Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 66-1. Jahrgang Saarbrücken , Dienstag, den 5. September 1933 Chefredakteur: M. Braun

Nein, ihr Völker, alles, alles gebt hin, nur nicht die Denkfreiheit gebt, gebt alles hin: nur dieses vom Himmel abstammende Pal­ladium der Menschheit, dieses Unterpfand, daß ihr noch ein anderes Los bevorstehe, als dulden, tragen und zerknirscht werden, nur dieses behauptet!

Fichte.

Arbeitsheer oder Kriegsheer?

Dokumente zur deutschen Jugenderziehung

Auf dem Parteitag der Nationalsozialisten in Nürnberg hat der Staatssekretär Hier I über den Geist des Ar­heitsdienst es gesprochen. Er forderte die allgemeine gleiche Arbeitsdienstpflicht. Das ist nichts Neues. Die Frage der Arbeitsdienstpflicht wurde im Laufe der end­losen kapitalistischen Krise mehr und mehr auch in der Ar­beiterbewegung und im sonstigen republikanischen Deutsch­ land positiv erörtert. Die wirklichen Fachleute, vor allem die auf dem Gebiete der Reichsfinanzen, sahen aber keine Mög­lichkeit, die für die allgemeine Arbeitsdienstpflicht notwen­digen Milliardenbeträge aufzubringen. Ueber die Finanzierung verlautete auch auf dem Parteitag in Nürn­ berg nichts, wie man sich dort in dem allgemeinen Volksfest­trubel überhaupt sehr hütete, vor den Massen irgendwelche Realitäten zu erörtern. Es blieb bei Fahnen und Girlanden, bei Märschen und Tänzen, bei Liedern und Festreden, bet Glaube, Liebe und Hoffnung.

Herr Staatssekretär Hierl ist Soldat. Oberst oder so etwas, obwohl er weder förperlich noch geistig eine soldatische Figur macht. Es ist auffallend, daß die militärischen Absichten, die er mit dem Arbeitsdienst verfolgte, in seiner Rede, soweit uns Berichte darüber vorliegen, so gar nicht in Erscheinung tritt. Man kann aber zum Problem der allgemeinen Ar­beitsdienstpflicht nicht Stellung nehmen, wenn man nicht er fährt, was er eigentlich will. Sollen in den Arbeitsdienste lagern Arbeiter erzogen werden oder Soldaten oder beides?

Da Herr Staatssekretär Hierl, wie uns scheint, diese Frage nicht beantwortet hat, ergänzen wir seine Rede durch die Veröffentlichung der Prüfungsvorschriften, die wir in dem Leistungsbuch" des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung finden. Diese Prüfungen werden auch von Teilnehmern des Arbeitsdienstlagers ab= gelegt und beziehen sich auf folgende Leistungen: I. Leistungsprüfung in Leibesübungen:

1. 100- Meter- Lauf in 15 Sekunden.

2. Weitsprung von einer bezeichneten Stelle 4 Meter.

3. Keulenweitwurf( 1 Pfd.) als Kernwurf in einer 10­Meter- Bahn, 25 Meter.

4. Kugelstoßen( 7 Kilogr.) aus dem Kreis 6 Meter. 5. 3000- Meter- Lauf in 14 Minuten.

6. Schwimmen in stehendem Gewäffer 300 Meter in 10 Minuten.

II.& leinkaliberschießen: 50 Meter:

8 Schuß liegend freihändig kein Schuß unter 6 oder 21 Ringe.

8 Schuß kniend oder fizend kein Schuß unter 5 oder 18 Ringe.

8 Schuß stehend freihändig kein Schuß unter 4 oder 15 Ringe.

Offene Visierungen, freistehendes Dachkorn, ohne Hilfs­

6. Geländebeschreibung und Beurteilung für eigenes Vor­und Zurückgehen bzw. das eines Gegenspielers. 7. Tarnung:

a) Ausnügung vorhandener Tarnungsmöglichkeiten; b) Herstellung eigener Tarnung oder Scheinanlage bei ungünstiger natürlicher Tarnungsmöglichkeit.

