BUNTE S EIP TEIM B E R! 19 3 3 Jifi antworte dem Von Sadistaus Sfenyes In den letzten Tagen ist wieder einmal alles zusammen- gekommen. Im Gasthaus, wo ich das Nachtmahl einnahm, tischte mir der Kellner zum Kalbsgulasch eine Botschaft des Küchen- chefs auf: Er kenne mich, lasse mich grüßen, zu Kriegsende, während der Revolution habe ich in Klausenburg in seinem Hotel gewohnt, als ich den Rumänen die Marosbrückefrei- gab",' ich sei doch ein guter Ungar, warum habe ich das getan? Ein Rechtsanwalt schrieb aus Budapest , die Advokaten- kammer habe ihn bei meinem letzten Prozeß wegen Schmähung der ungarischen Nation von Amts wegen zu meinem Verteidiger bestellt,' er hoffe, meinen Freispruch erwirken zu können, wenn ich etwa folgende Erklärung ab- gebe:Mit meinem Artikel wollte ich nicht die ungarische Nation schmähen, sondern nur die politische Richtung der Negierung kritisieren, und sofern ich in der Hitze des Ge- fcchtes die Grenzen überschritten haben sollte, bedauere ich es aufrichtig..." Einem sogenannten alten Freund begegnete ich auf der Straße, der mich sieben Jahre lang nicht gesehen hatte und bei unserer Begegnung keine Zeit mehr hatte, auf die andere Seite hinüberzugehen. In seiner Verwirrung er- klärte er daher in langen gewundenen Sätzen, in welch peinlicher Lage er sich stets befinde, wenn er nach Wien komme, wie ihn seine Neigung immer zu mir hingezogen habe, doch müsse ich einsehen, daß ich mich durch mein Tem- perament habe hinreißen lassen und mich den veränderten Verhältnissen nicht habe anpassen können, er aber schulde es seinem Beruf und aus seiner patriotischen Ueberzeugung heraus sei es auch seine Pflicht, denen, die Gegner der Idee der nationalen Erneuerung und des Kampfes gegen Tria» non sind, so nahe sie ihm auch persönlich stehen mögen, zu erklären: sie handeln nicht richtig.. e Diesen Letzten habe ich kurzerhand erledigt.Als guter Ungar solltest du wissen, daß die langen Sätze dem Geist der ungarischen Sprache widerstreben. Du hättest bloß zu sagen brauchen, daß du gern auf der Sonnenseite gehst." Dem eifrigen Rechtsanwalt schrieb ich, er möge sich nicht bemühen, seine wahrscheinlich sehr treffenden Rechtsargu- mente zusammenzutragen. Bevor er noch das Tor des Ge- richtshofes betrete, das könne er mir glauben, sei das Urteil schon lange fertig. Wenn er mir einen Gefallen erweisen wolle, so möge er vor dem Gericht nur soviel sagen:Der Angeklagte hat mich beauftragt, in seinem Namen zu er- klären, daß er derzeit sich vor dem ungarischen Gericht nicht zu verteidigen wünsche, er überlasse die Entscheidung dem Gericht höchster Instanz, der Geschichte." Inzwischen hat das Budapester Gericht bereit« daS Urteil gefällt, mit welchem es mich, da es mich nunmehr daS stebentemal desselben Verbrechens schuldig fand und für jedes sind fünf Jahre daS Minimum, ohne mein Verschulden zur Begehung eines weiteren Vergehens, nämlich des Krebitbetruges, zwingt,' es verpflichtet mich, mehr auf mich zu nehmen, als ich zu erfüllen vermag. Den biederen Küchenchef ließ ich an meinen Tisch bitten. Man hätte damals, im Dezember 1918, die Marosbrücke nicht freigeben sollen, damit die Rumänen in Siebenbürgen vordringen können." Meine Antwort ist, daß wir weitere? unnützes Blut- vergießen nicht wollen durften. Darum hatte die Regierung Karolyi, entsprechend dem Waffenstillstandsvertrag, dt« Räumung angeordnet, die ich durchführen mußte. «Gewiß, es wäre ein furchtbares Blutbad gewesen, aber vielleicht hätten wir gesiegt..." Nachdem die Mittelmächte mit regelmäßigem Heere am Jsonzo, an der Piave und bei Verdun verloren hatten, hätten wir an der Maros einen neuen Krieg mit Haue, Sense, Brandfackeln entfesseln und auch die uns noch ver- bliebcnen Teile des