Zum Schicksal der deutschen   Juden

Die Seßhaftmachung in Palästina

Aus den Verhandlunigen des Zionisten kongresses in Prag   tragen wir den Vortrag des Herrn Dr. Arthur Ruppin   nach:

Es erfüllt uns mit großer Befriedigung, daß in einer Zeit der Judennot unsere Aufbauarbeit in Palästina das Re­sultat gehabt hat, daß man heute in der größten Katastrophe, welche die Juden eines Landes in der Neuzeit betroffen hat, Palästina als den einzigen Lichtpunkt betrachtet. Während die anderen Auswanderungsländer, selbst von der Krise betroffen, ihre Tore verschließen, hat Palästina infolge jüdischer Initiative und jüdischen Kapitals einen großen Aufschwung genommen. Gs ist das einzige Land in der Welt, in dem keine Arbeits­losigkeit, sondern im Gegenteil Mangel an Arbeitern herrscht.

Von den deutschen   Juden gehören zehn Prozent zu den Beamten und freien Berufen, fünfzig zum Handel, dreißig zu Handwerk und Industrie und zwanzig Prozent zu verschiedenen anderen Berufen.

Durch die Gesetzgebung der deutschen   Regierung ist der Stand der Beamten und der freien Berufsangehörigen katastrophal betroffen worden. Aber selbst diejenigen, die von den gesetzlichen Verboten nicht direkt betroffen wurden, haben ihr Ansehen und einen großen Teil ihrer Kundschaft verloren. Ich bin der Ansicht, daß nur ein kleiner Teil der freien Berufe seinen Lebensunterhalt in Deutschland   weiter verdienen kann. Die Folgen der gegenwärtigen Politik, welche sich gegen die Juden als Volksfremde richten, be= rühren sich auch in allen anderen Berufen. Die indirekten Folgen der neuen Gefeßgebung sind für die Juden wirt­schaftlich noch verheerender als die direkten Folgen. Sie lassen sich weder zählen noch messen. Zur Zeit lebt noch ein Teil von der Substanz ihres Vermögens. Die Monate aber find gezählt, nach welchen bei vielen diese Reserven auf gezehrt sein werden. Dann wird sich erst das Unglück in seiner ganzen Größe zeigen. Es gibt in Deutschland   etwa 8000 jüdische Aerzte, etwa 4000 Rechtsanwälte, 2000 Zahn­ärzte und Zahntechniker, Tausende von Ingenieuren, Be­amten, Lehrern, Apotheken, Journalisten und Schauspielern. Sie und viele jüdische kleine Kaufleute haben ihre Existenz­grundlage eingebüßt.

Die Zahl der Juden in Deutschland   betrug bei der Volks: zählung von 1925: 584 000. Die Ziffer ist allerdings hente niedriger. In den verflossenen acht Jahren haben die deutschen   Juden infolge ihrer außerordentlich niedrigen Geburtenziffer und durch den Ueberschuß der Sterbefälle jährlich etwa 4000 Menschen verloren.

