DAS BUNTE BLATT

NUMMER 73= 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE MITTWOCH, DEN 13. SEPTEMBER 1933

Sefinsuchit in Kouadiott was es alles gibt

Von Klaus Klaussen

Purpurrot glitt der Sonnenball zum Horizont hinab. Rasch mußte die Dämmerung einfallen, um sofort in finstere Nacht überzugehen.

" Wir dürften in zehn Minuten das kleine Fort Nouachott erreicht haben!" meinte der Pilot.

Die Sanddünen der Sahara   warfen immer breitere Schatten und zerschnitten die Wüsteneinsamkeit und ihr trost­Ioses Einerlei in groteske Würfelfombinationen. Striche jagten unter dem Flugzeug über den Sand: es waren Gazellen.

" Dort!" Der Pilot deutete auf einen fleinen Befestigungs­turm. Langsam senkte sich das Flugzeug und wippte wenige Augenblicke über den Sand, um knapp vor einer massiven Biegelmauer, von Schießscharten durchlöchert, zu stoppen. Der Ruf eines Wachtpostens gellt durch die einfallende Tropennacht.

Postflugzeug. Wir fliegen nach Dakar  ," ruft der Pilot aus voller Kehle. Da will der Posten bereits das Gewehr in Anschlag bringen, als ein Mann hinter ihm befiehlt: Passiert!"

Wir gehen auf das kleine Fort zu. Uns entgegen tritt ein mittelgroßer Mann. Er ist Korporal der französischen   Kolo­nialarmee und meldet sich als Kommandant des Forts Nouachott. Mit glänzenden Augen betrachtet er uns, als stünde er einem Wunder gegenüber. Dann führt er uns in das kleine Fort.

Hier, Messieurs!" Er lädt uns ein, in seinem Zimmer Plaz zu nehmen. Ein Eisenbett, ein kleiner Tisch und ein Sessel. So lebt der Kommandant.

Seit sechs Jahren, Messieurs."

Er ist Kommandant über fünfzehn Senegalesen. Auf dem Tisch liegen französische Zeitungen. Sie sind über sechs Monate alt.

Jedes halbe Jahr kommt eine Karawane, Messieurs. Sie bringt Munition, Lebensmittel, Post und Zeitungen. Sonst verirrt sich niemand hierher. Doch, Messieurs..."

Er framt in einer Ecke herum. Dann holt er eine Flasche hervor und stellt sie wie ein Heiligtum auf den Tisch. Sie ist halbgefüllt. Und einen Becher stellt er daneben.

Ich habe nur einen, Messieurs, excusez!"

Er will uns bewirten. Da holen wir unsere Vorräte und fredenzen ihm. Mit glänzenden Augen, mit zitternden Händen greift er nach dem Rognatglas, nach den Fisch­konserven. Und dann erblickt er Zeitungen. Tags vorher find sie in Marseille   erschienen.

Messieurs!"

" Ich bin aus Vamperelles. Südlich von Lyon  , Messieurs. Eine Kirche steht am Hauptplatz. Und daneben ist ein Gast­haus. Da habe ich immer Karten gespielt. Dort habe ich auch Anette kennengelernt. Sie soll einen Schuster geheiratet haben. Ja, Messieurs!"

Er schweigt und sieht in die Wüste hinaus. Dann spuckt er in großem Bogen aus. Er muß oft so stehen, in die Wüste sehen, an Anette aus Vamperelles denken und im Bogen ausspucken. Zu einer größeren Geste kann der Hagere Kor­poral von Nouachott nicht ausholen. Es wäre auch zwecklos. Und was gibt es in der Welt draußen?"

Wir erzählen. Er lauscht. Er trinkt jedes Wort. Nach jeder Nachricht muß er nachdenken; er registriert sie scheinbar. Er will sie niemals vergessen. Dann zieht er ein zerfetztes Notiz­buch heraus und krizelt etwas hinein.

" Damit ich es nicht vergesse, Messieurs. Es jeden Morgen durchlesen kann."

Wir liegen in seiner Kammer und schlafen. Als wir morgens erwachen, sitt er im Hof und liest in den Zeitungen. Die Menschen heiraten und sterben. Die Menschen sind glücklich: fie gehen durch Straßen, fie reichen einander die Hände. Sie füssen einander und Hassen einander. Ich habe hier in Nouachott niemanden, den ich hassen könnte!" sagt er dann ganz still.

Wir gehen zum Flugzeug hinaus.

Wann sind Sie heute in Dakar  , Messieurs?" fragt der Korporal.

