DAS BUNTE BLATT

NUMMER 74- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE DONNERSTAG, DEN 14. SEPTEMBER 1933

Wunder der Chirurgie

Grau mit dem Totenkopf

Eines der erbarmungswürdigsten Wesen war die Tochter des amerikanischen   Wirkwarenfabrikanten Rohn. Esther Rohn war einmal eine blendende Schönheit gewesen. Beim Waschen von Handschuhen hantierte sie so unglücklich mit Benzin, daß ihr Haar in Flammen geriet. Das Feuer hatte auch ihr Gesicht verbrannt. Als die Brandwunden geheilt waren, glich Esther Rohns Geficht einem Totenkopf. Sie war von diesem Tag an begreiflicherweise für die Welt ge= storben und zeigte sich vor den Gästen des Hauses nur mehr in einem dichten Schleier. In einer Aerzteversammlung in St. Louis   wurde nun dieser Tage Miß Esther mit einem vollständig neuen Gesicht gezeigt. Wie Esther Rohn zu diesem neuen Gesicht tam, ist ein kleiner Roman. Einer ihrer Jugendfreunde war ein Bildhauer namens Kokschin. Diesem Mann tat Esther so leid, daß er auf Mittel und Wege sann, ihr zu helfen. Er überredete Esther, sich einem bekannten Chirurgen anzuvertrauen. Der Chirurg versprach sich aber von einer Operation feinen Erfolg. Kokschin setzte sich mit einem jungen Operateur ins Einvernehmen, der nach gründ­

Was es alles gibt

Venen mit der Hand, sondern auch die Sehnen der Sehen L'Atlantique"

mit jenen des Unterarmes.

Die unförmige Nase

So Der

Auf tragische Art kam die kleine Stenotypistin des Bank­hauses Clark u. Co. in Kansas City   zu einem form­vollendeten Näschen. Eine amerikanische   Gangsterbande brach am hellen Tag in das Bankhaus ein, um die Tresors auszurauben. Sie wurde jedoch von Polizisten überrascht. Einer der Banditen schützte sich vor dem Feuer der Poli­zisten, indem er hinter der Stenotypistin Deckung suchte. Da­bei wurde dem armen Mädel die halbe Nase weg= geschossen. Mary Denver, so heißt die Stenotypistin, wurde ins Krankenhaus gebracht. Ein Chirurg erbarmte sich des armen Wesens und operierte ihr eine neue Nase zu­recht. Scheinbar stand dieses neue Näschen der Stenotypistin besser zu Gesicht als das alte. Einer der Bankdirektoren verliebte sich nämlich in sie, und die Hochzeit hat sie mit dem Schrecken des Ueberfalles und dessen Folgen schnell versöhnt.

lichen Vorbereitungen die Operation wagte. Durch geschichte Theater- Anekdoten

Uebertragungen von Hautstücken aus den Oberschenkeln, ferner durch eigenartige Massagen erhielt Esther bald ein neues Gesicht. Wie aus St. Louis   berichtet wird, zeigen thre neuen Züge Schönheit und Ebenmaß. Die Narben machen sich angeblich nur als feine Fältchen bemerkbar, die vollständig unauffällig sind. Mit der Operation ist nicht nur Esther Rohn, sondern auch dem jungen Chirurgen geholfen. Er ist über Nacht zur Berühmtheit gelangt. Sisus Der Soldat mit dem fialben Gesicht Auf ein anderes Kunstwerk der Gesichtsplastik tann Dr. F. Damrau blicken. Er befaßte sich seit Jahren mit einem Soldaten, dem im Weltkrieg der untere Teil des Gesichtes abgeschossen worden war. Er fertigte dem Mann einen unter­fiefer aus Vulkanit an und befestigte ihn an den Stumpf­enden der übrig gebliebenen Knochenreste. Aus dem Wangen­fleisch wurde ihm ein Mund fabriziert und die Kopfhaut des Soldaten mußte dazu herhalten, das künstliche Kinn zu be­decken. Die Kopfhaut wieder wurde aus den Schenkeln er­setzt. Der Arzt hatte dem Mann ein normales Gesicht ge­geben, und sogar die Narben sind unsichtbar, da der Haar­wuchs der Kopfhaut diese kleinen Schönheitsfehler verdeckt.