8. Haltung, Auftreten und Benehmen während der Prüfung.

9. Geländeausnügung.

Aus den Richtlinien zur Abnahme der Wehrsportprüfung. 3u III Ziffer 9. Diese Prüfung soll die Krone der gesamten Geländeprüfung darstellen. Sie soll in Form des Mann­schaftskampfes die Anwendung aller Einzeldienstzweige ermöglichen und durch die Art ihrer Durchführung Luft und Liebe zum Geländesport auch bei Zuschauern er: weden. Sorgfame Vorbereitung der Prüfung ist Vors bedingung. Lehrreiche Auswahl des Geländes ist von besonderer Bedeutung. Es soll möglichst gestatten: Aus nukung Decken der Bodenformen und vorhandener Bodendeckung, gewandte Berücksichtigung verschiedener Farben von Unter- oder Hintergrund, Ueberwinden kurzer eingesehener Strecken durch Sprünge. Keulenzielwurf erfolgt aus einem Graben oder aus den Knien.

Dem bei solchen Veröffentlichungen üblichen Vorwurf des Landesverrats" begegnen wir mit der Feststellung, daß diese Richtlinien im Reich in vielen Exemplaren verbreitet sind. Auch die Veranstalter der Uebungen und Prüfungen machen daraus kein Geheimnis.

Nur der Umstand, daß der deutschen Presse untersagt wird, sich mit diesen Fragen offen und ehrlich zu beschäftigen und die dummen und böswilligen Landesverratsschreier geben dem Ausland Gelegenheit, Verdacht zu schöpfen.

Die Frage der militärischen Jugenderziehung ist alt. Man weiß, daß ein Mann wie August Bebel einer ihrer eifrigsten Verfechter war, wohlverstanden auf demokratischer Grund­lage und mit demokratischen Zielen.

Die Reichsregierung muß wohl oder übel, wenn sie die militärische Ertüchtigung der deutschen Jugend und eine tiefgehende Umformung und Erweiterung des deutschen Heeressystems will, sich mit den Unterzeichnern des Ver­sailler Vertrages auseinanderseßen. Das ist die einzige fried­liche Möglichkeit. Die jetzige Tarnung noch dazu offenfun­diger Tatbestände trägt zur Vergiftung der Atmosphäre Europas bei und muß daher von jedem Gesichtspunkt her bekämpft werden.

Nur Klarheit über das, was in unserem Volke militär­politisch vorgeht, kann Deutschlands Freiheit bringen und den Frieden Europas sichern.

mittel und ohne Gewehrriemen 2 Minuten für je Militärische Führer

3 Schuß.

III. Wehrmannsbüchse 175 Meter:

8 Schuß liegend freihändig kein Schuß unter 10 oder 35 Ringe.

8 Schuß kniend oder sitzend kein Schuß unter 9 oder 30 Ringe.

8 Schuß stehend freihändig kein Schuß unter 7 oder 25 Ringe.

IV. Geländesport:

Im Arbeitsdienstlager

( Inpreß.) Um die in der Auslandspresse feststehende An­schauung vom militärischen Charakter des Arbeitsdienstes zu widerlegen, veröffentlicht die Reichsleitung des Arbeits­dienstes eine absolut nicht nachprüfbare Statistik, nach der immerhin 53,6 Prozent der führenden Persönlichkeiten des Arbeitsdienstes ausgebildete Soldaten sind.

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1. Marschleistung 25 Kilometer mit 25 Pfd. Gepäck, Zeit: Geheimnisvolle Feuerkugel

5% Stunden einschl. Halte.