" In sechs Stunden, Korporal."

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" Ich brauche dazu neun Monate. Aber da ich habe einen Brief, Messieurs! Wollten Sie ihn mitnehmen?" Wir nehmen den Brief. Die Adresse lautet: Mademoiselle Anette Lajour, Vamperelles pres de Lyon  ."

Ich will nämlich bloß die Gewißheit haben, ob..." Dann schweigt er. Er zweifelt noch immer an Anettes Glück mit einem Schuster.

Die Propeller gehen an.

Merci, Messieurs!" Stramm steht er neben dem Flug­zeug und wirft die Hand zur Kappe empor. Tränen liegen in seinen Augen und sein Schnauzbart zittert.

Unter uns die Wüste. Der kleine Turm von Nouachott verschwindet. Durch das Glas ist ein Punkt auf ihm zu sehen: der kleine Korporal blickt uns nach.

Sechs Stunden später werfen wir den Brief des Komman­danten des Forts Nouachott in den Postkasten in Dakar  . Die Marke dieses Briefes dürfte Anette Lajour in Bam­perelles pres de Lyon jetzt am meisten interessieren.

Er reißt sie wie ein Raubtier an sich und verkramt sie bet Sommers Ende

den andern Schäßen in der Ecke.

Wir blicken von der Ringmauer aus in die Wüste. Hoch wölbt sich der Sternenhimmel über die graufigschöne Einsam­keit. Wir sind erschüttert.

Ich werde wahnsinnig werden, Messieurs. Ich sehe keinen Menschen, mit dem ich sprechen könnte. In meiner Mutter­sprache. Ich habe seit sechs Jahren keine Frau gesehen. Kein Kind. Nicht einmal einen Hund. Ich bin eben Soldat, Korporal!" Er brüllt den letzten Satz in die Nacht, wirft sich ir die Brust, schlägt auf seine Auszeichnungen als wollte er eine Stüße in seiner Verzweiflung suchen.

Fontamara

8

ROMAN VON IGNAZIO SILONE  In Fontamara sprach man viel von dieser seltsamen Ge­schichte, die man vertuscht hatte. Aus eigener Erfahrung und vom Hörensagen wußten wir, daß eine Bank dazu da ist, Geld aufzuheben, oder es von Amerika   nach Italien   zu schicken oder es in fremdes Geld umzuwechseln. Aber was hatte die Bank mit Geschäften zu tun? Wie konnte sie sich für Schweinezucht, Häuserbau, Gerbereien und Ziegelbren­nereien interessieren?....

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Nach der Ansicht der Carabinieri war die Macht des Im­presario unbegrenzt. Er war die Bank, er hatte eine Bank­rotenfabrik zu seiner Verfügung. Die eingeborenen Ge­schäftsleute begannen vor ihm zu zittern. Trotzdem gelang es uns nicht, zu begreifen, wie er sich bis zum Posten eines Sindaco oder Podesta- was für uns das gleiche war hatte aufschwingen können. Frauen fegten den Hof der Villa; kaum hatten sie uns gesehen, so liefen sie um Rosalia, das Weib des Impresario zu holen. Wie eine Furie trat diese auf. Sie war eine bereits bejahrte, städtisch gekleidete Frau mit einem Raubvogelkopf auf einem langen, dürren Gestell.

,, Weg mit euch!... Weg!... Weg!...", schrie sie uns an. Was wollt ihr hier? Sind wir nicht einmal Herr in unserem eigenen Haus?... Wißt ihr nicht, daß wir heute feiern?... In einer Stunde fängt das Ernennungsfest an. Euch hat meines Wissens niemand eingeladen!... Macht, daß ihr fortkommt. Mein Mann ist nicht zu Hause und wenn er fommt, hat er feine Zeit für euch... Geht in die Ziegel­fabrit, wenn ihr ihn unbedingt sprechen wollt."

Die Carabinieri zeigten uns den Weg dorthin und ließen uns dann allein laufen.

Nach vielerlei Umwegen erreichten wir die Brennerei. Bir fanden dort an die zwanzig Arbeiter und einige Fuhr­eute, die Ziegelsteine schleppten. Aber der Impresario war richt da. Kurz vorher sei er dagewesen und jetzt wieder fort­gegangen, sagte man uns. Vielleicht sei er in die elektrische Sägerei, aber wohl auch dort schon weg. Es wäre besser ge­wesen, ihn in der Sägerei zu suchen. Aber es sei weit dort­hin...

