Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit"* Dienstag, den 5. September 1933 Ereignisse und Geschichten

,, Freiheit! Sonst nichts!"

Das verbotene Lied

Dem SA.- Mann Mihacsek- er wohnt in unserem Hause ist dieser Tage etwas merkwürdiges zugestoßen. Als er von einem Gepäckmarsch hundsmüde in die Mietstaserne heimkehrte und sich ein ums andere Mal den Schweiß von der Platte wischte, fand er vor seiner Tür auf dem Stroh­deckel ein umfangreiches Patet. Weißes Papier, länglich. wohlverschnürt. Aha, dachte sich Mihacsek, natürlich eine Bombe! Minna!" rief er, Minna!" und die schmale, blaffe Frau Mihacset erschien im Türrahmen.

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Von der Kellerwohnung bis hinauf zur Mansarde bringi das Geflüster:" Die Internationale !" bis alle, alle, die Männer und Frauen und Kinder, im Treppenhaus bei­sammenstehen. Der Vorplatz des zweiten Stockwerks iſt längst zu flein, treppauf, treppab drängen sie sich schweigend in der Dunkelheit, Kopf an Kopf.

,, Auf Erden rings in Süd und Norden das Recht ist schwach, die Willkür start..." Der Klang schwillt an, Hände suchen einander im Finstern, Hände von Menschen, die unter einem Dach hausen, aber seit langem aneinander vorbeileben, scheu und verschlossen.

Der Klang schwillt an. Eine Frau weint leise auf, sagt " Hans!"- Nur diesen einen Namen. Und alle wissen- der hört das Lied nicht mehr, nie mehr. Vor ein paar Wochen wurde seine Leiche, in Säcke gehüllt, entſtellt und furchtbar zerschlagen, aus dem Fluß gezogen. Hans!" Die zunächst stehen, legen ihre Arme um die Schultern der Frau.

Wir wollen mal eben nachsehen..." begann der Gatte und fuhr sich schon wieder mit dem blaugewürfelten Taschentuch über den runden, kahlen Schädel. Vorsicht!" Aber die Warnung kam zu spät. Schon hatte Frau Mihacsek das ge= heimnisvolle Päckchen aufgehoben. Merkwürdig leicht für eine Bombe, dachte der Mann, trat aber vorsichtshalber ans Treppengeländer zurück, einen Fuß auf die nächsttiefe Stufe sezzend. Jetzt Achtung! der Bindfaden sank zu Boden, und aus dem Papier quollen rote Rosen! Viele, dunkel­rote, duftfrische Roſen! Ein Zettel dabei: Freiheit!" bringt..." Rote Fahnen flattern wieder leuchtend über

Sonst nichts.

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Seitdem zeigt der SA.- Mann Mihacset Neigung zum Tieffinn. Auf seinen furzen, dicken Beinen geht er wie ein Nachtwandler umher und vergißt bisweilen auf der Straße, einen Vorgesetzten zu grüßen, was ihm noch mal schlecht be= tommen fann. Die Lösung des Rätsels hat er noch nicht ge= funden. Na ja er hat die Schnauze voll von dem ewigen Exerzieren, Kommandieren, Malträtieren, er hat sich das dritte Reich" ein bißchen anders vorgestellt. Aber das wissen doch nur ein paar Kameraden von der SA., denen es genau so geht. Wer also, wer in aller Welt legt ihm Blumen vor die Tür, noch dazu rote Blumen, noch dazu mit einem solchen Zettel?

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Er wird wohl nie dahinter kommen, der Mihacsek. Aber seine Frau ahnt vielleicht etwas sofern sie an dem ver­gangenen Abend in ihrer Wohnung war. Wir wissen es nicht. Aber warum die roten Blumen auf dem Strohdeckel lagen, das wissen wir genau, die Mutter Seibert und ich.

Die Sache war so: Eines Tages klopft die Alte bei mir an und fragte mich flüsternd um Rat. Da habe doch früher der

junge Bursche mit dem rotblonden Schopf und den hellen

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Augen bei ihr gewohnt. So ein guter Junge, und immer solide, und immer pünktlich mit der Miete, troßdem er selbst ein armer Teufel war. Ja, ja, gewiß der Fritz! Und was hats mit dem? Ich denke, er ist längst im Konzentrations. lager?"" Na ja eben aber sein Grammofon und die Platten"!

