beltschlacht totschlug.

Da das Belt ein bißchen zu kurz geraten ist, wache ich nachts öfter auf. Der erste Wacheindruckt schafft die Illusion

Von Erich Gottgetreu  

einer Ozianreise, denn der Mittelpfeiler, weht und dreht im Winde sich". Der Palast knarrt und stöhnt wie ein alter Vier­master. Aber der Prachtbau hält die Zeltmathematik ist ge­heimnisvoll. Und schließlich winft in weitester Ferne Land: der Umzug ins Steinhaus, das viele der alteingesessenen En­Haroder heute schon bewohnen.

Vorher wird man noch Barackeninsasse oder kommt auf die weniger beliebte Alijah  ", einen Schlafsaal oberhalb des Pferdestalles. Nachts um zwei werden die Pferde unruhig und die Menschen über ihnen mit ihnen. Besonders Sulamith  das ist eine junge Stute benimmt sich geradezu unerhört, man hört sie dauernd. Man pariert diese Schicksalsschläge" mit der besten Waffe: mit Humor.

Am schönsten wohnen, in einem dreistöckigen Bau, die Kin­der: auf dreihundert Erwachsene kommen ihrer zweihundert. Sie werden mit viel Milch, Eiern, Liebe und pädagogischem Verständnis großgezogen. Der Arbeitsunterricht, den sie emp­fangen, liefert das unmittelbare Leben, nicht die mittelbare Theorte. So haben sie entschieden weniger Komplere und mehr Grazie als ihre städtischen Geschwister. Sie reiten wie die Kosaken. Wenn man sich mit ihnen unterhält, muß man über ihre Vorstellungswelt, die Vorstellung einer neuen 28elt, staunen. Ein Jüngeres fragt eines Tages: Hast du in Deutschland   in einer wuzah( Gemeinschaftsfiedlung) oder in einem Moschaw( Genossenschaft unter Beibehaltung der familiären Einzelwirtschaft) gewohnt?" und kann sich nicht vorstellen, daß es noch etwas andres gibt. Daß man, wie das Mädchen Aja aus Frankfurt am Main  , die Rechte studiert haben kann und nun doch nichts Rechtes damit anzu­fangen weiß. Daß man, wie Hans, mein Zeltnachbar, höchst tapitalistischer Unternehmer in Berlin   und Befiber einer Krawattenfabrik gewesen sein kann. Daß man Lohnarbeiter oder meinetwegen auch Redakteur gewesen sein kann. Und daß keiner von uns auch nur ein einziges Stückchen Land besessen oder gar jemals in seinem Leben bebaut hat...

*

Jetzt ist der Rotstift des Redakteurs begraben. Wieviel Intellektuellenträume schlummern schon in der steinigen Erde Palästinas  !

Jetzt streut der Herr Redakteur nicht mehr Pointen auf Manuskripte, sondern Mist auf den mühsam durchfeuchteten Boden. Jetzt schwingt er nicht mehr den Federhalter, sondern die schweren Aderwerkzeuge. Jest merst er feine Druckfehler mehr aus, sondern Unkraut; Tablid" heißt das gefährlichste, und es ist ebenso unausrottbar wie Druckfehler. Jetzt zer­hackt er nicht mehr mit dem Geschick, über das alle Mit­arbeiter weinen, Reportagen und Feuilletons, sondern von Käfern angefressene Bäume. Jest versprißt er nicht mehr Polemiken gegen Hinz und Kunz, sondern Schwefel gegen pilanzenfressende Insekten. Jetzt watet er nicht mehr, wie vordem in der Redaktion, durch Berge von Zeitungen, son­dern durch den dicksten Lehm der Grapefruit- Plantagen. Jetzt räumt er nicht mehr, was stets vergebens war, seinen Schreib­tisch auf, sondern, mit mehr Erfolg, die verschlammte Wasser­leitung oberhalb des Weingartens.

