Die Gewalt ist an und für sich das Mittel der Minderzahl; das Recht, das Gesetz das der Mehrzahl; und wo Gewalt nur notwendig ist, da ist sie ein Beweis, daß der, der zu ihr greift, nicht auf sein Recht allein baut, nicht die Mehrzahl des Volkes für sich hat.
Venedey
Aus begreiflichen Gründen müssen wir den Weg, den der nachstehend abgedruckte Brief eines Reichswehr hauptmanns zu einem unserer Mitarbeiter genommen hat, verschweigen. Vielleicht könnte man fragen, warum wir den Brief nicht in Faksimile veröffentlichen. Das wäre zwecklos, weil der Brief chiffriert und daher nicht allgemein lesbar ist. Vielleicht könnte man aus dem Faksimile auch Schlüsse auf die Herkunft des Briefes ziehen, was dem Schreiber verhängnisvoll werden und uns eine wichtige Informationsquelle verderben würde. Der Brief ers wähnt die Reichswehrkundgebung zu Gunsten des Reichs tanzlers Hitler anläßlich der Manöver in Württemberg nicht. Er macht die Rede des Reichswehrministers aber noch verständlicher als sie ohnehin war: die Reichss wehr will lieber mit Hitler , als mit Göring zu tun haben. Sie hat sich in dem Machtkampf zwischen beiden für den Reichskanzler entschieden. Sehr be= merkenswert ist der Hinweis auf den obersten Stabschef Ernst Röhm . Er ist der militärisch- organisatorische Kopf der nationalsozialistischen Bewegung. An militärs technischen Kenntnissen und an zähem systematischem Willen ift er Hitler weit überlegen, von dem Morphinisten Göring ganz zu schweigen. Hitler könnte sich von Göring , nie aber von Röhm trennen, wenn nicht das ganze Instrument der SA. und SS. , das Röhms Wert ist, zerbrechen soll. Daraus erklärt sich auch, daß Hitler seinen Stabschef Ernst Röhm nicht fallen lassen konnte, als die peinlichsten wahrheitsgemäßen Enthüllungen jahrelang die sozia: listische Presse beschäftigten. Die Kämpfe auf den Kommandohöhen des Nationalsozialismus sind noch lange nicht entschieden. Röhms Schicksalslose aber sind in diesem Führerstreit aussichtsreicher, als die große Oeffentlichkeit ahnt. Als der in den Vordergrund geschobene Führer" in Nürnberg , faft 5 Stunden lang im Auto stehend, die Hand hob, um die Zehntausende des braunen Heeres zu grüßen, stand unbeweglich hinter ihm die schwere, maffige Gestalt des Stabschefs Röhm . Hitler nahm die Hul digungen entgegen, aber die Marschkolonnen, die da vors überzogen, waren von dem Willen Ernst Röhms geformt und geführt. Er scheint den Ruhm weniger zu lieben als die Macht, und das gibt ihm Kraft und große Aussichten für die Zukunft,
Der Brief des Reichswehrhauptmanns lautet:
Bieber alter Freund!
X., den 4. September 1938.
In der Hoffnung, daß es Dir weiter gut geht, will ich Dir umgehend Deine diversen Fragen ausführlich beant worten..
Du kannst Dir denken, daß gerade das Problem, für das Du Dich interessierst, uns in der Reichswehr ungeheuer be
Waffe. Das besserte nicht das Verhältnis der Reichswehr zu den Schußformationen und zur Regierung Hitler , sondern verschlechterte es. Ja, es fam soweit, die Beschwerden höchster Offiziere wurden so zahlreich, daß es, als der Wehrminister sich weigerte, etwas zu unternehmen, zu dem Warnungsschreiben der 23 aktiven Generäle an Hitler fam.
Dazu kamen noch andere, wirtschaftliche Vorgänge, die den Gleichschaltungsbestrebungen entgegenstanden. Die freigewordenen Beamtenstellen sollten nach einem Erlaß Hitlers zu 50 Prozent mit Nationalsozialisten besetzt werden. Unsere Militäranwärter, die ihre Dienstzeit hinter sich hatten, mußten sich dadurch außerordentlich benachteiligt fühlen. Denn ihr Anspruch war doch unzweifelhaft begründeter als der eines Nationalsozialisten. Die Chargen rebellierten. Und wieder mußten die Generale an die Front, nachdem der Wehrminister abermals versagte. Und wieder wich Hitler zurück.