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Jetzt versteh ich. Vor ein paar Tagen ist ein Erlaß heraus­gekommen: Besizer verbotener Schallplatten werden streng bestraft. Wir gehen hinüber in Mutter Seiberts Wohnung. Und richtig! Da liegt zwischen Volksliedern, slawischen Tän­zen, ein paar Beethoven- Platten die Internationale! Das Lied ist wohl verboten?" fragt mich die Alte ängstlich. Sie hat sich nie um Politik gekümmert, die Achtzigjährige, jetzt zittern ihr ein wenig die Knie. Man hört so viel heut­zutage, Mord und Totschlag gibts in Deutschland ." Ja," sag ich und streichle ganz leise die schwarzen Ringe der Platte, ia, Mutter Seibert, das ist verboten."

Und das Lied schwillt an, schwillt an, sprengt die Wände, macht die Welt erzittern. Das Recht wie Licht im Kraterherde nun mit Macht zum Durchbruch

den Köpfen einer unabsehbaren Menschenmenge. Arbeiter marschieren wieder frei und aufrecht hinter ihren Bannern. ,, Völker, höret die Signale..." Note Fahnen, brennend rote Fahnen! Sie sind nicht mehr allein, die Men­schen im dunklen Treppenhaus, die sich an den Händen halten, einer den heißen Pulsschlag des andern spürend. Sie find nicht mehr allein, sie fühlen es: die ganze Stadt, das ganze Land, die ganze Welt hört ihr Lied.

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Unmündig nennt man euch und Knechte, duldet die Schmach nun länger nicht..." Alles ist vergessen, die Schande, die über Deutschland kam, das Wüten vertierter Horden, das Mißtrauen, die Furcht, die blutige Qual, die Tyrannet des Geldsacks, die schwer auf dem geknechteten Lande liegt. Alles ist vergessen, Freiheit lebt wieder, Hoff­nung lebt wieder" Die Internationale erkämpft das Menschenrecht."

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Und plötzlich schweigt das Lied. Leis wie fernhin ver. hallender Jubel zittert der lezte Ton nach. Schwer streicht ein Seufzer durch das abendliche Haus. Es ist, als hätte die

Erde selber aufgeftöhnt. Kein Wort wird gesprochen, aber der Gang der Menschen, die sich von der Türe weg ihrer

gebeugte Rücken haben sich aufgerichtet, selbstbewußter ist

Wohnung zuwenden. Mancher kehrt nicht in sein eigenes 3immer zurück, hat zu Freunden heimgefunden, die er seit Wochen nicht mehr aufzusuchen, nur noch schen zu grüßen wagte. Die Frauen sizen beieinander in der Wohnung jener einen, die beim Klang des Liedes einen Namen sprach. Ihre Hände haben noch nicht auseinander gefunden, es ist so gut, endlich wieder Gemeinschaft zu spüren.

Und in allen, allen schwingt der Klang des Freiheitsliedes weiter.

Viel Samen muß ich streuen" Nürnberger, Lebkuchen- Poesie

In der gesamten nationalsozialistischen Presse Deutsch­ lands finden wir dieses Gedicht:

Von Heinrich Anader

geschrieben beim ersten Nürnberger Parteitag

Du blondes Mägdlein feine, Was werkst du früh am Tag? Was treibst im Dämmerscheine Du unterm Fliederhag?

Jessas, Jessas! Und wo geb ichs jest hin?" Ich weiß teinen Rat. Ich werde nicht mehr lang in meinem Zimmer Blumen in Nürnberg bleiben. Kanns doch nicht mit über die Grenze nehmen, das Lied. Und die andern im Haus? Die in der Mansarde mit ihren sechs Kindern? Der Mann ist ohnehin verdächtig. Kann ihm den Hals brechen. Unsere Nachbarn der dürre Post­beamte mit dem Klemmer und seine vergrämte Frau? Wer weiß, wie die drüber denken. Die franke Schustersfrau? Die junge Stenotypistin mit den blonden Zöpfen? Der Arbeiter Franz? Der war mal Kommunist. Aber bei dem ist schon dreimal gehaussucht worden. Nein, niemandem können wir die Platte geben. Und dann wem kann man überhaupt trauen? Was wissen wir voneinander? Gedrückt, mißtrau­isch, schweigsam schleichen alle umber, wie eine Eistruste liegts über den Menschen, über der Stadt, über dem ganzen Land.

