Deutsche Stimmen

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Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit" Freitag, den 15. September 1933 Ereignisse und Geschichten

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Das Spiel kann beginnen..

Neudeutsches Theater und neudeutsche Kritik

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Nun öffnen in Deutschland auch die Theater wieder ihre Pforten. Die neue Saison beginnt. Die theaterlose, die schreckliche Zeit ist vorüber( nur das grandiose, ganz Deutsch­ land überflutende Parteitheater tennt feine Saison!), die Zeit, während der Herr Göring , als Oberosaf und General­chefintendant aller dramatischen und theatralischen Künste sorgsam gefiebt hat unter den Intendanten, den Drama­turgen, Oberregisseuren und Dirigenten aller Staats- und Stadttheater im neuen Deutschland .

Die Saison fann beginnen, die erste garantiert hunderts prozentig reine und teimfreie nationalsozialistische Theaters ära . Denn auch das Theater ist in die Totalität" des neuen Staates einbezogen: Herr Doktor Göbbels, dessen drama­tische Werke das ehedem liberalistische Theater so schnöde abwies, hat die besten Aussichten, vielgespielter Autor auf den diversen Bühnen des dritten Reichs" zu werden. Und die Bürger werden sich, mit dem ihnen eingeborenen oder neuerdings ihnen eingeimpften Furor auf das neue Theater stürzen; sie werden, in jedem Moment eingedenk ihrer seelischen, geistigen und künstlerischen Wiedererweckung im Brio der nationalen Revolution, sich auf die Gipfelungen neudeutscher Theaterkunst, auf die Kleist und Körner, auf die Johst und Burtes, auf die nie abreißenden Schlageter- und Horft- Weffel- Apothesen, auf die SA.- Gloriolen und die Hanns- Heinz- Ewers- Alraunigkeiten, auf die vielen neu­erweckten und noch, mit Herrn Göbbels Hilfe, neu zu er­wedenden Dramatiter des dritten Reichs" stürzen.

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Serien wird es geben in diesem neudeutschen Theater: 30-50-100 Abende in überquellender Begeisterung, wie man sie in Deutschland seit den Tagen der Lustigen Witwe " und aller Alt- Heidelberg"-Räusche nicht mehr erlebt hat...

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Schlag auf Schlag" werden die Premieren hinters einander fallen es wird kein Ausruhen geben und kein müdes Nachlassen: wie das Feuerprasseln in 18 Kilometer breiter Front auf dem Nürnberger Sput, so wird der ahnungslose Theatergenießer des neuen Reichs, der mehr oder minder sanft gezwungen von seinen sauer verdienten Groschen ein Abonnement auf dieses schauerlich- schöne Theater zeichnen mußte, mit neu deutscher Dramatif, vom Tragischen bis zum Burlesken, bombardiert werden. Städtische und staatliche Beamte, Lehrer und Werkmeister, Richter und Studenten, Hebammen und Chefärzte, Direk: toren und Stenotypistinnen werden sich dem markanten " Druck von oben" nicht entziehen können und sich auch wenn sie lieber Regel schieben oder einen Dämmerschoppen genehmigen wollten am vorbestimmten Abend die neue Nazi- Premiere anschauen müssen. Und am Tag dararf dürfen sie, auch wenn ihnen unter dem Gefnatter der Phrasen und Tiraden Seele und Sinne noch nicht ab­gestumpft sind, noch nicht einmal über den verlorenen Abend schimpfen, denn man weiß ja nie, ob nicht das Dienstmädchen eine kleine, adrette Denunziation an den nächsten Herrn Amtswalter richtet... Und dann steht ja für den deutschen Theatergenteßer von 1933 hinter einer mißvergnügten Premiere eine erfahrungsgemäß recht vergnügte Schutz­haft...

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Aber dennoch! Tags darauf, wie doch immer nach einer festlichen Premiere, greift er zur Zeitung und sucht, was er selbst nicht verstand, aus der Kritik zu verstehen. Die löb­liche Kritik begriff doch immer mehr als Autor, Regiffeur, Schauspieler und Zuschauer zusammen begriffen; der Herr Kritiker in jeder Stadt ein eigener Kerr oder Herbert Jhering hatte die Gabe und die Gnade, alles das frei und objektiv zu sagen, was im Unterbewußtsein der mehr oder minder intelligenten Zuschauer nur undeutlich und unfor­mulierbar hin und herwogte. Die Kritik wird Rechenschaft geben und Bekenntnis sein auch vor den Emanationen des dritten Reichs"...?

