DAS BUNTE BLATT

NUMMER 67= 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

MITTWOCH, DEN 6. SEPTEMBER 1933

Cristoph Martin Wieland Vergilble Briefe

Zum Gedenken seines zweifiundertsten Geburtstages

Der Deutsche   zählt Wieland zu den fünf Größten seiner Literatur, nennt ihn zusammen mit Goethe, Schiller, Lessing und Herder  . Aber er kennt seine Werke nur wenig, und selbst sein unsterblicher Versroman" Oberon" lebt haupt­sächlich durch die Musik Webers, die ihn in der unmöglichen Verballhornung einer Opernhandlung verklärt. In der gro= Ben Reihe von Bänden, die Wielands Romane, Gedichte, Abhandlungen, Uebersetzungen enthalten, ist jedoch so viel Weisheit und Grazie, daß es ein Unrecht ist, diese Köstlich­keiten der deutschen   Vergangenheit als ihr totes Gut zu betrachten. Freilich, die deutsche   Gegenwart mag sie bewußt verachten. Denn Wieland ist alles, was ihr entgegen ist das hat er gemeinsam mit allen jenen, die den wahren deut­ schen   Geist geschaffen haben, der ihm die Liebe und die Achtung der Welt verschaffte.

Christoph Martin  , das Wunderkind  

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Er entstammte einem Pastorenhaus aus Ober- Holz­heim im Gebiet der schwäbischen Reichsstadt Biberach  , wo er am 5. September 1733 geboren wurde. Seine Familie war hier seit Generationen und hatte Bürgermeister- und Predigerposten inne. Christoph Martin  , der Dichter, war ein Wunderkind, begann schon mit drei Jahren Unter­richt zu nehmen, schrieb bald seine ersten Verse und in der Schule entdeckte man in seinen Heften frühzeitig Ueber­setzungen lateinischer Autoren und in seinem Studentenkof­fer die Werke Voltaires   und freigeistiger Franzosen, die er heimlich las. Aber die Umwelt, in der er lebte, brachte ihn zu einer frömmelnden, seraphischen" Weltanschauung, die auch in seinen frühen Werken zum Ausdruck kam. Ein Hel­denepos, das er, ein zaghafter Tübinger   Student, an den damaligen Literaturpapst der deutschen Dichtung, an Bod­mer, nach Zürich   sandte, brachte ihn mit diesem einfluß­reichen Mann in Verbindung. Er zog sogar hin und blieb in Zürich   neun Jahre, Hausgenosse Bodmers und Haus lehrer in vornehmen schweizerischen Familien. Es waren die schönsten Jahre seines Lebens, an die er auch später nur mit Rührung zurückbachte, aber sie waren für sein fünftiges Schaffen bedeutungslos, denn was er hier schrieb und dachte, verleugnete er in der Reife seines Denkens und Schrei­bens; einmal wollte er es sogar in einer förmlichen öffent­lichen Abbitte tun, und seine Freunde mußten ihn daran hindern.

Ratsherr und Prinzenerzieher

Noch als junger Mann wurde er zum Ratsherrn seiner Heimatstadt Biberach   gewählt, dann von der protestantischen Partet zum Kanzleidirektor, und als solcher hatte er sich auch mit dem evangelischen Komödienwesen" zu befassen ( weshalb er wohl in seiner Uebersetzung Shakespeares nur deffen Sommernachtstraum" nicht übertrug, weil die schau­spielernden Handwerker, die darin auftreten, seiner dilet­tantischen Schauspielertruppe allzusehr glichen). Er lebte nun in den unsäglich kleinlichen Verhältnissen einer deut­schen Kleinstadt in der Epoche kläglicher Zerrissenheit Deutschlands  . Aber er versant nicht darin, er beobachtete gut, und diese Jahre schärften sogar seine Gabe zu Spott und Fronie. In mehreren Romanen, die er freilich in grie­chische Gewandung verkleiden mußte, zeichnete er die Spieß bürgerlichkeiten und läppischen Torheiten, die er miterlebt hatte, so in dem Roman über die Stadt Abdera, das für lange Zeit gleichbedeutend mit Schild a" blieb. Eine Ju­gendfreundin, die geistvolle Sophie Gütermann, die sich mit dem Weimarer   Kaufmann La Roche   verheiratet hatte, empfahl Wieland   als Erzieher des jungen Prinzen Karl August  . Und wenn der Weimarer   in der Fülle deutscher  Fürstenhöfe eine seltene, fast einzigartige Rolle spielt, wenn er sich fraß von dem rohen Gesindel unterscheidet, das ab­seits vom wahren Leben seiner Völker bloß seinen Lüsten lebte, so muß man füglich dem Prinzenerzieher Wie­land auch ein Verdienst daran zuschreiben. Nach seinem zehn­jährigen Dienst erhielt Wieland   eine Pension, er würzte den Weimarer Hof mit seinem Wiz, er führte im Kreise seiner geliebten Frau und seiner dreizehn Kinder ein Leben, ganz seinem Schaffen, seiner Freude an den höchsten Genüssen des

Daseins hingegeben, ein Patriarch, von allen geehrt und von allen, die in die thüringische Residenz kamen, besucht. Er starb am 20. Januar 1813.