Innerhalb der Reichswehr wurden diese Vorgänge als Siege empfunden und bei der nationalsozialistischen Partei als Niederlagen. Man gab sich nun besondere Mühe, den Apparat des Heeres in die Hand zu bekommen. Aktive Offiziere und Unteroffiziere wurden unter irgendeinem Vorwand in Pension geschickt und an ihre Stellen wurden SA. - und SS. - Führer gesezt. So versuchte man, zuerst die unteren Kommandostellen langsam in die Hände von zuverlässigen Nationalsozialisten zu spielen. Und ähnlich ging man bei den Neurekrutierungen für Heer und Marine vor. Auch dieser Schachzug mißlang durch den Einspruch der Generalität, die die gesamte Reichswehr hinter sich wußte. Das Problem Reichswehr läßt die Nationalsozialisten nicht ruhen. Es kam der Erlaß der Grußpflicht mit den nationalsozialistischen Formationen und endlich die Bemühungen, das Wehrministerium sich anzueignen. Hitler schien es am geeignetsten, den Führer der SA. und SS. , den Stabschef Röhm zum Reichswehrminister zu machen.
Dem widersetzte sich aber der preußische Ministerpräsident Göring ganz energisch. Er wollte sich seine ungeheure Macht, die er schon in Händen hat, nicht entwinden lassen, sondern sie noch verstärken. Und es begann das Spiel hinter den Kulissen. Der erste Vorstoß war, daß Göring es durch sette, zum General befördert zu werden, ein Vorgang, der in der Reichswehr infolge seiner Einzigartigkeit lebhaft besprochen und in den Offizierskreisen übel aufgenommen
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wurde. Besonders, weil man in dieser Beförderung eine Vorbereitung zur Uebernahme des Wehrministeriums durch Göring erblickte. Auch Hitler war sicher durch die Beförderung überrascht worden.
Der Machtkampf zwischen Hitler und Göring wird nach allgemeiner Ansicht durch die Reichswehr entschieden werden. und man ist heute schon so weit, daß man innerhalb der Reichswehr gesonnen ist, das kleinere Uebel, nämlich den Stabschef Röhm hinzunehmen. Allerdings gibt man sich dabei der vielleicht irrigen Ansicht hin, daß man mit Röhm genau so umspringen kann wie mit dem derzeitigen Minister von Blomberg.
Inzwischen besteht innerhalb der Mannschaft und Offiziere trotzdem noch unbegrenztes Vertrauen zur Generalität, die sich bis jetzt so tapfer gewehrt hat, und meint, daß sie es verhindern könne, Göring oder Röhm an die Spitze der Wehrmacht gesetzt zu sehen. Schon spricht man allgemein davon, daß abermals eine große Aktion der Generäle bevorsteht, die darauf abzielt, Hitler klar zu machen, daß man auf dem Rücken der Wehrmacht keinerlei politische Machtkämpfe austragen darf und kann.
Das Verhältnis der Reichswehr zur SA. und SS. hat sich trotz der Grußpflicht in der letzten Zeit weiter vers schlechtert. Bisher drang von den ständigen Zusammenstößen zwischen Heeresangehörigen und SA. - Leuten nichts. in die Oeffentlichkeit. Tatsache aber ist, daß sich solche Zwischenfälle mehren. Mit atemloser Spannung wird die Entwicklung der Dinge innerhalb der Reichswehr verfolgt. Im Kasino wie in den Mannschaftsquartieren gibt es nur einen Gesprächsstoff. Gelingt es Göring , Wehrminister zu werden, gelingt es Röhm ? Oder gelingt es feinem von beiden?
Ich kann Dir versichern, daß nach allgemeiner Ansicht auch heute noch 80 Prozent des Heeres und der Marine nationalis stisch, nicht nationalsozialistisch eingestellt sind. Von den restlichen 20 Prozent glaubt man 15 Prozent den Nationalsozialisten und 5 Prozent den früheren Liberalen zurechnen zu dürfen.
In der Hoffnung, Dir die gegenwärtige Situation gemäß Deiner Fragen genau geschildert zu haben, grüße ich Dich vielmals. Die anderen Anfragen fann, darf und will ich nicht beantworten. Sonst, wie Du weißt, gerne bereit, Dir....
Führer der Arbeitsfront erschossen
ſchäftigt. Natürlich bin ich nicht in der Lage, Dir Mitte Geheimnisvoller Tod des Organisationsleiters Muchow
Iungen zu machen, wie man in den höheren Kommandostellen die Sache sieht und behandelt, aber ich kann Dir die Stimmung innerhalb meiner Garnison - und so wird sie im ganzen Heer sein schildern. Darüberhinaus will ich auch die verschiedenen Ansichten zusammenfassen, die unter den Offizieren bis hinauf zum Oberst bestehen.
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Schon bei Beginn der nationalsozialistischen Revolution war die Reichswehr sehr verärgert. Bekanntlich war die Reichswehr immer zu 80 Prozent nationalistisch. Wenn man auch keiner bestimmten politischen Partei angehörte, so fühlte man sich doch den Deutschnationalen zugehörig. Bei jeder Revolution spielten doch die Soldaten eine bedeutsame Rolle. Warum bei dieser nicht. Weshalb ließ man die Reichs wehr Gewehr bei Fuß stehen? In den Offizierskreisen wartete man auf den Ruf. Er blieb aus. Die SA. und SS. wollte allein Revolution machen. Die Reichswehr blieb neutral. Sehr ungern! Denn die Taten der SA. haben im ganzen Heer Abscheu hervorgerufen. Und wenn wir eingegriffen hätten. so wäre es ganz gewiß nicht zu einer nationalsozialistischen Revolution gekommen, sie wäre bei der nationalen stehen geblieben.
