DAS BUNTE BLATT
NUMMER 68- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE DONNERSTAG, DEN 7. SEPTEMBER 1933
Der Verbrecfier
Auf der„ Straße des ersten Mai" steht vor seiner erotischen Schaubude der Tierzüchter Georg Burger und zieht aus einer Büchse Giftschlangen, aber nur den Tieren giftig, Riesenschlangen, aber bunt gemustert, und moderne Schlangen, dick und gefräßig, aber den Taschen der Damen nüßlich.
" Dieses Krokodil ist noch zierlich, aber drinnen das Krokodil ist drei Meter lang und hundertzwanzig Jahre alt und höchst gefährlich! Sehen Sie sich die Affenmutter an, die ihre Jungen säugt, hier sehen Sie die reinste Affenliebe, treten Sie ein, meine Herrschaften, Eintritt fünfzig Groschen, Kinder die Hälfte!"
Der kleine Georgie steht neben seinem Vater, dem Tierzüchter, und sieht ihn bewundernd an. Wie Spagatschnüre hält er die Schlangen in der Hand, Jungens gaffen mit offenem Mund. Georgie ist so begeistert, daß er nicht einmal sieht, wie sich die Zuschauer drücken und weitergehen und wie fummervoll sein Vater ihnen nachblickt, denn die Zeiten sind schlecht. Davon ahnt Georgie nicht das geringste, wie sollte er auch, wenn der Tierzüchter Georg Burger seinen Jungen nichts von seiner Armut merken läßt, und wir werden gleich sehen, wie er es machte.
Georg!" sagt Georgie träumerisch( er nannte seinen Vater beim Namen), läßt du mich heute mit der Bergbahn fahren?"
„ Mit der Bergbahn, Junge! Habe ich dir denn nicht aus der Zeitung vorgelesen, ach nein, mit der Mutter hab' ich es gelesen, daß die Bergbahn gestern entgleist ist? Zwanzig Personen sind hinuntergefallen! Nicht einmal in die Nähe sollst du gehen, sonst fällt nächstens einer auf dich!"
Und das Geisterschloß?"
" Das Geisterschloß! Was da für Gespenster drin sind und böse Teufel und Totenköpfe und Drachen und Messerstecher! Alles aus Holz, natürlich, aber man erschricht doch fürchter lich. Heute haben sie eine alte Frau herausgetragen, weil sie ohnmächtig geworden ist!"
„ Und was wird mir geschehen, wenn ich im elektrischen Automobil fahre, Georg?" Georgie genoß es bereits.
" Im elektrischen Automobil! Kannst du dich an den Automaten erinnern? Na also, das war nur ein kleiner Schlag, das Automobil reißt dich durch den ganzen Körper." Und die Schießstätte, Georg?"
" Vorige Woche ist ein Bolzen zurückgeprallt und einem Jungen direkt auf die Nase. Jetzt läuft er mit einer geschwollenen Nase herum."
,, Und das Riesenrad?" Georgie sah staunend auf die guten Augen seines Vaters.
" Jeber dritte Junge muß während der Fahrt aufs Dach steigen, das ist Bedingung, da geh nur nicht hinein, aber jetzt mußt du fort, mein Junge, die Arbeit beginnt. Meine Herrschaften! Bei uns sehen Sie den einzigen fliegenden Hund Europas !"
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Fliegender Hund heißt doch der Indianerhäuptling, dachte Georgie und flog davon. Vor dem Geisterschloß blieb er stehen. Vier dicke Frauen berieten, ob sie eintreten sollten. " Da gehn Sie nur ja nicht hinein," sagte Georgie,„ da hat heut ne alte Frau der Schlag getroffen! Gleich war sie tot!" Erschrocken liefen die Frauen fort.
Die Hände in den Hosentaschen, wand fich Georgie anmutig durch die Menge und ging zur Bergbahn. Da stand schon die ganze A- Klasse von der ersten Hauptschule und wollte hinein. Die B- Klasse hatte Strafe.
" Da fahrt überhaupt nicht mit," sagte Georgie geheimnisvoll," hundert sind gestern abgestürzt, ganz blutig waren sie, einige sind auf mich gefallen!"
Von Veza Magd
Der Präfekt, der die Karten lösen wollte, stand ganz erstaunt, daß die Jungen sich plötzlich drückten, erst hatten sie ihn mit der Bergbahn gestürmt.
Wo sollen wir denn fahren, Georgie?" fragte Peterheinz. Georgie sah ernsthaft drein. Na, mit der Grottenbahn," schlug er vor, denn über die hatte Georg nichts gesagt.