Außerdem ist der Ueberschuß der Auswanderung über die Einwanderung auf mindestens 30 000 zu schätzen. Wenn man noch berücksichtigt, daß in den letzten Monaten allein mehrere zehntausende Juden freiwillig oder gezwungen Deutschland   verlassen haben, kommt man zu dem Schluß, daß die Höchstzahl der Juden in Deutschland   heute 500 000 be= trägt. Diese Zahl wird noch zurückgehen, da die jüdischen Eltern noch viel schwerer die Verantwortung fühlen werden, Kinder in die Welt zu setzen. Ich glaube, daß sich in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Juden auf natürlichem Wege auf 450 000 vermindern wird. Hierbei lasse ich die getauften oder aus Mischehen hervorgegangenen Nicht­arier" außer Betracht. Ich will nur bemerken, daß ihre Zahl mit 200 000 zu hoch geschätzt ist. Alle diese Nichtarier" sind in erster Linie ein Problem für diejenige kirchliche oder völkische Gemeinschaft, welche sie aufgenommen hat. Wir haben kein Recht, in ihrem Namen zu sprechen. Die 500 000 deutschen   Juden machen nur etwa 3 Prozent der 16 Mil­lionen der Welt aus, sind aber ein wichtiger Teil der jüdischen Gemeinschaft und deshalb steht die gesamte Juden­heit heute mit tiefstem Mitgefühl hinter den deutschen   Juden. Es gibt für 200 000 Juden in Deutschland   keine Möglich teit, eine Existenz in anderen Berufen zu finden. Würden sie an den Uebergang zur Landwirtschaft denken, so stoßen sie sofort auf das neue deutsche Bauern­gesetz. Ein Uebergang zum Handwerk kann bei der poli­tischen Lage ebenfalls nicht ins Auge gefaßt werden. Auch her Handel kann keine weiteren Juden aufnehmen. Die Lage der jüdischen Jugend, die in dieser Zeit an die Berufs­wahl denkt, ist verzweifelt. In dieser Not gibt es keinen anderen Ausweg, als eine organisierte Auswanderung, die im Laufe von 5 bis 10 Jahren die 200 000 Juden, die heute in Deutschland   überzählig" geworden sind, in andere Länder bringt. Bei einem solchen Rettungsversuch ver­zichten wir selbstverständlich nicht darauf, gegen das Vor­gehen der deutschen   Regierung, das einem so großen Teil der deutschen   Juden zur Auswanderung zwingt, auf das schärffte zu protestieren. Der beste Protest gegen die Juden­politik der deutschen   Regierung ist die rettende Tat. Ich sehe keine andere Lösung, als eine organisierte Auswanderung eines Teiles der deutschen   Juden. Eine solche Auswande­rung würde auch wahrscheinlich der Regierung erwünscht sein, da ihr nichts daran liegen kann, eine pauperisierte Be­völkerung im Lande zu haben. Eine Auswanderung würde auch eine Scheidung innerhalb des Judentums mit sich bringen.

Ich glaube annehmen zu dürfen, daß einer organisierten Auswanderung von Juden aus Deutschland   unter teil­weiser Mitnahme ihres Vermögens keine Hindernisse in den Weg gelegt würden. Ich will damit den Gegensatz zu einer fluchtartigen Auswanderung betonen. Diese ist in den meisten Fällen weder ein Segen für den Auswanderer, noch für das Land.

Unter den Auswanderungsländern richtet sich der Blick natürlich in erster Linie auf Palästina. Das Palästina von heute stellt für die Aufnahmefähigkeit einer neuen Ein­wanderung einen bedeutenden Faktor dar. Palästina kann heute mehr als doppelt so viel Einwanderer aufnehmen, als im verflossenen Jahrzehnt. Als Vorsitzender einer Kom­mission zur Ansiedlung deutscher   Juden in Palästina kann ich ihnen die Schlußfolgerungen mitteilen, zu denen sie ge­langt ist. In den bestehenden Siedlungen ist sofort für etwa 1000 Familien Platz. Für 400 Siedler ist sofort Ansiedlungsmöglichkeit vorhanden. Die Kosten der Siedlung betragen 400 bis 600 Pfund. Außer diesen Siedlern ist noch die Ansiedlung von 200 Fa­milien in der Nähe von Haifa   auf dem Boden des jüdischen Nationalfonds in der Form einer vorstädtischen Siedlung in Aussicht genommen. Ueber die 1000 Familien hinaus kann eine landwirtschaftliche Siedlung erst erfolgen, wenn neuer

Boden gekauft worden ist. Die Ansiedlung von neuen Men­schen in der Landwirtschaft schafft einen vergrößerten inneren Markt für die Produkte der Industrie.

Wir müssen auch natürlich im Auge behalten, daß Pa= lästina nicht nur für die deutschen   Juden da ist, sondern daß die Tore Palästinas auch für die Juden anderer Länder offen sein müssen.