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Wie alles im Hitler - Staate einer blut- und wurzelhaften Erneuerung unterzogen wurde, so hat man auch sehr bald abgerechnet mit einer Kritik, die im bisherigen Reich der Künste allzu frei und apodiktisch ihres Amtes waltete: die westdeutsche Nazipresse hat erst jüngst in einem furiosen Artikel die Sünden der Kerr- und Jhering- Kritik( Ver­zeihung: Herr Jhering hat sich ja schleunigst gleichgeschaltet!), die Sünden der kleinen und größeren Kerrs in jeder Stadt aufgezählt, den Herren Kritikern nachgewiesen, wie sehr sie selbst schuld seien am völligen geistigen und künstlerischen Zusammenbruch des Theaters und Dramas in Deutschland von gestern- oh, diese Kulturbolsche wisten!

Gott sei Dank, daß sie zum Teufel gejagt wurden! Und dann wurden den Herren Kritikern von approbiert neu­deutscher Gesinnung Richtlinien gegeben, was sie zu schreiben, was sie zu loben, was sie abzulehnen hätten. Direktiven geradenwegs aus dem ungeheuer fleißigen Pro­pagandaministerium. Da von Amts wegen Objektivität" unstatthaft, sozusagen, ein kulturbolschewistischer Begriff tst, Hat der mit der alleinseligmachenden Gnade des Braunen Hauses angestrahlte Kritiker nur das Recht und die Pflicht, subjektiv" zu sein: Subjeft bleibt in jedem Falle das auf allen Märkten laut propagierte Werturteil des Doktor Göbbels. 3weifelsfälle sind demnach im totalen Staat

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nicht mehr möglich.

Das gibt ein Theater das gibt eine Kritik! Kein Inten dant wird wagen, im Spielplan außer der Reihe zu tanzen, tein Dramaturg wird ein Stüd präsentieren, daß nicht hundertprozentig Geift( Geift") vom Geifte Hitlers , nicht hundertprozentig Phrase vom ewigen Göbbels - Geschwät, nicht hundertprozentig Blutvision vom Sadismus eines

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Göring ist. Und die Komödie? Humor ist im dritten Reich" unbeliebt, ist sogar stattsgefährlich nur Peitschenhieb, nur Heil und Hurra, nur Lüge und billige Blasphemie. Und Deutschlands junge Dramatiter? Sie werden vor Parademärschen intuitiv erschauern, bei den Blutsongs der SA. in Ekstase geraten, vor den Stacheldrähten der Kon­zentrationslager ihre dichterischen Räusche sich abreagieren.

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Und still ergeben wird der Herr Kritiker dafißen und alles über sich ergehen lassen. Die aufgedonnerte Mittelmäßig­feit, die heute auch in den Kunst- und Literaturbereichen Deutschlands herrscht, wird auch vom Kritikeramt Besiz er­greifen: linder Hauch von ihrem Hauche. Der Rezensent wird hinter nicht wagen, ein objektives Wort zu schreiben jedem Kritiker steht unsichtbar ein SS.- Mann und diftiert Werturteile in die leichtflüssige Feder. Die Route ist strengstens vorgeschrieben aber Kritik mit vorgefaßter Route ist eine Verlogenheit. Armselige Schleimer das die heute in Deutschland dazu ertoren sind, zu schreiben, zu würdigen, sich auseinanderzuseßen mit Dingen, die jenseits aller künstlerischen Diskussion liegen. Wer hätte schon im März April dieses Jahres gewagt, ein abfälliges Wort über das Schlageter- Stück des mit allen Kronen dritter Herrlichkeit gefrönten Hanns Jobst zu schreiben? Lest

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fie doch nach, die Elogen, zum Teil geschrieben von Leuten,

die man vorher um ihrer Sachlichkeit, um ihres Ernstes, um der Lauterkeit ihrer Kunstgesinnung achten mußte! Schmählich ward das Bild geändert die Schmach der deutschen Kunst- und Theaterkritik wird sich in der neuen Saison schnell vollenden. An fleine Aeußerlichkeiten flammern sie sich, an Formalien, an ein paar sprachliche ein Krummheiten, heften krampfhaft ihr Monitum daran Monitum, das zu nichts verpflichtet und durchaus ungefähr­lich ist. Früher drohte vielleicht einmal ein Verleger heute droht jedem unbotmäßigen Kritifer jenes Ungeheuer, das sich Staat" nennt.