So kam die alte verstaubte Grottenbahn zu Ehren und der alte verstaubte Besizer an der Kasse wachte auf. Georgie aber ging ruhig mit den Jungens hinein und bald stimmte es dem Herrn Präfekten, der nachzählte, bald fand er einen zuviel, aber Georgie rutschte mit.
,, Bist du nicht vielleicht der Georgie Hacker, der das Tagebuch eines bösen Buben geschrieben hat?" fragte ihn Peterbeing.
" Ich heiß überhaupt nicht Hacker, sondern Burger, wie Georg, der hat eine furchtbar schöne Tierschau, da is ein Krokodil, so groß wie die ganze Grottenbahn, da dürft ihr nicht die Hand hinhalten, das frißt euch alle auf. Jeden Tag nicht die Hand hinhalten, das frißt euch alle auf. Jeden Tag schluckt es einen Hasen!"
Der Tierzüchter Georg Burger war ganz überrascht, als er sein Söhnchen mit einer langen Schlange Jungens ankam, die auch richtig zahlten, bloß mit einer kleinen Ermäßigung, weil es so viele waren. Nach der Tierschau schmuggelten sie den Georgie ins Kino ein.
Das Kinostück hieß„ Emil und die Detektive ", aber es hatte schon lange begonnen, und so saben sie die Mitte zuerst. Plöblich entstand Lärm unter den Zuhörern. Eine herausgeputzte Frau stand in ablehnender Haltung vor einem Mann, der hilflos um sich blickte und keinen Halskragen trug. Er war Georgie gleich sympathisch, denn Georg sagte immer, ohne Kragen, das ist keine Schande, eine Schande ist es höchstens reich zu sein. Der Programmverkäufer trat auf den Mann zu und forderte ihn auf wegzugehen.
Ich bin erst vor einer halben Stunde gekommen," wiederHolte der Mann, es war ihm anzusehen, wie sehr er sich die Kinokarte vom Mund abgespart hatte.
" Auf Ihrem Billett steht fünf Uhr, Sie müssen gehen!" „ Er ist doch mit uns zusammen hinein!" rief jetzt Georgie aufgeregt, er hauchte noch ein bißchen beim Sprechen, denn er war noch ein sehr kleiner Junge.
Der Diener beachtete ihn nicht, der Mann rührte sich nicht vom Platz, die gepuzte Frau wartete feindselig, da erschien der Direktor, der an der Kasse gesessen hatte.
„ Schauen Sie, daß Sie rauskommen!" brüllte er den Mann ohne Kragen an und Georgie tat das Herz weh, wie der sich umsah und niemand ihm beistan
" Bitte, er soll meine Karte haben!" rief jetzt Georgie, so kräftig als es aus seinem schmalen Körper herauskonnte. Die Jungens sahen ihn bewundernd an. Aber gleich erschrad eingeschmuggelt worden! Er wurde feuerrot. er. Er hatte doch keine Karte, er war doch von den Jungs
" Die Billette sind nicht übertragbar," sagte zum Glück der Programmverkäufer und der Direktor rüttelte den armen Menschen an der Schulter und stieß ihn hinaus. Das Publikum zischte Beifall.
„ Er ist doch mit uns zusammen herein," sagte Georgie zu den Jungen, mit einem drohenden Blick auf den Direktor, ich bleib überhaupt nicht, Jungs, Georg sagt immer, die Verbrecher braucht man nicht erst unten suchen!"
Das Publikum lachte, aber Georgie machte sich nichts aus den Leuten, er schüttelte Peterheinz und den anderen Jungen die Hand und verließ das Kino mit Siebenmeilenschritten.
Der Mann auf der Leiter
Einundfünfzig Jahre ist der Grazer Maler und Anstreichergehilfe Franz Schaffler alt. Er hat eine Frau, er hat Kinder, aber er hat keine Arbeit. Aber Franz Schaffler will essen, seine Frau und seine Kinder brauchen Brot. Und da ist Franz Schaffler auf seine alte, treue Malerleiter gestiegen, und hat einen langen Weg auf ihr angetreten. Nicht Mauern entlang, die angestrichen werden sollten. Viel länger war sein Weg: von Graz bis Budapest ist er auf seiner Leiter gegangen, 565 Kilometer weit. Einen Kilometer in der Stunde hat Franz Schaffler geschafft, 565 Stunden lang hat er sich vorwärts- ,, geleitert", vierzehn, sechzehn Stunden im Tag. Frau und Kinder gingen nebenher. Achtzehn Kilo hat Franz Schaffler auf dieser Wanderung abgenommen. Seine Leiter ist um eine Sprosse kürzer geworden dabei, seine Beine sind schwer frank, gefascht, entzündet.