Der erste Shakespeareübersetzer

" Wieland   ist ohne Widerrede einer der schönsten Geister unter uns", so urteilt Lessing   über ihn. Und Goethe rühmte einige seiner satirischen Dichtungen als wohlgeschlif= sene Edelsteine in der deutschen Literatur". Was ist nun Wielands Eigenart? Sein wandelbarer, entwicklungsfähiger Geist, seine stets wache Aufnahmefähigkeit, seine natürliche Anmut. Er ist in der Reihe der großen Genien, die sich in Weimar   zusammenfanden- so widerspruchsvoll dies flin­gen mag-, der Mann, der auch neben dem Genie Bega= bung   hatte. Mehr als anderthalb Dezennien leitet er " Den teutschen Merkur", und diese blauen Hefte neh­

Von Walter Lindenbaum  

Da liegen sie vor mir, wohl fünfzig Jahre alt, ein Päckchen rosa Liebesbriefe.

Ein Hauch von Veilchendust verbreitet sich und schwängert süß die Zimmerluft. Es ist ein trüber Regentag und mir ist talt. Wer mag sie hier vergessen haben? Sie sind an einen Hans gerichtet, Von einer Paula, die verzichtet. Wo find die beiden? Leben fie? Sind sie schon längst begraben? Die Schrift ift ganz verwischt, man sieht sie faum, Die Briefe lagen stumm in einer Lade. Hat dieser Hans sie achtlos weggetan? Wie schade! Ich sinne nach. Vergangenheit zieht durch den Ranm. Was fümmert's mich, dacht ich mir dann gereizt, Ihr habt gelebt, geliebt, nun müßt ihr weichen. Wir Lebende, wir gehen über Leichen, Und abends hab' ich mit den Briefen eingeheizt.

men nicht bloß die Beiträge Goethes und Herders auf, es Simes" wird boshaft

ging von ihnen eine Fülle von Anregungen aus. Bezeich= nend für Wieland ist, daß er als erster Shakespeares Dra­men aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte, unvollkom men, in Prosa, aber doch war er es, der den Briten   dem deutschen   Leser zum erstenmal nahebrachte. Und neben sei­ner Verehrung für Shakespeare  , der alle dramatischen Re­geln beiseite läßt, liebte er die Klassiker des französischen  Dramas, die sich an die Gesetze des Theaters halten und in strenger architektonischer Form ihre Werke aufbauen. Noch bis in sein Jünglingsalter konnte er die antiken Spra­chen nur unvollkommen und wenig fließend lesen. Dann aber begeisterte er sich so für sie, daß er griechische Autoren übersetzte, und zwar so übersetzte, daß er im Deutschen   wahr­haftig die Grazie, den Wit, die leichte Art wiedergab, die den Urtert erhellen.

Mit Goethe, Kant und den Franzosen  

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Er mochte nicht das kraftstroßende Poetentum seiner Epoche, aber er war es, der allein den in Logik und Sprache eisenharten Heinrich v. Kleist erkannte und nach Gebühr schätzte. Seine wunderbare Meisterung der deutschen Sprache hat ihr Schmiegsamkeit und Geschmeidigkeit gebracht, die für alle Nachwelt vorbildlich ist. Er verehrte Goethe Beweis die enthusiastischen Briefe, die er an dessen Mutter nach Frankfurt   schrieb-, er verstand Kant   und blieb selbst ein sinnenfreudiger Dichter, der es sogar gelten ließ, daß man ihn frivol" nannte. Durch diese Frivolität" seiner Werke hat er deutsche   Winkelsouveräne und Adelige für die deutsche   Literatur interessiert, ihre damals unumgängliche Unterstützung für sie erlangt, da ja bekanntlich die deutschen  Landesherren das Deutschtum seit jeher in der Zeit seiner geistigen Kämpfe, wie in der seiner geistigen Blüte zumeist verachtet haben. Das ganze neue Deutschland  ", sagte der alte Goethe, verdankt Wieland   seinen Stil. Und solange Poesie Poesie, Gold Gold und Kristall Kristall bleiben wird, wird der Oberon" so schrieb der junge Goethe bei dem Erscheinen dieses in kunstvolle Verse und Reime gegossenen Abenteuerromans, als das Meisterstück deutscher Kunst geliebt und bewundert werden."