Ein kühler Wind greift in das kranse Haar Der sommerlichen Birke, die sich wiegt. Ein früher Herbsttag hebt sein Ange klar Ueber den Garten, der in Träumen liegt Und immer noch auf neue Rosen harrt, Dieweil die Astern schon in Sternen stehn Und mit dem Lächeln, dem fich Wissen paart Die ersten welken Blätter sinken sehn.

Der verlorene Silot

In Most ar ereignete sich ein ungewöhnlicher Vorfall, der fich anläßlich des Flugwettbewerbes um den Pokal des Königs Alerander abspielte. Es erschien plötzlich ein Flug­zeug, das entgegen den Bestimmungen des Wettbewerbes geradezu halsbrecherische Kunststücke ausführte. Der Apparat hob sich einmal steil in die Luft, um dann ebenso plötzlich auf die Erde niederzustürzen, so daß es den Zuschauern fast den Atem raubte und sie bereits glaubten, das Flugzeug sei zerschellt. Diese tollkühne Akrobatik dauerte über eine Stunde. Dann landete das Flugzeug. Dabei stellte es sich heraus, daß, der Pilot fehlte. Aus dem Flugs zeug wurde nur der Beobachter, der Leutnant Panitsch, halb ohnmächtig geborgen. Als er sich erholt hatte, erzählte er, daß der Pilot aus dem Apparat geschleudert sei, als sich das Flugzeug den Bergen von Mostar   genähert hatte. Trotzdem Panitsch noch nie ein Flugzeug gesteuert hatte, kletterte er zum Pilotensiz. Durch seine unsicheren Lenkversuche taumelte er mit der Maschine durch die Luft, so daß der Eindruc wahnsinniger Kunststüde entstehen konnte. Schließlich gelang ihm die Landung durch einen glücklichen Zufall.

Im übrigen ergaben die Nachforschungen nach dem ab­gestürzten Piloten, daß auch er mit dem Leben davon­gekommen war. Der umgeschnallte Fallschirm hatte sich beim Sturz automatisch geöffnet und ihn wohlbehalten zur Erde gebracht.

Römische Amphitheater bei Lyon  

Auf dem Fourviere- Berg bei Lyon   wurden die Reste eines riesigen römischen Amphitheaters entdeckt, das Schäßungs­weise etwa 20 000 Zuschauer gefaßt haben muß. Chefingenieur Lapeyre, der die Ausgrabungsarbeiten leitet, vermutet, daß in diesem Amphitheater, das noch größer ist als die von Nimes   und Arles  , die Märtyrer von Lyon   im Jahre 177 ge­tötet worden sind.

Einfach gestofilen!

Die Pressestelle des Berliner   Polizeipräsidiums teilt mit: Der Politischen Abteilung des Berliner   Polizeipräsidiums ist es gelungen, eine dem ehemaligen fommunistischen Abgeordneten Remmele gehörende Steingrotte, die aus wertvollem Uralgestein zusammengesetzt ist, ausfindig zu machen und zu beschlagnahmen. Diese Steingrotte er­wähnt Remmele selbst in einem seiner Bücher. Er hat sie seinerzeit von Rußland   als Geschenk erhalten. Die Stein­grotte befand sich in einer Wohnung im Westen Berlins  , in der Remmele sich vermutlich oft unangemeldet auf­gehalten hat.

Sofiweinewettstreit mit Gesang

Der Männergesangverein Eintracht" in kscheider­baum bei Lüdenscheid   hat für den September einen Gesang­wettstreit geplant. Aus Anlaß dieses Wettstreits haben die Veranstalter mehrere fette Schweine und ein Rind als Preise ausgesetzt. Der Erfolg war, daß 24 Gesangvereine ihre Teilnahme angemeldet haben Schweine mit Ge­

Martha Groffe. sang: in holder Eintracht".

Wir wußten nicht wohin gehen und blieben unschlüssig mit ten auf der Straße stehen, mitten in der dick verstaubten Straße. Es war drückend heiß. Der Staub setzte sich uns in die Augen. Wir waren kaum zu erkennen mit unseren schmuzigen, grauen Haaren, mit Zähnen, Mund und Brust voller Staub. Hunger und Durst hatten uns erschöpft.

Du bist an allem schuld!... Verfluchte Person!... Ver­fluchte..." fing Lisabetta Limona an gegen die Sorcanera zu feifen.

Das war das Signal zum Generalangriff. Die Frau von Pontius Pilatus   hatte es auf mich abgesehen:

" Du hast mich hierher geschleppt... Ich wollte ja nicht gehen, hatte zu Hause genug zu tun, hab überhaupt keine Zeit zu verlieren; es paßt mir auch nicht, in den Straßen der Stadt hoffärtig herumzustehen!"