Er hat es nicht aus Sportehrgeiz getan. Franz Schaffler gehört nicht zu denjenigen, die aus Narrheit hundert Stunden auf einem Baum sizzen oder den Weltrekord im Weitspuden um einige Zentimeter überbieten wollen. Franz Schaffler hat nur irgend etwas tun wollen, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, um ein bißchen Geld zu verdienen. Unterwegs bekam er Essen, konnte er ein paar Ansichtskarten mit seinem Bild verkaufen. In Budapest konnte er fein Geschäft machen; man hatte ihm nicht erlaubt, in die Stadt hineinzuleitern. Das österreichische Konsulat gab dem Enttäuschten eine Fahrkarte nach Wien . Und nun ist Franz Schaffler ins Wiener Fürsorgeamt gekommen, damit man ihm Geld für die Fahrt nach Graz gibt. Wenn er wieder gesund ist, will er weiterleitern. Dieses Mal nach Paris . 1184 Kilometer, hundertzwanzig Marschtage. Vielleicht trägt es dort ein bißchen etwas.
Franz Schaffler ist nicht der einzige, der auf stelzenden Leiterbeinen der Not entrinnen wollte. Da ist einer, der von Wien nach Graz so gewandert ist. Ein anderer ist von Graz rach Salzburg geleitert". Und da sind die vielen anderen, die es auf irgendeine andere Art versuchen. Da ist jener Chauffeur, der sich„ Marathon" nannte, und auf den Händen
von Graz nach Wien zog. Da ist jene junge deutsche Schwimmerin, die in den Tod getrieben wurde und die ihr Leben opferte in der Hoffnung auf den materiellen Erfolg eines Weltrekords. Da sind die beiden jungen Wiener , die in Gummibooten den Atlantik selbstmörderischer Wahn
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wit! durchqueren wollen, um eine Prämie von 50 000 Dollar zu erhalten. Da sind die zehntausende Unbekannten, die die Landstraßen Europas abgehen, getrieben vor irgend einer vagen Hoffnung, ein paar Bissen Brot ergattern zu tönnen. Da sind die Jungen, die auf selbstgezimmertem Kahn donauabwärts wollen, nach Konstantinopel , nach Abessinien, weiß Gott wohin. Da sind die drei jungen Menschen, die vor turzem in unserer Redaktion waren und erzählten, daß sie hich singend und musizierend bis nach Brafilten durchschlagen wollen. Da sind die Schwarzfahrer, die, auf Waggonachsen tauernd, zwischen rasenden Rädern und zwischen Tod und Leben irgendwohin fahren. Da sind... nein, es ist nicht möglich, fie alle aufzuzählen.
Abenteurersucht? Sportwahnwit? Nein. Hunger ist es, 1 ackter Hunger, der arme Teufel verleitet, Leben und Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Vielleicht gibt es doch irgendwo und irgendwie irgendeine Möglichkeit... So denken ihre zermarterten Hirne. Und das Knurren des Magens ist die Begleitmusik zum Start. Ihnen allen wäre ganz ge= wöhnliche, ganz unromantische, ganz normale Arbeit viel, viel lieber.
Eine ungeheure Menge von Energie, von Jugendkraft verpufft da. Anstrengungen, vernünftigerer Leistung würdig, werden gemacht weil es feine Arbeitsmöglichkeit gibt. Tausende raffen sich zu irgendeiner Sinnlosigkeit auf, um der Untätigkeit zu entrinnen..
Als Franz Schaffler auf seiner Leiter ging, von Graz bis Budapest , hat so mancher, der ihn gesehen hat, gesagt: „ Schauts! A Narrischer!" Irrtum. Franz Schaffler ist ganz normal. Aber die Welt, in der er, in der wir alle leben müssen, die ist närrisch. Hoffnungslos närrisch...
Die Woge
Donnernd rollt fie, fingeno manmi ne, tommt heran mit wildem Krachen, tommt von weither aus der Ferne und wird hier zu Grunde gehn. Schwer auf stöhnt sie vor der Brandun doch dann stürzt sie mutig vor, dröhnend hebt sie sich zur Drohung fällt zusammen, ist nicht mehr. Ihre Kinder eilen spielend auf den Strand und aufs Geröll. Niemand ahnt bei ihrem Anblid, wes Kaliber Mutter war.
Denn von einstger Größe sprechen weder Staub noch zengen Enkel Diese war und ist gewesen, Zukunft gehört andern Wogen.