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Die Jünglinge des Göttinger Haines, eines Stu dentenbundes, der in deutscher   Art schwelgte und die Bilder und Schriften Wielands als eines Wollustsingers und Sit­tenverderbers" feierlich verbrannten, waren geistige und sicherlich auch leibliche Ahnen jener Jünglinge von 1933, die Gleiches an den Schriftstellern taten, die ihnen nicht ge= fielen. Noch eines: Wieland   war einer unter den vielen Großen des gefnechteten deutschen Volkes und deutschen Geistes, die die Ereignisse der großen Französischen  Revolution mit unverhohlener Sympathie verfolg= ten. Er sah als kluger, politischer Kopf das Schwert des Cä­sars nahen, das blutig das Errungene zerhauen werde.

Also Sünde genug, daß Wieland   im Deutschland   von heute auch an seinem Geburtstag nicht gefeiert wird. Der Fran­zösling, der Lüstling, der Dichter, der von dem mit einem T geschriebenen Teutschland verbrannt wurde, ist, wie so viele seines Ranges, im Ausland geschäßter, als bei seinem Volke.

,, Belsazar   ward zur selbigen Nacht...

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Das Meneteket der Geschichte Belsazar   die Geschichte erwähnt ihn als den letzten Chaldäer- König in Babylon  . Er selbst nannte sich den König der Könige, den Herrn der Welt. Wie so viele große Kleine und kleine Große" vor ihm und nach ihm, glaubte er zu regieren und war doch nur ein Spielball in der Hand des unerbittlichen Schicksals, das ihn erhob und bald darauf wie­der zertrat wie der achtlose Fuß einen Wurm zerquetscht

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wie man ein Licht auslöscht.

Gäsarenwahn, eine Erkrankung des kleinen Gehirns, be­fällt bereits manchen, wenn ihn nur ein Ameisenhügel über seine Umgebung erhebt, und mehr noch den, der im Glanze der Macht Millionen vor sich im Staube liegen sieht.

Cäsar Belsazar muß Siege feiern, wenn ihm auch nur ein anderer den Sieg in die Hände gespielt hat. Sein Vorgänger Nebukadnezar   hatte Juda unterworfen. Man hatte gründ­liche Arbeit geleistet nach der Art jener Zeit. Dem Juden= könig hat man die Augen ausgestochen. Ueber die anderen Heldentaten schweigt man lieber. Ja, die Krieger jener Zeit waren noch echte Krieger, unverdorben durch das weichliche Christentum. Erst die christlichen" Völker erleuchtete das Wort des größten Sohnes Judas  : Liebet eure Feinde!

Belsazar   feiert Feste. Das Volk vergißt dabei die Oede des Alltags und glaubt, im Vorsaal des Himmels zu sein. Und bei dem Weihrauch, den das Volk ihm streut, betäubt er die Zweifel in der eigenen Brust und glaubt den andern, daß

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er der lange erwartete Messias set, der das goldene Zeit­alter wiederbringt. Darum, morgen wieder lustik".

Dem Volke muß man zeigen, daß man Macht hat, die Feinde zu zerstreuen. Mögen die Sklavenseelen im eigenen Volke zittern, wenn man es wagt, selbst die Götter des Be­siegten zu verhöhnen. Heiligtümer der anderen braucht man nicht zu achten, besonders wenn es Heiligtümer eines ver­achteten Volkes sind.

Das ist nicht recht? Wer wagt es zu sagen, daß das nicht recht ist! Der Cäsar bestimmt, was Recht und was Unrecht ist. Denn er hat die Macht.

Belsazar   läßt die heiligen Geräte, die Jahre geweiht waren, die die Priester nur in größter Ehrfurcht berührten, holen, um sie zu entehren. Mit seinen unsauberen Lippen entweiht er das Heiligtum: Dir, Jahwe, zum Hohn!

Warum erbleichst du, Belsazar- König der Könige?

Ist der Augenblick da, in dem der Schleier fällt von dem geheimnisvollen Bild zu Sais? Ist das der Moment, in dem feder Sterbliche den Sand im Stundenglas der Zeit fallen hört Körnlein um Körnlein?

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Keiner sieht es nur du. Keiner weiß es nur du- allein. Es gibt kein Entrinnen. Die Stunde ist da. Belsazar  , siehst du die Flammenschrift?

Bitter.