Eine Voraussage in Ziffern läßt sich schwer geben. Wir werden die Auswanderung nach Palästina nur denjenigen Juden erleichtern, die nach Palästina gehen wollen. Für die Aufnahme der gesamten 200 000 Einwanderer werden außer Palästina auch andere Länder in Betracht kommen. Ich denke hierbei in erster Linie an die Vereinigten Staaten  . Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß sich unter dem Eindruck der katastrophalen Lage der deutschen   Juden die Einwande­rungspraxis liberaler gestalten wird. Abgesehen von den Vereinigten Staaten   denke ich auch, daß die im Völkerbund vereinigten europäischen und überseeischen Staaten eine beschränkte Anzahl von Juden aufnehmen werden. Die Judenheit der Welt sollte durch den Völkerbund einen Appell an seine Mitgliedsstaaten richten. Ich habe die Hoffnung, daß es möglich ist, durch so einen Appell 50 000 Juden 3u­flucht zu schaffen. In dieser schicksalsschweren Zeit, in der der Niederbruch der deutschen   Juden der Welt das Schicksal der jüdischen Tragik vor Augen führt, hält uns die Tatsache aufrecht, daß viele führende Persönlichkeiten und Gruppen in der Welt uns ihre Sympathie gezeigt haben. Für die deutschen   Juden muß es ein Trost sein, daß ihr Schicksal die ganze Judenheit aufgewühlt hat. Unsere Aufgabe muß es sein, die Hilfsbereitschaft und Sympathie der Welt zu einer großen Tat zu verdichten, um einen Teil der Juden, die in Deutschland   nicht bleiben können, in andere Länder einzu­gliedern. Von diesem Kongreß soll die Parole ausgehen, die die Juden der Welt ohne Rücksicht auf ihre Richtung zu einer einheitlichen Aktion aufruft und in den deutschen   Juden die Hoffnung erweckt, daß es aus ihrer Not noch einen Ausweg gibt.

Stadt Wohnung zu nehmen, was er jedoch ablehnte. Uebrigens wurde schon vor zwei Monaten ein Attentatsvers such gegen ihn entdeckt. Die Telefonleitungen des Hotel Mira­monte, in dem Lessing damals wohnte, wurden von unbes kannten Tätern zerschnitten.

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Die gesamte gleichgeschaltete Presse hat tros dieser amt­lichen Meldungen der Marienbader Polizei die Dreistigkeit, jede nationalsozialistische Mitverantwortung für den feigen Mord abzulehnen. Sie beschmutzt zugleich das Andenken des Toten. Die Deutsche Allgemeine Zeitung" bezeichnet ihn als einen iener Schreibtisch menschen, die der Weimarer Republik   das Grab geschaufelt haben". Wider Willen zollt sie damit dem Werk von Weimar   ein sehr hohes Lob. Denn das ganze Schaffen Theodor Lessings, seine küh= nen Gedanken und reichen Einfälle dokumentierten höchstes

deutsches Kulturgewissen. Dieser eigenartige und eigenwillige Denker hatte sich wegen eines mißverstandenen Aufsatzes über Hindenburg den Haß von Leuten zugezogen, die nie eine Zeile des Gelehrten gelesen hatten am wenigsten der Bursche, der ihn in höherem Auftrage niederknallte.

Er war Jude wie Rathenau  . Er war wie er ein geistiger Mensch. Genau wie von Rathenau's Geist hatten sie auch von Lessings Geist keinen Hauch verspürt, als sie ihr mordeten.

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" The Manchester Guardian" zeigt eine außer ordentliche Entrüstung über die Ermordung des Professors Lessing  . Die Art, mit der die Nachricht von der deutschen  Presse aufgenommen worden ist," schreibt das Blatt wörtlich. , ist noch empörender, als die Mordtat selbst. Der Tod des Professors Lessing   fügt eine neue Schandtat den Verbrechen hinzu, die die Nazis gegen die politischen Flücht­linge begangen haben. Die Aufreizungen, die voraufgegangen sind und die Freude, welche die Tat hervorgerufen hat, werfen ein eigenartiges Licht auf die moralische At­mosphäre des nationalsozialistischen Deutsch­ land  ."

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Prof. Dr. Theodor Lessings legte Arbeit Deutschland  und seine Juden" ist heute im Verlag Neumann u. Co., Prag  - Karlin  , in zweiter Auflage erschienen.

BRIEFKASTEN

Mezz. Die Reise erübrigt sich, wenn Sie uns den Bericht schrifts zählungen leicht Ungenauigkeiten ein. Niederschrift ist immer das Sicherste.

