Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Nummer 68-1. Jahrgang Saarbrücken  , Donnerstag, den 7. September 1933 Chefredakteur: M. Braun

Kanaille bleibt Kanaille und der Antisemitismus ist die Gesinnung dieser Kanaille. Es ist eine schauerliche Epidemie, wie die Cholera.

Theodor Mommsen  .

Die Abrüstung hoffnungslos!

Eiserner Ring um Deutschland  - Die französisch- englisch- amerikanischen Verhandlungen Rußlands   Anschluß an dic curopäischen Mächte?

D. F. Der amerikanische   Delegierte für die Abrüstungs­Konferenz, Norman Davis  , ist in Plymouth   eingetroffen. Die Abrüstungsverhandlungen kommen zunächst inoffiziell wieder in Gang, um noch im Laufe dieses Monats in Genf  offiziell fortgesetzt zu werden. Zwischen Paris   und London  werden seit Tagen eindringliche amtliche Erörterungen ge­pflogen, um zu einer Einigung gegen Deutschland   zu tommen.

Unter Hitlers   in der Wirkung deutschfeind­licher Außenpolitik ist die Abrüstungskonferenz so gut wie hoffnungslos geworden. Hitlers   gesuchten Friedens­reden stehen die Märsche und Paraden halb militärisch organisierter Massen entgegen, die fast Sonntag für Sonn­tag zu großen Kundgebungen zusammengezogen werden. Etwas Aehnliches zeigt kein Volk Europas  . Auch wenn diese Aufmärsche von einem anderen Geist erfüllt wären, als fie es tatsächlich sind, würden sie die Nachbarvölker beun­ruhigen. Zu den Märschen kommen aber Kriegsfanfaren von Unterführern des Reichskanzlers. Wurde schon die Niederwaldkundgebung, die doch auch für den wohl­wollendsten Beurteiler die Front gegen Frankreich   gerichtet hatte, von jedem vernünftigen Außenpolitiker als Deutsch­ lands   Interessen abträglich empfunden, so erregte die drohende Kriegsrede dez preußischen Staatsrats Simon europäisches Aufsehen. Bis zu dieser Stunde hat Staatsrat Simon seine Rede, die ein Eroberungsprogramm rings um die jeßigen Grenzen Deutschlands   aufstellte, nicht dementiert. Auf schwächliche Ableugnungsversuche des Bundes der Saarvereine hat der Saarländische Sozialistenführer Max Braun   in einer Form geantwortet, die eine gerichtliche Klärung herbei­

führen sollte. Der nationalsozialistische preußische Staatsrat Simon schweigt weiter und die gleichgeschaltete Journalistik mit ihm. Nahezu hundert Zeugen find für das kriegerische Programm des Nationalsozialismus vorhanden.

Die Alarmmeldungen in der europäischen   Presse häufen fich. Die Nationalsozialisten und Stahlhelmer selbst liefern durch ihre militärischen Vorbereitungen das Material und die deutsche   Rüstungsindustrie legt Wert darauf, der Welt in steigendem Maße Beweise über Aufrüstung vorzulegen. Auf diesem Boden der Tatsachen erwachsen dann Meldungen, wie die des Sunday Expreß  ":

Hitler   hat beschlossen, den polnischen Korridor an sich zu reißen, noch bevor das Jahr 1937 erreicht wird. Er hofft, bis 1936 eine geschlossene, scharf disziplinierte und triegsmäßig ausgebildete Armee von eineinhalb Mil lionen Mann zu seiner Verfügung zu haben."

Um nur eine französische   Zeitung zu nennen: Die Straßburger Neuesten Nachrichten" unter­suchen die Frage, innerhalb welcher Fristen die des Aufrüstung friegsmäßige britten Reichs" auf einen Stand geführt sein kann, der es zum Losschlagen befähigt. Das Blatt meint, Deutschland   habe den Vorteil, daß es kein über­altertes Kriegsmaterial befize. Was die Flugzeuge anbe­treffe, so lasse die ultramoderne Type D. 700" alle be= fannten Kriegsmaschinen der modernen Luftmächte hinter sich.