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Und unsere Grrammofonplatte? Die müssen wir halt zer­schlagen. Aber da macht Mutter Seibert nicht mit. Zerschla­gen, so ein teures Stück? Das bringt sie nicht übers Herz. Das wär ja Sünde!" Sie wird lieber Papier drum wickeln und wird das Päckchen, wenns finster ist, in die Aschgrube tragen.

So sinkt noch am gleichen Abend ein rundes Etwas aus Mutter Seiberts altérsfrummen Händen in den aufgesperr­ten Blechrachen der Grube.

Und eine halbe Stunde später ist das runde Etwas wieder an der Oberfläche. Ich steh gerade am Fenster, als die beiden Buben des SA.- Mannes Mihacsek mit einem kunstvoll ge= knüpften Ney in der Asche fischen.

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Am nächsten Abend der SA.- Mann Mihacsek ist kurz zuvor in seinen schweren Stiefeln leise fluchend zum Dienst getrampelt geht plöblich ein Flüstern durch das Haus. Von der Kellerwohnung bis hinauf zur Mansarde. Aus allen Türen lösen sich dunkle Gestalten, vereinen sich auf der Treppe wie zu einer Wallfahrt, schleichen auf den Zehen= spigen bis zum zweiten Stock und drängen sich vor der Woh­nung Mihacsets eng zusammen. Hört ihrs?" Alle Köpfe neigen sich näher zum Türspalt. Hört ihrs?" Von der Kellerwohnung bis hinaus zur Mansarde pflanzt sich das Flüstern fort. Hört ihrs?" Und sie hören. Klar und hell dringts aus der Wohnung des SA.- Mannes Mihacset. Klar und hell wie eine Fanfare. Wacht auf Verdammte dieser Erde..." Die Internationale!

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Viel Samen muß ich streue. Ihr reiches Aufblühn soll Ein deutsches Herz erfreuen, Traumsüßen Duftes voll!"

So willst du wohl erwarten Den Liebsten dein zur Nacht, Da du im stillen Garten Auf zarte Zier bedacht?

Mein Schatz, der ist gefallen Wohl vor dem grimmen Feind- Erst in den ew'gen Hallen Sind wieder wir vereint."

Du blondes Mägdlein feine, Was werkst du früh am Tag, Da nicht mit holdem Scheine Dich Lieb' beglücken mag?

" In Sommertages Glänzen Steh' ich am offnen Tor, Ein Braunhemd zu befrängen Mit Nürnbergs Blumenflor!"

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Auf einem solchen Anacker soll also die künftige Frucht nor­discher Poesie erwachsen. Schon mußte er viel Samen streuen. um die blonden Mädchen feine unterm Fliederbaum nein, wir wollen den Rahmen erlaubter Erotik nicht sprengen. Das bekränzte Braunhemd soll seiner zarten Zier, Ausdruck der von Hitler verkündeten heroischen Weltanschauung, nicht beraubt werden und uns ein Zeugnis der Genesis völkischer Poefie sein und bleiben.

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Gesang der gleichgeschalteten Pastoren

Wir sind die heldischen Pastoren Und dienen Gott auf unsere Art. Wir haben ein Gemüt mit Sporen Und den Verstand nun ganz verloren, Troßdem wir stets damit gespart. Auf unsere Mannheit ist Berlaß; Wir predigen statt Liebe- Haß. Wir sind die Feinde der Broleten Und ihrer sflavischen Moral, Denn mit dem Lieben und dem Beten Des quasi jüdischen Propheten Macht man ein Volt nicht national. Wir haltens mit dem Seidentum, Mit Massenmord und Heldenruhm. Zum Teufel mit den Menschenrechten! Ein dreifach Heil der Barbarei! Es ist so schön, ein Volt zu fnechten Und jeden freien Geist zu ächten. Der Deutsche liebt die Tyrannei. Wir wollen, daß der neue Christ Das Gegenteil vom Menschen ist!

