..Meine Angst

um Deutschland  "

Oswald Spengler   warnt

Oswald Spengler  , einst Modephilosoph in der Prophezeiung vom Untergang des Abend­landes, oftmals vom Nationalsozialismus als einer der Seinigen angesprochen und ganz zweifellos Lieferant der philosophischen Theorie für die Brutalitäten der Nazi- Sadisten, hat ein neues Buch herausgegeben: Jahre der Ent­scheidung". In der Einleitung des ersten Teiles, Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung" überschrieben, nimmt Spengler zu alleraktuellsten Vorgängen politischer Art Stel­lung. Dieser Einleitung entnehmen wir folgende Säße:

Das war kein Sieg, denn die Gegner fehlten. Vor der Gewalt des Aufstandes verschwand sofort alles, was eben noch tätig oder getan war. Es war ein Versprechen künftiger Siege, die in schweren Kämpfen erstritten werden müssen und für die hier erst der Platz geschaffen wurde. Die Führenden haben die volle Verantwortung dafür auf sich genommen und sie müssen wissen oder lernen, was das bedeutet. Es ist eine Aufgabe voll un­geheurer Gefahren, und sie liegt nicht im Innern Deutsch­ lands  , sondern draußen, in der Welt der Kriege und Ratastrophen, wo nur die große Politik das Wort führt. Deutschland   ist mehr als irgend ein Land in das Schicksal aller anderen verflochten; es kann weniger als irgend ein anderes regiert werden, als ob es etwas für sich wäre. Und außerdem: es ist nicht die erste nationale Revolution, die sich ereignet hat- Cromwell und Mirabeau sind vorangegangen, aber sie ist die erste, die sich in einem politisch ohnmächtigen Lande in sehr ge fährlicher Lage vollzieht: das steigert die Schwierig keiten der Aufgaben ins Ungemessene.

Sie sind sämtlich erst gestellt, kaum be griffen, nicht gelöst. Es ist keine Zeit und kein Anlaß zu Rausch- und Triumph gefühl! Wehe denen, die die Mobil. machung mit dem Sieg verwechseln! Die Gefahr der Begeisterung ist es, die Lage zu einfach zu sehen. Begeisterung verträgt sich nicht mit Zielen, die über Generationen hinaus liegen. Mit solchen beginnen aber erst die wirklichen Entscheidungen der Geschichte. Diese Machtergreifung hat sich in einem Wirbel von Stärke und Schwäche vollzogen. Ich sehe mit Be. denken, daß sie täglich mit soviel Lärm ge. feiert wird. Es wäre richtiger, wir sparten das für einen Tag wirklicher und endgültiger Erfolge auf, d. h. außenpolitischer. Es gibt keine anderen. Wenn sie einmal errungen sind, werden die Männer des Augenblicks, die den ersten Schritt taten, vielleicht längst tot sein, vielleicht vergessen und geschmäht, bis irgend eine Nachwelt sich ihrer Bedeutung erinnert. Die Geschichte ist nicht sentimental und wehe dem, der sich selbst sentimental

nimmt.

In jeder Entwicklung mit solchem Anfang liegen viele Möglichkeiten, deren sich die Teilnehmer selten ganz bewußt sind. Sie kann in Prinzipien und Theorien er starren, in politischer, sozialer, wirtschaftlicher Anarchie untergehen, ergebnislos zum Anfang zurückkehren, so wie man in Paris   von 1793 deutlich

fühlte, que ca changerait. Dem Rausch der ersten Tage, der oft schon kommende Möglichkeiten verdarb, folgt in der Regel eine Ernüchterung und die Unsicherheit über den nächsten Schritt". Es gelangen Elemente zur Macht, welche den Genuß der Macht als Ergebnis betrachten und den Zustand verewigen möchten, der nur für Augenblicke

Fontamara

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Der., Gegenprozeß"

Vorbesprechungen des Untersuchungsausschusses

Paris  , 4. Sept.( Inpreß.) Die Vorbesprechungen des Unter­suchungsausschusses zur Aufklärung des Reichstagsbrandes sind unter dem Vorsitz des berühmten französischen   Rechts­anwaltes de Moro Giafferi   und in Anwesenheit von Frau Dr. Bakker- Nort, Mitglied des holländischen Parla­ments, M. F. Nitti, dem früheren italienischen   Ministerpräsi­denten, den schwedischen, dänischen, belgischen und Schweizer  Anwälten Branting, Vald Huidt, Vermeylen und Huber vor­gestern begonnen worden.