Denn nur das Führerprinzip verpflichtet, auch in den Be­zirken der deutschen Kunst- und Theaterkritit. Und die Herren Führer wissen schon, was für ein Theater, was für eine Kritik sie dulden. Willig läßt das Volk sich führen, so gebietet es deutsche Disziplin und Subordination. Bequem ist

das und wenig kostspielig: eigene Meinung braucht man nicht mehr zu haben, sie grenzt sogar an Landesverrat. Nur dazufißen braucht man im Theater und reinrassige Pralinen zu knabbern und am andern Morgen ohne Laune und Erschütterung die Kritik im Leibblatt zu lesen, die, wie man selber, nichts zu denken und nichts zu sagen wagt...

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Oder sollte doch täusche ich mich?- irgendwo in Deutschland ein aufrechter Mann sein und anderntags ein wahres, ein objektives Wort schreiben? Bedauerns­werter Held! Unverzügliches Kommando an die allzeit be­reite SA. : Schlagt ihn tot, er ist ein Rezensent!"( Womit übrigens Herr von Goethe seine Qualifikation für Geist und Methoden des Hitler- Regimes unweigerlich erbracht hätte!) Benito.

Göcings Befehlsübergabe

Seine Rede wird in den Theaterbüros ange= schlagen!

Im Plenarsaal des Landtages traten Dienstagvormittag sämtliche Intendanten der preußischen städtischen Theater zu einer Sizung zusammen, auf der ihr Oberbefehlshaber Ministerpräsident General Göring grundlegende Aus­führungen über das Theaterwesen machte.

Der Leiter des Preußischen Theaterausschusses Staatskom­missar Hinkel eröffnete die Tagung. Ausdrücklich hob er hervor, daß alle Verträge der Theaterleitungen in Preußen rechtlich der Genehmigung des Preußischen Innenministe riums bedürfen.

Dann sprach Göring über grundsäßliche Fragen des Führungs­Theaterwesens. Um das preußtschen Prinzip auch für die preußischen Theater in den Vorder­grund zu stellen, habe er angeordnet, daß die Berufung aller wichtigen Persönlichkeiten, insbesondere die der Inten­danten, ihm vorbehalten bleibe. Die Verantwortung des einzelnen Theaterleiters müsse klar herausgestellt werden. Aus diesem Grunde werde er auch die Stellung der Intens danten nen formulieren. Es seien selbstverständlich die Wünsche der Städte zu achten, aber das letzte Wort zu allen Fragen des Theaters habe der Intendant. Die Arbeit der Theaterleiter müsse in dem Geiste geschehen, der in der großen Rede des Führers zu den Fragen der Kultur auf dem Nürnberger Parteitag zum Ausdruck gekommen sei. Diese Rede solle auch sichtbar in allen preußischen Theatern angeschlagen werden.

Der Ministerpräsident tam dann auf die Spielplan­gestaltung zu sprechen und betonte, daß gerade auf diesem Gebiete in der vergangenen Zeit sehr viel gesündigt worden sei. Es habe Fälle gegeben, in denen die Inten danten sich bemüht hätten, besonders unkünstlerische, deka­dente Stücke aufzuführen.

Mit unbefleckten Händen...

Du bist der Herr, und was du tuft ist gut; dein ist das Reich, die Kraft und Herrlichkeit. In jeder Furche deines Wegs steht Blut. Was tut das schon! Das ist die große Zeit. Dein die SA., das Recht, das Henkerbeil; die holzen ab im deutschen Menschenwald. Du hast an ihren Taten feinen Teil. Ihr Werk ist Mord? Und wenn

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dich läßt es kalt.

Du profitierst von ihrer Schlächterei; auf ihren Opfern baust du deinen Thron. Doch du bleibst rein: du warst ja nicht dabei. Dein Bärtchen lacht den Abgekillien Hohn.

Ja, dich zu drücken, hast du stets gewußt; wenn andre sterben gingen, warst du fern. Du trugst den Kompaß in der eignen Brust und folgtest weit vom Schuffe deinem Stern.

Ich wüßte gerne: hast du in der Nacht nicht manchmal ein Gefühl im fetten Bauch, als wärft du Held in deiner ganzen Bracht doch nur ein hohler, aufgequollner Schlauch? Und du bist niemals schweißgetränkt erwacht und haft im bleichen Schein des Monds gefehn die Scharen, die dein Mordheer umgebrachi, als ernste Richter stumm dein Bett umstehn?