Glaube

muß marschieren Geistliche Vorbildung

Liberator,

Bekanntlich ist in Preußen die zwangsweise militärische Ausbildung in eigenen Lagern als Pflichtgegenstand für die angehenden Juristen vorgeschrieben worden. Diese Lehr­furse mit Gewehren statt Büchern und mit Geländeübungen statt Seminarübungen lassen nun auch die Geistlichen der evangelischen Kirche nicht ruhen. Auf der neunzehnten ostpreußischen Provinzialsynode sagte dieser Tage der Pro­vinzialjugendpfarrer Engelbrecht:

Zur Frage der Tätigkeit von Vikaren in Arbeitslagern nehme ich den Standpunkt ein, daß es keine beffere Vorbereitungszeit für angehende Pfarrer geben fann, als dort draußen im Lager. Nur müssen diese Tätig­keitswochen auf die Amtszeit angerechnet werden. Wenn das gleichgeschaltete Recht einrückend gemacht wiri und die gleichgeschaltete Medizin egerziert ihm nicht der gleichgeschaltete Glaube?

Elly, tue es nicht mehr! Flugzeug oder Nähmaschine?

Kürzlich ist die bekannte Fliegerin Elly Beinhorn von ihrem Afrikaflug nach Deutschland zurückgekehrt. Die illu­strierten Blätter zeigen nun zwischen Bildern des Führers von oben, von unten, von vorn, von hinten, auf der Jagd und beim Frühstück, auch ganzseitige Aufnahmen vom Empfang der Fliegerin. Elly Beinhorn grüßt das neue Deutschland ." Mit dem Hitler- Gruß natürlich. Wen sie da grüßt, kann sie der Antwort eines nationalsozialistischen ,, ehemaligen Kampffliegers" entnehmen, die er einem flug­begeisterten Fräulein in Ullsteins Blatt der Hausfrau" er­teilt:

Also Fliegerin wollen Sie werden? Und noch unbedingt! Nein schlagen Sie sich das aus dem Kopfe. Heiraten Sie einen braven Mann, meinetwegen einen lieger, wenn es schon sein muß. Und da fängt Ihre Tätigkeit an: den Mann zum Kameraden haben, für ihn und seine Kinder sorgen! Also Hände weg vom Fliegen, statt Steuer den Kochlöffel, statt Pedale die Nähmaschine. Alles andre sind Männerberufe. Vielleicht hat die mutige Pilotin, als sie bei den schwarzen Kulturvölkern weilte, die Meinung der braunen Wilden iber Aufgabe und Stellung der Frau vergessen. Jetzt wird ie jedenfalls gut daran tun, meinetwegen, wenn es schon ein muß", einen Flieger zu heiraten und selber das Fliegen ufzugeben. Sonst fliegt sie eines schönen Tages aus dem , dritten Reich".

Kampf den ,, Kampfbünden"

Nachdem schon seit einiger Zeit bekannt ist, daß der ,, Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes" aufgelöst wird, dürften nun auch die Tage des Kampfbundes für deutsche Kultur " gezählt sein. In einer Versammlung, die der Bund am vergangenen Montag in Königsberg ver­anstaltete und in der Staatssekretär Feder das Referat hielt, teilte der Reichsgeschäftsführer Urban mit, daß der tampfbund demnächst nach Besprechungen Alfred Rosen­ergs mit dem Führer in die politische Organisation der NSDAP . überführt werden würde.

Mein Höchstes!" Beaune Produktionsbelebung

In den letzten Tagen wurde in Deutschland die Her­stellung einer Reihe von Gegenständen verboten. Darunter befanden sich, wie die Bayerische Zeitung" vom 24. August berichtet, u. a.:

Eine Hitler- Glasbüste, die den Reichskanzler in SA .­Uniform mit dem Eisernen Kreuz darstellt und die zur Auf­nahme von eßbaren Perlen bestimmt war.(!)

SS.- Werfpuppen aus gewöhnlichstem Filz mit Holzwolle gefüttert, in farikaturistischer Ausführung und unter miß­bräuchlicher Verwendung des Hakenkreuzes. Bonbons mit Hafenkreuzflagge.

Eine Schutzhülle aus Leder für Zündholzschachteln mit rotem Druckknopf, der mit dem nationalsozialistischen Hoheitszeichen versehen war.

Packungen für Zigarrenkisten, auf denen über der Auf­schrift Mein Höchst e 3" in roter Farbe ein burgartiges Bauwerk in Form eines Hakenkreuzes dargestellt war. Ferner Gummibälle mit dem Hafentreua..