nottove
Nummer 67-1. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Eine Vergleichung des deutschen Volkes mit anderen Völkern erregt in uns peinliche Gefühle, über welche ich auf jegliche Weise hinwegzukommen versuche. Ist denn wirklich das Volk erwacht? Goethe
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Der gleichgeschaltete Teil der in Paris lebenden Deutschen " besatz die Geschmacklosigkeit, zu einer großen Sedan Feier" in Joinville bei Paris aufzurufen. Die Anwesenheit„ Sr. Exzellenz des Deutschen Botschafters" und der sämtlichen Beamten der deutschen Botschaft war angekündigt. Die Feier mußte unterbleiben, weil die franzöfische Bevölkerung nicht willens war, sich diesen Skandal bieten zu lassen. Ein früherer deutscher Offizier wandte sich außerdem an die zuständigen Stellen und ersuchte darum, daß diese Veranstaltung seitens der Behörden verboten wird; die Sedanfeier bedeute, so führte er aus, weiter nichts als eine geradezu verbrecherische Provokation eines Landes, das in ritterlicher Weise den durch den Hitlerschen Blutterror aus der Heimat Vertriebenen Gastfreundschaft ge= währt habe und gegen das durch die Veranstaltung, zu der der Sedan- Tag nur den Namen hergeben soll, neue Hezze zu betreiben, die Absicht der„ deutschen " Gesellschaft in Paris ist. Hierauf schritt die Polizei ein und sprach das Verbot der „ Feier" aus.
Der deutsche Botschafter hatte schon einige Stunden vorher öffentlich erklären lassen, daß er die angekündigte Rede nicht halten werde. Er entschuldigte sich damit, er habe nicht
daran gebaut, daß auf den 2. September ein
für Frankreich schmerzliches Ereignis fiel. So macht das neue Deutschland Außenpolitik. So will es moralische Eroberungen machen. Was würden die Herrschaften sagen, wenn die französische Kolonie Berlins etwa in Potsdam eine französisch- nationale Feier mit deutlicher Spitze gegen Deutschland am Jahrestage der Schlachtan der Marne hielte?
Das Programm der Feier unserer anscheinend vollkommen von allen guten Geistern verlassenen Landsleute sah wie folgt aus:
Wir lassen den genauen Text der Eintrittskarte folgen: Eintrittskarte
Zur ,, Abrüstung"
Entscheidende englisch - französische Besprechungen
Paris , 5. Sept.„ Petit Parifien" kündigt an, daß vor Wiederaufnahme der Völkerbundsverhandlungen am 18. Seps tember in Paris zwischen Sir John Simon und Hauptmann Eden einerseits und dem Ministerpräsidenten Daladier und Außenminister Paul Boncour andererseits wichtige Be= sprechungen über die Unabhängigkeit Defters reichs, die wirtschaftliche Sanierung Mittel europas und des Balkans und vor allem über die weitere Behandlung der Abrüstungskonferenz stattfinden werde. Das Blatt bezeichnet eine Verstärkung der Rüstungskontrolle als notwendig.
Wir fügen dieser Meldung hinzu, daß auch der Wille Nordamerikas auf eine Erweiterung der Rüstungskontrolle hinzielt. Es gehört wenig Phantasie dazu, um zu erkennen, daß die allgemeine Atmosphäre des Mißtrauens, die Hitlers Außenpolitik zu erwecken verstanden hat, Deutschland in den Mittelpunkt dieser Rüstungskontrolle stellen wird.
„ Vertrauen nicht vorhanden" sagt die ,, Times"
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London, 5. Sept. In einem der Abrüstungskonferenz gewidmeten Leitartikel der„ Times" heißt es, allerseits bes stehe eher die Neigung zur Vermehrung als zur Verminde rung der Rüstungen. In Europa herrsche so viel Erbitterung zwischen einzelnen Ländern, daß die erste Voraussetzung der Abrüstung gegenseitiges Vertrauen einfach nicht vor: handen sei. Europa stehe vielleicht erst am Anfang einer langen Periode politischer Ruhestörung. Trotzdem dürften die Delegierten keinesfalls auseinandergehen, bevor irgendeine Vereinbarung erreicht sei. Es sei eine Konvention möglich, die die Begrenzung der Rüstungen zu Lande und in der Luft, die Kontrolle der Rüstungen durch einen Ueberwachungsausschuß und die Beaufsichtigung der Waffenherstellung und des Waffenhandels einschließen würde. 3um französ fischen Kontrollplan fagt Times", es heiße, daß Norman Davis beauftragt fei, ihn zu von Johann Rosenmüller 1619-84 unterstützen. Großbritannien sei für einen weniger weitgehenden und weniger starren Plan gewesen, werde aber dem franzöfifchen Plan keine Opposition machen, wenn die anderen Länder mit ihm einverstanden seien.
für den deutschen Abend 1933 in den Räumen des DHV.Hauses in Joinville le Pont , 18 Avenue de la Republique am 2. September .- Beginn 21.15 Uhr.