"

Ein volles Jahr für die kriegsmäßige Bereitstellung

rußland   hat mit Polen   freundschaftliche Beziehungen rußland   hat mit Polen   freundschaftliche Beziehungen angeknüpft. Hitlers   würdelose Anbiederung an Pilsudski  und die Unterwerfung der Danziger   Nationalsozialisten unter Polens   Ansprüche sind fruchtlos geblieben. In diesen Tagen ist der Abschluß des sowjetrussisch- italieni schen Freundschaftspattes gemeldet worden. Der russische Botschafter in Berlin  , Tschinschuf, ist nach Rom   gereist, um über Einzelheiten dieses Ab­kommens mit Mussolini   zu konferieren. Während Hitler   sich dem lächelnden Europa   als der große athletische Bezwinger des Bolschewismus vorstellt, tauscht Hitlers Protektor, Herr Mussolini  , den Freundschaftsvertrag mit ber bolschewistischen russischen Regierung aus und schüttelt dem bolschewistischen Botschafter bei der Regierung Hitler   freundschaftlich die Hände.

Mehr noch: Die Reise Tschinschuks hat anscheinend auch den Zweck, durch die Vermittlung Mussolinis die Aufnahme Sowjetrußlands in den Viermächtepatt vorzubereiten. Ja, man munkelt sogar, daß Herr Hitler  , der furchtbare Bolschewistenschreck, sich in seiner Verlassenheit um einen deutsch   russischen Nichtangriffspatt bemüht. Damit wäre dann die letzte innen- und außenpolitische These, erledigt, nämlich die des Bollwerks gegen den Bolschewis­mus, deren sich Hitler   rühmt.

In Holland  , in der Schweiz  , in der Tschecho=

flowakei, in Rumänien  , in Dänemart, in den

skandinavischen Ländern, in Spanien  : überall wächst und verschärft sich die Stimmung gegen Hitler Deutschland, gegen die Barbareien in diesem Deutschland  , insbesondere gegen den Antisemitismus. Daß diese Stim­mungen vielfach auch wirtschaftliche Hintergründe gegen Deutschland   haben, macht sie noch gefährlicher.

In Nordamerika   hat das neue Deutschland   in jeder Beziehung weithin verloren, in Mexiko   und in Süd­ amerika   nicht minder.

Der totale nationalsozialistische Staat hat also mit totaler außenpolitischer Unfähigkeit unser deutsches Land in die Totalität einer furchtbaren Vereinsamung hineingeführt. Während die Reichsregierung ihren blutigen Krieg gegen ihre Feinde im Innern führt, während sie die Schrumpfung der deutschen   Wirtschaft durch verlogene Sigesberichte über den Stand der Arbeitsschlacht zu vertuschen sucht, während

fie sich und das Volk durch Feste über Feste betäubt, siebt

sich politisch, wirtschaftlich und geistig ein Ring um Deutsch­ land  , den nur ein freies Volk mit einer freien, starken und friedlichen Regierung sprengen fann.

Rüstungskontrolle!

5 And 2

Wie wird sich England verhalten? Paris  , 6. Sept. Die Pariser Presse berichtet überein stimmend aus London  , daß nur der Unterstaatssekretär im

Foreign Office Hauptmann Eden bei den Pariser Bes sprechungen England vertreten werde und daß diese lediglich die Abrüstungsfrage zum Gegenstand hätten. Der Londoner  Korrespondent der Havasagentur hält es für unwahrs icheinlich, daß die englische Regierung ihre Ansicht über die automatische Rüstungs= kontrolle bereits geändert habe, obwohl fie durchblicken lasse, daß ein Entgegenkommen Frankreichs   in der Abrüstung England zu Konzessionen in der Kontroll= frage veranlassen könnte. Im gleichen Sinne meldet Petit Parifien" aus London  , Hauptmann Eden werde der frans zösischen Regierung erklären, daß die englische Regierung den französischen   Vorschlag einer Rüstungskontrolle, die in einer halbjährlichen Investigation bestehe, nicht a priori abs lehne, jedoch näheren Aufschluß über die Anwendung des französischen   Planes verlange und vor allem zu wissen wünsche, welche weiteren Konzeffionen Frankreich   in der Abs rüstungsfrage zu machen bereit wäre, wenn sein Vorschlag einer obligatorischen periodischen Rüstungs= enquete angenommen würde. Der Korrespondent dieses Blattes hält es für wahrscheinlich, daß Norman Davis  , von dem die französische   Preffe behauptet, er habe die Au weisung seiner Regierung, den franzöfifchen Kontrollpina 31 unterstützen, und womöglich sogar ein Vertreter Italiens   z den Besprechungen hinzugezogen werden.