Der fötist mit der Zefie

Ueber einen anderen tragischen Fall berichtet der Arzt Professor Dr. Nosther. Ein Musiker, der eine Zeitlang in einem Orchester Neuyorks tätig war, hatte im Krieg beide Daumen verloren. Er war also als Musiker erledigt, denn er konnte sein Instrument nicht mehr in der richtigen Lage halten. Versuche mit Prothesen nüßten nichts. Vor einigen Jahren machte ihm Professor Dr. Nosther den Vor­schlag, sich einer problematischen Operation zu unterziehen. Der Arzt wollte ihm die Daumen durch die beiden großen Zehen ersetzten. Der Musiker stimmte zu, und die zwei Wochen währende Operation gelang. Seine beiden Zehen ersezen nun vollständig die Daumen. Sie sind sogar beweg­lich, denn die Operation verband nicht nur die Arterien und

Fontamara

ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

" Jetzt haben sie ihn zum Podesta gemacht," fuhr Donna Bizzola fort. Die neue Regierung hat ihn zum Podesta ge= macht... Die neue Regierung ist in den Händen einer Räuberbande. Sie nennen sich Bankiers und Patrioten, aber es sind wahre Briganten ohne Respekt vor altem, ererbtem Besiz... In den vierundzwanzig Stunden, seitdem dieser Räuber Podesta ist, sind schon die Schreibmaschinen aus dem Rathaus verschwunden... In einem Monat werden Türen und Fenster auch fehlen. Die Kehrichtmänner werden zwar von der Gemeinde entlohnt, aber seit heute Morgen arbeiten fie als Handlanger in der Ziegelbrennerei des Impresario. Die Straßenwärter, die von allen bezahlt werden, arbeiten an dem Graben, der das Wasser zu den uns geraubten Län­dereien führen soll... Der Gerichtsbote Innocenzo La Legge ist Diener bei der Frau des Impresario geworden; heute morgen bin ich ihm begegnet, wie er mit gesenktem Kopf wie ein Hund mit einem großen Korb voll Gemüse hinter seiner neuen Herrin herschlich. Und das ist erst der Anfang. Im gleichen Tempo wird dieser Räuber uns alle ausplün­dern..."

Von dieser ganzen Hezrede blieb uns nur ein Eindruck haften: Auch für die bisher Besitzenden war der Tag der Bergeltung gekommen. Nach dem Sprichwort:

Wer das Schaf gefressen hat, muß auch die Wolle kacken." Somit waren wir wieder unterwegs zur Villa des Po­desta. Von zu vielem Laufen taten mir schon die Beine weh, wie am Karfreitag, wenn man die Leidensstationen Christi auf den Knien hinaufrutscht. Meine nackten Füße brannten. Unterwegs stießen wir auf Antinio Zappa, einen Ziegen­birten von Fontamara, der auch den Impresario suchte. Als er nämlich mit seinen Ziegen auf dem Tratturo gewesen war, fam ein Landjäger und machte ihm klar, daß er sich zu trollen abe, weil der Tratturo jetzt dem Impresario gehöre.*) Der Tratturo gehört dem Impresario?" fragte der Hirt. Dann gehört ihm wohl auch die Luft?.."

Wir kannten Antonio Zappa als einen ziemlich unver­

abgebrannte französische   Dampfer ,,' Atlantique" ist herrenlos geworden. Die von der französischen   Marineverwaltung für Räumung des Trocken­docks in Cherbourg   gesetzte Frist ist abgelaufen, ohne daß jemand das Schiff abgeholt hat. Die Südatlantische Reederei hat das Eigentum aufgegeben, um die volle Versicherungs­summe zu erhalten. Die Versicherungsgesellschaften wollen das Schiff nur zur Reparatur übernehmen. Da aber das Handelsgericht in Cherbourg entschieden hat,' Atlantique" fönne nicht repariert werden, verlangt die Reederei die Versicherungssumme. Das Schiff war mit 27 Millionen Mark versichert, hauptsächlich bei Lloyd in London  . Die Reparatur hätte etwa 15 Millionen Mark gekostet.

Troz mancher Katastrophen gehört das Reisen auf dem Ozean in modernen Dampfern zur sichersten Transportart. Es gab einmal eine Zeit, wo man Segelschiffe für sicherer hielt. In einem kürzlich veröffentlichten Brief schrieb Dickens  1842 nach der Ankunft in Neuyork: Sobald ich an Land war, habe ich geschworen, nicht auf einem Dampfer zurückzu­fehren, nachdem ich auf der Ueberfahrt viele Gefahren be­obachtet hatte, denen gerade diese Dämonen unterworfen find. Ich wundere mich nur, wie sie überhaupt bei schlechtem Wetter herüberkommen. Anstatt oben auf den Wellen zu reiten, wie richtige Schiffe, drängen sie sich durch die Wellen durch und sind die ganze Zeit unter Wasser... Oh, diese Dampfer sind die verfluchteste Erfindung auf dem ganzen weiten Ozean!"