Mar Barth.

Immer wieder die Tüchtigsten Lehebefugnis entzogen

Auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufs­beamtentums sind an der Leipziger Universität der ordent liche Professor der Nationalökonomie Dr. Gerhard Ke ßlez und der planmäßige außerordentliche Professor der Radio physik Dr. Erich Marr in den Ruhestand versetzt worden. Den nichtplanmäßigen außerordentlichen Professoren in der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig , Dr. Eduard Erkes( Chinesisch) und Dr. Karl Druder( Allgemeine und physikalische Chemie) sowie den Privatdozenten in der medizinischen Fakultät Dr. Ludwig Friedheim( Haut­und Geschlechtsfrankheiten) und Dr. Oswei Temfin( Ge schichte der Medizin) ist die Lehrbefugnis entzogen worden.

Der Täuberich an das ,, dritte Reich" Hier muß gepfiffen werden

Richard Tauber , der bekanntlich Jude ist, hat es sich nicht nehmen lassen, an den gleichgeschalteten Hugenbergschen Scherl- Verlag aus dem Seebad Scheveningen sein Bild mit Grüßen an das neue Deutschland zu schicken. Tie Scherlsche Filmwelt" druckt Bild und Grüße ab. Darob Geschrei in der Nazipresse. Finden Sie, daß die Filmwelt" fich richtig verhält, wenn sie in ihrer letzten Nummer, die auf der Titelseite Leni Riefenstahl zeigt, am Ende auch ein Bild Richard Taubers zeigt? Hier darf man nicht den Weund spizen, hier muß gepfiffen werden. Und zwar kräftig!"

Militärwissenschaft

Der General auf dem Lehrstuhl

Unter der Regierung Hitler ist die Militärwissen schaft in den deutschen Universitäten offiziell eingeführt worden. Der General Wolfgang Nuff ist auf den " Lehrstuhl der Militärwissenschaft" in Tübingen berufen worden. In Berlin wurde eine Gesellschaft der Militär­wissenschaft" gegründet. Die deutsche Presse erhielt den Be­fehl, jede Aeußerung über den Sachverhalt zu unterlassen.

Der Zensur entgangen

Die ,, sinnesschwache" helle Rasse

In der Aerztlichen Korrespondenz" erscheint zu der blau­äugigen, blondhaarigen nordischen Edelmenschenrasse die Analyse: Bei den Haustieren werden ganz ausgesprochen die hellen pigmentschwachen Rassen wegen ihrer Lenksamkeit und Zahmheit bevorzugt. Je lenksamer, sinnesschwacher und geistig stumpfer die Haustiere werden, um so brauchbarer sind sie. Bei den Rindern werden ebenfalls die hellen Schläge bevorzugt, während zum Beispiel die spanischen Rampfftiere in der Regel ein dunkles Rotschwara aufweisen..."

Nicht nur die hellen Schafe sind sinnesschwacher als die dunklen, nicht nur die hellen Rinder, sondern auch... Wir wagen nicht fortzusehen. Auch gehen wir in der Be­urteilung der bellen Rasse" nicht so radikal vor wie der Autor. Möge er vom Konzentrationslager verschont bleiben!

,, material"

Beim Vorbeimarsch der oberschlesischen SA. auf dem Nürnberger Parteitag flopfte Hitler dem Fememörder Heines auf die Schulter und sagte: Das ist aber ein präch tiges Menschenmaterial." Es ist die Sprache der Könige vor den Schlachten.

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Der Spielplan habe zu berücksichtigen, daß wir heute in einer großen Zeit leben, vielleicht der größten, die Preußen läßt schöne Pferde malen

Deutschland je durchgemacht hat. Aber es soll auch der Humor und das Lustspiel nicht vergessen werden.

Zum Schluß richtete Ministerpräsident Göring an die Theaterleiter die Mahnung, in ihren Theatern die Kamerad­schaft in nationalsozialistischem Geiste zu pflegen..

Die dem preußischen Ministerium des Innern unters.. Gestütsverwaltung hat den als Kriegs- und Soldatenmale. bekannten Münchener Künstler Oskar Merté beauftragt, mehrere Zuchthengste des ostpreußischen Hauptgestüts Trakehnen im Bilde zu verewigen.