Es wurde beschlossen, den Internationalen Untersuchungs­ausschuß des Reichstagsbrandes in Kürze nach London   ein­zuberufen. Auf Grund der Sachverständigengutachten, der vorliegenden Zeugenaussagen und Dokumente soll zunächst die politische Situation Deutschlands   geprüft werden, die beim Ausbruch des Reichstagsbrandes bestand und fest­gestellt werden, wer in jenem Augenblick ein Interesse am Reichstagsbrand haben konnte. Der Untersuchungsausschuß wird sich mit den Umständen des Reichstagsbrandes befassen und den Weg rekonstruieren, den die Brandstifter genommen haben; er wird die politische Rolle der Angeklagten  " Torgler  , Dimitrow, Tanew und Popom und die der Ankläger" Göbbels  , Göring   und Heines sowie des Komparsen van der Lubbe prüfen; er wird sich mit der Haltung der Ankläger und Angeklagten in den Tagen vor und nach dem Brand beschäftigen.

die Freiheit läßt, ihre eigene Verteidigung sachgemäß vor­zubereiten.

Die Kommission sieht nicht die Sicherheit gegeben, daß das Leipziger   Gericht irgendeines der grundsäßlichen Probleme dieses Prozesses löst.

kommission nach London  , durch die unter der Kontrolle des Sie begrüßt daher die Einberufung der Untersuchungs­Weltgewissens jene Tatsachen geklärt werden, die offiziell den Angeklagten, von der öffentlichen Meinung aber Män nern zur Last gelegt werden, die heute in Deutschland   die Macht besitzen.

Warum?

Der Bruder des Angeklagten Marinus van der Lubbe hat den Advokaten Dr. F. Pauwels in Amster­ dam   gebeten, sein Ersuchen, als Verteidiger des Ma­ rinus van der Lubbe   aufzutreten, als nicht geschehen zu betrachten. Dr. Pauwels teilte mit, daß ihm die Gründe dieses Schrittes nicht bekannt sind und er sich um Aufklärung bemühen werde.

und Angeklagten in den Tagen vor und nach dem Brans Widersprüche Verteidigt Pauwels oder nicht?

Weiter wurde beschlossen, eine Unterkommission zu er­nennen, deren Aufgabe es sein soll, die Vernehmung der Zeugen in den verschiedenen Ländern vorzunehmen.

Die juristische Kommission stellte feft:

1. daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine wirt­same Verteidigung nicht möglich ist. Die deutschen  Rechtsanwälte können heute keine unabhängigen Verteidiger sein, um so weniger, als Verteidigung von Kom­munisten als tommunistische Betätigung ver= folgt werden kann. Die von den Angeklagten oder deren Familien gewählten ausländischen Rechtsanwälte sind vom Gericht unter durchsichtigen Vorwänden zurückgewiesen worden.

2. daß Freiheit und Leben der Zeugen, die in diesem Prozeß zugunsten der Angeklagten aussagen würden, sowie das Leben ihrer Verwandten bedroht ist.

3. daß die Angeklagten eine nicht menschen­würdige Behandlung erleiden, die ihnen nicht

tragbar ist. Richtige Gedanken werden von Fanatikern bis zur Selbstaufhebung übersteigert. Was als An. fang Großes versprach, endet in Tragödie oder Komödie. Wir wollen diese Gefahren beizeiten und nüchtern ins Auge fassen, um klüger zu sein als manche Generation der Vergangenheit.

Meine Angst um Deutschland   ist nicht kleiner geworden. Der Sieg vom März war zu leicht, um den Siegern über den Umfang der Gefahr, ihren Ursprung und ihre Dauer die Augen zu öffnen.

Niemand kann wissen, zu was für Formen, Lagen und

Amsterdam  , den 4. September.  ( Inpreß.) Der angesehene hiesige Anwalt Pauwels, der durch die Familie des angeblichen Reichstagsbrandstifters Marinus van der Lubbe   ersucht wurde, die Verteidigung des Ange­klagten zu übernehmen, erklärte Preßvertretern, er halte es für seine Pflicht, seinen Landsmann vor dem Henkerbeil zu retten. Sie haben gesehen, daß mein französischer Kollege und Freund de Moro Giafferi   den Minister Göring  offen beschuldigt, die ganze Brandstiftung inszeniert zu haben. Wenn dies so ist, dann wäre van der Lubbe weiter nichts gewesen als ein bloßes Werkzeug, und der Fall würde sich weit über die Aufgabe eines gewöhnlichen Verteidigers er­strecken und vielmehr eine nationale Frage bilden. Jeden­falls wird es von großem Interesse sein, van der Lubbe per­sönlich auszufragen. Ich werde mich in Leipzig   nicht scheuen, die Wahrheit zu sagen und darauf hinzuweisen, daß in Niederland  , infolge des deutschen   Vorgehens gegen die Juden, in weiten Sereisen Unruhe herrscht hinsichtlich der ge= rechten Führung des Reichstagsbrandprozesses. Durch die antisemitischen Aktionen hat in unserem Lande das Ver­trauen in die Objektivität der Deutschen   zweifellos gelitten. Darum ist es gut, wenn ein niederländischer Verteidiger nach Leipzig   geht."

stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkriege mit unbekannter Verteilung der Mächte und nicht vorauszusehenden militärischen, wirtschaft­lichen, revolutionären- Mitteln und Zielen. Wir haben keine Zeit, uns auf innerpolitische Angelegenheiten zu beschränken. Wir müssen für jedes denkbare Ereignis in Form sein". Deutschland   ist keine Insel Wenn wir nicht unsere Verhältnisse zur Welt als das wichtigste Problemi gerade für uns sehen, geht das Schicksal- und was für ein Schicksal!-er­barmungslos über uns hinweg."

Staatsmänner vom Range Bismarcks

Persönlichkeiten diese Umwälzung führt und was für wären nötig!: Will Herr Göbbels hier nicht sofort Gegenwirkungen sie von außen zur Folge hat.

die

Jede Revolution verschlechtert außenpolitische Lage eines Landes, und allein, um dem gewachsen zu sein, sind Staats. männer vom Range Bismarcks nötig. Wir

ROMAN VON IGNAZIO SILONE   der Person des Innocenzo La Legge gegolten habe, sondern

Das Licht

Am 1. Juni 1929," begann der Alte zu erzählen, war Fontamara zum erstenmal ohne elektrisches Licht. Am 2. Juni, am 8. Juni, am 4. Juni blieb Fontamara ohne Licht.

So ging es in den folgenden Tagen, in den folgenden Monaten weiter, bis sich Fontamara schließlich an den Mond­schein gewöhnt hatte. Von diesem Mondlicht bis zum elek­trischen Licht hatte der Ort an die hundert Jahre gebraucht: es war ein weiter Weg gewesen, über Olivenöl und Petroleum. Für die Rückkehr vom Elektrischen zum Mond­schein genügte jedoch ein Abend. Die Jungen kennen die Geschichte nicht, wir Alten aber, wir kennen sie. Wir wissen, daß alles Neue, was wir südlichen Bauern in den letzten siebzig Jahren den Piemontesen zu verdanken haben, sich im Grunde auf zwei Dinge beschränkt: Elektrizität und Zigaretten.

Das elektrische Licht haben sie uns wieder genommen. Die Zigaretten mögen sie behalten. Denn uns hat immer der Tabak genügt.

Als das Licht zum erstenmal ausblieb, brauchte es keine Ueberraschung zu sein, trotzdem war es eine für uns.

Für Fontamara war nämlich das Elektrische zur Natur­kraft geworden; niemand bezahlte dafür, schon seit vielen Monaten nicht. Zuletzt war selbst der Gemeindebote, der regelmäßig die Monatsrechnung mit dem Stempel un­bezahlt" brachte, ausgeblieben. Dabei war dies Papier das einzige Papier gewesen, mit dem wir die Pfeife geputzt hatten. Als sich aber der Bote das letzte Mal blicken ließ, hätte es ihn beinahe das Leben gekostet. Beinahe hätte ihn am Eingang des Dorfes ein Flintenschuß erwischt. Und dies, obwohl er sehr vorsichtig vorging. Er kam nach Fontamara, während er die Männer bei der Arbeit und nur Frauen und Kinder in den Häusern wußte. Er war sehr zuvorkommend und verteilte seine Karten mit einem blöden, mitleidigen Grinsen: Nichts für ungut! Bitte nehmt nur, ein Stüd

Papier   im Hause kann jeder brauchen." Selbst soviel Zuvor kommenheit genügte nicht. Hinterher machte ihm nämlich ein Fuhrmann klar, nicht in Fontamara, denn dorthin setzte er den Fuß nicht mehr, sondern unten in der Kreisstadt, daß der Flintenschuß nicht ausdrücklich ihm, nicht seiner Person, vielmehr der Steuer. Aber wenn die Kugel ihn getroffen hätte, wäre nicht die Steuer, sondern er getötet worden deshalb sollte er nicht mehr kommen und überdies würde ihm niemand nachweinen. Trotz alledem kam ihm niemals der Gedanke, die Fontamaresen einzuklagen. Wenn man Läuse sequestrieren und verkaufen könnte," hatte Innocenzo einmal verlauten lassen, dann ja, dann würde eine Zwangs­vollstreckung ohne Zweifel von größtem Erfolg begleitet sein. Da hierzu jede gesetzliche Handhabe fehle, tönne man nur das Licht sperren."