Bei der Uraufführung von Georg Kaisers Von Morgens bis Mitternachts  " an der Wiener   Volksbühne kam es zu. einem großen Theaterskandal. Pallenberg spielte den Kassierer und rettete schließlich durch seine große Schauspiel­kunst das Stück vor dem Ausgepfiffenwerden. Hans Ziegler  , der die Regie führte, war auf das Publikum nicht gut zu sprechen. Gelacht haben diese T..., aber das wundert mich Schimet hat einer bei der traurigsten Stelle geweint.- Ste gar nicht, bei einer der letzten Aufführungen von Familie Das Ei gegen die Leinwand irren sich," mengt sich Paul Barnay   ins Gespräch, der hat über Pallenberg- Tränen gelacht."

Die Wiener   Voltsbühne hatte 1917 ihr Heim im Kolosseum. Es war Krieg. Große Kohlennot. Premiere von Gabriela Zapolskas Drama Sibirien". Im Zuschauerraum saß das Publikum in Mänteln und fror. Auf der Bühne Klapperten die Schauspieler mit den Zähnen. Nach dem zweiten Aft fommt Direktor Arthur Rundt   zu Kortner  , der die Haupt­rolle des Generals spielt: Nun, wie sind Sie zufrieden, Kortner  ?"" Ich? Der Beifall gilt ausschließlich Ihrer Inszenierung. Nicht einmal Reinhardt macht Ihnen diese natürlich sibirische Kälte nach..."

Uraufführung von Sendung Semaels" an der neuen Wiener   Bühne. Die Bergner spielt die Hosenrolle des drei­zehnjährigen Moritz Scharf. Atemlose Spannung im Publi­fum. Ein Feuerwehrmann, der hinter der Szene Dienst macht, verfolgt interessiert jede Bewegung der Bergner. Schließlich sagt er zu dem auf seinen Auftritt wartenden Jensen: Wissen S', wann i net bestimmt wissen möcht, daß dös ein Mann ist, man siehts ja an den Hosen, möcht ich glauben ,, dös is ein Madel..."

*

Ein Theaterdirektor ist erkrankt. Denkt Euch, er hatte heute abend 37,5." Fieber oder Abendeinnahme?", fragt ein besonders Interessierter. ( MTP.)

nünftigen Burschen, in diesem Falle aber war er im Recht. Wahrscheinlich hatte ihn der Landjäger nur gefoppt, denn die Tratturi waren immer für alle dagewesen. Nach dem Kleidermarkt im Mai kommen alljährlich fast eine Million Schafe auf unsere Berge und verbringen hier den Sommer bis in den Oktober. Sie sagen, dies sei schon vor Christi Ge­burt so gewesen. Seitdem folgten sich so viele Ereignisse: Kriege, Ueberfälle, Päpste und Könige, aber die Tratturi blieben stets im Besitz aller.

" Der Impresario ist verrückt, wenn er glaubt, einen Trat­turo anrühren zu können," sagten wir. Wenn er aber nicht verrückt ist, dann hat sich der Landjäger vielleicht nur über uns lustig gemacht..."

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Die Dienerin am Villentor des Podesta war ganz ver­zweifelt.

Der Podesta ist immer noch nicht da... Die Herrschaften essen schon seit einer halben Stunde und er, die Hauptperson, tommt immer noch nicht..."

Der Geruch von Töpfen und Pfannen drang bis zu uns. Die Magd berichtete den Verlauf des Festes mit vielen Einzelheiten. Don Circostanza hatte eine schöne Rede ge= halten. Dann sprach sie mit Hingebung vom Essen. Sie sprach von Zwiebelchen, Saucechen, Pilzchen, Kartöffelchen, Gerüch­lein und Düftlein.

Das Festessen mußte fast vorüber sein, denn man merkte schon die Wirkung des Weines. Die Stimme Don Circo­stanzas übertönte die aller anderen. Durch die offenen Fenster drang der Lärm der Gespräche zu uns herunter.

Auf einmal entspann sich ein heftiger Difput über den Allmächtigen. Don Abbacchio und der Apotheker verteidig­ten entgegengesetzte Ansichten. Man frug Don Circostanza um seine Meinung.

Der Allmächtige?" schrie er. Ganz klar, der Allmächtige ist ein Eigenschaftswort."

Alle waren einig und der Friede war hergestellt. Dann hörte man die betrunkene Stimme Don Abbacchios wieder:

Im Namen des Brotes, der Salami und des Weißweins, Amen!" Eine Lachsalve quittierte diesen Geistesblitz des geistlichen Herrn.

Eine neue Pause trat ein. Dann sang Don Abbacchio mit seiner firchlichsten Stimme:

Item missa est..."