2. Sinnesschärfung:

a) Sehübungen;

Die ahnungslose Astronomie

b) Ansprache eines Gegenspielers oder Geländepunktes; Berliner Elektrizitätswerk, das vollkommen im Dunklen c) Karten.

8. Kartenkunde:

a) Bezeichnen von im Gelände fichtbaren Punkten auf der Karte 1: 100 000 oder Auffinden auf der Karte 1: 100 000 bezeichneter Punkte im Gelände;

b) Zurechtfinden nach Kompaß und Gestirn.

4. Meldungen:

a) Ueberbringen einer mündlichen Meldung( etwa

( Inpreß.) Bei einer Luftschutzübung hat ein größeres lag, offenbar Fallschirmübungen beleuchtet. Die Uebungen wurden veranstaltet, um Abwürfe auf das große Werk zu markieren.

Die Treptower Sternwarte dagegen entdeckte in diesen Fallschirmen geheimnisvolle Feuerbälle am Himmel". Die dortigen Gelehrten waren anscheinend schon bereit, eine neue Meteoritentheorie aufzustellen und zu begründen.

10 Worte einschl. ein Ortsname), welche 5 Minuten 10 Millionen Jugendliche

vorher aufgetragen wurde;

b) Auswahl eines Postenstandes, mündliche Meldung des Postens über eine geschilderte Beobachtung beim Gegenspieler.

5. Entfernungsschäßen.

Der Reichsjugendführer der Hitlerleute, Baldur von Schirach , gab der Telegrafenunion ein Interview, in dem er erklärte, die Jugendorganisationen gestatteten in ihrer heutigen Form ein Anwachsen bis auf 10 Millionen

Hitler­

SASS

und seine Automobil- Proletarier

Hofbericht und Wahrheit

D. F. Es scheint nur eine Kleinigkeit und ist doch entscheidend für die Beurteilung des Nationalsozialismus und seiner Führung: Die ganze deutsche Presse verkündete in Fettdruck vor dem Nürnberger Parteitag, daß der " Führer" nicht, wie weiland die fetten Bonzen, in einem Hotelbett, sondern im Zeltlager bei seinen Truppen näch figen werde. Tatsächlich aber wohnte der Reichskanzler in den ersten Tagen seines Aufenthalts in einem Hotel ersten Ranges. Am Samstag wurde dann im Hofbericht gemeldet: Bayreuth , 2. September. Der Führer ist Freitagabend nach der kulturpolitischen Tagung in den von ihm schon häufig mit einem Besuch aus­gezeichneten kleinen Kurort Berneck gefahren und hat dort, abseits des lebhaften Treibens des Reichsparteitages die Nacht zum Samstag verbracht. Heute morgen 9.10 Uhr ist der Kanzler in Bayreuth mit dem Flugzeug nach Nürnberg gestartet.

Demnach scheint selbst diesem großen Massengaukler der Nürnberger Rummelplat widerwärtig geworden zu sein. Er kann, wenn er sein Feldherrnzelt überhaupt benutzt haben sollte, nur eine Nacht bei seiner SA. und seiner SS. gewesen sein. Deffentlich aber muß der verweichlichte, im Reichtum lebende Mann, der nie anders als im Lugus auto und im Luxusflugzeug reist, als der stahlharte, spar­tanische Führer dargestellt werden, der seine menigen Stunden Schlummer auf hartem Feldbett oder gar auf dem Strohlager verbringt.

Heuchelei und Verschleierung der rauhen Wirklichkeit war der ganze Parteitag, der keine Aussprache, keine Kritik kannte, sondern nur den Massenrausch, ohne den diese Bewegung nicht leben kann.

Greifen wir uns die Rede des programmatischen Theo­retikers der Partei, des jetzt als Staatssekretär ver sorgten Dr. Feder, heraus. Er gab platte Selbstver­ständlichkeiten mit dem Anspruch tiefer Weisheit von sich: " Der bedeutsamste Beruf für das Wirtschaftsleben ist