Das Licht sollte am 1. Januar gesperrt werden, dann am 1. März. Dann am 1. Mai. Am 1. Juni wurde es gesperrt. Die Frauen und Kinder in den Häusern merkten es zuletzt. Aber wir, die von der Arbeit kamen, die in der Mühle ge­wesen und auf der Landstraße heimkehrten, die beim Kirch­hof gewesen und von den Bergen herunterstiegen, die wir in den Sandgruben gearbeitet hatten, dem Bergbach entlang nach Hause zogen, die wir von der Tagesarbeit, von überall her bei langsam sinkender Nacht zurückkehrten, sahen die Lichter der benachbarten Dörfer aufblizen, sahen, daß Fonta­mara dunkel blieb, verschwand, sich verschleierte, umnebelte, mit den Bäumen, den Hecken, den Misthaufen in ein großes Einerlei verschwamm. Und wir begriffen sofort, um was es sich handelte.( Es war eine Ueberraschung und es war doch feine.)

Für die Kinder war es einfach ein Vergnügen. Es gibt so wenig zum Lachen bei uns. Und wenn, dann wird es gründ­lich ausgenutzt. Einerlei, ob ein Motorrad durchrast, sich zwei Esel begatten, oder ein Kamin Feuer fängt.

Im Dorf angekommen, stießen wir zuerst auf General Baldissera, der im Sommer vor seinem Hause beim Schein der Straßenlaterne bis spät in die Nacht die Schuhe flickte. Die Kinder standen um seinen Arbeitstisch herum, hatten ihm Feile, Nägel. Messer, Pech, Faden und Sohlleder durch­einandergebracht, ihm den Kübel mit dem schmutzigen Wasser über die Füße gegossen, so daß er dröhnend auf alle Schutz­patrone der Gegend fluchte und uns gleich fragte, ob er be

ein Auto da fe für das neue Buch des nationalsozia­listischen Modephilosophen veranstalten lassen und es auf den Index des dritten Reiches" setzen? Wir fürchten nur, daß dadurch das erbarmungslose Schicksal" nicht um eine Sekunde zu verzögern ist!

seinem Alter und seinen schlechten Augen verdient habe, daß man ihm das elektrische Licht wegnehme und was sich König Umberto bei einer solchen Gemeinheit wohl gedacht habe.

Nicht so einfach, die Gedanken König Umbertos zu erraten!

Natürlich waren Frauen da, die jammerten. Frauen, deren Namen zu nennen überflüssig ist. Frauen, die vor ihren Haustüren hockten, ihre Kinder stillten, und dabei weh­flagten. Sie klagten über die Lichtsperre, als ob ihr Elend im Dunkeln noch dunkler würde. Wir, Michele Zompa und ich, blieben am Tisch vor der Wirtschaft der Marietta Sorcanera stehen. Gleich darauf kam Jacobo Losurdo mit seiner eben gedeckten Gselin, dann noch. Pontius Pilatus  , mit dem Schwefelkasten auf dem Rücken. Es tamen Antonio Ranocchia und Baldovino Sciarappa vom Beschneiden der Reben und dann kamen Giacinto Barletta, Venerdi Santo, Ciro Zironda, Papasisto und andere aus der Sandgrube zurück. Alle sprachen vom elektrischen Licht, von den Steuern, den neuen Steuern, den alten Steuern, den Gemeinde­steuern, den Staatssteuern und wiederholten dabei immer das Gleiche, weil sich eben immer alles gleichbleibt. In­zwischen aber war ein Fremder dazugekommen. Niemand hatte es bemerkt.

Ein Fremder mit einem Fahrrad. Wer mochte es sein, um diese Stunde? Schwer zu sagen.

Der vom Licht war es nicht. Der von der Gemeinde war es auch nicht. Der vom Amtsgericht erst recht nicht. Es war ein eleganter Jüngling mit zartem glattrasiertem Gesicht, und einem Mündchen wie ein Zuckerherz. Mit der einen Hand hielt er das Rad an der Lenkstange, diese Hand war klein und glatt, wie der Bauch einer Eidechse. Ueber den Schuhen trug er weiße Gamaschen.

Wir verstummten sofort. Uns war klar, daß dieser Bursche mit einer neuen Steuer fam. Kein Zweifel war möglich. Kein Zweifel auch, daß er seine Reise umsonst gemacht und daß seine Papiere demselben Schicksal verfallen würden, wie diejenigen des Innocenzo La Legge. Uns beschäftigte nur noch eine Frage: was für eine neue Steuer mochte das sein? Jeder dachte im Stillen darüber nach. Aber vergeblich. Inzwischen hatte der Fremde schon zwei- oder dreimal mit meckernder Stimme nach dem Hause der Witwe des Helden Sorcanera gefragt. Fortseßung folgt.l