Ja oder nein?

Die Frage an Deutschland  

Paris  , 6. Sept. Das radikale Deuvre" schreibt: Wiri Deutschland ja oder nein dazu sagen, daß mili. tärische Fachleute für alle Waffengattungen in ihre Eigenschaft als Sachverständiger des Völker. bundes in Deutschland   die Untersuchung durchführen, während deutsche   Fachleute sich vergewissern, daß man weder in Frankreich   noch in Polen  , noch in den Vereinigten Staaten  , noch sonstwo Angriffs vorbereitungen verberge?

Ungarn   soll uns retten

Auch das wird Papen   noch verekeln

91119

Berlin  , 5. Sept. Wie von zuständiger Stelle zu Meldungen, die heute nachmittag aus Budapest   vorlagen, mitgeteilt wird, trifft es zu, daß Vizekanzler von Papen beabsichtigt, im Herbst dieses Jahres der ungarischen Regierung einen offiziellen Besuch abzustatten. Der Termin für diese Reise des Vizekanzlers nach Budapest   ist noch nicht bekannt.

ES

Hindenburg  - Löbe

anzunehmen, ist wahrscheinlich ein Fehlgriff, in Wirt: Wortbruch oder Ohnmacht des Reichspräsidenten?

lichkeit wird mit einem früheren Termin gerechnet werden müssen."

In Deutschland   liebt man es, sich als die verfolgte Un­schuld zu betrachten. In der Politik entscheiden aber nun einmal Tatsachen, zu denen auch die freundlichen oder un­freundlichen Stimmungen der Völker gehören. Unter­suchen wir, welchen außenpolitischen Konstellationen sich Deutschland   auf der Abrüstungskonferenz gegenübersteht: Es findet ein gewisses Wohlwollen bei Italien  , aller­dings das Wohlwollen eines Ueberlegenen, der je nach dem Verhalten seines Vasallen Lobsprüche oder Ohrfeigen aus­

Seit Monaten ist der langjährige deutsche Reichstags präsident und Politiker von Weltruf Paul Löbe   durch die Reichsregierung seiner Freiheit beraubt. Der in vor gerückten Jahren stehende Mann arbeitet in einem Kon­zentrationslager unter dem Kommando von jungen SA.­Leuten. Seine Gesundheit war schon seit Jahren schwach. Bei längerem Aufenthalt im Konzentrationslager sind schwerste gesundheitliche Störungen zu befürchten.

In der begreiflichen Sorge um ihren Mann hat sich

Ein Mann

-

ein Wort." Aber Löbe ist noch immer eingesperrt, obwohl sich der Reichspräsident seit langen Wochen für seine Befreiung einsetzen wollte. Hat er wirk­lich an den Kanzler geschrieben? Was ist ihm geant­wortet worden? Jst Hindenburg ohnmächtig gegenüber dem Reichskanzler oder der Reichskanzler ohnmächtig gegenüber Göring  ? Oder nimmt Hitler   Rache an Löbe  ,

teilt. Zu Oesterreich   steht Deutschland   in einem Ver- Frau Löbe   vor einer Reihe von Wochen an den Reichs weil dieser sich sehr aktiv für die Wiederwahl Hinden

hältnis, das nahe an den Kriegszustand grenzt. Das Ver­trauen in England ist so gut wie ganz verloren. Das englische Volk beinahe ohne Ausnahme verabscheut die anti­semitisch- germanistische Fraze, die ihm das neue Deutschland  zeigt. Daß Frankreich   bei aller äußeren Ruhe sich in einer antideutschen Stimmung bewegt, die sogar ernster und wachsamer ist als im Juli 1914, weiß alle Welt. Sowjet­

präsidenten gewandt. Er hat ihr geantwortet:

Ich bedauere die Verhaftung Ihres Gatten außer ordentlich. Sie können versichert sein, daß ich nach wie or feinen 3weifel an der Integrität des Herrn Löbe habe. Ich habe mich für die Freis laffung mit dem Herrn Reichskanzler in Verbindung gesezt,

burgs eingesetzt hat?

Beinliche Fragen für das deutsche Regierungssystem und seine führenden Männer. Löbe mag als Märtyrer im Konzentrationslager zusammenbrechen. Er ist und bleibt ein Ehrenmann, aber was sind die anderen?