Die Schüsse von Bacharach BRIEFKASTEN

Der Mord an Muchow und die Hintergründe

Wir berichteten gestern, daß der Leiter des Organisations­amtes der Deutschen Arbeitsfront  , Reinhold Muchow  , von dem Sturmbannführer Mähling in einer Weinstube in Bacharach   erschossen worden ist. Wir wiesen bereits furz darauf hin, daß die amtliche Darstellung über den angeb­lichen Unglücksfall, an sich schon höchst unwahrscheinlich, den Tatsachen nicht entspricht.

Die Kugel für Muchow war seit langem gegossen. Muchow war der Führer des radikalen sozialistischen   Teiles der Nazipartei.

Der erst 28jährige hatte eine auffallend glänzende Laufbahn hinter sich. Schon früh wurde er stellvertretender Leiter der Betriebszellenorganisation. Seine Zeitschrift Das Ar­beitertum" errang sich außerordentliche Verbreitung. Er war es, der den schlagartigen Ueberfall auf die freien Ge­werkschaften vom 2. Mai 1933 in allen Einzelheiten vor­bereitet hatte. Er war der gegebene Leiter der kommenden neuen Arbeitsfront. Sehr zu seinem und seiner Anhänger Aerger wurde ihm der hysterische und trunksüchtige Akademiker Dr. Ley vor die Nase gesetzt.

Ley wurde Führer der Deutschen Arbeitsfront  . Muchow trat in den Hintergrund und erhielt als Trostpreis den Posten eines Leiters des Organisationsamtes der Ar­beiterfront.

In der Folgezeit entspann sich zwischen ihm und Dr. Ley ein unerbittlicher unterirdischer Rivalitätenstreit, an denen die Nazibewegung so reich ist. Im Gegensatz zu Dr. Ley trat Muchom für die Forderung ein: Alle Macht der NSBO.! Mit der NSBO. gedachte er selbst dann allmäh­lich die Spitze zu erklettern. Dagegen suchte Dr. Len die Gewerkschaften zu halten und bei ihnen nach der Vereinheit­lichung alle Organisationen zu konzentrieren.

Dieser Kampf zeitigte mitunter tolle Früchte. So ließ Muchow eines Tages sämtliche von Ley eingesetzten Berliner   Gewerkschafts- Kommissare des Einheits­

verbandes durch die Berliner   SS. verhaften, weil sie einer Auflösung der Gewerkschaft und der Ueberführung zum Gesamtverband Schwierigkeiten entgegenseiten. Bezeichnenderweise wurden die damit noch vorhandenen. Sekretäre der freien Gewerkschaft von der Haft verschont. Sieger in dem Kampfe blieb Dr. Ley. Muchom mit seinen radikalen sozialistischen   Plänen mußte in dem Ringen, in dessen Hintergrund Göring   und Thyssen standen, unterliegen. Ueberall wurde die NSBO. zurückgeworfen. Die Hauptbastionen Muchows im Ruhrgebiet  , in Hamburg   und Breslau   wurden zerschlagen. Göbbels   selbst mußte ja die Nachrichten über die Ber­

haftung der NSBO.- Leute und deren teilweise Einlieferung in Konzentrationslager schließlich freigeben. Muchows Gegnerschaft zu den neuen Gewerkschaften bereitete ihm viele Feinde. Er war für eine rücksichtslose Vereinheit­lichung und Zusammenlegung.

dadurch find viele Nazibonzen aus liebgewordenen Stel: lungen herausgeworfen worden. So sind allein durch ihn von den vier Kommissaren in der Leitung des Einheits­verbandes drei infolge der Zusammenlegung mit dem Ge­amtverband postenlos geworden.

Muchow blieb ein Mahner an dem in tausenden Wahl­versammlungen versprochenen Sozialismus. Ein un­bequemer, gefährlicher Mahner, ein Mann mit Anhang unter den treuesten der braunen Garde.

Nachdem Hitler   die zweite Revolution, gerade die Re­volution Muchows, abgeblasen hatte, nachdem der Reichs­wirtschaftsminister Schmidt die neue Epoche des Kapi talismus ankündigte und die NSBO. Herrn Thyssen über= antwortet wurde, erschien der tatentschlossene Kreis um Muchow   als ein bedrohlicher Gefahrenherd, als ein Er­plosivstoff im innersten Parteiförper, der ausgemerzt werden mußte.

Der Tod des achtundzwanzigjährigen Unterführers brachte die Befreiung von dem unangenehmen Drud. Die Kugel von Bacharach   fand einen zum Tode Gezeichneten. Die näheren Umstände des Mordes dürften nur durch einen Zu= fall aus dem sie verhüllenden Dunkel heraustreten.

