Schweizer   Deutsch  

Man kann die Wahrheit nicht totschlagen

Die„ Neue Züricher Zeitung" erhebt gegen das Hitler­regime Anflage in schärfster Form, indem sie folgendes schreibt:„ Wir haben den Aufstieg des Nationalsozialismus, trop manchen bedenklichen Erscheinungen, mit Wohlwollen verfolgt. Die heutige Regierung kann in Deutschland   die Pressefreiheit, nicht aber in der Welt die Wahrheit tot­schlagen; wir wissen Bescheid. Von all den Offenbarungen deutschen Geistes, von denen die Geschichte Kunde gibt, scheint uns die gegenwärtige, die mit ihrer blindwütigen Juden­verfolgung einen Rückfall ins finsterste Mittelalter, mit ihrer unmenschlichen Praxis, Geiseln zu nehmen, einen solchen bis ins dunkelste Altertum darstellt, am allerwenigsten ge= eignet zu sein, daß wir Schweizer   an ihr irgendwie ge­nejen" tönnten... Sollte jemals irgendeiner Macht auf Erden der Anspruch zugebilligt werden, uns als Deutsch­schweizer nur deshalb zum deutschen Reich zu schlagen, weil wir auch deutsch   sprechen, so würden wir lieber diese Sprache aufgeben."

„ Die Geburten- Rate"

Schwangerschaftsdauer im ,, dritten Reich" auf sechs Monate herabgesetzt

So hätte die Ueberschrift eines ironischen Berichtes der Times" lauten können. Aber die„ Times" ist zu sachlich, so schrieb sie nur unter der Ueberschrift„ Die Geburten- Rate unter der Nazi- Herrschaft" den folgenden töstlichen Bericht:

" Das offizielle Organ der Nazis, der„ Bölkische Beobachter", der einen nicht erschlaffenden Eifer für die Sache, der er dient, zeigt, scheint einem offensichtlichen, wenn auch verzeihlichen Irrtum zum Opfer gefallen zu fein, als er auf der ersten Seite verkündete, daß als Resultat der wirtschaftlichen Maßnahmen der Nazi­regierung und der besseren Lebensbedingungen ein scharfes Ansteigen der Geburtenrate in Württemberg   fest= austellen ist.

Die Regierung Hitler   ist jetzt eben über sieben Monate im Amt, und bei allem Respekt für ihren Erfolg auf anderen Gebieten es herrscht eine weitverbreitete Ueberzeugung selbst bei glühenden Nazis, daß sie noch nicht mit Erfolg die Geburtenrate gesteigert haben kann." Diesem köstlichen„ Times"-Stil braucht wohl nichts mehr hinzugefügt zu werden.

Amtliche Mord- und Geiselpolitik

Greuel in a chen Bekanntmachungen

Die gleichgeschaltete Presse teilt mit:

Nicht mit dem Leben spielen!

p Offenbach  , 2. Sept. Die Pressestelle der Polizeidirektion Offenbach teilt mit:

,, Vereinzelt tauchen immer noch in der Stadt sowie innerhalb des Schußgebietes Offenbach marristische Flugblätter auf. Der fommissarische Polizeidirektor macht ausdrücklich darauf aufmerksam, daß, wer Flug blätter verteilt, mit seinem Leben spielt, da An­

weisung gegeben ist, daß auf flüchtige Flugblattverteiler sofort und ohne dreimaligen Anruf ge­schossen wird. Außerdem ist angeordnet, daß fünftig bei Entdeckung eines marxistischen   Flugblattes bekannte Marristen, KPD. wie SPD.  , festgenommen und ins Kon­zentrationslager gebracht werden, auch wenn ihnen eine Teilnahme an der Flugblattverteilung nicht nachgewiesen wird. Diese Maßnahme soll eine Vergeltungsmaß­nahme im Hinblick darauf sein, daß immer noch ver­brecherische Elemente versuchen, das Volk gegen die jetzige Regierung aufzuheßen. Diejenigen also, die Flugblätter verteilen, schädigen in erster Linie ihre eigenen Ge­finnungsgenossen, die für die Tat der anderen auf das empfindlichste büßen müssen, während die Wirkung der Flugblätter naturgemäß äußerst gering ist, da niemand fich die Mühe geben wird, ein solches Schmierblatt zu lesen, geschweige denn den hierin enthaltenen Unsinn zu glauben."