Die Not der
" L'Intransigeant" veröffentlicht den bisher aus inner politischen Gründen geheim gehaltenen Bericht eines hoher Beamten am Arbeitsministerium, Rosier, über die Not des französischen intellektuellen Jugend; wir entnehmen ihm folgende Ziffern:
Unter Ausschluß der großen Schulen"( Polytechnikum Centrale , Navale, St. Cyr usw.) waren im Juli 1933 an der französischen Universitäten 85 000 Studenten eingeschrieben die Fremden nicht eingerechnet; 25 000 entfielen allein au die Rechtsfakultäten, gegen 9000 im Jahre 1900. Der An drang zu den Wettbewerben der„ Grandes Ecoles ", die eine staatliche Anstellung mehr oder weniger verbürgen, wai demgemäß ungeheuer.„ Polytechnique" zum Beispiel ver zeichnete 1390 Anwärter für 180 verfügbare Pläße, die Kolo nialschule 400 Kandidaten für 25 Plätze, die Seeschule 500 Be werber für 60 Pläße. Die ehedem so berühmte" Lizenz", dem deutschen Doktorat entsprechend, hat kaum noch einen praktischen Wert; die Inhaber melden sich bei den öffent lichen Arbeitsvermittlungsämtern zusammen mit dem Heer der jungen Leute, die nicht einmal das Abgangszeugnis der Volksschule besitzen. Noch höhere Diplome, das Doktorat, die„ Agregation", das Abgangszeugnis der obersten franzö fischen Ingenieurschule ( Centrale), verleihen ebensowenig Aussicht auf irgend einen Broterwerb; die Erbitterung der intellektuellen Jugend Frankreichs , der Staat und Gesell schaft nicht einmal mehr den nackten Lebensunterhalt gewährleisten, wächst von Tag zu Tag und mit dieser starken sozialen Gefahr wird Frankreich bald rechnen müssen.
Wenn der
Zeitungssetzer rebelliert.
Die Pferde treffen eine Stunde vor Beginn der Auktion zur Besichtigung der Käufer ein.
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Die Bewohner der Straßen Blankenburgs, durch welche die allerhöchsten Herrschaften fuhren, waren glänzend illuminiert.
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Der Komponist ist der Sohn des durch sein wirken an der hiesigen Sommerbühne vor einigen Jahren ver storbenen Kapellmeisters Chemin- Petit.
Ueber den Gerolsteiner Sprudel: Es ist wohl kaum einem Mineralwasser beschieden gewesen, sich die Gunst des Pu blikums so rasch zu gewinnen wie diesem künstlichen Naturprodukt. K. S.
Lachen nicht verfernen
Der Geiger Josef Joachim lernte als nicht mehr ganz junger Mann in Berlin Eislaufen, stellte sich aber sehr ungeschickt an. Nachdem Joachim öfters hingefallen war, sagte der Eislauflehrer:„ Ja, ja, Herr Professor, Eislaufen ist nicht so leicht wie Geige spielen."
Auf dem Jahrmarkt:" Was, das soll ein Zwerg sein? Der ist ja beinahe ebenso groß wie andere Menschen. -„ Das ist ja gerade das Seltene, er ist der größte Zwerg der ganzen Welt."
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Aus der Jugend": Depeschenboten trafen sich. Auf einer sonnigen Bank im Park.„ Nanu? Urlaub?"„ Nein. ich habe einen dringenden Eilbrief zu bestellen."„ Fein! Dann setz dich eine halbe Stunde zu mir."
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Eheleute gingen spazieren. Im strömenden Regen. Plöz lich fragte der Mann:" Möchtest du mit einem Mann ver heiratet sein, der nur ein Auge hat?"„ Niemals." " Dann pass' gefälligst auf deinen Schirm besser auf!"
Der Jüngling hat den Ehrgeiz, Zeitungsreporter zu wer den. So tritt er als Volontär in die Redaktion ein. Für Sie hab ich eine schöne Aufgabe!" ermuntert ihn gleich der Chefredakteur. Da findet in M.dorf die Einweihung einer neuen Kathedrale statt, fahren Sie hin, machen Sie einen interessanten Bericht von etwa einer Schreibmaschinenseite, und geben ihn bis 6 Uhr telefonisch durch."
Der Journalisten- Jünger zieht ab und eilt mit der Bahn nach M.dorf. Um sechs kommt nichts und ist nichts.„ Tele grafieren Sie," befiehlt aufgeregt der Chef der Sekretärin, " wo bleibt Bericht?""
Eine Stunde später kommt die Antwort:
" Nichts zu berichten stop Bischof auf Kanzel tot umge fallen." ( Tatler")