Die Neue Zürcher Zeitung  " berichtet, daß der Sturmbannführer den Organisationsleiter und dieser den ersteren erschossen habe. Die amtliche Wolff- Meldung ist jedenfalls ganz falsch, da sie technisch unmögliche Dinge behauptet. Es ist ganz ausgeschlossen, daß beim Koppelumschnallen der in der Patronentasche befindliche Rez volver losgeht und ein Unglück anrichtet. Und ebenso un­wahrscheinlich ist, daß sich der Anrichter dieses Unglücks, ohne die Folgen abzuwarten, gleich auf der Stelle erschießt. Aber zum ganzen Bilde paßt durchaus, daß die NSBO. teine Mitgliederbeiträge mehr erheben darf und daher zum Unter: gang verurteilt ist.

Der Gipfel der Heuchelei aber sind die Anordnungen, die Muchows Gegenspieler, Dr. Ley, als Trauerfundgebung" getroffen hat: Sämtliche Fahnen müssen bis zum 1. Oktober Trauerflor anlegen es sind in Wirklichkeit die Freudenfahnen des Intriganten und Korruptionärs über den Entschlossenen und Programmtreuen!

TO

Brannbuch. Die zweite Auflage des Braunbuches ist leider noch nicht fertiggestellt. Der Verleger teilte uns heute mit, daß wir uns noch 8 Tage gedulden sollen. Der Versand unsererseits erfolgt dann sofort.

Grenoble  , A. H. Wir freuen uns, auch in Grenoble   so aufmerk same und so kritische Leser zu haben. Da uns jede Selbstgerechtigkeit fehlt, so sind wir auch dann dankbar, wenn man uns nach unserer Auffassung unrecht tut. Das Wort ewig" fann mißbraucht werden, aber wenn man möglichst kurz und präzis ausdrücken will, daß sich eine bleibende und unvergängliche Idee immer gegen Ungeist und Gewalt behaupten wird, so ist es durchaus am Play. Um so mehr, wenn der ganze Aufsatz sehr sachlich und sehr ernst gehalten und kein Samenforn Hitler  'schen Schwulstes darin aufgegangen ist. Eher schon geben wir das Wort Gedankengut" prets. So etwas rutscht im Eilzugstempo schon einmal durch. Die Glossen über H. und W. verwenden wir gerne. Im übrigen: Händedruck. Der be­geisterten Leserin Ihres Wahrheit verkündenden Blattes." Das ist die Mischung, die uns wohltut: Freundlichkeit, Kritik und Mit­arbeit, wenn man was zu sagen hat.

Schnorrer." Sie teilen uns über die Nazibettelei in Deutschland  mit: Eine Apotheke erhält den Auftrag, auf so und so viel Kilo Aspirin und eine Drogerie auf einige Hundert Liter Petroleum, Spiritus usw. für Arbeitslager. Darunter steht, wir hoffen, daß sie teine Rechnung stellen und diese Artikel dem nationalen Aufbau­werk spenden( oder Konzentrationslager für ihren Chef). Das iſt fein Einzelfall. Auch die Drohung mit dem Konzentrationslager an Unternehmer, die genug Nazis einstellen, ist keine Seltenheit.

M., Amsterdam  . So aufmerksamen Lesern wie Ihnen muß man für jede Kritik dankbar sein. Da sie selbst Redakteur waren, werden Sie die Ursache des kleinen Betriebsunfalles erkennen. Natürlich haben wir längst bemerkt, daß uns die betreffende Zeitungsforre spondenz oft als Quelle benußt. Recht haben Sie auch darin, daß fie uns öfter nennen fönnte. Vielleicht nimmt sie Rücksicht auf ihre bürgerlichen Abnehmer. Wir sind nicht fleinlich.

Dr. B. und 3t., Mülhansen. Sie müssen den Brief Ihres Be­fonnten in Bayern   nur richtig verstehen. Er meint ganze Partien offensichtlich nicht ernst. Wahrscheinlich hat er sich einen Durchschlag zurückbehalten, um jederzeit ein briefliches Alibi" zu haben. Er ist belastet genug, wenn ihn seine wissenschaftlichen Interessen zwingen, mit einem Franzosen zu korrespondieren.

Homburg  . Das Gruppenbildchen haben wir erhalten und uns ein wenig in die Hitlergesichter vertieft, soweit dies bei soviel Ober­fläche möglich ist. Unbegreiflich bleib uns immer, warum solche Herren überhaupt Hakenkreuz- Abzeichen tragen: man sieht es doch ohnehin jedem an, daß er außerhalb europäischer Zivilisation steht. T. S., Lille  . Aber wo denken Sie hin? Solche Verordnungen werden im dritten Reich" immer streng durchgeführt. Uns ist be­kennt, daß z. B. das Konzentrationslager von Oranienburg   von den wohlhabenden Angehörigen der Schußhäftlinge 4 Mark Ver­pflegungsgeld den Tag einzieht. Wohlhabend" ist jeder, der noch einen Notgroschen hat. Die jämmerliche Verpflegung kostet vielleicht 50 Pfennige den Tag. Den Ueberschuß verfressen und versaufen die SA.- und Lente.

Für den Gesamtinhalt verantwortlich: Johann Piz in Dude weiler; für Inserate: Otto Kuhn in Saarbrücken  . Rotationsdruck und Verlag: Verlag der Volksstimme GmbH., Saarbrücken 3, Schüßenstraße 5.

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