Bereits drei Tage später meldet die gleiche Polizei­direktion:

sw Offenbach  , 5. Sept. Durch das Sonderkommando wurden, wie die Polizeistelle mitteilt, weitere zwei Kom­munisten in Schuzhaft genommen gemäß der Verfügung des Landespolizeipräsidenten über verschärfte Schuzhaft bei illegaler Flugblattvertei­Iung. Insgesamt sind jetzt als Vergeltungsmaß­nahmen der Flugblattverteilung in Heusenstamm  , Dießenbach und Offenbach   45 Kommunisten in Schubhaft genommen worden, die aus den Orten Heusenstamm  , Dietzenbach   und Offenbach   stammen. Auf Flugblattverteilung steht also Todesstrafe, wenn der Flugblattverteiler fich in Sicherheit bringen will.

Gelingt es nicht, ihn auf der Flucht zu erschießen, so werden unbeteiligte angebliche Gesinnungsfreunde eingesperrt. So wird es nicht nur angedroht, sondern, wie die vorstehende Meldung zeigt, auch praktiziert.

Die amtlichen Verlautbarungen enthalten an amtlichen Greueln: Anreizung zum Mord, Straffreiheit für Mord und rechtswidrige Freiheitsberaubung als Geiselpolitik.

Wir entnehmen die amtlichen Meldungen der national­sozialistischen Zeitung„ Mainzer Anzeiger" vom 4. und 6. September 1933.

Solche Tatsachen sind die stärksten Beweise für die von Amts wegen geförderten Schandtaten der Nazis.

BRIEFKASTEN

Antisemitismus. Ueber das kindische Märchen von den Proto­kollen der Weisen von Zion" ist gerade jezt eine Broschüre er­schienen, die die Geschichte dieser Fälschung erzählt. Als Verfasser zeichnet J. B. Rusch in Ragaz  ( Schweiz  ). Besorgen Sie immerhin Ihrem Freund das Heftchen. In manchen noch nicht sehr vor= geschrittenen Fällen hilft die Medizin der Aufklärung. Sehr oft ist alles vergebens.

W. R. Chur  . 1. Wir danken für den Beitrag. Das Thema haben wir wiederholt so gründlich behandelt, daß wir Ihren langen Aufsatz nicht abdrucken möchten. 2. Gehen Sie der Sache selbst nach. Wir können uns mit organisatorischen Aufgaben nicht befassen. 3. Das Braunbuch kostet geheftet 18 französische Franken, ge­bunden 25 Fr. 4. Ist uns bekannt. 5. Wenn Sie Göbbels   darauf aufmerksam machen, läßt er auch Schillers„ Tell" noch verbrennen, schon wegen dem Geßlerhut. 6. Die Adresse ist uns nicht bekannt.

Notterdam. Adressen von Emigranten geben wir grundsätzlich nur bekannt, wenn wir den Anfragenden genau tennen. Die Geheime Staatspolizei   gibt sich in manchen Fällen große Mühe, den Aufent halt bekannter Emigranten zu ermitteln. Sie ist dreist und gottes­fürchtig genug, auch unmittelbar bei uns anzufragen.

W. H., Dillingen  . Die Polemit gegen die Kommunisten wollen wir auf das Notwendigste beschränken. Es lohnt nicht. Den Vor­wurf, wir seien Separatisten" haben die KP.  - Redakteure aus der Nazipresse abgeschrieben. Die hat die Priorität. Natürlich glauben es weder die Kommunisten noch die Nazis, aber beide hoffen, daß Dumme das Gerede nachplappern.

Jucitator. Die Gedichte sind von einer Gesinnung, die wir billigen, aber zum Abdruck eignen sie sich nicht.

Analphabet. Das hat uns großes Vergnügen gemacht. Dank! Sie finden das Gesandte bald in den Deutschen Stimmen".

Lugano  . Wir bekommen das„ Börsenblatt" nicht mehr. Die Herr schaften boykottieren uns, worauf wir fast stole sind. Umso wichtiger sind uns Ihre Informationen.

Dr. P. A. W., Neuyork. Sie müssen begreifen, daß es uns un möglich ist, auf die briefliche Mitteilung uns unbekannter Leute einen Mann so ohne weiteres als Polizeispizzel zu kennzeichnen. Sie mögen recht haben, aber wir haben keinen Beweis.

Einer für viele. Sie sind wirklich„ einer". Ob Sie für viele" sprechen, bezweifeln wir. Sonst brauchten Sie doch Ihren Namen nicht zu verschweigen. Die Zeitungen, aus denen Sie uns Aus­schnitte übersenden, sind uns bekannt. Welchen Interessen diefe Zeitungen dienen, wissen wir auch. Sie scheinen es nicht zu wissen.

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