Ein englischer Naturforscher erzählt etwas vom Hitlergruß Die italienischen Faschisten behaupten, der Faschismus set altrömisch, die Nazi, er sei altgermanisch. Der englische   Na­turforscher Hestreth Bell weiß aber in einem Brief an die Times" von einem anderen Ursprung dieser heldischen Begrüßunsart zu berichten. Er erzählt, daß

vor fünfundzwanzig Jahren in den afrikanischen Urwäldern von Uganda   einen mächtigen Schimpansen fing und ihn durch seine Leute an die Küste trans­portieren ließ. Der Affe zertrümmerte seinen Käfig, und die Neger mußten ihn an einem Pfahl gefesselt befördern, so daß der arme Affe am ganzen Körper zerschunden bei Bell anlangte. Diese Mißhandlungen machten auf den Affen einen solchen Eindruck, daß er, wann immer er einen Neger sah, in unbändige Wut geriet. Dagegen gewann er Bell lieb und begrüßte ihn freudig, sobald er sich dem Käfig näherte. Und, merkwürdigerweise war die Form der Begrüßung etwa die, von der der Naturforscher später erfahren sollte, daß es der Faschistengruß sei. Der Schimpanse hob seinen rechten Arm mit ausgestreckter Hand in die Höhe, ganz wie Hitler  ... Es ist also möglich schließt der englische   Naturforscher, daß der faschistische Gruß gar nicht von den alten Römern stammt, sondern die anerkannte Be­grüßungsform unserer weitläufigen Verwandten war, die die dunklen Wälder des tropischen Afrika   bevölferten."

Die Zigeuner  

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halten einen Kongreß ab

Die wandernden Zigeuner Siebenbürgens   haben beschlossen, einen Kongreß in der Gemeinde St. Martin in Norden Siebenbürgens   abzuhalten. Die Kongreßteilnehmer haben bereits begonnen, in großen Scharen zu Fuß, in Wagen und sogar in eigenen Autos nach dem Kongreßort abzugehen. Die Karawanen sind so zahlreich, daß mit einer Teilnahme von über 5000 Zigeunern gerechnet wird. Die Zigeuner haben bereits ein Lager errichtet, das einen Umfang von fünf Kilometer hat. Ueber den Zweck der Einberufung gab die Kongreßleitung bekannt, daß es sich um die Unter­suchung der Lage der von der Krise schwer betroffenen wan­dernden Zigeuner handle und daß der Kongreß von der Regierung bewilligt wurde.

Geschichten um Musiker

Max Reger  , der berühmte Komponist, wurde einst von einer befreundeten Familie zur Kindtaufe geladen. Der Künstler ungeheure Portionen, besonders von dem Ka­viar. Die junge Frau freute sich über den Appetit ihres be­rühmten Gastes und versprach ihm, daß er bei dem nächsten Kind ein ganzes Fäßchen Kaviar erhalten sollte. Nach unge­fähr zwei Jahren erinnerte sich Reger wieder des großzit­gigen Versprechens. Mitten in der Nacht läutete ein Bote und überraschte das Ehepaar mit einem Telegramm Regers folgenden Inhalts: Faule Bande, wo bleibt mein Kaviar?"

Mischa Elmans Vater wurde gefragt: Warum spielt Ihr Sohn fast gar nicht mehr in Europa  ?"- ,, Wissen Sie," sagte der Alte, Joachim ist tot, Sarasate   ist tot, Isaye ist gestorben, Vescey geht in ein Kloster, Kreisler spielt wenig, Huberman nur noch ganz selten, gegen wen soll der

Junge spielen?"

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Was sagen Sie: Der große Geiger Frizz Kreisler hat fast sein ganzes Vermögen armen Kindern und notlei denden Musikern geschenkt!" Das ist noch gar nichts! Sein Kollege, der Geiger Cb., hat sein ganzes Geld der Witwe des unbekannten Soldaten vermacht!"

Der junge Doktor W. hat sich niedergelassen. Eine sehr vornehme Praris will er sich schaffen, aber auf keinen Fall darf das mit großen Spesen verbunden sein.

Immerhin macht er den ersten Anlauf und wird Mit­glied eines Golfklubs. Der zweite Schritt ist ins Sportge schäft, um die Spielrequisiten zu erstehen. Auf die Bälle bitte, meinen Namen", ordnet er an, Wurzbacher, bitte!" - ,, Sehr wohl, werter Herr, Vorname noch oder so?" ,, Nein, der Vorname ist nicht nötig, aber sehen Sie noch Dr. med." hinzu und dann darunter, bitte," Sprechstunden von 10 bis 4"."

Widerlegt

Sie: Alle Welt sagt, daß wir verlobt seien." Er: Was tut das, da doch niemand daran glaubt?" ( Matin")