Der Mord an Professor Lessing   tich machen. In solchen Fällen schleichen sich bei mündlichen Er­Mehrere Verhaftungen

Die vorliegenden Nachrichten bestätigen, daß Theodor Lessing   von einem gekauften Subjekt niedergeschossen wurde. Durch Zengen, die von der Polizei vernommen wur den, wurde festgestellt, daß der Mörder Eckert drei Tage vor der Tat in Gesellschaft eines Reichsdeutschen gesehen wurde, mit dem er über Professor Lessing   und über Deutschland  sprach. Da die deutsche   Grenze nur eine halbe Stunde weit entfernt ist, war die Flucht des Mörders, der ein ständiger Besucher nationalsozialistischer Versammlungen war, sehr leicht möglich. Von reichsdeutscher Seite soll angeblich eine Kopfprämie von mehreren tausend Mark ausgesetzt worden sein. Wahrscheinlich hat den Mörder auch das Geld gereizt. Er hat den Mord kaltblütig vorbereitet. Die Leiter, auf die Eckert stieg, war mit Tuchfeßen umwunden, damit sie ge= räuschlos auf den Boden aufgesezt werden konnte. Ale An­zeichen denten darauf hin, daß der Mord von mehreren Lenten vorbereitet wurde; ein einzelner hätte die schwere Leiter aus dem Dorfe Schanz nach Marienbad   nicht tragen können. Zwei Personen wurden verhaftet, die schon vor einiger Zeit ein verdächtiges Interesse für Lessings Per son an den Tag legten.

Schon seit vielen Monaten erhielt Professor Leffing Mord­drohungen. Er selbst hat wiederholt die Befürchtung ausge= sprochen, daß die Rache der Nationalsozialisten ihn auch im Ausland erreichen könnte. Ende der vorigen Woche übergab Lessing   der Marienbader Polizei einen Brief, worin ihm ein unbekannter Schreiber mitteilte, daß er zum Tode ver= urteilt worden sei. Die Polizei hat die Wohnung Les= sings dauernd überwacht und ihn ersucht, im Zentrum der

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O. Kilchberg bei Zürich  . Ihr Brief ist sehr interessant. Es ist verständlich, daß man der gleichgeschalteten Presse überdrüssig wird. Wir wissen nicht, warum das Braunbuch" in Bern   und in anderen Schweizer   Städten so schwer zu haben ist. Es ist denkbar, daß die Behörden Schwierigkeiten machen. Das vorliegende Material dürfte übrigens noch manches Braunbuch" füllen.

R. Stettin. Verzeihen Sie, aber das sind wirklich olle Kamelen", die in der Parteipolemik schon bis zum Ueberdruß vorgebracht wor den sind. Damit können wir unsere Spalten nicht belasten. Besten Dank für den guten Willen.

Drohbriefe haben wir seit Jahren so viele bekommen, daß sie auf uns keinen Eindruck mehr machen, wobei wir gerne zugestehen, daß sie ernst gemeint sein mögen. Wir können die fleißigen Brief­schreiber an threr Tätigkeit nicht hindern. Ganz fruchtlos sind ihre Buschriften nicht. Ab und zu lesen wir einen solchen Brief, um uns zu vergewissern, ob irgendwo zwischen rohen Beschimpfungen noch ein menschlicher Gedanke aufblizt. Wir suchen immer vergebens. Eine schauerliche Rasse lebt rund um das Heil Hitler!"

Köln  . Es wäre schön, wenn Ihre Vermutung zuträfe, daß die Folterungen im Braunen Haus an der Mozartstraße und im Volks­haus eingestellt sind Gewißheit haben wir noch nicht. Vielleicht haben die Folterknechte einen kurzen Sommerurlaub nötig ge­habt. Fünf Monate Bestialität: das muß doch auch Sadisten etwas anstrengen.

Verantwortlich: für die Redaktion Joh. Pit: Inserate Otto Kuhn, beide in Saarbrücken  . Druck und Verlag: ..Volksstimme" G. m. b H., Saarbrücken  . Schüßenstraße 5.

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