Die gemeinsame Arbeit schafft in starkem Maße den Zu­sammenhalt zwischen Neuen und Alten", zumeist Juden aus Rußland  , die von früheren Einwanderungswellen ins Land gespült wurden und sich inzwischen vollkommen affimi­liert und hebräisiert haben. Der Umschichtungsprozeß ist ihnen um so eher gelungen, als sie ja nie so sehr im russischen Volkskörper aufgegangen waren, wie etwa die deutschen   Ju

den im deutschen. Was sie und ihre Väter in Rußland   gelernt ten: die Fähigkeit zu leiden, zu entbehren, sich aufzuopfern. In ihrer Offenheit, deiterkeit, Hilfsbereitschaft und tiefften Unbestechlichkeit repräsentieren sie einen prächtigen Men­schentyp. Die in der Mittagspause mit ihnen geführte Unter­haltung ist für uns neue Deutsche  " immer wieder ein wirk liches Vergnügen bis wir ihnen mitten im Saz ein­schlafen.

batten, tam ihnen bei ihrer Ansiedlung in Palästina auſtat­

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Wie wir uns untereinander verständigen? In einem Ge misch von Jiddisch und Deutsch. Die neuen Eingewanderten fönnen noch nicht oder doch nur sehr unvollkommen Hebräisch, die Alteingesessenen sehen es ihnen nach, zumal da sie be­obachten, daß die Neuen sich doch bemühen, Hebräisch zu ler­nen; freilich sehen sie nicht, wie ihnen bei dem an jedem zweiten Abend von einer jungen Expolin erteilten unter­und wundern sich, wenn man nur richt die Augen zufallen langsam Fortschritte macht. Zuerst lernen wir alles, was um uns herum ist: Tisch, Stuhl, Fenster. Aber langsam weitet sich der Worttreis und umschließt allmählich unsere ganze Welt: Den Hof mit sei­nen Ställen und Werkstätten. Die Getreidefelder, die Plan­tagen, den Weingarten. Die wenigen Dinge des täglichen Bedarfes, die es am Donnerstag abend in einem kleinen düsteren Laden" ohne Geld zu kaufen gibt: Zigaretten, Streichhölzer, Rafierflingen, Kernseife, Briefpapier, Postkar ten, Schnürriemen. Dann die verschiedenen Gerichte, die uns, außer dem Frühstücksbrot und Bespertee, am Mittag der grüne Proviantwagen aufs Feld bringt: Reis und Chazilim­gemüse, Nudeln und Chazilim, Spinat und Chazilim, Obst­suppe und Chazilim.

Chazilim, Chazilim! Die neuen Deutschen   verfolgen die Ghazilim mit jenem inbrünstigen Haß, der schon wieder in lächelnde Resignation umschlägt. Es find Lieder gegen dieses Uebermaß von Chazilim gedichtet worden, geholfen hat es nichts. Die blaue Riesenartischocke blüht und gedeiht.

Chazilim mittags, Chazilim abends. Das zweitemal essen wir sie gemeinsam in dem zentral gelegenen, sehr geschmack­voll, luftig und hell gebauten Speisesaal. Es ist laut wie in einer Bahnhofhalle, aber vergnügt laut. Und Landlärm stört nicht.

Nach dem Abendessen wird Hebräisch gelernt oder in irgend­einer Ecke das Neueste aus der Zeitung vorgelesen. Ober man schreibt nach Hause. Die Briefe kommen in einen Sam­melbriefkasten, die Gemeinschaft frantiert sie, thr Einzelmit­glted hat ja kein Geld, also kann man schreiben, so viel man Lust hat, aber die Lust ist gar nicht so groß. Oder man musi­ziert; Schallplatten spenden Bach und Beethoven  , öfters ver­anstalten auch gute Solisten richtide" Konzerte. Oder man diskutiert. Eines der Hauptthemen liefert die Frage: Wer­den sich die jungen Deutschen   hier einleben? Wird ihnen, die, feten wir ehrlich, oft ja auch nur Zwangszionisten oder Lebensflüchtlinge sind, der große Umbruch gelingen: der so plöbliche Wechsel ihres Milieus, die Preisgabe ihrer indiv duellen Lebensführung, der Verzicht auf alle Bequemlichkeit, der Prozeß der Einschmelzung in eine Gemeini haft der Ar­beit? Ist wirklich, wie es die alten jüdisch- russischen Arbei­ter sagen, alles nur eine Willensfrage?

Die Dachwohnung am Kurfürstendamm   steht leer. Nur mein Kater streicht durchs Gebält. Er war auf den Namen Schleicher getauft worden, weil er mir in einem Wald der Berliner   Umgebung gerade an jenem Tag zugelaufen war, der den General zum Reichskanaler werden ließ. Schleicher wird sich wundern.