1. Sonate in G- Moll Adagio, Allegro
2. Begrüßungswort.
8. Deklamation.
4. Ansprache des deutschen Botschafters, Herrn Dr. Roland Köfter.
5. Kriegsmarsch aus Athalia , G. F. Händel .
6. Vortrag: Deutschland 1918-1933. Anschließend HorftWeffel- Lied.
7. Mahuruf, zusammengestellt aus Fichtes Reden an die
Deutsche Nation.
8. Deutschlandlied.
15 Minuten Pause.- Anschließend unterhaltender Teil. Programmhefte der Deutschen Volksbewegung, Adolf Hitlers Mein Kampf ", Hitlerbilder usw. sind am Saaleingang zu kaufen.
Wie die„ Kölnische Zeitung " behauptet, sollen die Veranstalter dieser eigenartigen Rundgebung von sich aus Kon zert und Rede abgesagt haben, als ihnen bewußt wurde, was fie angerichtet hatten. Es sei reiner Zufall, daß die Veranstaltung auf den 2. September angesetzt worden sei. Nebenher regt sich das Blatt noch darüber auf, daß in Paris lebende Deutsche , die mit der Einladung beglückt worden find, die sozialistische Presse unterrichtet haben.
Nach unserer Meinung war es ein verdienstliches Werk, die Taktlosigkeit dieser Sedanfeier zu unterbinden. Die
Ueberall dasselbe Echo
Das Mißtrauen
in Deutschlands Rüstungspolitik G. W. Albarda schreibt in Het Volt": „ Um die Auslandspolitik des dritten Reiches kennen zu lernen, braucht man nur das vorlegte Kapitel der Bibel der Nationalsozialisten,„ Mein Kampf ". zu lesen. Da wären die Ziele deutlich und schamlos enthüllt. Deutsches Grundgebiet muß erweitert wers den auf Kosten von Rußland und der Rand: sta a ten. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, muß erst Frankreich geschlagen werden. Friedenspolitik ist nur zu betreiben, um die nötige Zeit für die Kriegsvorbereitungen zu gewinnen.
Die Kriegsvorbereitungen find bereits in vollem Gange. Halb Deutschland läuft in Uniform und wird militärisch ges drillt; dauernd finden Paraden und Manöver statt. Uns zählige Flugpläge werden angelegt; Hunderte von Fliegern werden ausgebildet. Die Ausführung von wichtigen strate= gischen Plänen wird in Angriff genommen. Die Waffens industrie hat großartige Aufträge bekommen."
deutsch - französischen Beziehungen sind ohnehin so gespannt, Das Volksheer
daß sie nicht noch verschärft zu werden brauchen. Ein Botschafter in Paris und dessen Personal müssen über die fran zösische Geschichte soweit unterrichtet sein, daß sie nicht gerade den Sedanstag zu einer nationalistischen Kundgebung sich aussuchen. Taft ist in allen Lebenslagen gut und für erfolgreiche Diplomatie die Voraussetzung.
Dabei lassen wir ganz dahingestellt, ob der deutsche Botschafter Dr. Köster seine Zusage gern gegeben hat. Kann denn überhaupt ein deutscher Diplomat noch vernunftgemäß entscheiden? Je vernünftiger er handelt, je sicherer ist das Ende seiner Laufbahn,
London , 4. Sept.( Inpreß.) Der Korrespondent des „ Manchester Guardian" schreibt auläßlich des Kongresses von Nürnberg :„ Deutschland kann öffentlich nicht militärisch auf: rüsten. Aber die Fülle der Manifestationen und der Kons gresse, die im Laufe dieses Jahres stattgefunden haben, mit ihren enormen Aufmärschen der Brannhemden, mit ihren Feldübungen, ihren rollenden Küchen und Kommissariaten, das alles find Verfuchs- Mobilisationen in einer Größe, von der man kein Beispiel kennt, und zu dem einzigen Ziel: die Schaffung einer großen nationalen Armee,
Freie Bahn den Untüchtigen!
Von Dr. Fritz Martens
Die Ernennung des Herrn Schmitt zum Reichswirts schaftsminister bedeutete, daß der Richtungskampf in den führenden Kreisen des Nationalsozialismus zugunsten der eindeutigen kapitalistischen Einstellung entschieden wurde. Das war der Sieg der ausgesprochen und hundertprozentig kapitalistisch Gesinnten über zwei Gegenrichtungen, wenn wir von verschiedenen Schattierungen von geringerer Bes deutung absehen. Erstens einmal über die antikapitalisti schen Empfindungen, wie sie in den nationalsozialistischen Betriebszellen und bei dem großen Teil der SA. vertreten sind und die als eine untere Stufe des proletarischen Klassenbewußtseins und der Entwicklung zum sozialisti schen Denken angesehen werden dürfen. Dann siegten die Exponenten des„ normalen Kapitalismus"( die ,, Normalisierer") auch über die wirtschaftspolitischen Vertreter des kleineren Gewerbes, deren„ mittelständische" Einstellung eine unverkennbare und zuweilen sehr scharfe Spitze gegen alle wirtschaftlich überlegenen kapitalistischen Gebilde hat.