Landes aufs Spiel setzen sollen?" Zumindest wären wir in Ehre gestorben! Aber die Schlacht hätten wir nicht verloren, denn alle Szekler sUn- garn, in Siebenbürgen . Red.) wären dabeigewesen und wären gern gestorben für das Vaterland. Und sie würben Sie jetzt nicht verfluchen." Dies war der Kern unseres Gespräche?. Man mochte hoffen, daß die grauenhaften Leiden des Weltkrieges wenigstens das eine Ergebnis haben werben: solange die Stimme von Lebenden noch die Greuel bezeugt, solange das letzte Schreiben des Vaters vor den Waisen liegt, solange die Witwe am Boden der Schublade die Fotografie mit dem Sturmhelm findet, solange der Feld- webel mit dem einen Fuß an der Straßenecke den Leier- kästen dreht, solange wenigstens die Ruinen noch nicht weg- geräumt sind, solange das Gras des Vergessens nicht über den Gräben und Gräbern des Krieges gewachsen ist, so- lange würden sich Europas Völker am Trunk des Nation«- lismus nicht berauschen. Um so weniger, als jetzt schon wieder hier und da das Entsetzen eines neuen Krieges aus der Retorte einer chemischen Fabrik ausbricht und in gif- tigen Gasschwaden der Welt verkündet: So werdet ihr den Heldentod sterben müssen... Soll diese Hoffnung falsch gewesen sein? * Ich kehre zu meinem Küchenchef zurück. Bielleicht war e5 zu zartfühlend, um es auszusprechen, aber ich hörte die Frage aus seiner Stimme heraus: Tut es Ihnen denn gar nicht weh, baß der Szekler dort im Komitat Maros so viel leiden muß? Die Kinder sprechen kaum noch^ungarisch, tut das Ihnen gar nicht weh? Bevor ich ihm hätte antworten können, wurde er in die Küche gerufen. Ein Gast hatte Flecken bestellt, ein Szekler Gericht. Darum antworte ich ihm hier. Freilich tut es mir weh. Sogar sehr weh, daß die Szekler leiden und hungern. Vor einigen Jahren habe ich hier, in den Spalten derArbeiter- Zeitung ", von dem kleinen Szekler Knaben erzählt er mochte vier Jahre alt gewesen sein, der im verregneten November des Jahres 1916 im bloßen Hemd, barfuß, im Kot des Barackenlagers stand, auf die Suppenausteilung der Flüchtlinge an der Gulaschkanone wartend. Als die warme Portion mit einem Löffel auch für ihn ausgeteilt wurde, drückte er sein kleines Häferl an die Wange und sagte im Reim: Du liebe, gute Erdäpfelsuppe! Der fällt mir jetzt ein, der kleine Szekler. Er hatte vierzig Grad Fieber, als ich seine Hand nahm und ihm die Tempe- ratur maß. Und in der Baracke, wo er lag, stellte ich eines Morgens die brennende Kerze hinter seinen Kopf. Habe ich ihn vielleicht getötet? Nein. Sondern die,.die den Krieg gemacht haben. Man hätte keinen Krieg beginnen sollen. Aber ich wäre nicht geneigt, es als Sühne ober als Lösung anzunehmen, wenn rumänische Kinder barfuß, im bloßen Hemd, fiebernd im Novembernebel stehen müßten. Auch vor ihrem Totenbett würde ich tränenüberströmt und mit zur Faust geballter Hand die brennende Kerze auf- stellen. ES tut mir auch weh, baß die rumänischen Kinder hungern. Verfrühte* Herbst Von Hermann Hesse Schon riecht es scharf»ach angewelkten Blättern. Koryselder stehen leer und ohne Blick, Wir wissen: eines von den nächsten Wettern Bricht«nserm müden Sommer das Genick. Die Ginsterschoten knistern. Plötzlich wird Uns all das fern und sagenhaft erscheinen, Was heut wir in der Hand z« halten meine», Und jede Blume wunderbar verirrt. Bang wächst ein Wunsch in der erschreckten Seele: Daß sie nicht allzu sehr am Dasein klebe» Daß sie das Welken wie ein Baum erlebe» Daß Fest und Farbe ihrem Herbst nicht fehle. Wie es(festafozzi sieht Ein alter Elefant Er war eben nicht der Klügste aus seinem Geschlechte, aber er bekam dennoch wegen der Ordnung, die er unter den Tieren eines kleinen Bezirks hatte, einen so guten Namen, daß ihn die Tiere eines großen