Giuditta Scarpone und die Tochter des Cannarozzo rissen fich bei den Haaren und lagen schließlich zusammen auf der Erde. Maria Grazia kam dieser zu Hilfe, aber die Recchiuta stürzte sich auf jene und schließlich landeten alle vier auf der Straße in einer Staubwolfe. Zum Glück war das Geschrei stärker als die Schläge, die jede austeilte und bekam. Beson­ders die Sorcanera, zwischen der Frau von Michele Zompa und der Limona eingefeilt, schrie wie am Spieß, obwohl sie nur ein paar Haare lassen mußte und die neue Schürze in Feßen ging. Die Balgerei konnte erst mit Hilfe der Ziegelei­

arbeiter beendet werden.

Es war ganz verkehrt, dieser Here zu folgen," sagte Limona, auf Marietta weisend, als endlich Ruhe eintrat. Der Jmpresario kann gar nichts mit der Verlegung des Baches zu tun haben! Warum sind wir überhaupt hierher ge­kommen?"

,, Gehen wir einfach zu Don Carlo Magna," schlug jetzt die Frau von Michele 3ompa vor.

" Der Bach wird doch seinem Land zugeführt. Möglich, daß es sich um eine Schweinerei von ihm handelt..." In zwei oder drei feindliche Gruppen geteilt, kamen wir in bewohnte Gegenden zurück. Wir steuerten auf das Haus von Don Carlo Magna zu. Die gleiche Magd öffnete wie immer. Wir stellten die gleiche Frage.

,, können wir einen Augenblick mit Don Carlo sprechen?" Wir erhielten die übliche Antwort:

Don Carlo?... Magna( ißt). Warum sprecht ihr nicht mit der Signora?"

In diesem Augenblick erschien die Herrin, die uns kannte. Donna Zizzola empfing uns, als hätte sie uns erwartet. Sie ließ uns in die große Küche treten. Schinken, Salami, Würste, Schweinsschwarten, gebündelte Vogelbeeren, Knob­lauch und Zwiebeln hingen von der Decke herunter. Donna Zizzola war immer altmodisch angezogen, die schwarze Haube auf dem Kopf und den schwarzen Rock bis zur Erde hinunter. Wenn sie sprach, flang es weinerlich, denn ohne Lamento ging es nicht. Was die Geschäfte anbetrifft, so sind bei uns die Frauen genau so auf dem laufenden wie die Männer. In Erbschafts  - und Befihangelegenheiten gibt ihre Meinung fast immer den Ausschlag. Sie sind es, die den Familien­besitz verteidigen, die mit Untergebenen verhandeln, die Löhne auszahlen, die den Preis der Waren bestimmen. Er­bittert verteidigen sie die Erhaltung ihres ländlichen Heirats­gutes und bringen wenigstens einen Teil des vom Manne Eingebrachten vor seinen Spekulationen und Schulden in Sicherheit. Was Don Carlo Magna betrifft, war es allen klar, daß er als Luftikus, Spieler, Fresser und Trinker bekannt ohne die Frau längst seinen ganzen Besitz durch­gebracht hätte. Die von der Magd immer wiederholte Ant­wort war eine von der Herrin erfundene List, um die Ge­schäfte des Ehemannes zu kontrollieren...

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Während wir nun die Geschichte vom Bach erzählten, wurde Donna Zizzola zum Umfallen blaß. In ihrem verhärmten Gesicht arbeiteten die Kiefer, sie wollte sich die Tränen ver­beißen.

Dieser Räuber!... Dieser Räuber!..." murmelte sie halblaut vor sich hin. Aber das bezog sich nicht auf ihren Mann. Es bezog sich auf den Impresario.

Er ist ein wahrer Räuber," sagte sie. Das ist doch gesetz­widrig! Wenn der noch einige Jahre hier ist, wird er uns alle bei lebendigem Leib auffressen, mitsamt unsern Häusern, unserm Land, unsern Wäldern und unsern Bergen. Der wird alles sprengen... Mit seiner Teufelsbank wird er uns an den Bettelstab bringen... und zum Schluß werden sie uns auch noch das Almosen verweigern..."

So erfuhren wir, daß die berühmten Ländereien des Don Carlo Magna, zu denen der Bach von Fontamara geleitet werden sollte, seit einer Woche vom Impresario zu niedrigem Preis erworben worden waren, um, in bewässerten Boden verwandelt, au viel höherem Preis weiterverkauft zu werden.

Fortfebung folgt