Die berühmt gewordene Kölner Rede war nicht die erste Rede des neuen Reichswirtschaftsministers, wie das irrtümlich dargestellt wird. Kurz nach seinem Amtsantritt hat Herr Schmitt in München eine Ansprache gehalten, in der er unter anderem den bayerischen„ Wirt schaftsführern" mit einem sehr netten und beruhigenden freie Wirtschaft." Ueber die Absichten des neuen Lächeln eröffnete:„ Meine Herren! Ich liebe die großen Führers konnten schon nach dieser Zieleserklärung schaftspolitik in einem bewußt und demonstrativ antis für die freie Wirtschaft keine Zweifel bestehen. Die Wirt liberalistischen Staat wird von einem Mann geleitet, der selbst zu den selten gewordenen Vertretern des folge richtigen wirtschaftlichen Liberalismus gehört. Allerdings mit den Einschränkungen, die für den Leiter des größten Versicherungs konzerns, also eines mächtigen Gebildes des organisierten Kapitalismus, selbstverständlich sind: Die wirtschaftliche Freiheit hat ihre Schranken dort, wo dies die Interessen der kapitalistischen Machtentfaltung erfordern.
Nach der Ernennung von Herrn Schmitt mußte also in gewissen Kreisen die Auffassung entstehen, daß Deutsch land vor der Befestigung der„ normalen" kapitalistischen Verhältnisse steht und dementsprechend die gleichen Chancen für die Ueberwindung der Wirtschaftskrise auf rein kapitalistische Art und Weise gewinnt, wie jedes andere„ normalkapitalistische" Land in dieser immer noch kapitalistischen Welt. Diese Chancen dürften sogar als be sonders groß erscheinen, da der kapitalistischen Wirt schaftspolitik in Deutschland die ungeheuerlichen Machts mittel einer brutalen Diktatur zur Verfügung gestellt werden sollten. Wenn nun schon heute eine bittere Ent täuschung in dieser Hinsicht spürbar wird, so ist das die Folge der Tatsache, daß sich eben diese Machtmittel der Diktatur als eine aller Wahrscheinlichkeit nach unüber. windbare Hemmung für die echte Wirtschaftsbelebung er weisen.
Die erste Aufgabe jeder Diktatur ist Selbstbehauptung. Und das heißt, daß jede Diktatur vor allem dafür sorgen muß, daß sich ihre eigenen Machtmittel nicht gegen sie selbst wenden. Dieser Sorge wird letzten Endes in der Diktatur alles andere untergeordnet. Trozz des bekannten Sprichworts kann man eine Zeit lang auf den Bajonetten fizzen. Eine Diktatur kann fich, auf die brutale Gewalt gestützt, gegen die Unzufriedenheit breiter Massen halten. Nur die Bajonette selbst, b. h. die lebendigen Träger der brutalen Gewalt, müssen befriedigt sein und sich mit der herrschenden Macht auf Tod und Verderben verbunden fühlen. In Deutschland handelt es sich dabei um eine so beträchtliche Menschenmenge, daß sie nicht mit den vom Staate gestellten Gehältern zu friedengestellt werden kann. Das ist aber vielleicht noch nicht das Wichtigste. Diese Schicht der Träger der brutalen Gewalt ist so breit, daß sie sich einfach nicht von ihren sozialen Quellen, von ihrem Milieu isolieren läßt. Das ist der Grund, weshalb in dem Maße, in welchem be stimmte sozialen Schichten enttäuscht und unzufrieden, auch die entsprechenden Teile des Machtapparates, vor allem der SA- Formationen, für die Machthaber unsicher und unbequem werden.
Es müssen ständig die Maßnahmen getroffen werden, die nicht von den wirtschaftlichen Erwägungen, sondern von dem Selbstbehauptungsbedürfnis der Diktatur vorge schrieben werden. Dadurch entstehen für die Wirtschaft Belastungen, die die Wirkung aller künstlichen Ankurbe lungsmittel bei weitem überwiegen, zumal unter diesen Umständen auch die Ankurbelungsmittel selbst von mirtschaftlich sehr zweifelhafter Natur sein müssen: eine dema gogische Politik ist für die nationalsozialistische Diktatur auf allen Gebieten eine unumgängliche Notwendigkeit. Das mit soundso viele„ nationale Kämpfer" befriedigt werden können, müssen die besten Arbeitskräfte herausgeworfen und durch die weniger geeigneten oder gänzlich unge. eigneten ersetzt, müssen darüber hinaus überflüssige Arbeitskräfte eingestellt werden.
Bei der Besprechung der letzten Bankbilanzen mußte