Landes baten: Werde unser König. Er wollte im Anfang nicht und sagte: Ich will bei meine» alten Tieren leben und sterben. Aber auch diese baten ihn und sagten: Nimm die Ehre an und werde ein König. Er tat es endlich, aber die Folge davon war, die Tier« des alten Bezirkes verloren einen Führer, mit dem sie zu- frieden waren, und die Tiere des großen Lande? bekamen einen, mit dem sie unzufrieden werden mußten. Das alte Tier war zu kleinlich für ein Königreich, aber durch sein Königreich zugleich auch unfähig, seinen alten Forst so ordentlich und sorgfältig zu verwalten, als es vor- her es getan. Aus Pestalozzis ABC-Buch. Vor Freude den Verstand verloren Vor einigen Wochen erhielt eine alte Bäuerin in dem oft- galizischen Dorfe Repie die Nachricht, daß ihr vor vielen Jahren nach Amerika ausgewanderter und seitdem ver- schollener Gatte in Chikago gestorben sei und ihr ein Vermögen von eineinhalb Millionen Dollar hinterlassen habe. Dieses unerwartete Glück scheint der Bäuerin die Sinne verwirrt zu haben, zumal sich alle ihre Verwandten plötzlich mit auffallender Liebe um sie bekllm- Merten und ihr ungewohnte Aufmerksamkeit schenkten. Die neubackene Millionärin beauftragte nun ihre Verwandten, ihr eine Staatskalesche und königliche Gewänder zu ver- schaffen, was auch prompt besorgt wurde. Man kann jetzt die alte Frau jeden Tag in der Umgebung von Repie in einer prächtigen, vergoldeten Kutsche, die von vier Schimmeln ge- zogen wird, spazierenfahren sehen. Sie hat sich in kostbare Gewänder gehüllt und eine goldene, mit Diamanten besetzte Krone aufgesetzt. Außerdem hat sich dieKönigin" auch ein Kabinett" gebildet. Nach ihren täglichen Spazierfahrten hält sie einen Kronrat ab. Zum Außenminister wurde der Brief- träger des Ortes ernannt, während der Bäcker das Amt des Kanzlers versieht und sich ein hünenhafter Bauer in der Nolle des Innenministers gefällt. DieMinister" stehen gerne die Launen ihrer Herrscherin aus, zumal gute Ministergehälter ausgesetzt sind. Außerdem entwickelt die Königin von Ostgalizien" aber auch eine ausgedehnte Liebestätigkeit und verschenkt den größten Teil ihres Vermögens für die Armen und die Kranken ihres Dorfes und die benachbarten Gemeinden. Die Behörden sehen diesem Treiben ruhig zu, da hierbei Aussicht besteht, die anderthalb Millionen zum größten Teile wenigstens nutzbringenden Zwecken zuzuführen. JKenseh ohne(faß Sfnf der Grenzbrüthe In seinem unheimlichen Roman vom Totenschiff erzählt Traven die tragische Geschichte eines Mannes, der keine Papiere mehr hat. Sie sind dem Matrosen im fremden Land abhanden gekommen, deshalb darf er nicht mehr existieren, hat keine Heimat, kein Konsul schafft ihm einen neuen Paß, denn er ist ja ein armer Teufel, von der Sorte hat jedes Land zuviele. Die Polizisten verschiedener Länder jagen ihn über die Grenzen. Wo man ihn packt, geht der Schub ab. So rollt er, gestoßen und verflucht, von einer Grenze zur andern wie ein Billardball von Bande zu Bande. Zum Schluß bleibt ihm nur eine Heimat: Dienst auf einem jener gefährlichen Schiffe, die zum Untergang bestimmt sind, damit der Reeder an dem alten Kasten wenigstens die Verficht- rungssumme rettet. Wer macht auf solchen Kasten Dienst? Nur Verzweifelte, Verirrte, gejagte Menschen. Auf dem Wege zum Tode brauchen sie keine Papiere mehr... Im Gewahrsam des Bezirksgericht Tschechisch-Teschen sitzt ein Mensch, mit dem man nicht weiß, wohin. Er heißt Kiwl Rosenfeld und ist gebürtig aus einem Gebiet, das nach dem Krieg zerteilt wurde. Bei den verschiedenen Abstimmungen, die seitdem vorgenommen wurden, hat sich Kiwl nicht recht- zeitig darum gekümmert, daß seine durch neue Ländergrenzen problematisch gewordene Staatszugehörigkeit rechtzeitige Klärung