Die Bestrebungen, die Reichswehr gleichzuschalten, stießen bei dem gesamten Offizierskorps und allen Mannschaften- ganz abgesehen von der Haltung der hohen Kommandostellen auf schärfste Zurückweisung. Das Gefühl, aus einem Soldat ein SA.- Mann zu werden, machte uns schaudern. Das Benehmen der SA. und SS. uns gegenüber, das der Mannschaften gegenüber unseren Mannschaften und das der Führer gegenüber uns Offizieren war derart überheblich und flegelhaft, daß wir sehr oft dagegen einschreiten und uns Respekt verschaffen mußten. Teils durch energische Beschwerden, teils sofort durch die Faust und die
Am Sonntag war in Köln eine große Kundgebung der " Deutschen Arbeitsfront ". Zu Ehren des ehemaligen italienischen Korporationsministers Bottai wurden die Kölner Arbeiter zu einer Massenkundgebung befohlen, und es wurden lange aber nichtssagende Reden über das immer noch ungeklärte Problem des ständischen Aufbaus in Deutsch land gehalten.
Die Massen gingen dann wieder an ihre schlechtbezahlte Arbeit oder zum Stempeln an das Arbeitsamt, die Herren Führer aber machten eine feuchtfröhliche Autotour den Rhein hinauf. In Bingen oder in Bacharach fand am Dienstagnacht diese Rheinreise einen plötzlichen furchtbaren Abschluß: der Sturmbannführer Mehrling hat den Leiter des Organisationsamts der deutschen Arbeitsfront " Much o w erschossen. Die widerspruchsvollen halbamtlichen Meldungen zeigen, daß hier ein geheimnisvolles Drama vorliegt, dessen Ursachen und dessen Verlauf vertuscht werden sollen. Die erste Wolffmeldung sprach nur von einem„ Unglück" und gab als Schauplaz Bingen an. Ein Versehen in der Eile ist nicht möglich, da die Meldung erst mehrere Stunden nach dem Vorfall verbreitet worden ist. Sie lautet:
Der Leiter des Organisationsamtes der Deutschen Arbeitsfront , Reinhold Muchow , der zu den führenden Männern der NSBO. gehört, ist heute mittag in Bingen am Rhein tödlich verunglückt.
Offenbar hatte man inzwischen eingesehen, daß das „ Unglück" zu viele Zeugen gehabt hat, um so abgetan werden zu können. Es kam eine weitere Meldung, die das Revolverdrama nach Bacharach verlegte, und zwar in folgender Erzählung:
Zu dem tragischen Tode des Leiters des Organisationss amtes der„ deutschen Arbeitsfront", Reinhold Muchow , ers fahren wir noch folgendes: Muchow hatte sich mit einigen Freunden, darunter dem Sturmbannführer Mehrling, in der Pfalzgrafenschenke in Bacharach zum Abendbrot niedergelassen. Nach dem Abendbrot stand Mehrling, der Muchow gegenübersaß, auf, um sich zu verabschieden. Als er sein Koppel umschnallte, schlug der daran befindliche Revolver gegen den Tisch. Es löfte sich ein Schuß, der Muchow in den Leib traf. Mehrling rib, ehe ihn jemand hindern konnte, seinen Revolver heraus und jagte sich zwei Schüsse in den Kopf. Er war sofort tot. Muchow wurde schwer verlegt in das Binger Krankenhaus geschafft, wo er heute morgen um 4 Uhr gestorben ist.
Diese zweite Meldung ist so unglaubwürdig, wie die als verlogen preisgegebene erste. Es ist nicht anzunehmen, daß ein Sturmbannführer einen altmodischen Revolver mit sich schleppt, der sich entläd, wenn er gegen die Tischkante schlägt. Man wird überhaupt schwer ein solches Revolvermodell sich vorstellen können. Die Führer der NSDAP . find mil modernen Revolvern ausgerüstet, bei denen eine Entladung auf die geschilderte Art ganz unmöglich ist, selbst wenn der Revolver ungesichert im, Lederfutteral gewesen sein sollte. Jeder, der diese Waffen kennt, wird uns das bestätigen.
Weiter: nach der Halbamtlichen Meldung hat Muchow noch mehrere Stunden nach den Schüssen gelebt. Mehrling fonnte also, wenn es sich wirklich nur um einen Unfall ge= handelt hätte, im ersten Augenblick gar nicht wissen, ob seine Schüsse lebensgefährlich oder gar tödlich waren. Es ist also