Das war das Zeichen zum Aufheben der Tafel. Die Fest­(*) Tratturo die den Schafen gehörende Straße, die sich durch teilnehmer begannen aus allerlei Gründen im Garten zu die Abruzzen zieht erscheinen.

Szene vor einem Film

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Bei der Uraufführung des Bavaria Films Das häßliche Mädchen" in Berlin   fam es zu einem 3 wischenfall. Als am Schluß des Films wie üblich bei Uraufführungen die Haupt­darsteller, deren Erscheinen in großen Plakaten am Theater angezeigt war, auf der Bühne sich sehen ließen, ver­stärkte sich zunächst der Beifall; dann wurde vom Rang des Theaters ein Ei auf die Bühne geworfen, das den inneren Vorhang beschmutzte. In diesem Augenblick ver­schwanden die Hauptdarsteller, während ein großer Teil des Publikums weiterklatschte. Als dann der Vorhang wieder aufging, wurde ein zweites Ei vom Rang heruntergeworfen und eine Stimme ließ sich im Theater hören, die die Zu­schauer mit deutsche Männer und Frauen" anredete und sie aufforderte, in Zukunft sich nur deutsche Filmdarsteller an­zusehen. Es sei eine Schande, daß deutsche Männer und Frauen einem jüdischen Schauspieler Beifall erwiesen. In einer gewissen Unruhe leerte sich das Theater. Zur Abfahrt der Hauptdarsteller hatte sich wieder eine größere Anzahl ihrer Anhänger eingefunden, die demonstrativ Beifall klatschten.

Wie ein Berliner   Blat zu diesen Vorfällen von der Bavaria- Film- AG. erfährt, stammt dieser Film noch aus einer älteren Produktion, er war aber von der Regierung genehmigt und unbeanstandet geblieben. Gleichzeitig teilt die Gesellschaft mit, daß die Hauptdarstellerin Dolly Haas  arischer Abstammung set...

Buerst tam Kanonifus Don Abbacchio, fett, aufgedunsen, mit einem durch Arterien geblähten Hals, mit pfauenhaft aufgeblasenem Gesicht, halbgeschlossenen Augen und dem Ausdruck eines seligen Schweines. Er war so betrunken, daß er kaum stehen konnte. Er begann sein Waffer an einem Baum abzuschlagen und lehnte, um nicht zu fallen, seinen Kopf gegen den Stamm, die offenen Hosen waren uns zu= gekehrt.

Dann sahen wir Advokat Don Pomponio herunterkommen, auf den Hauptmann der Carabinieri gestützt, der sich, um die Wahrheit zu sagen, zur Erledigung anderer Geschäfte auf die Rückseite des Hauses führen ließ.

Dann kamen der Apotheker, der Steuereinnehmer, der Postmeister, der Notar und alle vier erledigten hinter einem Backsteinhausen ihre Notdurft.

Dann kam Advokat Don Ciccone mit einem Burschen, der ihn am Arm hielt. Er begann sich an dem Baum, den Don Abbacchio vorne bewässert hatte, hinten zu übergeben und der Junge hielt ihm dabei mit der freien Hand die Stirn. So konnten wir die uns von der Magd gerühmten Dinge am Fuße des Baumes liegen sehen, die Maccarönchen, die Saucechen, die Zwiebelchen, die Pilzchen, die Kartöffelchen, die Salätchen mit ihren Düftchen und Geschmäcklein.

Dann erschien ein alter Rathausbeamter, der Student" genannt, weil er sich im Alter von zwanzig Jahren auf der Universität eingeschrieben hatte, mit sechzig sich aber immer noch auf die Examina vorbereitete. Auch er ging hinter dem Hause seinen Geschäften nach.

Dann tam Rechtsanwalt Cuccavaschio, klein, did, mit Kuhaugen, einem Pferdegebiß und erleichterte sich seiner­seits hinter den Backsteinen.

Dann kam Advokat Tarandella, auch der Skalpierte  " ge­nannt, weil er weder Haare auf dem Kopf, noch Augen­brauen, Wimpern, Schnurrbart und Barthaare hatte. Wir waren gespannt, ob ihm auch an anderer Stelle die Haare fehlten, aber er ging seine Dinge hinter dem Hause erledi­gen. Dann kam der Denker", der, ehe er hinter dem Stein­haufen verschwand, im Garten auf- und abirrte und dabei an wer weiß was dachte. Der Denker" war weinselig und wir sahen ihn hinter den Backsteinen auf seiner eigenen Feuchtigkeit in die Knie sinken. Während er wohl über den Modus sich zu erheben nachsann, meldete die neben uns Posten stehende Magd die Anfunft des Impresario.

( Fortsetzung folgt)