erfuhr. Eines Tages verurteilte ihn ein tschecho- slowakisches Gericht wegen Verbreitung falscher Banknoten, und als er nach verbüßter Strafe in die polnische Heimat abgeschoben werden sollte, erkennt man jenseits der Grenze den früheren Paß nicht mehr an. Polnische Polizei jagte ihn wieder über die Brücke von Tschechisch-Teschen, tschechoslowa- kische Gendarmen verwehrten ihm die Rückkehr und so saß am 12. Juli 1933 auf diesem Grenzsteg zwischen zwei Ländern ein Mensch, der in einem der Länder geboren ist, die Sprache beider Länder spricht und von keinem der Staaten geduldet wird, weil sein Paß nicht gilt. Nirgends gibt es für ihn eine behördlich anerkannte Bleibe. Die natürliche Konsequenz dieses Papiertodes wäre in dieser verrückte» Welt der Selbstmord. Etwas anderes konnten sich wohl auch die Grenzwächter nicht denken, und der Tod hätte mithin automatisch durch Verhungern eintreten müssen, wenn die Grenzbevölkerung nicht gewesen wäre. Was papierne Paragraken versündigten, suchten Menschen wieder gutzumachen. Von hüben und drüben brachten sie dem Staatenlosen Speise und Trank, schleppten dem Verzweifelten, alle Regierungen der Welt Lästernden, einen Stuhl auf die Brücke, sprachen und tranken ihm Mut zu, sandten Telegramme an sämtliche zuständigen Regierungen, harrten mit ihm solidarisch aus. Und Kiwl Rosenfeld staunte über die Vielfarbigkeit der Menschenseele: nie in seinem erwachsenen Dasein, niemals, seit er von der Mutter ging, hatten sich andere so um ihn gekümmert, so um ihn gesorgt, so mit ihm gefühlt. Ein Tag lang wurde diese Grenzbrücke zur lebendigen Demonstration für Menschlichkeit, für Hilfsbereitschaft, gegen Paragrafenbarbarei, für internationales Heimatrecht. Ein Heimatloser flüchtete sich zwischen zwei Völker, und während sämtliche Staatspapiere sozusagen sein Existenzrecht ver- neinten, sprangen die Menschen an den Grenzen für ihn ein, unbeirrbar in dem ewig gültigen Grundgeiithl, daß ein Mensch, der auf dieser Erde geboren ist, auch auf dieser Erde seine Heimat haben mutz. Die Behörden freilich, die an papierne PHragrafen gebunden sind, wußten nicht anderes zu tun, als den Patzlosen vorläufig wieder unter Verschluß zu setzen. Seitdem sind zwei Wochen verstrichen, neue Ereignisse gingen drüber hin. Aber diese Demonstration am Grenztag darf nicht vergessen werben, denn sie bleibt von aktuellster internationaler Bedeutung. Kiwls Heimatsnot kann das Schicksal jedes Menschen werben, solange diese Welt von politischen Erschütterungen bedroht ist. Tausende solcher Staatenlosen, die durch Krieg, Grenzver- schiebungen und politische Verfolgungen ihren Paß verloren, irren in der Welt umher, und der Faschismus mit seiner Verfolgung politisch Andersdenkender vermehrt die Zahl der Heimatlosen, Verjagten, Gehetzten täglich. Nicht immer wird die Not ihrer Heimatlosigkeit so drastisch und grotesk sichtbar, wie in der Tragödie von Tschechisch-Teschen. Aber sie brauchen nur einmal Behörden lästig zu werden jeder Besitzlose streift dauernd an der Grenze dieser Lästigkeit dahin und es droht ihnen die Verjagung ins Dunkle- Unbekannte, in Tod oder Verbrechen. Dem Völkerbund erwächst die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß derMensch ohne Paß" vorm Verbrechen gerettet, daß der Mensch, der eine Heimat verlor, deswegen nicht wie ein Aussätziger gejagt wird. Und alle Völker, bei denen die Be- griffe von Menschenwürde und Recht noch gelten, sollten dafür wirken, daß es für den Verjagten oder Staatenlosen einen andern Weg gibt als den zum Totenschiff. Denn ob die Massen, ob die Heranwachsenden gut oder schlecht werden, das hängt mit von der Menschlichkeit ober Unmenschlichkeit ab, die rings um sie herum als Beispiel waltet. Bruno Brand» f, i